8. Jacob Andreä (Biographie)

Jacob Andreä, geboren am 25. März 1528 zu Waiblingen, war der Sohn eines Schmiedes mit Namen Endris (Andreas) und wurde deshalb häufig Jacob Schmidlin genannt. Endris hatte in seiner Jugend Böhmen, Ungarn und Gallien durchwandert und sogar St. Jago di Compostella in Spanien als Wallfahrer besucht. In Waiblingen hatte er durch Verheirathung mit der Wittwe eines Schmiedes Anna, einer geborenen Weisskopf, der nachmaligen Mutter Jacob’s, eine dauerndere Stätte gefunden. Doch ist er nach Anna’s Tode in’s Kloster zu Bebenhausen gegangen, wo er seine Tage in andachtsvoller Ruhe zubrachte bis an seinen seligen Tod im Jahre 1566.

Jacob besuchte seit 1534 die Waiblinger evangelische Schule, und schon 1539 beschlossen seine Ältern, denen nach ihm noch drei Kinder geboren waren, ihn bei einem Tischler in die Lehre zu geben. Dieses verhinderte jedoch der Bürgermeister Sebastian Mader, welcher in dem Knaben besondere Anlagen entdeckt hatte. Erhard Schnepf in Stuttgart, durch welchen er ihn examiniren liess, fand nun zwar, dass Jacob im Lateinischen völlig unwissend war, bemerkte jedoch: „Die Schuld ist nicht in dem Knaben, aus dessen Gesichte der Geist hervorleuchtet, sondern in dem Lehrer, der seine Pflicht nicht gethan hat“. Letzterer erhielt vom Waiblinger Rathe einen starken Verweis, und züchtigte dafür den unschuldigen Schüler, der bald darauf, zur Hälfte auf Kosten des Waiblinger Kirchenärars, auf die lateinische Schule zu Stuttgart gesandt wurde. Der dortige Lehrer, Alexander Marcoleon, besass bei grosser Gelehrsamkeit ausgezeichnete pädagogische Gaben. Er genoss die allgemeine Verehrung und Liebe der Schüler und brauchte bei seinem freundlichen Ernste kaum ein Mal im Semester den Stock. Jacob machte unter seiner Leitung so gute Fortschritte, dass er nach zwei Jahren mit den Regeln der griechischen und lateinischen Grammatik, so wie mit der Rhetorik und Dialectik Melanchthon’s vertraut, in das Stipendiatenstift zu Tübingen aufgenommen werden konnte. Schon 1543 wurde er Baccalaureus und 1545 Magister. Schnepf, seit 1543 Professor und Prediger in Tübingen, übte auf der Kanzel und dem Katheder den entschiedensten Einfluss auf seine theologische Bildung aus. Schon früh bestieg er selbst die Kanzel, und bereits im 18 Jahre folgte er einem Rufe zum Diaconus nach Stuttgart.

In demselben Jahre verheirathete er sich mit Anna Entringer aus Tübingen, mit der er in Freud und Leid eine glückliche Ehe geführt und achtzehn Kinder, neun Söhne und neun Töchter, erzeugt hat. Der Ruf seiner Beredtsamkeit wurde bald so gross, dass ihn Ulrich auf seinem Schlosse predigen liess. Nach beendigter Predigt sagte der Herzog zu seinen Räthen: „Woher auch dieses junge Huhn kommen mag, so ist doch gewiss, dass Schnepf es ausgebrütet hat“.

Während der Besetzung Stuttgart’s im schmalkaldischen Kriege blieb Andreä von allen evangelischen Predigern allein in der Stadt. In dieser Zeit verrichtete er einst die Taufe eines Kindes, welches ein höherer kaiserlicher Officier aus der Taufe hob. Letzerer überreichte ihm sechs Silbermünzen. Andreä schlug sie aus, weil sie nach seiner Meinung dem Kinde oder der Wöchnerinn zukämen. Aber der Officier zeigte ihm in der Linken das für Letztere bestimmte Geschenk und fügte hinzu: „Ich danke Gott dem Herrn, dass ich Euch im Glauben der heiligen katholischen Kirche habe taufen sehen und hören und werde Solches dem Kaiser berichten. Andreä erwiderte er könne nicht anders taufen und es sei auch nie in der evangelischen Kirche anders getauft worden. Hierauf erklärte der Officier: „Bei den Kaiserlichen herrscht die feste Überzeugung, dass Ihr allen Glauben und alle Religion völlig abgeworfen habt. Man ist der Ansicht, dass bei Euch keine Sacramente sind und keinerlei Verehrung des Heiligen Statt findet. Ich wünsche mit Euch mehr zu reden und lade Euch zu Tische in der kaiserlichen Residenz“.

Andreä fand zu Hause seine schwangere Gattinn in Thränen. Ein Stuttgarter Bürger hatte versprochen, Andreä’s Bücher in Verwahrung zu nehmen, hatte aber die Gattinn, welche sie überbringen wollte, zurück gewiesen. Andreä tröstete sie, erzählte seine Erlebnisse und übergab ihr das erhaltene Geldgeschenk als ein Unterpfand der göttlichen Barmherzigkeit. Hierauf begab er sich nach der von dem Rathe dem Kaiser eingeräumten Residenz. Sobald ihn der Officier eintreten sah, stand er auf und empfing ihn auf ehrende Weise. Zwar verschwieg er ihm während des Gespräches nicht die dem Lutherthum drohenden Gefahren, doch rieth er freundschaftlich alle Schriften von Luther, Brentz, Melanchthon, Bugenhagen, Regius und anderen evangelischen Verfassern sorgfältig zu verbergen, und dafür Autoren, wie den Thomas Scotus, zu substituiren. In diesem Falle wolle er ihm für allen Schaden, den die Spanier ihm zufügen könnten, Ersatz leisten. Mit hoher Geistesgegenwart und unter besonderem göttlichen Schutze entging Andreä in jener bedrängten Zeit den Verfolgungen der Feinde, von denen manche seine Bewunderer wurden, nachdem er auf ihre papistischen Fragen mit schlagender Wahrheit geantwortet hatte. 1548 musste er in Folge des Interims, das er nicht anzunehmen vermochte, nach Tübingen flüchten. Aber auch hier entwickelte er eine gesegnete Thätigkeit für das Reich Gottes. Die vor dem Thore untergebrachten Aussätzigen sehnten sich nach dem Worte Gottes, und er predigte es ihnen freudig bei verschlossenen Thüren. Als einst ohne sein Wissen das Haus offen stand, strömten die Studenten und Bürger herein oder hörten ihm von fern bis jenseit des Flusses auf der Wiese mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Von der Zeit an hatte er immer ein zahlreiches Auditorium in der Hospitalkirche, und es wurde ihm, als diese zu klein wurde, sogar gestattet, in der Jacobskirche zu predigen. Bald darauf fand er Anstellung als Katechet an der Kirche St. Georgii und Martini. Als solcher durfte er zwar die Kanzel nicht betreten, doch hatte er mitten im Tempel auf einem niederen Sitze die Hauptstücke des Katechismus zu erklären. 1549 wurde er zum Diaconus ernannt, und seine Amtsgeschäfte mehrten sich bis zum Übermaass; denn er hatte zuweilen wöchentlich neun Predigten zu halten, sämmtliche Kinder zu taufen und die Kranken zu besuchen.

Herzog Christoph, Ulrich’s Nachfolger, that Alles, das Licht Andreä’s auf den Leuchter zu stellen. Er ernannte ihn 1552 zum Superintendenten von Göppingen, veranlasste im folgenden Jahre seine theologische Doctorpromotion und übertrug ihm 1553 die Generalsuperintendentur. Jetzt beginnen die zahlreichen theologischen Wanderungen Andreä’s, von denen fast sein ganzes Leben hingenommen wurde. 1553 reiste er nach Tübingen zur Begutachtung des Osiandrischen Streites ,1554 nach Öttingen zur Reformation der Grafschaft, 1556 nach Wisensteig zur Reformation der Grafschaft Helfenstein, nach Pforzheim zur Reformation der Markgrafschaft Baden und nach Rotenburg zur Kirchenordnung.

1557 besuchte er mit Christoph den Reichstag zu Regensburg, und noch in demselben Jahre war er auf dem Tage zu Frankfurt. 1558 reiste er nach Pfedersheim zum Gespräche mit den Anabaptisten und zum Colloquium in Worms. Wie er bei dem innersten Interesse, das auf und zwischen diesen grossen theologischen Reisen seine Seele in Anspruch nahm, dennoch vorkommenden Falls zur allerspeciellsten Seelsorge bereit war, und wie gründlich er sie übte, beweist folgendes Beispiel: In Weissenstein, zwei Meilen von Göppingen sollte ein Jude, der einen Diebstahl begangen hatte, erhängt werden. Andreä begab sich, um zu sehen in welcher Confession er sterben würde, auf den Richtplatz. Der Misse thäter hing da, die Hände auf den Rücken gebunden, von zwei Hunden angebellt und zerfleischt, die zu beiden Seiten mit den Hinterbeinen befestigt waren. Vergebens versuchten katholische Priester ihn zu bekehren. Aber so oft das Bellen der Hunde nachliess, sang der Unglückliche Trostsprüche aus dem hebräischen Psalter und rief mit inbrünstigem Flehen den Gott Abraham’s Isaak’s und Jacob’s um Erbarmen an. Der Pastor von Weissenfels, in seinem Herzen evangelisch, aber aus Menschenfurcht in seinem Bekenntniss papistisch, tritt zu Andreä und fordert ihn auf, sein Heil an dem Juden zu versuchen. Nach einigem Bedenken wegen des fremden Territoriums und der Verschiedenheit der Landeskirche willigt Andreä ein. Er redet den Juden an, billigt seine Gebete, da ja Abraham, Isaak und Jacob den einen wahren Gott angerufen hätten, darin aber bestehe sein Irrthum, dass er von dem einen wahren Gotte abzutreten meine, wenn er an Jesum Christum, Maria’s Sohn, glaube. Denn dieser werde in den prophetischen Schriften Jehovah genannt, wie denn im Propheten Jeremias geschrieben stehe (23, 5.6): Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David ein gerecht Gewächs erwecken will, und soll ein König sein, der wohl regieren wird und Recht und Gerechtigkeit auf Erden anrichten. Zu Desselbigen Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen, und dies wird sein Name sein, dass man ihn nennen wird Herr, der unsere Gerechtigkeit ist, Jehovah Zidkenu. Hieraus gehe klar hervor, dass der Messias nicht allein wahrer Mensch aus dem Samen David’s, sondern auch wahrer Gott, Jehovah, der Schöpfer Himmels und der Erde, sei. Wenn er also an Christum glaube, so glaube er nicht an einen neuen selbstgemachten Gott, sondern an den wahren Gott Abraham’s, Isaak’s und Jacob’s, die all ihr Vertrauen auf diesen Messias als wahren Gott gesetzt und seinen Tag zu sehen gewünscht hätten. Gott aber habe Christus sein müssen, um die Sünden der ganzen Welt zu sühnen und eine so grosse Strafe zu tragen, wie sie keine englische oder irdische Creatur auszuhalten vermocht hätte. Letzteres sehe ja der Jude an sich selbst, da er nicht wegen der Übertretung des ganzen Decalogs, sondern nur eines Gebotes, und nicht einmal des ganzen, sondern eines Stückes aufgehängt sei und durch diese Strafe nicht Gotte, sondern nur den Menschen genug thue. Für die heimlichen Diebstähle aber, die er nur in Gedanken verübt, und die doch nach dem Gesetz „dich soll nicht gelüsten“ auch Diebstähle seien, habe er nicht genug gethan. Wie viel Strafe habe er also zu leiden für die Übertretung der übrigen Gebote, gegen welche er in Gedanken, Worten und Werken gesündigt, wenn er gedenke an das Wort des Moses: „Verflucht, wer nicht bleibt in Allem, was im Buche dieses Gesetzes geschrieben steht“?

Den Fluch habe Christus auf sich genommen, welcher Jehovah ist, der Herr, und wahrer, ewiger Gott und unser Fleisch angenommen hat, in welchem er mit höchster Unschuld dem Gesetze durch thätigen und leidenden Gehorsam genug that und dergestalt die Sünden der ganzen Welt versöhnte. Auf ihn hatte, wie Jesaias sagt, Gott unser aller Sünde geworfen, und wenn der Jude an ihn glaube, solle er wissen, dass er nicht die Religion Abraham’s, Isaak’s und Jacob’s wegwerfe, sondern befolge und selig werde. Der Unglückliche hörte dieses Alles mit der gespanntesten Aufmerksamkeit an. Selbst die Hunde sollen während der Ansprache still gewesen sein und in ihren Bissen nachgelassen haben. Andreä ging den Berg hinab, aber schon im Begriff, sein Pferd zu besteigen wird er auf Bitten des Delinquenten zurückgerufen. „Ach Herr! Ach Herr!“ schrie der arme Sünder, „gieb, dass ich nicht ohne Taufe sterbe!“ Andreä erwidert: „Glaubst Du Dem, was ich Dir aus den heiligen Schriften der Propheten von Christus vorgehalten habe?“ – „Ich glaube“ – spricht der Jude – „Gott weiss es“. „Siehe zu“, mahnt Andreä, „dass Du Dich nicht also anstellest, um Dein Leben zu behalten“. „Daran denk ich nicht“, versetzt der Jude. „Du siehst ja, wie jämmerlich ich von den Hunden zerfleischt bin. Nicht das irdische, sondern das ewige Leben suche ich. Helft, dass mich der Tod nicht vor der Taufe erfasst. Ich wünsche nicht zu leben, sondern zu sterben, wenn mir nur die Taufe zu Theil wird“.

Andreä, der an der Ächtheit seiner Busse nicht mehr zweifeln konnte, stärkte seinen Glauben mit anderweitigen prophetischen Aussprüchen. Noch an demselben Abend erfolgte die Taufe durch den Pastor von Weissenstein, und unmittelbar darauf die Erdrosselung.

Im Jahre 1560 reformirte Andreä die durch papistische, zwinglische, schwenkfeldsche und anabaptistische Irrthümer zerrissene Kirche zu Lauingen, hielt dort viele, später im Druck erschienene, Predigten und kehrte, von den Segenswünschen der befriedigten Bürger geleitet, nach Göppingen zurück. 1561 visitirte er die Kirchen der Pfalz und noch in demselben Jahre reiste er mit Bidembach (Beuerlin starb unterwegs) nach Frankreich, um an dem von der Königinn von Navarra zur Versöhnung der Guisen und Hugenotten zu Poissy veranstalteten Gespräche Theil zu nehmen. Aber Beza hatte durch seinen plumpen Ausruf: „So weit der höchste Himmel von der untersten Erde, so weit ist der Körper Christi entfernt vom Brodte und Weine im Abendmahl“ den Schluss des Religionsgespräches herbeigeführt, und die beiden Würtemberger kamen zu spät.

Im folgenden Jahre wurde Andreä an Beuerlin’s Statt zum Kanzler der Universität Tübingen und zum Propst ernannt. Durch Predigten, Vorlesungen und Leitung der Disputirübungen in grossem Segen wirkend, musste er jedoch auch hier seine Thätigkeit durch zahlreiche kirchliche Reisen unterbrechen. 1563 reiste er nach Strassburg, wo er den Hieronymus Zanchius, welcher die Unverlierbarkeit der Gnade behauptet hatte, zur Ruhe brachte, 1564 nach Maulbronn zum Gespräch über das Abendmahl, 1564 nach Hagenau zur Reformation und 1567 nach Esslingen, wohin die Universität wegen der Pest verlegt war und wo er ein ganzes Jahr während der Pfarrvakanz Predigten, vorzüglich gegen die Ketzereien der Zeit, gehalten hat. 1568 ging er auf die Einladung des Herzogs Julius nach Wolfenbüttel, von wo aus er mit Chemnitz die braunschweigische Landeskirche visitirte und wohin er die Prediger zum Examen berief. Den bei dieser Gelegenheit erkannten Mangel treuer und gelehrter Prediger zu decken, wurde er gebeten, würtembergische Geistliche zu verschreiben. Leider gelang ihm Dieses nicht, und er musste 1569 an Chemnitz schreiben: „Ich konnte sie nicht überreden, dass sie vom Weine zum Biere sich rufen liessen“ (Illis persuadere non potui ut a vino ad cerevisiam sese paterentur vocari).

Seine allerbedeutendste Thätigkeit entfaltete Andreä als Haupturheber und Förderer des Concordienwerkes *).

*) Hierüber Ausführlicheres von: Johannsen, Jacob Andrea’s concordistische Thätigkeit, in Niedner’s Zeitschrift für die historische Theologie, 1853, Heft 3.

Nachdem er schon Jahre lang und namentlich auf der Conferenz zu Zerbst 1570 unter vielem Widerspruch und erlittenen Beleidigungen für die Vereinigung der Kirchen Augsburgischer Confession gearbeitet hatte, gab er „sechs christliche Predigten von den Spaltungen, so sich zwischen den Theologen Augsb. Confession von Anno 1548 bis auf das Jahr 1573 nach und nach erhoben, Tübingen 1573. 4.“ heraus; widmete sie dem Herzoge Julius und schickte sie an Chemnitz in Braunschweig und Chyträus in Rostock mit der Bitte; sie in Niedersachsen und Östreich wohin beide Theologen damals berufen waren; zur Unterschrift zu empfehlen: Letztere machten dagegen den Vorschlag; dass die vornehmsten Theologen aus den Predigten die dogmatischen Artikel herausziehen und den Kirchen vorlegen möchten: Andreä unterzog sich dieser Aufgabe selbst und sandte am 23: März 1574 eine „Erklärung der Streitigkeiten; so sich unter den Theologen Augsb: Confession erhoben haben“ an Julius und Chemnitz, welcher diese Schrift, die später den Namen der schwäbischen Confession erhalten hat, den bedeutendsten niedersächsischen Theologen zugehen liess. Nach den im September und October eingelaufenen Censuren wurde sie von Chemnitz umgearbeitet, in dieser Gestalt von den schwäbischen Kirchen genehmigt (1575) und nunmehr die schwäbisch-sächsische Concordie genannt. Weil sie jedoch der Form nach zu einer allgemeinen kirchlichen Eintrachts ormel nicht geeignet schien, ward auf Andreä’s Rath die von Balthasar Bidembach und Lucas Osiander verfasste Maulbronner Formel von den würtembergischen und badischen Theologen (1576) vorgezogen, und nun erst aus beiden von Andreä, Chemnitz und Chyträus das Torgauer Buch componirt, welches die Grundlage der Bergischen Concordienformel von 1577 geworden ist. Vor und nach der Beendigung des Eintrachtswerkes musste Andreä die mannichfaltigsten und ausgebreitetsten Reisen zu Fürsten und Magistraten machen. Immer das eine Ziel im Auge, legte er viele tausend Meilen in Begleitung eines Dieners zurück. Seinen Standort hatte er schon seit 1576 in Leipzig genommen, wo auch seine Familie während seiner Wanderungen in der Obhut des Churfürsten August, des Hauptconcordienfreundes, zurückblieb. Neben den hohen Ehren, die ihm seine gesegnete Thätigkeit brachte, fehlte freilich nicht das Kreuz.

Man warf ihm vor, er stecke alle Secten zusammen in einen Sack, vermenge Christus und Belial, Licht und Finsterniss, nannte das ganze Werk mit Anspielung auf seinen Namen die Jacobsbrüderschaft und meinte, hindeutend auf seine Herkunft, es sei von Schustern und Schmieden zu Stande gebracht. Ja, man häufte auf ihn die ungerechten, später von Arnold in seiner sehr parteiischen Kirchengeschichte wiederholten Vorwürfe des Geizes, Ehrgeizes, Hochmuthes und der Unverschämtheit. Er aber kehrte mit hoher Freude und inniger Dankbarkeit gegen Gott am 21. Dec. 1580, von dem Churfürsten August huldvoll entlassen und beschenkt, nach Tübingen zurück. Hier starb ihm 1583 seine theure Gattinn, mit welcher er sieben und dreissig Jahre lang eine glückliche Ehe geführt hatte. Nach anderthalb Jahren verheirathete er sich zum zweiten Male mit der frommen Wittwe Regine Prentzinger, welche ihrem ersten, der reinen Lehre wegen vertriebenen Gatten in’s Exil nach Regensburg gefolgt war.

Auch die spätesten Lebensjahre Andreä’s waren grossentheils von theologischen Reisen ausgefüllt. 1586 disputirte er zu Mömpelgard mit Beza über das Abendmahl, die Person Christi, die Prädestination, die Reformation der katholischen Tempel und die Adiaphora. 1587 ordnete er das Kirchenwesen zu Nördlingen in Rhätien. Als er bei seiner Rückkehr in der Nähe von Tübingen erkrankte, beschied er den Rector und Senat der Universität zu sich, bekannte seinen Glauben und nahm das Abendmahl. Doch genas er wieder, und seine Wanderungen begannen auf’s Neue. Nach dem Religionsgespräche zu Baden (November 1589), auf dem er gegen den katholisirenden Johannes Pistorius disputirt hatte, schrieb er eine Abhandlung über die dort vernachlässigte oder abgebrochene Lehre von der Kirche, einen Lutheraner und einen Jesuiten einander gegenüberstellend. Bei der Abfassung fühlte er sich dermassen innerlich getrieben, dass er den Wunsch aussprach, er möchte nicht bloss mit den Händen, sondern auch mit den Füssen schreiben können, und erklärte, es sei ihm nicht anders zu Muthe, als wenn Jemand hinter ihm stände und zum Schreiben drängte. Als die Schrift in kurzer Zeit vollendet war, verfiel er in seine letzte Krankheit, und die Todesahnungen, unter denen er schon in Baden zu Heerbrand gesagt hatte: „Du wirst mir die Leichenrede halten und mein Nachfolger werden!“ verstärkten sich. Als er bei heftigem Schleimdruck nicht mehr aufzuhusten vermochte, ertrug er seine Schmerzen still und Gott ergeben.

[…]

Erschienen in: Die bedeutendsten nachreformatorischen Kanzelredner der lutherschen Kirche des XVI. Jahrhunderts in Biographieen und einer Auswahl ihrer Predigten. Dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig. Leipzig, Verlag von Gustav Mayer, 1858. [S. 151-160, Digitalisat]

Eingestellt am 13. Januar 2023