Was ist es mit den Geistererscheinungen? (Löhe)

2. Thessalonicher 2, 9ff.:
Ihm, dessen Zukunft geschieht nach der Wirkung des Satans mit allerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wundern und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit unter denen, die verloren werden, dafür daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, auf daß sie selig würden. Darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer senden, daß sie glauben der Lüge, auf daß gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glauben, sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit.

Es haben sich hie und da ganze Schwärmersekten gebildet, die von nichts so viel denken, dichten und reden, als von zu erlösenden und erlösten Seelen abgeschiedener Menschen. Besonders eine Sekte, welche sich selbst gerne „die neue Kirche“ nennt, von andern aber – nach ihrem am 24. Sept. 1772 zu London verstorbenen Stifter Immanuel von Swedenborg – Swedenborgianisch genannt wird, hat sich in Schweden, England und Deutschland, namentlich im Würtembergischen, leider auch an der würtembergisch-bayer’schen Grenze, viel Anhang erworben und beweist für Aufrechthaltung und Ausbreitung ihrer gottlosen Lehrsätze eine nicht geringe Aufopferung. Ich rede von gottlosen Lehrsätzen – und ich weiß, was ich rede. Denn diese Sekte hat erstens mit den übrigen, welche Geisterei lehren, das gemein, daß sie hier und dort statt zweier drei Menschenklassen lehrt, also nicht bloß Fromme und Gottlose, Selige und Verdammte, sondern auch eine dritte Klasse, die hier weder fromm, noch gottlos ist, dort weder selig noch verdammt erscheint. Das Leben nach dem Tode ist so nur zu einer Fortsetzung nicht bloß der Entschiedenheit, sondern auch der Unentschiedenheit im Guten und Bösen geworden; das Jenseits ist wie das Diesseits, nur daß dort bloße nackte Seelen ohne Leiber ihr altes Wesen treiben. Aber nicht bloß das, sondern zweitens: die Sekte der Swedenborgianer hat vor andern ihres Gleichen den Vorzug in der Geisterei dadurch errungen, daß sie von den erscheinenden Geistern eine ganz neue Bedeutung der Schriftworte gelernt hat, die zuvor niemals ein Mensch erfand. Sie hat von den Geistern eine neue phantastisch-rationalistische Weisheit erlauscht, durch welche die edelsten Lehren des Glaubens ganz und gar verändert werden und nichts übrig behalten, als die uralten Wörter, den uralten Schall mit nagelneuer Deutung. –

Gegen diese und ähnliche Sekten ist es wohl nötig, ein ernstes Wort zu reden. Denn es ist zu fürchten, der Satan möchte sich ihrer bedienen, um der armen Menschheit doppelten großen Schaden zuzufügen. Durch die Lehre von einer dritten Menschenklasse hier und dort, von dem dritten Ort in der Ewigkeit, bereitet er die Welt zur Annahme der Lehre vom Fegfeuer, zu einer neuen, schrecklicheren Ausbreitung römischer Abgötterei. Und durch die neue Schriftauslegung nimmt er der Welt allen gesunden Schriftverstand und Glauben, weist sie von dem hellen Lichte und dem klaren Worte Gottes auf murmelnde Geister und ihr heilloses Geschwätz, worin keine Seele Frieden finden kann. Wenn dann das böse Stündlein kommt, so hat die neue Kirche die alte Zuversicht, den süßen Trost der reinen Lehre hinweggenommen, kein Halt, keine Stärke, keine Ueberwindung ist mehr da; in der unheimlichen Vermengung des Diesseits und Jenseits verliert man alsdann das Heil, welches Gott durch tausend dringende Evangelistenstimmen angeboten hatte.

(Wilhelm Löhe)

Quelle: aus Wilhelm Löhe: Was ist es mit den Geistererscheinungen? Nördlingen, in Commission der C. H. Beck’schen Buchhandlung, 1843.