Akten zur neuesten Kirchengeschichte (2)

„Da ich morgen nach Ihringen zu reisen gedenke“ – schrieb er einmal – „so werde ich wohl, wenn es mir nicht gelingt, auf eine besondere Weise den Häschern zu entgehen, für eine Nacht oder mehrere in’s Ortsgefängnis zu Breisach abgeführt werden. Aber ich fürchte mich nicht und verzage nicht, wenn nur Zion wieder aufgebaut wird. Ich stehe nun mitten im Kirchenkampfe; das soll ja eine herrliche Zeit werden, besonders da wir Schritt zu Schritt den Kampf zum Siege werden schreiten sehn, denn die Kirche muß siegen, weil sie des Herrn Kirche ist und der Herr doch nicht unterliegen kann. Diese Gewißheit stärkt und festigt mich in meinem äußerlich so einsamen Stande.“

Es folgte die Zeit der Ausweisungen, der Transporte durch die Gensdarmerie, der Gefängnisse. Von jenem in Ihringen, einem unsaubern finstern Loch, schreibt Eichhorn: „Es waren, nachdem ich die erste Betäubung überwunden hatte, selige Stunden; ich fühlte die Nähe des Herrn, ich konnte Psalmen beten; es wurden mir die Psalmen und die Worte des Herrn vom seligen Kreuze so klar und hell, wie sie mir in allen exegetischen Vorlesungen in Halle und Heidelberg nicht geworden waren.“

Wie wenig gemacht die Bewegung im Volk war, wie tief sie ging, zeigt jener Brief einer Mutter an ihren Landesherrn, den Prinzen und Regenten. Der landeskirchliche Geistliche hatte ihr gedroht, man werde das Kind, dessen Geburt sie entgegensah, mit Gewalt zu ihm zur Taufe tragen. Da schrieb die Arme fast in Verzweiflung:

„Allergnädigster Fürst und Herr! Eure Königl. Hoheit wollen ein gnädiges Einsehen haben und den Gewissenszwang nicht zu weit treiben lassen, nicht so weit, daß das Leben einer Mutter von fünf Kindern auf das Spiel gesetzt wird, wenn man Kinder mit Polizeigewalt zur unirten Taufe tragen wollte, wie man mit Polizeigewalt Kinder zum unirten Religionsunterrichte zwingt. Dieses würde gen Himmel schreien und Gerichte über unser Land herabziehen, aber auch mich und alle Glaubensgenossen nur mehr in unserm in Gottes Wort gegründeten lutherischen Glauben befestigen. – Doch ich weiß auch, daß Ew. König.l Hoheit von uns hier falsch berichtet sind, nämlich daß wir nur durch Herrn Pfarrer Eichhorn zur lutherischen Kirche gebracht seien. Es ist aber nicht also, denn ich bin selbst zwei Jahr in schwerem Gewissenskampf gestanden, ohne Herrn Pfarrer Eichhorn persönlich zu kennen oder mich in Briefen an ihn gewandt zu haben. Darum geschieht demselben Unrecht, daß er so viel zu leiden und zu tragen hat, ja jetzt sogar wegen seiner letzten Besuche in einem fast finstern Kerker sitzen muß, nebst der Verbannung von Weib und Kindern, die nach dem Vater weinen. Ew. Königl. Hoheit wollen mir verzeihen, wenn ich den innersten Ausdruck meines Herzens niederschreibe und Höchstdemselben offenbare.

Haben Ew. Königl. Hoheit kein geneigtes Herz mehr gegen uns seit mehreren Jahren verfolgte lutherische Unterthanen? Haben Ew. Königl. Hoheit aufgehört, unser Landesvater zu sein? Dürfen wir uns nicht mehr mit Vertrauen an Höchstdieselbe wenden? Haben wir keine Hülfe mehr zu hoffen? Sind Ew. Königl. Hoheit unser Verfolger, unser Feind geworden?“ – –  So die Klage aus dem Volk.

Von Nußloch hatte sich Eichhorn mit den Seinen nach Durlach begeben. Hier hatte einst Johann Fabricius, Mitunterzeichner der Concordienformel, gepredigt, hier der fromme Markgraf Georg Friedrich, Verteidiger der „evangel.=luth. Religion“ dem Kaiser gegenüber, residirt. – –

Um in festes kirchliches Gefüge zu kommen wandte sich Eichhorn nach Breslau an das Ober=Kirchencollegium der evangel.-luth. Kirche in Preußen. Er erhielt Trost, Fürbitte und kirchliche Berufung.

Am 13. April 1851 schrieb Dr. Huschke: „Der den Daniel vor des Löwen Rachen und die drei Männer im feurigen Ofen unversehrt erhalten hat, wird auch Sie wohl zu bewahren wissen. Und wenn die Macht des Königs von Preußen nicht hingereicht hat, Seine Kirche zu vernichten, so wird auch die der badischen Caiphasse, Herodes und Pilati nicht im Stande sein, sie am Auferstehen zu hindern.“

Eichhorns Vocation für Ihringen wurde am 3. Juli vom Ober=Kirchencollegium bestätigt. Es ist für Späteres wichtig festzuhalten, wie sich die Behörde im Begleitschreiben darüber ausspricht:

„Wir bemerken, daß wir unsere Bestätigung Ihrer Vocation nur als ein Anerkenntniß des von Ihnen uns bewiesenen Vertrauens betrachten. Wollen Sie künftig in einem förmlichen Verhältniß zu uns stehen, so müssen wir Sie bitten, sich über die Art, wie Sie sich dies Verhältniß denken, näher auszusprechen. – Vielleicht daß sich künftig in Süddeutschland ein lutherischer Kirchenverband bildet, dem Sie sich anschließen könnten. Bis dahin betrachten wir Sie jedenfalls als den Unsern, und sind immerdar bereit, mit Rath und That nach Kräften Ihnen zu dienen.“

Wir finden hier eine wohlthuende Weite der Auffassung, welche künftiger Entwicklung nicht vorgreifen mag. Auf der Leipziger lutherischen Herbstconferenz fanden Stellung und Haltung Eichhorns die entschiedenste Anerkennung. Der Vorstand: Petri, Kliefoth, Huschke, Elvers, Kahnis, Thomasius wurde beauftragt, dies Eichhorn auszusprechen. Ebenso beschloß man auf den vom edlen Freiherrn von Malzan geladenen Conferenzen zu Rothenmoor.

Wie that dies dem Gefangenen wohl!

Zu seiner größten Beruhigung diente aber, außer dem offenbarten Wort, seinem unerschütterlichen Grund, die Treue der Hausfrau, die das Haus versorgte, um Christi willen freudig trug, und immer tröstete.

Im September theilte Minister von Marschall Eichhorn beim erbetenen Zutritt mit, der Recurs an das Staatsministerium sei verworfen. Er unterließ nicht, den menschenfreundlichen Rath hinzuzufügen, Eichhorn möchte doch das Land verlassen.

Eichhorn aber hielt alle vierzehn Tage Waldgottesdienst, gewöhnlich am Kaiserstuhl. Es war unter einer alten Eiche. Man überblickte den Rhein von Basel bis Straßburg. Man sah den hohen Münster und sah in die fruchtbaren Ebenen des Elsaß hinein, von wo die Grüße von Horning, Magnus und Ménégoz kamen. Man sah die blauen Höhen der Vogesen in duftigen Fernen. Im December brachte die Neue Preußische Zeitung ein wackeres Zeugniß:

„Für die Madiaischen Eheleute in Florenz haben wir noch ein theilnehmendes Herz, aber haben wir denn nicht auch ein Herz für die Eichhornschen Eheleute mitten in Deutschland, welche um die reine schriftgemäße Lehre verfolgt werden, wie sie die Väter vor 322 Jahren in Augsburg vor Kaiser und Reich bewahrt haben?“

Das Jahr 1852 begann. Vier Wochen Festungshaft. Es war auf der alten Feste Altbreisach.

Eichhorn war von Basel gekommen Er segnete die Leiche eines Kindes in der Nacht in Ihringen ein. Am Morgen beim Verlassen des Ortes wird er überfallen und von den Gensdarmen zur Festung abgeführt. Mit sechs Gefangenen saß er einen Tag und eine Nacht ohne Licht in derselben Zelle! Dann erst kamen Erleichterungen durch den freundlichen Oberbeamten.

Aus dem Gefängniß tröstete er die Seinen. „Auch ich bin ganz ruhig“ – schreibt die treffliche Hausfrau am 3. Januar – „und meine Seele ist stille zu Gott, der uns hilft.Sorge nicht, daß ich bittere Gesinnung hege gegen die, welche uns zuwider sind. Sie wissen ja nicht, daß sie nicht gegen Menschen, sondern gegen das Bekenntniß der Wahrheit streiten, und haben darum unsere Fürbitte um so nöthiger.“

Am 9. Januar schreibt sie ihrem Eheherrn:

„Die Kinder wissen nun, wo du bist. Sie weinten wohl anfangs sehr, alle drei. – Heinrichs erste Frage unter vielen Thränen war: Ist das Gefängniß kalt? Maria nimmt sich recht nett ihrer Brüder an im Lernen, wenn ich Vormittags oft nicht ganz bei ihnen sizen bleiben kann; heute schrieb sie ihnen auch große Buchstaben vor. – Gott erhalte dir deinen Frieden und Glauben ungebeugt, darum bitte ich mit dir. Es ist mir so lieb, wenn du mir Stellen bezeichnest aus dem Worte Gottes, die dir besonders eindrücklich und tröstlich waren. Abends lesen wir jett Evangelium Johannis, im zweiten Kapitel. Nun so leb denn wohl und Gott behüte dich als einen Augapfel unablässig.“

Als die Haft vorüber war, und der Gefangene in sein Haus trat, empfingen ihn Frau und Kinder mit Psalm 126 und dem Lied: Verzage nicht, du Häuflein klein!

Im Mai hatten die Stände mit 61 gegen 2 Stimmen beschlossen, die eingegangenen Petitionen der armen Gemeinden dem Ministerium zur geeigneten Berücksichtigung nicht zu überweisen.

In Eichhorns Wohnung erschien täglich ein Gensdarm, um sich zu überzeugen, daß der Internirte richtig zu Hause sei. Die letzte Zuflucht schien der Bundestag. Diesen Rath ertheilte Justizrath Wagner, Redacteur der Neuen Preußischen Zeitung durch Superintendent Lasius.

Eichhorn wandte sich, um für das kirchliche Recht des Bekenntnisses in Baden Nichts unversucht zu lassen, zunächst an den königl. preußischen Bundestagsgesandten. Es war Herr von Bismarck. Derselbe antwortete amtlich:

„Ew. Hochehrwürden erwiedere ich auf das gef. Schreiben vom 27. v. M., daß demselben einige der nothwendigen formellen Requisite fehlen, welche erforderlich sind, um daran eine Verhandlung in der Bundesversammlung zu knüpfen. Es ist zu diesem Zweck nöthig, die Eingabe direct an die Bundesversammlung zu richten und zu überschreiben, nicht aber an einen einzelnen Gesandten; ferner würde in Bevollmächtigter hier am Ort zum Verkehr mit der Bundesversammlung benannt werden müssen, namentlich aber sind die bisherigen abschläglichen Bescheide der Landesregierung im Original oder in vidimirter Abschrift beizufügen, und auf dieselben die Beschwerde wegen Justizverweigerung zu begründen. Im Uebrigen glaube ich Ihnen meine persönliche Ansicht nicht vor enthalten zu sollen, daß der von Ihnen beabsichtigte Schritt den gewünschten Erfolg schwerlich haben wird. Die Beschlüsse der Bundesversammlung erfolgen nicht nach den eigenen Ansichten der Gesandten, sondern nach den Instructionen ihrer Regierungen, und Ew. Hochehrwürden selbst werden aus den Erfahrungen Ihrer Kirche in verschiedenen Staaten entnehmen, daß die rechtlichen Verhältnisse derselben nicht von allen Seiten in gleichem Sinn aufgefaßt werden. Durch einen ungünstigen Entscheid des Bundestages wird aber ihre Lage der Landesregierung gegenüber noch nachtheiliger werden, als bisher, und auf einen günstigen kann ich Ihnen nach meiner Kenntniß der Verhältnisse und der dazu mitwirkenden Factoren keine gegründete Hoffnung machen. Indem ich Ew. Hochehrwürden hiernach anheimstelle, ob Sie den Eingangs angedeuteten Weg betreten wollen, bin ich mit vorzüglicher Hochachtung

Ew. Hochehrwürden
Frankfurt a.M., d. 2. Juni 1852. ergebenster
von Bismarck.

…zurückweiter…


Quelle: Karl Eichhorn, Akten zur neuesten Kirchengeschichte, hrsg. v. Rudolph Rocholl. Leipzig, Verlag von Justus Naumann, 1890. [Digitalisat]

Eingestellt am 28. Oktober 2023 – Letzte Überarbeitung am 29. Oktober 2023