Fünfte Bibelstunde, Zweiter Teil
6. Das Sendschreiben an Philadelphia
7 Und dem Engel der Gemeinde zu Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: 8 Ich weiß deine Werke. Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft, und hast mein Wort behalten und hast meinen Namen nicht verleugnet. 9 Siehe, ich werde geben aus des Satanas Schule, die da sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, daß sie kommen sollen und niederfallen zu deinen Füßen und erkennen, daß ich dich geliebt habe. 10 Dieweil du hast bewahrt das Wort meiner Geduld, will ich auch dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die da wohnen auf Erden. 11 Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme! 12 Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen; und will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. 13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Werden wir durchkommen durch die Versuchungen und die Kämpfe? Ja gewiß, wenn wir dem Zuspruch Jesu an seinen Apostel Paulus in unserem Teil gehorsam werden:
„Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, 2. Kor. 12, 9. Dieser Trost, der Licht und Kraft bringt, spricht auch aus dem Sendschreiben nach Philadelphia, und es gilt auch uns: „Wer ein Ohr hat, zu hören, der höre!“
„Eine kleine Kraft“ nur stand dem Manne zur Verfügung, dem die Gemeinde anvertraut war. Vielleicht war es ein kleines Häuflein, wie Gideons Schar, und ihm gegenüber übermächtige heidnische und besonders jüdische Feinde; vielleicht fehlten auch so hervorragende „Geistesgaben“, wie sie sonst in den ersten Christengemeinden (vgl. 1 . Kor. 12, 1) lebendig waren. Ob es innere oder äußere Niedrigkeit oder beides zusammen war, es galt dieser Gemeinde für alle Not: „Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, ihr armer Haufe Israel. Ich helfe dir, spricht der HErr, und dein Erlöser ist der Heilige in Israel“ (Jesaja 41, 14). Der, der wahrhaftig und wesenhaft „der Heilige“ ist, nimmt sich ihrer an. Der schließt ihr seine Türe auf, der „den Schlüssel Davids“ hat, und das ist der große Davidssohn selbst. Das Bild schließt sich an an eine Stelle im Propheten Jesaja (Jes. 22, 22), wo damit die Vollmacht bezeichnet ist, den Zutritt zum königlichen Palast zu verstatten oder zu versagen. Dort hinein hat der Bischof der Gemeinde – und sie mit ihm – „eine offene Tür“, einen ungehinderten Zutritt, den ihr niemand wehren kann. Dorthin dürfen die Gebete aufsteigen, dorthin darf die Hoffnung hinausschauen; von dorther kommt Kraft den Schwachen, Hilfe den Angefochtenen, und dorthinein, in die Wohnungen des Himmels und in das künftige ewige Reich des Davidssohns geht der Weg, der offen ist und den niemand verbauen kann. Und wenn dieser wahrhaft heilige Herr seiner Gemeinde offenen Zutritt gibt, so hat sie damit Zutritt zu dem großen Gott, den ihr König, der heilige Davidssohn „seinen Gott“ (V. 12) nennt, damit die, die er zu sich lädt, wissen, daß der allmächtige Herr der Zeit und der Ewigkeit auch ihr Gott sein und bleiben will.
Der Vorsteher mit seiner Gemeinde muß in schwerer Anfechtung gestanden sein; es sind Angriffe auf ihn gemacht worden, ihn vom Glaubensgehorsam gegen das Wort Jesu und von dem freien Bekenntnis und Zeugnis von Jesu Namen abzubringen. Er hatte einen harten Stand, aber er hielt sich ausharrend ans Wort, das ein „Wort der Geduld“ (V. 10) heißt, weil es bewahrt sein will mit der geduldigen Treue, die auch vor Widerwärtigkeit und Drangsal nicht zurückweicht. Und das war das Werk des Glaubens, das der Herr ansah, und um dessen willen der Vorsteher einen Erfolg erreicht, den er mit keinem noch so kraftvollen Wirken und Kämpfen hätte zuweg bringen können: Juden, vom Satan verblendet und mit Haß und Lüge gegen den Namen Jesu und seine Gemeinde ankämpfend, sollen innerlich überwältigt vor ihm sich beugen und ihm huldigen – nicht als einem, der ihnen erwiesen hat, daß er dennoch im Rechte sei oder daß er dennoch ihnen weit überlegen sei, sondern als einem, dem sie abspüren: Er hat an Christus einen Herrn, der ihn liebend schützt und heiligt und segnet! Das ist Triumph, wenn den Feinden nicht unsere Trefflichkeit und Frömmigkeit, sondern in unserer Niedrigkeit und Schwachheit Christi Kraft und segnende Liebe ins Herz leuchtet. Das schaffen aber nicht wir, das will Er „geben“.
Und nicht, daß er es genieße und sich drin sonne, wird das dem Vorsteher gegeben, sondern daß er darin gestärkt werde für „die Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die da wohnen auf Erden“. Was ist wohl damit gemeint? Es ist eine „Stunde“, die kommt und geht, wie ihr die Zeit von Gott bemessen ist. Sie kommt über den „Weltkreis“: Dieses Wort [griech. oikoumenēs] bezeichnete die Länder, die zum römischen Reich vereinigt waren und weiterhinaus unter seinem Einfluß standen: den Schauplatz der „Geschichte“ der damaligen Zeit. „Versuchung“ ist gefahrvolle Erprobung, in der man sich entscheiden muß für Treue oder für Abfall. Eine solche „Stunde“, eine Periode der Sichtung und Anfechtung, die dem Christentum den Untergang drohte, zeigte sich von fern schon in der apostolischen Zeit. Und zwar waren es keineswegs bloß die Verfolgungen, die bald hier bald dort die junge Saat zu zertreten suchten; viel tiefer waren die inneren Erschütterungen, die gleichzeitig damit in allen möglichen Gestalten das Christentum bedrohten.
Traten die Kämpfe mit dem Judentum zurück, so drohte immer mächtiger anschwellend der Kampf mit den Mächten, die aus den heidnischen Religionen und aus heidnischer Weltweisheit stammten. Die größte und folgenreichste aller Erschütterungen, der das Christentum je ausgesetzt worden ist, der sogenannte Gnostizismus, aus Griechentum und orientalischen Ideen stammend, erhob schon sein Haupt, als Johannes seine Offenbarung schrieb, und die „Mithrasreligion“, die von Osten her über Kleinasien kommend zur selben Zeit sogar bis in das von Rom kolonisierte Deutschland vordrang, schien lange Zeit hindurch dem Christentum den Weg durchs Römische Reich mit ihrer Konkurrenz zu verlegen. Nehmen wir nur diese Beispiele, so sehen wir: Der Name Jesu Christi sollte aus der Welt verdrängt werden, nicht nur durch äußere Gewalt, sondern auch durch höhere, ihn [scheinbar] überbietende Weisheit und durch geheimnisvollen Kultus, mit dem man die nach Glauben dürstende Welt befriedigen wollte. Aber, spricht der Herr, „ich komme bald“. Sie meinen, ihn auszuschalten und in Vergessenheit zu bringen, wer aber sein Wort hält und seinen Namen bekennt auch in den dunkelsten Zeiten, soll merken, daß der Herr für die seinigen im Kommen ist, nicht im Weggehen, und daß er nicht zögert, sondern die nicht zuschanden werden läßt, die nach ihm, dem Kommenden, ausschauen.
Und einst sollen sie nicht mehr Fremdlinge sein in einer ihnen feindlichen Welt, sondern daheim sein im Heiligtum Gottes, d.h. im künftigen Gottesreich, Bürger der kommenden Gottesstadt [Eph. 2, 19], denen diese Würde an der Stirn geschrieben steht und von deren Angesicht die Herrlichkeit Christi und Gottes selbst leuchtet, wie sie dann erst dem Volke Gottes sich enthüllen wird. „Pfeiler im Tempel“ (v. 12) sollen sie werden: Pfeiler tragen und zieren zugleich den Bau. So sollen sie, eingefügt in die künftige Gemeinde, selbst herrlich geziert, sie zieren; selbst Glieder des Ganzen, das Ganze an ihrem Orte dienend tragen; und die Gemeinde, in der sie so für ewig leben sollen, wird Gottes Tempel sein. Ds will sagen (Offb. 21, 3): „Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“ Amen.
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Quellenverzeichnis:
Auslegung: Christian Römer, weil. Prälat und Stiftsprediger zu Stuttgart: Die Offenbarung des Johannes, in Bibelstunden erläutert, S. 44-48 (Verlag von D. Gundert, Stuttgart 1916)
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