Katechismuspredigten, XX. (Achtes Gebot, I.)

Lege die Lügen ab und rede die Wahrheit.

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Das achte Gebot steht geschrieben:

  1. Mos. 20, V. 16,

und lautet:

„Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten“.

Luther’s Erklärung dazu heißt:

„Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen; sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden, alles zum Besten kehren“.

In dem Herrn geliebte Gemeinde.

Sirach sagt: „Die Lüge ist ein häßlicher Schandflecken an einem Menschen, und ist gemein bei ungezogenen Leuten“. Ei, wie ist dieser Schandflecken so gemein geworden! Wie sind der ungezogenen Leute so viele! Wie hat sich diese Ungezogenheit in die feinste äußerliche Zucht eingenistet! In alle Verhältnisse ist die Lüge eingedrungen. Wie der Mehltau auf den Pflanzen, liegt sie auf den Herzen. Frühe nistet sie sich im Kinderherzen ein, und weicht dann nie wieder, oder nur mit sehr schweren Kämpfen. — Wir wollen gleich etliche große Gebiete ansehen, wo sie sich recht heimisch gemacht hat. Es lügt die Armut, um durch vergrößerte Darstellung ihrer Not die Barmherzigkeit zu erwecken. Es sind uns schon Leute vorgekommen, die auf den Tod von Vater oder Mutter, von Sohn oder Tochter gebettelt haben, und die Genannten waren nicht gestorben oder schon längst gestorben. — Es lügt die größere Hälfte unserer Handwerker. Der Anschlag, den sie vor der Arbeit machen, ist meist geringer als die Rechnung, welche sie nach derselben vorlegen. Meistenteils werden auch die Zeiten nicht eingehalten, auf welche sie ihre Arbeit versprochen haben. — Die Lüge geht durch Handel und Wandel. Immer seltener werden die Männer, bei denen ein Wort ein Wort, und ein Handschlag eine feste Urkunde ist. — Die Lüge tritt häufig an die Krankenbetten. Die meisten Aerzte sagen auch den Kranken noch Genesung und ein langes Leben zu, von welchen sie glauben, daß sie von ihrem Lager nicht wieder aufstehen werden. — Die Lüge erfüllt den Umgang der sogenannten Gebildeten. Wie viele Artigkeiten und Anerkennungen sagt man sich in’s Gesicht, von denen das Herz nichts weiß. Lüge ist keine Bildung, sie ist Verbildung, Verkuppelung des geraden, inwendigen Menschen. — Sie geht hinauf bis in die höchsten Staatsgebiete. Die “Staatskunst” hat gerade darin ihre höchste Feinheit, daß sie stets einen Schleier über die eigenen Gedanken und Pläne hängt, daß sie den andern Teil mit schönen Worten hinhält und täuscht, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Der Privatmann schämt sich doch noch, wenn er nach seiner Lüge entlarvt wird; aber der Diplomat oder Staatsmann schämt sich auch nicht einmal mehr; die Lüge ist ein anerkanntes Stück von seinem Beruf geworden. — Wer kann aber aufzählen, mit wie vielen Fäden sie das jetzige Geschlecht umschlungen hat! Wir lügen gegen uns selbst, gegen den Nächsten, wir versuchen es selbst gegen Gott. — — Geliebte Gemeinde, wenn uns doch der Herr Gnade und Mut geben wollte, gegen diesen Feind einen treuen und beharrlichen Kampf zu kämpfen! Er will sie uns geben, wenn wir sie nur, Jeder an seinem Ort, redlich erbitten. Wir können loskommen in der Kraft Gottes. Darum können wir uns auch heute zurufen:

Lege die Lügen ab und rede die Wahrheit.

Wir sehen

I.     woher die Lüge entspringt;
II.   wohin sie führt;
III. wie wir uns von ihr frei machen können.

Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, das in deiner Wahrheit geht. Gib mir, Gott, einen neuen, gewissen Geist, der in deiner Furcht steht. Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich, und erfahre, wie ich es meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. Gib, o Herr, daß wir vor allen Dingen wahr gegen uns selbst werden, und die Lüge und Untreue unsers Herzens nicht weglügen wollen. Herr, erbarme dich unser! Amen.

I. Woher entspringt die Lüge?

In dem Herrn geliebte Gemeinde. Was die Lüge ist, wissen wir ja wohl insgesamt. Wenn Herz und Mund, Gedanken und Wort miteinander nicht übereinstimmen, dann sind wir Lügner. Der Lügner ist ein Doppelmensch, ein Anderer, welcher denkt, und ein Anderer, welcher redet. Nun kann es wohl sein, daß du im Augenblicke, wo du Etwas sagst oder zusagst, den Willen hast, dein Wort zu erfüllen. Nachher aber überfällt dich die alte inwohnende Trägheit, du wendest nicht allen Fleiß an, dein Wort durch die Erfüllung einzu-lösen, und du bist auch ein Lügner. Lügner aber können wir nur werden durch den Abfall von unserm Gott und Herrn. Gott ist die Wahrheit, er kann nicht lügen. Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch ein Menschenkind, daß ihn Etwas gereue; sollte er Etwas sagen und nicht tun? sollte er Etwas reden und nicht halten? Seine Güte reicht so weit der Himmel ist, und seine Wahrheit so weit die Wolken gehen. Seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Unser Heiland Jesus Christus sagt von sich selber: „ Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Er war die Wahrheit selbst. Darum ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden worden. Er steht auch in der Wahrheit in der Stunde vor Pilatus, als an einer Antwort Leben und Tod hing. Als ihn der Landpfleger fragte, ob er der Juden König sei, antwortete er: „Du sagst es, ich bin ein König; ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme“. Wer in festem Glauben in seinem Heiland und als Kind vor seinem Vater im Himmel steht, der kann nicht lügen. Alle Lüge ist ein Fall aus der Wahrheit Gottes, Daher ist auch der erste Gefallene der erste Lügner gewesen. Der Herr sagt: „Der Teufel ist ein Mörder von Anbeginn, und ist nicht bestanden in der Wahrheit. Wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ein Vater derselbigen“. Wer von Gott abfällt, muß in die Lüge fallen, denn außer Gott ist keine Wahrheit. Alle Sünde vom Götzendienst an bis zur letzten bösen Lust ist Lüge. Sie macht ja das Nichtige, das Unwahre, das Vergängliche zu ihrem Gott. Das erste Eintreten des Teufels in unsere Geschichte ist noch dazu eine recht klare Lüge. Er spricht zu dem Weibe: „Sollte denn Gott gesagt.haben?“ Er macht die Wahrheit Gottes locker, er bahnt seiner Lüge den Weg. Er spricht weiter: „ Ihr werdet mitnichten des Todes sterben“. Der alte Lügner macht den wahrhaftigen Gott zum Lügner.

Seine Pfeile würden von uns abprallen, wenn wir stille und demütig in Gotte ruhten und ständen. Aber wer ist los von dem eigenen Ich? Wer ist den Netzen des alten Vogelstellers entgangen? Habe Acht, welche Zustände deiner Seele, welche Lagen des Lebens er besonders dazu benutzt, um dich in seine Netze hineinzulocken. Wir Alle wollen nicht gern Schuld und Strafe tragen. So bald sie auf uns fallen, entzündet sich die Lust zur Lüge in unsern Herzen. Wir fangen an eine Brücke zu bauen, auf welcher sie von uns ab und auch wohl auf Andere hinübergeschoben werden sollen. Wenn du nicht gerade offen lügst, so wählst du einen Ausdruck, den man so und so nehmen kann. Es ist doch Lüge. — Du lügst um des Gewinnes willen. Ein Taler oder ein Groschen im Säckel ist dir mehr wert, als ein Brandmal und ein Dorn in der Seele. Manche Arme haben es so weit gebracht, daß selber die Träne der Lüge zu Gebote stehen muß; auch sie ist nicht einmal mehr wahr. — Du lügst aus Hochmut. Die schlichte Tat, die du vollbracht hast, oder die du von Andern erzählst, ist nicht groß genug. Die Wahrheit ist dir nicht glänzend genug; sie muß aufgeputzt und geschminkt werden. Es gibt Leute, welche dieselbe Sache nicht zweimal auf gleiche Weise erzählen können. — Du lügst aus Haß, Neid und Bosheit gegen Andere. Ihre guten Taten sollen nicht gut sein, ihre bösen sind dir nicht böse genug. Von jenen ätzt deine Lüge die helle Farbe herunter; diese streicht sie noch recht schwarz an. — Du lügst aus Feigheit, falscher Artigkeit und Menschengefälligkeit, Du hast nicht den Mut, deine bessere Überzeugung dem Worte des Andern entgegen zu setzen. Du verbeugst dich vor ihm, sagst Ja oder schweigst stille. Von herzlosen und unwahren Artigkeiten ist unser geselliges Leben jetzt voll. Viele sehen es für die rechte Bildung an, wenn man Jedermann etwas Angenehmes sagen kann. Es möchte Manchem nicht angenehm sein, wenn er neben dem Worte hinunter in das Herz sehen könnte. Von dem Schmeichler sagt ein Alter: „Er ist ein Hund, welcher erst leckt, und dann beißt“, —

Du lügst aus Übermut und schnödem Scherz. Hast wohl deine Freude daran gehabt, einen schlichten, harmlosen Menschen in die Irre zu führen. Sage an, bist du so schadenfroh, daß du draußen Jemand auf falsche Wege weisen kannst? Hast du deine Lust daran, wenn er erst nach langem Irrwege wieder auf die richtige Straße kommt? Solche Tat nennst du ein Bubenstück; es ist auch eins. Aber deinen Nächsten in seinem Denken auf Tage und Jahre in die Irre zu weisen, macht dir oft Vergnügen. Es ist ein noch ärgeres Bubenstück. — Es wird gelogen aus völliger Zerrüttung des innern Lebens. Herz und Gedanken sind so wankend geworden, daß es Viele gar nicht mehr wissen, wenn sie lügen. Wahres und Falsches liegt in ihnen so untereinander, daß sie es selbst nicht mehr unterscheiden können. Da steht es am elendesten; da pocht auch das Herz nicht einmal mehr in der Lüge. Höchstens pocht es, wenn Solche auf eine derbe Weise ihres Truges überführt werden. Die Furcht Gottes ist erstorben, ein Wenig Menschenfurcht ist noch übrig geblieben. — Endlich bleibt uns noch die Notlüge übrig. In vielen Sprichwörtern unseres Volkes wird sie gerechtfertigt: „Not kennt kein Gebot“. „Not bricht Eisen“, also auch die Wahrheit. Viele gelehrte Bücher sind darüber geschrieben, und man hat so feine Fälle hervorgesucht, daß sich die Gelehrten flugs selbst nicht mehr hindurchfinden können. Und doch ist die Frage so einfach. So lange Gott noch lebt: bedarf es keiner Notlüge. Not verhängt er allerdings über dich; aber die Lüge verhängt er nicht. Es gibt keine Notsünde. Stehe fest im Glauben und in der Wahrheit, und die Herrlichkeit Gottes wird über dir aufgehen wie der Morgenstern. Gerade deine Notzeiten sind dazu da, daß sich die Majestät Gottes an dir so hell offenbare, daß hernach kein Zweifel mehr in die Seele kommen kann. Solltest du aber auch in deiner Not in Schaden kommen, solltest du selbst das Leben darin einbüßen, so fällst du in die Hand Gottes; allen Lügen aber ist er gram und hat einen Greuel daran. Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren. Segen erntest du nie von der Lüge.

II. Wohin führt sie?

Die Wahrheit ist ein fester, seliger Grund. In ihr stehst du auf dem Felsen. Du stehst in Gott, dein Herz, ist eins und ist ganz. Die Lüge macht es faul und morsch, und jegliche Sünde findet hernach Eingang in dasselbe. Zuerst wird der ganze Mensch wankend. Du kannst nicht mehr gewisse Tritte tun mit deinen Füßen. Du besinnest dich bei jeder Gelegenheit: „Soll ich dahin oder dorthin greifen; soll ich dieses Wort oder ein anderes wählen?“ Wankende Knie geben einen jämmerlichen Anblick, aber ein wankendes Herz einen noch jämmerlichern. Die Ungewißheit geht heraus in’s Auge. Das Auge hat nicht mehr den geraden Blick eines guten Gewissens. Du mußt erst proben, ob du den Mann, welcher vor dir steht, ansehen kannst oder nicht; ob du seinen Blick aushalten kannst oder nicht. Alte Lügner kriegen zwar endlich starre, gläserne Augen, die vor keinem Blicke mehr zittern. Die Augenlider möchten oft gern herunter, um das Lügenauge zuzudecken; aber sie dürfen nicht. Dennoch hört die innere Unruhe nicht auf, und es ist eine saure Arbeit, mit bösem Gewissen im Feuer des prüfenden Blickes zu stehen. — Eine tiefe Unsicherheit bemächtigt sich des Lügners im Umgange mit Andern. Du gehst wie auf dem Eise. Immer mußt du dich besinnen, was du gestern gesagt hast. Dennoch greifst du oft fehl. Du mußt dann, eine Lüge mit der andern ausflicken, und es gehört viel Kunst dazu, noch ein Wenig Wahrscheinlichkeit in dem Gerede zu erhalten. Daher vergleichen die Alten das Leben und die Rede des Lügners mit einem baufälligen Haufe, an dem stets gebessert und geflickt werden muß, damit es nicht zusammenstürze. Sein Weg geht überall zwischen Dornen und Disteln. Er lebt in steter Furcht, daß er hängen bleibe. Lange währt auch die Ehre, oder die Schuldlosigkeit, oder das Vertrauen nicht, die du dir mit Lüge erworben hast. Du gehst ja wie in einem Netze von Schlingpflanzen, welche sich endlich zusammenziehen und dich zu Falle bringen. Du stehst dann da ohne Glauben. Deine gewaltigsten Versicherungen sind morsche Säulen, mit welchen du das fallende Haus stützen willst. Sie halten nicht. Wenn du fertig bist mit deiner Rede, daim heißt es in den Herzen der Hörer: „Ja, wenn es wahr ist“. Es heißt von dir: „Unter sieben Worten kann man ihm kaum eins glauben“. — Gewinn hast du auch nicht davon. Es hat sich noch Keiner reich gelogen; wenigstens ist die tiefste innere Armut neben dem falschen Reichtum hergegangen. Die mit Lüge erworbenen Güter waren wie eine schöne Frucht, in der der Wurm arbeitet. Die Wahrheit behält endlich doch den Sieg. Sie ist das Oel, die Lüge ist das Wasser. Wenn des Wassers auch noch so viel ist, das Oel schwimmt doch oben. Jacob’s Söhne hatten ihren Bruder Joseph an die Ismaeliter verkauft. Ihren alten Vater mußten sie belügen, denn eine Sünde gebiert die andere. Um die Lüge recht wahrscheinlich zu machen, brachten sie ihm den mit Blut befleckten bunten Rock des Joseph. Ein böses Tier sollte ihn zerrissen haben. Nach langen Jahren kam das Oel auf die Oberfläche, die Wahrheit zu Tage. Die Söhne selbst mußten dem Vater die Botschaft bringen, daß Joseph noch lebe und ein Herr sei in Aegyptenland. Jetzt mußten sie selbst bekennen, daß sie ihn verkauft, daß sie den greisen Vater belogen hatten, daß sie die wilden Tiere gewesen waren, welche den tiefen Riß in sein Herz gerissen hatten. Es mag eine schwere Stunde gewesen sein, und wir hätten nicht unter ihnen stehen mögen. Ein falscher Zeuge bleibt nicht ungestraft, und wer Lügen frech redet, wird nicht entrinnen. — Nimm dir ferner zu Herzen, welchen Fluch Lüge in das Familienleben bringt. Wenn Mann und Weib erst nicht mehr wahr gegen einander sind, wenn sie anfangen sich vor einander zu verbergen, dann ist schon ein tiefer Riß in ihren Bund gerissen. Wenn Kinder kein offenes Herz mehr gegen die Eltern haben, sind sie sicher auf dem Wege des Verderbens. Es ist kein christliches Familienband mehr da. Wenn ein Diener gegen seinen Herrn erst mit dem Worte untreu ist, dann läßt auch die andere Untreue nicht lange auf sich warten. Lüge ist Betrug mit Worten; der Betrug mit Taten liegt nicht weit davon. Die Lüge ist das Gift, welches Eheleute voneinander scheidet, welches die Kinder den Eltern entfremdet, welches Dienstleute und Herrschaften zerreißt, welches eine Kluft gräbt zwischen den Untertanen und ihren Königen. Wer kann wohl den Schaden übersehen, welchen die Lüge der Zeitungen in den letzten Jahren unserem armen Volke gebracht hat! Scheidewasser hat sie zwischen Untertanen und Obrigkeiten gegossen. Es ist ihr eine Zeit lang gelungen. Die Wunden und Risse werden noch lange nachbluten. — Und hinter diesem Allem liegt der gestörte Umgang mit Gott. Der Lügner kann bei dem Gott, der die Wahrheit ist, in Glauben und Gebet nicht aus- und eingehen. Wenn er schon schwankt und bebt, so oft er in ein festes Menschenauge sehen soll: wie muß er erst schwanken, wenn er in das heilige Auge Gottes sehen will. Wie die Familie hier auf.Erden durch die Lüge zerrissen wird, so wird auch der Kindesstand zu Gott dadurch zerrissen. — Herr Herr, rette uns aus der Lüge in deine heilige Wahrheit!

III. Wie können wir uns von der Lüge frei machen?

Wir müssen frei werden! Wir sind ja Gottes Kinder in Christo. Ein Kind des Vaters, welcher die Wahrheit ist, kann nicht in der Lüge wandeln. Alle Getauften sind Brüder und Glieder unter einander. Leget die Lügen ab, und redet die Wahrheit, ein Jeglicher mit seinem Nächsten, sintemal wir untereinander Glieder sind. An deinem Leibe belügt kein Glied das andere. Was das Haupt weiß, wissen alle Glieder. Soll es denn in der Kirche, an dem Leibe Jesu Christi, schlechter stehen, als an unserm armen Leibe? Bedenke dich selbst, wie du durch die Lüge täglich tiefer verstrickt wirst, und wie es dir täglich schwerer wird, dich herauszuarbeiten. — Aber wie werden wir frei? Zu allererst dadurch, daß wir uns stets in Gott wissen. In sein Ohr, in sein Buch, in sein Gericht, fällt jedes unnütze Wort, das wir reden; wie viel mehr jedes falsche Wort. Wenn du Alles, was du tust in Worten und Werken, tust im Namen deines Herrn Jesu Christi, so wird dies der mächtigste Halt gegen lose Rede. Anfangs fällt es dir schwer, immerfort vor ihm zu stehen. Es ist eine saure, ungewohnte Wache. Die wilde Freiheit in der Rede war viel bequemer. Übe aber diese Wachsamkeit nur erst etliche Monate, so wird die Wahrheit schon eine süße, feste Gewohnheit. — Daß es freilich auch dabei an Anfechtung nicht fehlt, daß dir oft der Gedanke in die Seele kommt: „Bei der Lüge hatte ich es bequemer und besser; ich war ein gewandterer Gesellschafter, ich verdiente manchen Taler und Groschen auf leichterem Wege“, das glaube ich dir gern. Gegen solche Kleinmütigkeit hilft Nichts, als die tägliche Bitte: „Herr, wehre meinem Unglauben, mehre meinen Glauben“. Wie der Glaube wächst, stirbt die Lust zur Lüge. Der Gläubige weiß, daß sein Gott für ihn sorgt. Er braucht keine Brot- und Notlügen mehr. — Zum Glauben bitte recht brünstig um Demut. Haft du durch deine Sünde Strafe oder Beschämung verdient, so trage sie. Kein demütiger Christ macht sich durch Winkelzüge und Unwahrheit von seiner Strafe los. — Über Alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Hast du deine Brüder lieb in dem Herrn, so kannst du es nicht über das Herz bringen, daß du sie hintergehest mit Worten, daß du aus Eigennutz oder Übermut ein loses Spiel mit ihnen treibest. Die Liebe treibet nicht Muthwillen, sie blähet sich nicht, sie suchet nicht das Ihre, sie trachtet nicht nach Schaden, sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit. So greife es denn im Namen Gottes an, es ist ein heiliges Werk, ein rechtes Reformationswerk in dieser zerrütteten Zeit. Wache über deinen Mund. Deine Waren wägst du, ehe du sie weggibst; warum willst du nicht auch dein Wort wägen, ehe du es weggibst? Laß kein faul Geschwätz aus deinem Munde gehen; sondern was nützlich ist zur Besserung, da es not tut, daß es holdselig sei zu hören. Wer leben will und gute Tage sehen, der schweige seine Zunge, daß sie nicht Böses rede, und seine Lippen, daß sie nicht trügen. Hast du in einer Gesellschaft Nichts zu reden, so schweige lieber stille. Es ist besser Nichts zu sagen, als dich aufzublähen in Worten, von denen dein Herz Nichts weiß, und zu lügen. Sei wahr gegen dich selbst, wahr gegen deinen Nächsten, wahr gegen deinen Gott. Fürchte dich nicht vor dem, was aus der Wahrheit folgt. Hast du sie geredet in herzlicher, brüderlicher Liebe, so ist sie aus Gott. Ein Vater verläßt sein Kind nicht; Gott verläßt die Wahrheit nicht; er wird dich halten und vertreten in Allem, was auch ihr erwächst. Ein alter Kirchenlehrer spricht das große Wort aus: „Wenn die Welt an einem Faden hinge, und der Faden wäre eine Lüge, und ich hätte die Schere, mit der er durchschnitten werden könnte, so wollte ich mich nicht besinnen“. Und wir besinnen uns, wenn ein kleiner Gewinn oder eine armselige Ehre vor Menschen daran hängt.

In der Wahrheit gehen wir einher wie festgepanzerte Krieger, bei denen ein Waffenstück an das andere paßt; in der Lüge haben wir überall Lücken und Blößen. — Herr Jesu, erbarme dich unser, gib Gnade, daß deine Kinder in der Wahrheit wandeln; gib uns Muth zur Demut und zur Wahrheit. Amen.

Quelle: Ahlfeld, Katechismuspredigten