Propst Ludwig Zimmermann (1852-1906)

P r o p s t  L u d w i g  Z i m m e r m a n n
g e b o r e n  i n  M i t a u  2 8.  M a i  1 8 5 2
e r m o r d e t  i n  L e n n e w a r d e n  3 1.  A u g u s t  1906
mit seiner Frau Katharina, geb. von Roth

Kurlands warme Sonne schien in Zimmermanns Elternhaus. Er war in allen Klassen des Mitauschen Gymnasiums Primus, bezog 1871 die Landesuniversität Dorpat, deren theologische Fakultät auf der Höhe stand. Moritz von Engelhardt, der Gewissensmensch, Alexander von Dettingen, der weltweite Dogmatiker, Wilhelm Volck, der kernige
Hofmannschüler, waren seine Lehrer. Anfechtungen hat Zimmermann nicht gekannt, der Glaube der Kirche war ihm selbstverständlich.

Nach beendetem Studium, nach Absolvierung des praktischen Jahres und vorübergehender Adjunktur beim alten livländischcn Pfarrer-Original Pacht in Kokenhusen wurde er 1881 Pastor der vor den Toren Rigas gelegenen kleinen Gemeinde zu Neuermühlen. Es war eine „reine“ Gemeinde, d. h. es gab keine griechischen [orthodoxen] Konvertiten, so gab es auch keine Konflikte mit der Staatskirche. Dank diesem Umstande blieb seine Dienstliste „rein“, und so kam es, daß Zimmermann, erst 39 Jahre alt, einer der jüngsten Pastoren des Rigaschen Landsprengels, zum Propste gewählt wurde, denn die anderen älteren Brüder, wie etwa der alte Kuntzendorf, standen fast ständig „unter Gericht“, wegen Vergehen gegen die griechische Kirche, und waren deshalb nicht wählbar. Trotz seiner Jugend besaß Zimmermann das unbedingte Vertrauen seiner Amtsbrüder. Eine besondere Freude war es ihm, daß bei den Einführungen der Pastoren seines Sprengels es nie zu Ausschreitungen kam, obgleich die Parole lautete: hie lettisch — hie deutsch! An den von ihm abgehaltenen Visitationen nahmen auch die Gemeindeglieder regsten Anteil. Er wußte mit seiner freundlichen Art selbst die Erwachsenen zu Antworten zu bewegen. Mit der kleinen dreitausendköpfigen Gemeinde ließ sich die Bürde des Propstamtes, die oft auch Fahrten von hundert Kilometern auf schlechten Landwegen mit sich brachte, vereinen. Schwieriger
wurde es, als Zimmermann 1895 Pastor der großen Gemeinde in Lennewarden mit der Filiale Gr. Jungfernhof wurde. In der Stammparochie Lennewarden nahm die Gemeinde ihn kühl auf, denn er war ein Deutscher und dazu vom Patron erwählt; bei dieser Kühle ist es geblieben.

Anders war es in der Filiale, wo es selbst in schwersten Zeiten nicht zur Störung des guten Verhältnisses zwischen Pastor und Gemeinde kam. Aggressiv konnte Zimmermann nicht sein, dazu war er zu zart. Widerstand, wenn auch passiver, legte sich lähmend auf sein Wirken in Lennewarden. So war es verständlich, daß vom sozialdemokratischen
Zentralkomitee gerade die Lennewardensche Kirche dazu ausersehen wurde, durch Herbeiführung wüster Szenen das Ansehen der Kirche zu vernichten. Als Zimmermann nach der Pfingstpredigt 1905 in die Sakristei trat, hörte er statt des Gesanges des Kanzelverses einen Fremden von der Kanzel reden. Zimmermann wollte zur Kanzel, eine Gruppe junger Terroristen versperrte ihm den Weg. Bald gelang es einem Mann des Kirchenschutzes, den Redner von der Kanzel zu reißen; der, dem es gelang, wurde aber von den Terroristen zu Boden geworfen. Zimmermann suchte sie abzuwehren. In diesem Tumult verließ die terrorisierte Gemeinde das Gotteshaus. Vor der Kirchentür war eine rote Fahne entfaltet und ein Umzug der Terroristen zum Wirtshaus veranstaltet. Die Kirche wurde auf Befehl des Konsistoriums geschlossen. Die sozialistischen Agitationen setzten um so kräftiger ein: Zimmermann habe die Kirche zur Mördergrube gemacht. Ihm selbst wurde die Absetzung durch das „Komitee“ übermittelt. Zimmermann blieb auf seinem Platz und war nach wie vor treu in der seelsorgerischen Bedienung seiner Kranken, obgleich er auf das eindringlichste gewarnt wurde, die weiten Fahrten auf einsamen Strecken zu unternehmen.

Jakobi-Kirche in Riga

Als er nicht weiter bleiben konnte, weil Brand und Mord ungehindert wüteten und dem Pastor jede Arbeits- und Existenzmöglichkeit genommen war, benutzte er noch den letzten Eisenbahnzug vor dem ausbrechenden Generalstreik und kam nach Riga. Hier präsidierte er in der Sakristei der Jakobi-Kirche (derselben, die 1923) von den Katholiken geraubt wurde) bei den wöchentlichen Versammlungen der vertriebenen und geflüchteten Pastoren und durchlebte mit ihnen jene ergreifenden Stunden, wo jeder neue Flüchtling Erschütterndes von menschlicher Roheit und Bosheit, — Erhebendes von Gottes Bewahren und Führen zu berichten wußte.

Als der Terror im Frühling 1906 durch das russische Militär gebrochen war und die kirchentreuen Gemeindeglieder Zimmermann zur Rückkehr aufforderten, kehrte er sofort nach Lennewarden zurück. In seiner kindlichen Naivität, die keinem Böses zutraute, glaubte er die Verhältnisse nur von der besten Seite ansehen zu dürfen.

Eine schwere Amtshandlung war die Wiedereinweihung der nach dem Morde Pastor Schillings auf Befehl des Konsistoriums geschlossenen Nitauschen Kirche. Als wahrhafter Mann konnte er nicht schweigen zu dem, was an dem Nitauschen Pastor geschehen war, er mußte, wie er es auch am Grabe Schillings getan, Mord Mord nennen, das aber galt bei den Roten als schweres Verbrechen.

Am 31. August erschienen im Pastorat zu Lennewarden drei maskierte Mordbuben, die offenbar wußten, daß der Propst von einer Fahrt bald heimkehren würde. Sie legten sein Todesurteil auf den Schreibtisch nieder.

Es war unterschrieben: „der Teufel, der Richter und der Unstete“. Sie erklärten der Pröpstin, sie seien gekommen, den Mann zu töten, weil er in Nitau die gefallenen Freiheitskämpfer geschmäht. Als die Mordbuben darauf die Wertsachen des Pastorats zu rauben suchten, und die Pröpstin dagegen protestierte, schlugen die Unmenschen die zarte Frau mit der Peitsche. Der Pröpstin wurde befohlen, sich nicht aus dem Zimmer zu rühren. Nach einer qualvollen Stunde hörte man den Wagen des Propstes heranrollen, die Pröpstin wollte zur Tür hinaus, um ihren Mann zu warnen, sofort traf sie eine Kugel.

Sie brach zusammen, fast gleichzeitig ertönten auf dem Hof die Schüsse — ein gellender Todesschrei — ein Kopfschuß hatte diesem liebereichen Leben ein Ende gemacht. Mann und Weib, die in ungetrübter Glaubens- und Arbeitsgemeinschaft gestanden, wurden vereint auf dem Lennewardschen Kirchhof begraben. Wie die lettischen Hausgenossen, eingeschüchtert durch den Terror, nicht gewagt, den Propst rechtzeitig zu warnen, so wagten auch die Gemeindeglieder nicht, an der Bestattung teilzunehmen, nur einige alte Getreue waren erschienen, ihrem „Propst mit dem goldenen Herzen“ das Geleit zu geben, dem Pastor Taurit im Namen des Sprengels den letzten Dank ins Grab hineinrief.

Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag, Berlin 1926. S. 53-56 [Digitalisat, pdf]

Bildnachweise:
Portrait von Ludwig Zimmermann: Robert Borhardt, Public domain, via Wikimedia Commons
Jakobskirche in Riga: giggel (Liz. CC BY-SA 3.0), via Wikimedia Commons

Weblinks und Verweise

Seite „Ludwig Zimmermann (Propst)“ bei Wikipedia (DE)

Eingestellt am 16. März 2022