Daniel 3, 19-25: Die Feuerprobe

II. Die Feuerprobe der Freunde Daniels

Da ward Nebukadnezar voll Grimms, und sein Angesicht verstellte sich wider Sadrach, Mesach und Abed-Nego, und er befahl man sollte den Ofen siebenmal heißer machen, denn man sonst zu tun pflegte. Und Männern, kräftigen Männern aus seinem Heere, befahl der König, Sadrach, Mesach und Abed-Nego zu binden und in den brennenden Feuerofen zu werfen. Da wurden diese Männer gebunden und in ihren Hemden, Westen, Röcken, Mänteln und Überwürfen in den brennenden Feuerofen geworfen. Infolgedessen, weil der Befehl des Königs dringend und der Ofen übermäßig geheizt war, so tötete die Feuerflamme jene Männer, welche den Sadrach, Mesach und Abed-Nego hinauftrugen; jene drei Männer aber, Sadrach, Mesach und Abed-Nego, fielen gebunden in den glühenden Feuerofen. Da erschrak der König Nebukadnezar und stand eilends auf. Er hob an und sprach zu seinen Räten: Haben wir nicht drei Männer gebunden ins Feuer geworfen? Sie antworteten und sprachen: Gewiß, Herr König! Er antwortete und sprach: Siehe, ich sehe vier Männer frei umherwandeln mitten im Feuer, und es ist kein Schaden an ihnen, und die Gestalt des vierten gleicht einem Sohne der Götter.“ (Dan. 3, 19—25)

a) Das mutige Bekenntnis des Glaubens

Der heilige Überrest trägt etwas in sich, was nicht von dieser Welt ist. Er gehört einem Reiche an, das mächtiger ist als der Tod. Daher fürchtet er weder den Feuerofen Babels noch die Arena Neros, noch die Scheiterhaufen Roms, noch die Ausstoßung aus dem Volksleben. Er antwortete zu jeder Zeit mit Sadrach, Mesach und Abed=Nego: „Wir halten es nicht für notwendig, darauf ein Wort zu erwidern. Wenn unser Gott, dem wir dienen, uns aus dem brennenden Feuerofen zu retten vermag und uns aus deiner Hand, o König, rettet, (so ist es gut). Wenn aber nicht, so sei dir kundgetan, o König, daß wir deinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten werden“.

Das war ein Bekenntnis, das aus tiefster Überzeugung und aus heiligsten Grundsätzen sprach. So kann angesichts schwerster Not nur jemand sprechen, der sich in seinem Gehorsam und in seinem Leben allein an Gott und an dessen Offenbarung gebunden weiß.

Nebukadnezar sollte wissen, daß auch der Glaube in seinem Dienen seine Grenze hat. So treu Sadrach, Mesach und Abed=Nego auch in der Verwaltung der Landschaft Babel gedient hatten — niederfallen und das goldene Bild anbeten konnten sie auch angesichts der schärfsten Drohung eines Weltherrschers nicht. Ihre Anbetung als Ausdruck ihrer höchsten Verehrung Gottes und ihrer Glaubenshingabe an dessen Offenbarung gehörte Gott allein. Unmöglich konnten sie mit dem Fleische vor dem Fleische und dessen Göttern knien.

Wo die Welt sich in ihrem eigenen Bild und Werk anbeten läßt, da kann der zu höheren Grundsätzen und zu wahrer Gotteserkenntnis gelangte Glaube nicht mitmachen. „Unser Gott, dem wir dienen“, antworteten die Männer. Von ihm bezeugen sie, daß er sie wohl aus der Hand des Königs erretten kann. Sie behaupten jedoch nicht, daß er es tun wird. Dafür fehlte ihnen zunächst noch die Gewißheit. Sie behaupteten mithin nicht mehr, als sie wußten. Wahrer Glaube bleibt sehr nüchtern, auch in seinen Behauptungen. Er berauscht sich nicht durch das, was Gott ihm von Fall zu Fall anvertrauen konnte. Er glänzt nicht mit seinen Gaben und geht nicht hausieren mit seinen Erlebnissen. Er weiß sich nur als Frucht göttlicher Offenbarung und ist Zeuge der göttlichen Aktivität im Leben derer, die Gott in seine Gemeinschaft ziehen konnte. Nur das stand den Freunden Daniels fest, daß Gott sie erretten könne. So verhüllt ihnen das „Ob“ und das „Wie“ auch war, sie wußten, Gott hat Auswege auch aus dem Tode. Mehr wagten sie jedoch nicht zu behaupten.

„Und wenn nicht“ — sprachen sie daher weiter. Es ist möglich, daß unser Gott, dem wir dienen, uns nicht retten wird. Sie wußten, daß schon oft die Heiligen Gottes wie Lämmer zur Schlachtbank geführt worden waren. Gott hatte es zugelassen, daß sie untergingen.

Auch der fromme Naboth, der Jesreeliter, hatte einst gewagt, mit dem heiligen Nein
des Glaubens zu antworten, als Ahab von ihm verlangte, daß er ihm das Erbe seiner Väter abtreten solle. Dies hatte ihm den Tod gebracht. Gott antwortete auf die Treue des Glaubens nicht immer mit einer Rettung aus dem Feuerofen der Welt.

„Und wenn nicht, so sollst du dennoch wissen, daß wir dein Bild nicht anbeten werden“, sprachen sie zum König. Eher waren sie bereit, den Weg der Leiden und des Todes zu gehen, als dem Herrn untreu zu werden. Ihnen standen die aus der Thora gewonnenen Grundsätze höher als ihr Leben. Ihr Glaube war fähig, um der Wahrheit willen auch Schweres aus der Hand des Herrn zu nehmen.

b) Die Antwort der Welt auf den Protest des Glaubens

Als Nebukadnezar diese Sprache des Glaubens aus dem Munde Sadrachs, Mesachs und Abed=Negos hörte, da ward er „voll Wut, und die Gestalt seines Angesichts entstellte sich“. Das Angesicht der Welt ist abhängig von der Stimmung ihrer Seele. Sie läßt sich zu ihren entscheidungsvollen Handlungen nicht durch höhere Leitung, sondern durch persönliche Leidenschaften bestimmen. Leidenschaft ist ihre Freundschaft, Leidenschaft ist ihr Haß. Fehlt ihr die Leidenschaft, dann fehlt ihren Handlungen die Inspiration. Um große Entscheidungen herbeizuführen, muß sie zuvor große Leidenschaften wecken… Kriegsbegeisterungen, Revolutionsbegeisterungen, Volksbegeisterungen, Sportbegeisterungen — alle haben sie ihre tiefsteLebenswurzel in der Leidenschaft. Man vergegenwärtige sich nur, von welchen Leidenschaften die Völker Europas beherrscht wurden beim Ausbruch des entsetzlichen Weltkrieges! Sie raubten Regierungen und Völkern jede politische Vernunft. Mit freundlichem Angesicht hatten die Diplomaten der großen Westmächte sich immer wieder in den Salons ihrer Botschaften gegrüßt und von Vertrauen und Freundschaft und Bündnissen zur Sicherung ewigen Friedens gesprochen — bis die Leidenschaft kam. Da „veränderte sich ihr Angesicht“; Europa sah hinfort das größte Blutbad der Geschichte.

Denn Leidenschaften holen aus dem Menschen das Letzte und Höchste heraus, was der Mensch in seiner eigenen Kraft herzugeben vermag. Nebukadnezar befahl, daß man den Ofen „siebenmal heißer machen sollte, als man sonst zu tun pflegte“. Leidenschaft bricht nur an der Grenze des menschlichen Könnens zusammen. Nicht der Mensch beherrscht die Leidenschaft, die er weckt, die Leidenschaft beherrscht den Menschen und läßt ihn zerbrechen. Auch Nebukadnezar überbot sich in seiner Kraft und in seiner Vernunft. Als die Vollstrecker seines Befehls Sadrach, Mesach und Abed=Nego gebunden in den übermäßig geheizten Glutofen warfen, wurden sie selbst von der Feuerflamme vernichtet. Leidenschaften fragen aber nicht nach; Sie deuten solche Opfer als Vaterlandsliebe, als Untertanentreue, als Hingabe an das Wohl des Volkes.

Das war Nebukadnezars Antlitz und dessen Antwort auf die kühne Sprache des Glaubens. So bereitete sich der heilige Überrest durch seine Treue Gott gegenüber in der Geschichte immer wieder eine Feuerprobe. Die letzte Antwort des Fleisches auf die Bewährung
des Glaubens war immer das Kreuz. Ob es wie hier der Feuerofen war, ob es die Nachstellungen Sauls waren, die ein David erlebte, ob es die Insel Patmos war, auf die ein Johannes verbannt wurde, ob es die Leiden waren, die ein Jeremia in der Mitte seiner Brüder erduldete, oder ob es das Kreuz war, an das man den Schönsten unter den Menschenkindern schlug — es war immer die letzte Antwort des Fleisches auf ein Leben, das den Mut hatte, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Jesus konnte daher auch seinen Nachfolgern und den lebendigen Trägern seiner Kirche für dieses Zeitalter nie etwas anderes in Aussicht stellen als jenen Lammesweg, den er selbst zu gehen hatte.

c) Die beschränkten Vollmachten der Welt

Wie hart die Antwort auch je und je war, mit der die Welt auf die Treue des Glaubens antwortete, im letzten Grunde konnte sie dem Volke Gottes durch das Kreuz nie etwas Wesentliches nehmen. Denn die Vollmachten des Fleisches reichen nie über das
Sichtbare hinaus. Menschen aber, in deren Leben Gott treten und seine Kraft offenbaren konnte, besitzen unsichtbare, ewige Werte und Güter. Wohl kann die Welt einen Paulus und Silas in den Kerker stecken, einen Täufer enthaupten lassen, die Christen in den
Tagen Neros als Brandfackeln behandeln, einen Hus zum Scheiterhaufen führen, die Edelsten des Volkes ausstoßen oder in die Verbannung schicken und einem Sadrach, Mesach und Abed=Nego einen glühenden Ofen bereiten, sie kann ihnen jedoch nicht das
Höchste ihres Lebens: die Gemeinschaft mit Gott nehmen.

Obgleich man den Ofen auch siebenmal heißer gemacht hatte als gewöhnlich, es wandelte in der Glut ein Vierter mit ihnen, der einem Sohn der Götter glich. Es gab in der Geschichte je und je Verhaltnisse, Gerichte, Geschichtskatastrophen, in denen der Glaube wandeln konnte, das Fleisch aber zugrunde ging. Während die Männer, die Sadrach, Mesach und Abed=Nego zum Feuerofen hinauftragen mußten, von der Glut des Ofens vernichtet wurden, fielen die drei Freunde gebunden in ihn hinein. Das Feuer aber verzehrte sie nicht, es löste sie nur. Zum Schrecken des Königs gingen sie frei und gelöst im Feuerofen umher. So gibt es Wege, wo das Fleisch sein Gericht, der Glaube aber seine Befreiung erlebt. Alles, was die siebenfach gesteigerte Glut den Freunden nehmen konnte, waren nur die Fesseln, mit denen eine sich allmächtig wähnende Welt in ihrer Leidenschaft sie gebunden hatte. Gebunden gingen sie in den Glutofen, gelöst kamen sie heraus. Es war nicht einmal ein Brandgeruch an ihnen zu merken.

Das Geheimnis ihrer Bewahrung auch im Glutofen der Welt bestand aber in der Gegenwart des Vierten. Als Nebukadnezar Sadrach, Mesach und Abed=Nego im Ofen wandeln sah, stand er eilends auf und sprach erregt zu seinen Räten: „Haben wir nicht
drei Männer gebunden ins Feuer geworfen?“ Sie antworteten und sprachen: „Gewiß, Herr König!“ — Er antwortete und sprach: „Siehe, ich sehe vier Männer gelöst umherwandeln mitten im Feuer, und es ist kein Schaden an ihnen, und die Gestalt des vierten gleicht einem Sohne der Götter!“ Gott in seiner Gegenwart steht jenseits der Vollmachten dieser Welt. Er läßt sich in seinen Kräften, in seinen Handlungen und in
seiner Gegenwart nicht binden durch irgendeine Macht und Vollmacht der Welt. Er verklärt durch seine Gegenwart auch den dunkelsten Weg und gestaltet ihn zu einer Pforte des Lebens. Er als Herr aller Dinge zieht auch Leidenschaften der Völker und Wege
des Todes in sein verborgenes Walten und in die Offenbarung seiner Majestät hinein. Der Glutofen Babels muß ihm die geschiehtliche Basis zur Offenbarung seiner Gegenwart werden.

„Wenn du durchs Wasser gehst, so will ich bei dir sein; und wenn durch Ströme, so sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du durchs Feuer wandelst, sollst du nicht verbrennen, und die Flamme soll dich nicht anzünden; denn ich, Jahve, dein Gott, der Heilige Israels, bin dein Heiland.“

Gottes Verhalten zum heiligen Überrest wird nicht verändert durch die Leidenschaft, in der die Welt spricht. Daher erlebte das Reich Gottes auch vielfach da seine Erlösung, wo die Welt ihr Gericht erlebte. Ägyptens Wehen wurden einst Israels Heil. Unser Freund und Mitarbeiter Prof. Marzinkowskij kann uns in einem seiner Bücher auf Grund seiner Erfahrungen und Erlebnisse im Gefängnis die große Wahrheit zurufen:

„Mit Gott ist man auch im Gefängnis frei; ohne Gott ist man aber auch außer dem Gefängnis ein Gebundener.“

Denn niemals war es dem Haß des Fleisches möglich, dem heiligen Überrest die Gemeinschaft mit Gott zu nehmen. Wurde Joseph einst auch sehr leichten Herzens von seinen fleischlich gesinnten Brüdern verkauft und sehr billig an die fremde Welt Ägyptens abgegeben, Gott wandelte mit ihm. Ob er in das Haus eines Potiphar oder in den Kerker Pharaos kam, die Schrift berichtet: „Und Gott war mit ihm!“ Er ist auch mit seiner wahren Kirche in der Gegenwart.

Wohl mag es Zeiten und Augenblicke in ihrer Geschichte geben, wo auch sie mit ihrem Haupte klagen muß: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Nach solchen dunklen Stunden kann sie jedoch bewußter als vorher bezeugen: Gott ist gegenwärtig! Es sind nicht bloß Legenden, wenn uns die Märtyrerakten aus der Zeit der ersten christlichen Jahrhunderte von dem Triumph erzählen, mit dem die verurteilten Christen dem Tode entgegengingen. Unter den entsetzlichsten Foltern und Qualen erlebten sie Verzückungen, sahen wie ein Stephanus den Himmel offen und waren von einer überströmenden Freude erfüllt, daß die Umgebung sich dieses Geheimnis nie erklären konnte. Vielfach war es, als ob sie in ihren schwersten Leiden die Schmerzen überhaupt nicht mehr fühlten, als wenn die Auferstehungskräfte ihres erhöhten Hauptes sie so durchdrangen, daß ihr Körper nicht mehr die Qualen und die Schläge empfand, unter denen ihr natürliches Leibesleben zusammenbrach.

Es gehört ja zur großen Paradoxie des Kreuzes, daß es zwar von der Welt stets als Todesweg geschaffen, von dem heiligen Überrest aber als Auferstehungsweg erlebt wurde. Ist doch aus dieser Tatsache jenes große, bekannte Wort geboren worden, daß das Blut der Märtyrer der Same der Kirche sei. Wie Gott das macht, kann zwar erlebt, jedoch nicht erklärt werden. Auch die Rettung der Glaubensgenossen Daniels aus dem Glutofen Babels kann von einer menschlichen Exegese nicht erklärt werden. Ein Glaube aber, der seine Feuerprobe in der Welt erlebte, weiß, daß Gott Unmögliches möglich machen und seine Allmacht so offenbaren kann, daß seine Rettung nur noch als ein Wunder Gottes zu fassen ist.

Quelle:

Jakob Kroeker/Hans Brandenburg: Das lebendige Wort. Eine Einführung in die göttlichen Gedankengänge und Lebensprinzipien des Alten Testaments
in 15 Bänden – Band 9, von Jakob Kroeker: Daniel – Staatsmann und Prophet.
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Bildnachweis: Dublin, Christ Church Cathedral – Shadrach, Meshach, and Abednego in the fiery furnace – Andreas F. Borchert, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons


Eingestellt am 20. September 2023