Jesaja 2, 2

In der letzten Zeit aber wird der Berg mit dem Tempel Jahwes fest gegründet stehen als der höchste unter den Bergen und über die Hügel erhaben sein, und alle Heiden werden zu ihm strömen. (Jesaja 2, 2)

Es bleibt das Große im Gesamtbild der prophetischen Verkündigung, daß nach jedem Abend der Geschichte dennoch ein neuer Morgen anbricht. Ein Morgen, der einen Tag  einleitet, der in seinem Leben reicher, mit seinem Licht heller und in seinen Zielen der ersehnten Heilszukunft verwandter sein wird als der vorher untergegangene. Diese Fernschau, aus der immer neu eine weltüberwindende Hoffnung geboren wurde, hätte den Propheten nie werden können, wenn ihr Leben nicht im Umgang mit Gott gestanden hätte. Aus dem Werden der Geschichte, vom Boden ihres Volkes aus oder aus den Machtbestrebungen der Weltmonarchien hätten sie nie solche eschatologischen Heilserwartungen gewinnen können. Nur, wer Gott gesehen, sieht über alle Katastrophen hinweg eine Zukunft, die einmal unseres Gottes sein wird.

Wenn der Prophet das Haus Jahves als Stätte seiner machtvollen Gegenwart und zukünftigen Herrlichkeitsoffenbarung fest gegründet auf einem Berge liegen sieht, so mag das Bild zwar beim Zionsberge Jerusalems anknüpfen, es kündet aber gewiß die zukünftige geistige Höhenlage im Völkerleben an. Bis zu dieser Zeit bleibt Gottes Offenbarungsstätte ein Wanderzelt. Weder ein bestimmtes Volk, noch irgendein großes Zeitalter der bisherigen Geschichte hat ihr eine feste Stätte gegeben. Als Israel-Juda erst aufhörte, sein Ohr an den Mund Gottes zu legen, hörte auch sein Heiligtum auf, eine Offenbarungsstätte für die Zukunft zu sein. Seit Pfingsten zeltete alsdann die Gegenwart Gottes mit ihrer Heilsoffenbarung in der durch den Heiligen Geist gesammelten Christusgemeinde. Aber auch die Urgemeinden verloren mehr und mehr den Inhalt ihrer Botschaft, Christus, und wurden eine römische, christliche Weltinstitution, in der die Offenbarung wieder heimatlos werden mußte. Da schuf sie sich in den Reformationskirchen ein neues Zelt, von dem aus die Kräfte der Welt Gottes sich den Völkern mitteilen sollten. Wie wenig Raum hat jedoch heute wieder diese Gotteswelt mit ihrem Leben und ihren Kräften in weitesten Schichten der gegenwärtigen Reformationskirchen und in den ihnen verwandten freikirchlichen „Schwester“gemeinden!

Noch fehlt Gott innerhalb der Völkerwelt der Berg, auf dem sein Offenbarungstempel eine fest gegründete Heimat hat. Noch fehlt Gott das Volk, in dem er uneingeschränkt das Heil seiner Gegenwart und den Frieden seiner Königsherrschaft entfalten kann. Noch zieht das Fleisch in seiner Macht ihm in seinem Segnen und Regieren überall Grenzen, noch hat man nirgends dauernd Raum für ihn und seinen Gesalbten. Noch schreiben Völker und Geschichte immer wieder über ihren Aufbau und über ihre Zukunft, über ihr Leben und
über ihr Schaffen: „Nicht dieser!“

Die Weltwehen der Zukunft werden jedoch groß und die Katastrophen über alles vom Menschen im eigenen Geist Geschaffene schwer genug werden, so daß die Völker Ausschau halten werden, ob es nicht irgendwo im Chaos der Geschichte eine Offenbarungsstätte gibt, von der aus die untergehende Welt eine neue Zukunft zu gewinnen vermag. Diese sieht Jesaja in seiner prophetischen Fernschau. Er hört Völker zu Israel als dem Erstgeborenen Gottes sprechen (V. 3):

„Geht voran! Laßt uns hinauf zum Berge Jahves ziehen, zum Hause des Gottes Jakobs, damit er uns unterrichte in seinen Wegen; denn auch wir möchten in seinen Pfaden wandeln.“

Quelle:
Jakob Kroeker, in: Das lebendige Wort. Eine Einführung in die göttlichen Gedankengänge und Lebensprinzipien des Alten Testaments. Band 5 – Jesaja, Teil 1: Immanuel und die Völker
Eingestellt am 12. November 2021