Das Leben, ein Wunder (Albert Knapp)

Ein Wunderwerk bist du, mein armes Leben,
In Nerven, zärter als die Spinneweben,
In Strömen Bluts, die diesen Leib durchkreisen,
In Muskeln spielend auf viel tausend Weisen.

Wer zog durch mein Gehirn die feinen Gänge?
Wer schmiedete der Ohrtrompeten Länge?
Wer gab in diese Zunge Wunderfäden,
Des Geistes Eindruck hell herauszureden?

Wer stellte meinen Fuß in’s Gleichgewichte,
Daß schwebend ich mein Aug gen Himmel richte,
Auf schmaler Sohle vielbeweglich walle,
Und ruhig stehend nicht darniederfalle?

Wer läßt der Lungen ausgespannte Flügel
Sich fröhlich schwingen auf den Felsenhügel,
Und jenen Schwung, den sie vor Alters hatten
Im Greisenalter uns noch nicht ermatten? –

Wie viele meiner frischen Spielgenossen
Hat längst vor mir die dunkle Gruft umschlossen!
Warum nicht haben mich des Lufthauchs Spiele
Gleich ihnen schon geführt zum Grabesziele? –

Oft hat die Sterblichkeit auch mich umklammert,
Daß ich in Schmerzen manche Nacht durchjammert;
Und siehe da, wenn mich der Tod durchgähret,
Steht über mir die Sonne neuverkläret.

Mein Lebensschifflein mit dem Sündenlecke
Ward oft geschnellt um eine Felsenecke,
Daran es ohne Rettung schien zu stranden, –
Und siehe doch, mit Freuden durft‘ ich landen.

Oft, wenn ich ledig war des Gnadenlichtes,
Hat mich umflammt die Fackel des Gerichtes;
Warum ward ich verbrannt nicht noch ersäufet,
Der so viel Schulden auf sein Haupt gehäufet?

O siehe da, wenn tausend Wetterleuchten
Auflodernd wider mich verschworen deuchten,
Wenn alle Fluten um das Haupt mir drangen, –
Dann fühlt‘ ich mich von einer Hand umfangen.

Die Flammen löscht und Meeresfluth kann stillen,-
Und eine Stimme sprach: „Um Meinetwillen
Hab Ich gerissen dich aus Fluth und Feuer; –
Nur mein Erbarmen machet Mir dich theuer!“ –

Ich hab’s empfunden, Herr, und will’s bekennen:
Ein Satan wär‘ ich und kein Mensch zu nennen,
Wenn ich lobpreisend an mein Herz nicht schlüge,
Und nicht mein Dasein Dir zu Lehen trüge!

Aus: Herbstblüthen. Gedichte von Albert Knapp.
Druck und Verlag von J.F. Steinkopf, Stuttgart, 1859.