„Höret, alle Völker, merke auf, Land, und alles, was darinnen ist; denn Gott der Herr hat mit euch zu reden, ja der Herr aus seinem heiligen Tempel. Denn siehe, der Herr wird ausgehen aus seinem Ort, und herabfahren und treten auf die Höhen im Lande, daß die Berge unter ihm schmelzen, und die Täler reißen werden; gleichwie Wachs vor dem Feuer verschmilzet, wie die Wasser, so unterwärts fließen.“ (Micha 1, 2-4)
„Höret zu, alles Volk! Höret, ihr Völker alle!“ – das waren nach 1. Kön. 22, 28; 2. Chron. 18, 27 die letzten Worte gewesen, mit denen der ältere Namensgenosse Micha’s, der Sohn Jemlas, über hundert Jahre zuvor seine prophetische Laufbahn geschlossen hatte:
Micha sprach: Kommst du mit Frieden wieder, so hat der HERR nicht durch mich geredet. Und sprach: Höret zu, alles Volk! (1. Könige 22, 28)
Micha sprach: Kommst du mit Frieden wieder, so hat der HERR nicht durch mich geredet. Und er sprach: Höret, ihr Völker alle! (2. Chronik 18, 27)
Womit jener Micha geendet, beginnt dieser Micha, indem er anhebt: „Höret, alle Völker“; er kündigt durch solchen Eingang an, daß er in den Fußstapfen seines für Gott eifernden Vorgängers einhergehe, daß er nicht bloß desselben Namens, sondern auch desselben Glaubens sei. Er ruft aber die Völker alle und die Erde mit ihrer Fülle im Geiste zusammen, damit sie ein Zeugnißs der Gerechtigkeit Gottes vernehmen, das er zeugt wider sie, und das Micha im Geiste vorhergeschaut hat.
Was schaute denn Micha im prophetischen Geiste? Er schaute den Herrn, hervorgehend aus seinem heiligen Tempel, aus jenem geheimnisvollen Allerheiligsten Gottes im dritten Himmel, wo er, der mit seiner Allgegenwart Alles erfüllet, in besonderster geheimnisvoller Weise thront in einem Lichte, da Niemand zukommen kann. Aus diesem seinem heimeligsten Orte sieht der Prophet den Herrn hervorgehen, mit den Völkern zu reden, wörtlich: wider sie zu zeugen, d. i. seine richtende Gerechtigkeit zu offenbaren. Gott tut dies, indem er herabfährt, d. h. indem er, der Allgegenwärtige und doch in seinem Tempel in besonderer Herrlichkeit Wohnende, seine wirksame Kraft auf die Erde, auf die Menschen hin konzentriert; und indem er, herabgefahren, auf die Höhen im Lande tritt, d. h. Alles, was hoch und erhaben und hoffärtig ist, seine Gerichte erfahren läßt.
Die Folge dieser richterlichen Offenbarung ist, daß die Berge unter ihm schmelzen, und die Tale reißen, gleichwie Wachs vor dem Feuer verschmilzt, wie die Wasser „so unterwärts fließen“, wörtlich: beim Wasserfall. Die Berge bilden das Hohe und Mächtige in der Kreatur ab; ihr Zerschmelzen bedeutet also das Zunichtewerden aller irdischen Größe. Die Tale bilden die Mengen der Völker ab; ihr Reißen, ihr Zerbröckeln, ihr Zerstäuben in der Art, wie Wasser beim Wasserfall in Wasserstäubchen zerstäubt, bedeutet also das Zunichtewerden der Völker. –
So ist also das Gesicht, das Micha hat, ein Gesicht von dem Gerichtstage des Herrn. Die volle Erfüllung dieses Gesichtes steht uns Allen noch bevor; am jüngsten Tage wird der Herr sich als den Weltenrichter im allgemeinen Gericht über die Völker offenbaren.
Zorntag, schrecklichster der Tage,
Der Propheten erste Sage,
Füllst die Welt mit Angst und Klage.
Welch‘ ein Zittern, welch‘ ein Schrecken,
Wenn, was Finsternisse decken,
Einst der Richter wird entdecken.
Richter der gerechten Rache,
Schenke Nachsicht meiner Sache,
Eh‘ ich zum Gericht erwache!
Aber der jüngste Tag hat mancherlei ernste Vorspiele in vorhergehenden Zornestagen Gottes; und das allgemeine Gericht am Ende bildet sich vor in vielen vorlaufenden teilweisen Gerichten über einzelne Völker. Auf ein solches ernstes Vorspiel, auf ein nahes Gericht über seine Völker Israel und Juda bezieht der Prophet sein Gesicht, indem er demselben im Folgenden die praktische Deutung gibt.
Quelle:
Carl Emil Wilhelm Quandt: Micha, der Seher von Moreseth. Eine Auslegung des prophetischen Buches Micha in sieben Bibelstunden. Von E. Quandt, Pastor im Evangelischen Vereins=Hause. Herausgegeben und verlegt von dem Haupt=Verein für christliche Erbauungsschriften in den Preußischen Staaten. Berlin, 1866.
(Download in verschiedenen Formaten möglich in der Lesekammer – zip-File;
Digitalisat des Originalwerkes bei Google Buchsuche)
Liedverse:
Lied Nr. 21, „Zorntag, schrecklichster der Tage„, in: Sprüche und Lieder zur Vorbereitung für die Confirmation auf der Grundlage des kirchlichen Taufbekenntnisses, zusammengestellt von Gustav Friedrich Wilhelm Suckow, evangelischem Pfarrer und Doctor der Philosophie. Als Anhang: der kleine lutherische Katechismus nebst dem Hauptstück von der Beichte und einige kleine Gebethe.
Breslau, in Commission bei Josef Mar und Comp., 1846.
[Seite 113f. Digitalisat]
Weblinks und Verweise
Kommentare zum Propeten Micha (bei bibelkommentare.de)
Adrien Ladrierre: Der Prophet Micha.
(Download in verschiedenen Dateiformaten möglich bei © bibelkommentare.de – pdf-File)
Bibel-Lexikon: Micha
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