Paul Tournier (1898-1986)

Paul Tournier (* 12. Mai 1898 in Genf; † 7. Oktober 1986 in Troinex) war ein Schweizer Arzt und Schriftsteller. Er war Pionier und Visionär eines integrativen Ansatzes für Medizin, Psychotherapie und Seelsorge und prägte den Begriff der «médecine de la personne», der therapeutischen Arzt-Patienten-Beziehung als heilendes Element in der Behandlung.

Leben

Paul Tournier wurde geboren als Sohn des Geistlichen und Dichters Jacques-Louis Tournier (1828–1898) und seiner Frau Alisabeth, geborene Ormond. Sein 70 Jahre alter Vater verstarb kurz nach seiner Geburt.

Nach seinem Medizinstudium an der Universität Genf machte er ein Praktikum in Paris. 1920 wurde er Delegierter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Nach seinem eidgenössischen Diplom für Medizin im Jahr 1923 spezialisierte er sich auf die Innere Medizin. Am 4. Oktober 1924 heiratete er Nelly Bouvier. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. 1928 eröffnete er seine medizinische Praxis in Genf. In den Jahren von 1939 bis 1945 konnte er aufgrund des Militärdienstes bei der Schweizer Armee seine private Praxis nicht weiterführen.

Im Jahr 1940 veröffentlichte er sein erstes Buch mit dem Titel Krankheit und Lebensprobleme. Er war Initiator der Internationalen Tagung der Medizin der Person im savoyischen Bossey unweit von Genf, die dort seit 1947 über seinen Tod hinaus noch stattfindet [1].

Tourniers Begegnung mit Gott und seine Theologie

Zwei religiöse Erfahrungen sollten Tourniers späteres Werk prägen. Als er 12 Jahre alt war, wurde er Christ. Als er heranwuchs, engagierte er sich in der Kirche, begann Artikel über den Calvinismus zu schreiben und argumentierte für die Orthodoxie und gegen den Liberalismus. Seine christliche Erfahrung wurde jedoch erst durch eine zweite Erfahrung, die er als „Begegnung mit Gott von Angesicht zu Angesicht“ bezeichnete, vollständig bedeutsam für ihn. Diese Begegnung veränderte sein Leben, veränderte alles und weckte in ihm ein vitales Interesse für, wie er sich ausdrückt „die andere Seite des Lebens, für seine innere Dimension, die für uns so notwendig ist“ [2].

Diese Begegnung veranlaßte ihn, seine medizinische Praxis radikal zu ändern. Anstatt nur die körperlichen Störungen seiner Patienten zu behandeln, begann er, sich mit den tieferen Problemen des ganzen Menschen zu befassen.

Einige haben behauptet, daß Tournier an eine universelle Erlösung glaubte, daß also letztendlich alle Menschen gerettet werden würden; es wäre jedoch korrekter, zu sagen, daß er an den endgültigen Triumph des Guten über das Böse in der Menschheit durch das Versöhnungswerk Christi glaubte. Als Antwort auf einen Brief eines Studenten, der eine Magisterarbeit über seine Theologie schrieb, entgegnete Tournier:

„Daß Sie als Theologe sagen, ich sei ein Universalist, ist naheliegend, denn ich glaube, daß Jesus in die Welt gesandt wurde, um die Sünder zu retten, die wir alle sind. So verstehe ich den heiligen Paulus, wenn er sagt, daß die Sünde durch einen Menschen, Adam, in die Welt gekommen ist und sich auf alle Menschen ausgebreitet hat, und daß er Jesus den zweiten Adam nennt, durch den die Erlösung für alle Menschen in die Welt gekommen ist, und sogar, wenn er sagt „die ganze Schöpfung“, daß die Erlösung durch Christus der Sieg Gottes über den Sündenfall ist. Ich glaube, daß dieser große Heilsplan universell ist, und nicht nur alle Menschen, sondern die ganze Welt betrifft, und daß Jesus am Kreuz diese Erlösung, diese Versöhnung der Menschen mit Gott, vollbracht hat, dass die ‚Strafe‘, wie Jesaja sagt, auf ihm liegt, um die Menschen vom Fluch des Sündenfalls zu befreien. Dieser Plan Gottes scheint also ein kollektiver, globaler, universeller zu sein“ [2].

Schriften (Auswahl)

Tournier schrieb zahlreiche Bücher zu psychologischen Themen aus christlicher Perspektive:

  • Medecine de la personne. Delachaux & Niestle, Neuchâtel
    • Krankheit und Lebensprobleme. Schwabe, Basel 1967 (7. Auflage)
  • Die Starken und die Schwachen. Benno Schwabe & Co, Basel 1952 (Neuauflage: Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 1980, ISBN 3-451-07787-6)
  • Bible et Medecine. Delachaux & Niestlé, Neuchâtel 1951.
    • Bibel und Medizin. Rascher, Zürich 1953.
  • Vraie ou fausse culpabilité. Delachaux & Niestlé, Neuchâtel
  • L’homme et son lieu. Delachaux & Niestlé, Neuchâtel
    • Geborgenheit – Sehnsucht des Menschen. Aus der Entfremdung zu neuer Zugehörigkeit. Humata, Bern, ISBN 3-7197-0327-4.
  • Le secrêt. Labor & Fides, Genève
    • Jeder hütet sein Geheimnis. Vom Werden des Ich und von der Zuwendung zum Du. Humata, Bern, ISBN 3-7197-0247-2.
  • Difficultés conjugales. Labor & Fides, Genève
    • Mehr Verständnis in der Ehe. Wege zur glücklichen Partnerschaft. Humata, Bern, ISBN 3-7197-0336-3.
  • Die Jahreszeiten unseres Lebens. Entfaltung und Erfüllung. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1977 (5. Auflage 1987. ISBN 3-579-05190-3)
  • Face à la souffrance. Labor & Fides, Lausanne
    • Im Angesicht des Leidens. Sinnerfahrung in dunkler Stunde. Herder, Freiburg im Breisgau 1983, ISBN 3-451-08003-3.
  • Vivre à l’écoute. Editions de Caux, Le Mont-sur-Lausanne.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Klappentext seines Buches Rückkehr zum Weiblichen. Werden Frauen unsere Welt wieder menschlicher machen? Herder, Freiburg im Breisgau 1981, ISBN 3-451-07838-4.
  2. Daniel D. Musick: „Paul Tournier’s Universalism„, abstract of Masters Thesis. (1973).
Quellen:
Seite „Paul Tournier“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 20. April 2021, 16:42 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Paul_Tournier&oldid=211136150 (Abgerufen: 4. September 2021, 09:05 UTC)
Seite „Paul Tournier“ bei Wikipedia (EN), mit einem Foto von P. Tournier

Weitere Verweise

La Médecine de la personne. Artikel von Paul Tournier [pdf bei paultournier.org]

Die Opferung Isaaks im Lichte der Médecine de la personne. Bibelstudie von Jakub Formanek v. 16.8.2019 [pdf bei medecinedelapersonne.org]

„Wenn wir häufig ratlos sind, dann liegt das daran, daß wir häufig mit dem Vater im Himmel keine so innige Gemeinschaft haben wie Jesus. Ich sage nicht, daß es immer einfach ist, den Willen Gottes für jede Lebenslage zu erkennen. Aber ich bin überzeugt, daß die Suche nach der Weisung Gottes unsere wichtigste Aufgabe ist. Ich befolge sie seit vierzig Jahren und habe erkannt, daß gerade diese Suche die Quelle meiner reichsten Erfahrungen war.“

(P. Tournier)

Erstellt am 4. September 2021