Hosea 11, 3

Ich nahm Ephraim bei seinen Armen und leitete ihn; aber sie merkten es nicht, wie ich ihnen half.

Wie richtend klingen diese Worte! Es ist dies wohl einer der lieblichsten, zartesten bildlichen Ausdrücke der Bibel – geradewegs der Kinderstube entlehnt. Welch ein Ereignis im Leben eines Kindes, wenn es zum ersten Mal auf seine Füßchen gestellt wird! Vielleicht ist es die Mutter, die das Wagnis unternimmt, oder das Kind richtet sich selbst auf. Aber noch getraut es sich nicht zu gehen; das muß erst gelernt sein. Die Mutter hält es vielleicht von hinten am Gängelband oder streckt ihm von vorne die Hände entgegen, oder schwebt, mit ausgebreiteten Armen, rings um das kleine zaudernde Figürchen herum, bereit, es beim ersten Zeichen des Fallens zu schützen. Die Aufgabe wird nicht mit einem Mal gelernt. Mancher Fall wird den kleinen Wagehals in Zucht halten; aber die Mutter läßt sich nicht entmutigen. Mit einem Kuß und einem fröhlichen: „Es tut nichts!“ stellt sie das Kindlein wieder auf seine Füße und lehrt es gehen.

Gott lehrt uns gehen. Er hält unsere Hand in der seinigen; Er geht mit ausgebreiteten Armen neben uns her, um uns vor Schaden zu hüten; Er hält uns fest, wenn wir ausgleiten, und hebt uns auf, wenn wir uns beim Falle wehe getan haben. Gott läßt sich dabei so wenig entmutigen wie die Mutter; nein – je schwächer unsere Knöchel sind, je ängstlicher unser Gang noch ist, desto mehr Sorgfalt verwendet Er auf uns.

Es folgen dann noch weitere Stufen. Wir sollen wandeln zu Gottes Wohlgefallen; laufen, wenn Er unser Herz fest gemacht hat; auffliegen mit Flügeln wie die Adler. Aber am Ende des Lebens kehren wir zum Gehen zurück: „Ich will hinein gehen zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danken, mein Gott!“

Ich kann allein nicht gehen,
Nicht einen Schritt.
Wo Du wirst gehn und stehen,
Da nimm mich mit.

Frederick B. Meyer (1847-1929)

Quelle:

Frederick Brotherton Meyer: Lichtstrahlen aus Gottes Wort. Ein Gang durch die Bibel in täglichen Betrachtungen, 4. Bändchen: Die Propheten. Kober C. S. Spittlers Nachfolger, Pilgermissions – Buchdruckerei St. Chrischona, Basel 1901 [pdf-Fassung der Neubearbeitung von Th. Karker]

Bild: Wikimedia Commons

Weblinks und Verweise:

Pastor Johannes Schmidt: Gedanken zum Lehrtext des Tages (bei erf.de)