Von der Frucht des Martyriums (Schabert)

So haben die Pastoren als Christenmenschen um ihres christlichen Amtes willen Gefangenschaft, Not und Tod erduldet; von fast allen ist berichtet worden, daß sie auch in den Zellen ihr Amt redlich ausgerichtet haben. Daß es so geschehen, dafür seien außer dem, was schon bei den einzelnen Lebensbildern erwähnt, noch einige Zeugnisse von Mitgefangenen angeführt.

Ein Rechtsanwalt aus Riga schreibt in seinen Gefängnismemoiren:

„Besonders wohltuend wirkte auf die Gefangenen der Umgang mit den Pastoren. Obwohl in unserer Zelle kein Pastor war, so kamen wir doch mit den Pastoren aus den Nachbarzellen viel zusammen. Die Pastoren konnte man sich wohl zum Vorbilde nehmen; ihnen war es ja bekannt, mit welcher Wut gerade sie und der Adel von den Bolschewiken verfolgt wurden, und trotzdem war von Verzagtheit oder Niedergeschlagenheit bei ihnen keine Spur. So unerschrocken, wie sie vorher von der Kanzel geredet, so ruhig und zuversichtlich hielten sie im Gefängnis ihre Andachten ab. Ich habe die Ansicht äußern gehört, es wäre besser gewesen, die Pastoren hätten durch die Flucht sich dem Tode entziehen sollen und sich so für ihr Land erhalten; ich glaube, viele, die mit ihnen das Gefängnisleben geteilt, werden anders urteilen und nie vergessen, welchen Trost und welche Stütze sie an den Pastoren gehabt.“

Ein katholischer polnischer Edelmann schreibt nach seiner Befreiung aus dem Pleskauer Gefängnis:

„Eintönig rannen die traurigen Tage dahin, unterbrochen nur durch aufregende Gerüchte und Erschießungen. Vielen sank der Mut; allmählich vollzog sich der Übergang von der Hoffnung zur Verzweiflung. Da kann einen vor dem Verlust der Menschenwürde nur ein früher aufgespeicherter Vorrat seelischen Reichtums retten, eine feste Weltanschauung und die Religion. Die meisten verfügten weder über das eine, noch das andere. Da erfuhren wir, daß aus Walk mit anderen Gefangenen auch ein Pastor Wühner angekommen sei, der angefangen hätte, täglich in seiner Zelle Gespräche über ethisch-religiöse Fragen zu führen, — mit Aufmerksamkeit und Achtung hörten ihm alle zu, wenn er über eine Stelle des Neuen Testaments sprach, und tiefen Eindruck machten seine der Eingebung des Augenblickes entsprungenen Gebete. Erfolgreich verstand er es, gegen den geistigen Niedergang seiner Zellengenossen anzukämpfen“.

Das sind deutliche Zeugnisse von den Segenswirkungen, die von diesen christlichen Märtyrern im Gefängnis ausgingen. Ihr Sterben hat meist keine wahrnehmbare Wirkung ausgeübt. Wenn ein Voes und Esch bei ihrer Verbrennung auf dem Marktplatz zu Brüssel vor Tausenden beteten und das Tedeum sangen, dann hatten sie eine andere Wirkungsmöglichkeit, als die von den Bolschewiken heimlich in der Nacht im dunkeln Wald oder auf dem einsamen Gefängnishof erschossenen Märtyrer. Auf Brüssels Marktplatz waren Mönche und ein großes Volk ehrsamer Bürger, von denen doch sicherlich viele tiefreligiöse Menschen waren, wenn auch irregeleitet in ihrer Frömmigkeit; auf solche konnte das Sterben der Märtyrer eine große Wirkung ausüben. An den rohen vertierten Bolschewiken und den sadistischen Dirnen, denen Morden zum Handwerk geworden war, ging solch ein Sterben meist spurlos vorüber. Wenn aber selbst auf etliche von diesen das Sterben der Märtyrer einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, wie wir es vom Sterben Marnitz‘ und Bernewitz‚ (s. S. 92 u. 110) wissen, so zeugt das von der sieghaften Kraft, die in diesem Sterben als solchem liegt.

Von dem Sterben der meisten müssen wir sagen, es gleicht dem Weizenkorn, das tief in den Acker versenkt ist. Keiner sieht hernach das Korn, auch keiner kann in langen Monaten sagen, daß es da ist, bis daß Gott die Zeit kommen läßt, wo es sprießt in Halm und Ähre.

Ist Märtyrerblut die Saat der Kirche, dann behält es auch Saatcharakter an sich, d. h. es bleibt zunächst in der Verborgenheit; der Ackermann muß geduldig warten können, bis die Erde empfahe den Früh- und Spätregen (Jak. 5, 7). Soll die heilige Saat, die Gott im Blute der Märtyrer gestreut, für die baltische Kirche und die ganze Christenheit Frucht bringen, dann bedarf es des Frühregens göttlicher Gnade, die dieser Saat allein Wachsen und Gedeihen geben kann, und des Spätregens menschlichen Gebets, das sich dankbar die großen Gedanken Gottes zu eigen macht: Wir müssen das Leben aus Christus nehmen, um unser Leben für Ihn zu lassen, wenn es sein muß auch im Sterben für Ihn.

Wir wollen mit Luther beten, wie er es tat, da er seines lieben Leonhard Kaisers Bild zeichnete:

O lieber Herre Jesu Christe, hilf uns durch deinen Geist (solchem Exempel nach) dich und dein Wort auch zu bekennen mit beständigem Glauben für [vor] dieser blinden unartigen Welt, und vergib den elenden Tyrannen sampt ihrem Haufen solch ihre Sünde, und erleuchte alle irrige und verführte Herzen mit dem Licht deiner Gnaden, und sei mit uns Armen, daß du uns behütest und bewahrest rein und unsträflich auf deine Zukunft. Dir sei Lob und Ehre mit dem Vater und heiligem Geist in Ewigkeit. Amen.

Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 189-191 [Digitalisat, pdf]

Letzte Überarbeitung am 11. Januar 2023