Predigttext: Hebräer 12, 1-4
1 Darum auch wir, dieweil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasset uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist,
2 und aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens; welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete das Kreuz und achtete der Schande nicht und hat sich gesetzt zur Rechten auf den Stuhl Gottes.
3 Gedenket an den, der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat, daß ihr nicht in eurem Mut matt werdet und ablasset.
4 Denn ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden in den Kämpfen wider die Sünde.
Das elfte Kapitel des Hebräerbriefs handelt von einem Haufen von Zeugen, die zum Teil bis aufs Blut wider die Sünde gekämpft haben. Ein solcher Haufe von Zeugen soll auch uns aufwecken, eifriger und mutiger machen. Es kommt aber dazu noch der Herr selbst und ein Haufe Neutestamentlicher Zeugen.Unter diesen steht oben an Stephanus. Der hat bis aufs Blut gekämpft und ist der erste, von dem sein Glaube dieses Opfer gefordert hat. Der hat das alles recht gethan, wozu uns unser Text auffordert: er hat einen mutigen, kraftvollen, siegreichen Kampf gekämpft. Wir können nun mit noch viel mehr Grund aufgefordert werden, auch einen solchen Kampf zu kämpfen, da bei uns der Haufe Zeugen, der uns umgiebt, so viel größer geworden ist.
Wir wollen denn an dem heutigen Stephanustage betrachten
den C h r i s t e n k a m p f.
- Mit welchen Waffen,
- unter wessen Anführung und
- um welchen Preis wird er gekämpft?
O du Anfänger und Vollender des Glaubens, schenke uns doch auch diesen Glauben, nähre und stärke ihn! Wecke uns aus unserer Trägheit auf, richte unsere Blicke auf das Ziel, auf das Kleinod, daß wir uns doch auch einen kurzen Kampf gefallen lasse, daß wir in der rechten Kraft und sieghaft kämpfen! Amen.
1. Mit welchen Waffen wird er gekämpft?
„Lasset uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist.“ Das ist dieser Kampf: ablegen und dann Mut und Kraft zum Laufen anziehen. Was soll man ablegen? – Die Mutlosigkeit, Verdrossenheit, Trägheit und das, woraus sie kommen. Stephanus ist recht das Gegenteil hievon: so mutig, so entschlossen. so furchtlos, so freudig; da ist nichts Träges, Verdrossenes. Man muß sich vor allem zum Kampf und Lauf rüsten. Fleisch und Blut haben wohl oft auch einen gewissen Mut; aber der erliegt bald und macht einer um so schmählicheren Furcht und Verzagtheit Platz. Wir dürfen nur an Petrus denken, da er sagte: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen,“ und doch nachher seinen Herrn verleugnete. Wie legt man aber diese Mutlosigkeit und Trägheit ab und zieht den ausdauernden Mut an? – Nur dadurch, daß man die Sünde, die uns überall umgiebt, ablegt. Aber warum umgiebt uns denn die Sünde überall? – Weil unsere Seele von Fleisch und Blut umgeben ist. Das Fleisch ist träge und verdrossen und macht träge. Sonst kann das Fleisch wohl auch etwas unternehmen und ausführen, aber für diesen Kampf und Lauf eines Christen ist es faul und verdrossen. Leiden und in Geduld sich fassen , das mag das Fleisch nicht. Nach Christi Sinn und Geist hingehen, das mag das Fleisch nicht, und wenn es damit einen Anfang macht, so erliegt es bald. Aber wer hat denn hiezu Mut, wem geht hier der Mut nicht aus? Wer wird da nicht verdrossen? Antwort: d e r G e i s t. Wie sich die Menschen ihren fleischlichen Mut erhöhen durch den Geist des Weins, so sollten wir uns durch den rechten Geist von aller Verdrossenheit heilen lassen. Dort währt der Mut nur wenige Augenblicke und macht oft einer nur um so größereren Ermattung Platz; hier aber giebt es einen dauernden Mut.
Nur der Geist macht mutig, hebt und heilt die Verdrossenheit und Trägheit. Stephanus hat an der rechten Quelle getrunken, hat sich voll Glaubens und heiligen Geistes getrunken. Ein anderes Mittel, die Trägheit und Sünde abzulegen, gibt es nicht. Wenn einer nie thäte, was sein Fleisch will, immerdar auf sein Fleisch losschlüge, er würde desselben doch nicht los und damit auch der Trägheit und Verdrossenheit nicht los. Aber der Geist macht los und frei, macht frisch und freudig, macht mutig, den Kampf zu beginnen und fortzusetzen. Wer an Geist zunimmt, nimmt an Mut zu; wer sich im Geist erneuert, erneuert seinen Mut. Dann kann man laufen. Der Kampf ist ein Kampf des Geistes mit dem Fleisch. Das Christenwesen ist ein Kampf des Geisteswillens mit dem eigenen Fleisch und vornehmlich mit der Sünde in uns und außer uns. Aber wie bekämpft man denn durch den Geist die Sünde?
Die Sünde in uns bekämpft man damit, daß man ihren Willen nicht thut, und die Sünde außer uns, daß man sie machen läßt, was sie will. In unsrem Text ist hauptsächlich von dem letzterem die Rede; doch ist das erste auch gemeint. Durch G e d u l d überwand Stephanus, er zeugte mutig, ließ aber dann den Widerspruch der Sünder sich gefallen, ohne sich zu wehren, bis zu dem Seufzer: „Herr, behalte ihnen ihre Sünde nicht!“
Die gleiche Geduld ist aber auch erforderlich, wenn man der Sünde in uns den Willen nicht lassen will, dem Stolz, der Lust, dem Geiz. Stephanus widerstand bis aufs Blut, gab sich stille und geduldig dem Tod hin, den sie ihm anthaten. So könnte man auch mit der Sünde in sich bis aufs Blut kämpfen. Lieber s t e r b e n , lieber das schwerste und größte Opfer bringen, den schwersten Tod erdulden als sündigen – das hieße bis aufs Blut widerstehen. In den ersten Tagen des Evangeliums legten die Sünder durch ihren Widerspruch den Glaubigen einen großen Widerstand in den Weg, den sie durch Geduld und Leiden überwanden, wie man an dem Vorbild Christi selbst und des Stephanus sieht. In unsern jetzigen Tagen ist dieses Hindernis nimmer so groß; deswegen muß der liebe Gott in unserer Zeit seinen Kindern einen anderen Widerstand bereiten. Die allgemeinen Leiden, die nicht von den Menschen herrühren, waren, wie es scheint, in jenen ersten Tagen nicht so häufig, sind aber bei uns um so häufiger, damit wir auch unsern Widerstand in unsrem Lauf hätten. Wie werden auch diese Widerstände besiegt? – Durch ebendieselben Waffen: Durch Geduld und Leiden, durch mutiges Sterben und Darangeben der eigenen Ruhe. Es haben alle Christen ihren Kampf, der ihnen verordnet ist.
2. Unter wessen Anführung wird er gekämpft?
Aber es ist eine Schar, eine ganze Schar von Kämpfern, ein Haufe von Zeugen, eine Kriegsschar, die ihren A n f ü h r e r hat. Man kämpft nicht nur für die eigene, sondern für eine gemein[sam]e Sache, für die Sache des Feldherrn. Die Schar der Glaubenskämpfer wird geführt wie im Kriege: da muß man auf den Führer sehen. Wir wissen, wie es Stephanus machte, wie er hinaufblickte zu seinem Führer, und wie er da geleitet und gestärkt wurde. So heißt’s auch bei uns: „Lasset uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens,“ aufsehen nicht nur auf das Vorbild, das er, der Herr, uns gegeben, sondern auch aufsehen auf ihn wie Stephanus, auf den Erhöheten, Gegenwärtigen. Er als der Anfänger und Vollender des Glaubens hat den ersten Glaubenskampf gekämpft und weckt in allen den Glauben. Er ist der Geist und giebt den Geist. So vollendet er in allen auch den Glauben durch denselbigen Geist, rüstet ihn aus zum Sieg und bringt ihn durch alle Kämpfe siegreich hindurch. Deswegen sollen wir zu ihm aufsehen. Es ist nicht nötig, daß uns die Augen so geöffnet werden wie dem Stephanus; unser Aufsehen kann dennoch eine große Wirkung haben, eben dieselbe, die es bei Stephanus hatte. Das Bild, das Vorbild Jesu, der statt der Freude das Kreuz erduldete, ermutigt. Aber daher fließt uns auch immer neuer Geist zu, den man ja zum Kampfe so nötig hat. Der Geist bringt Freudigkeit und Mut, der Geist bringt Leben; und nur wo Leben ist, kann man sich den Tod des Fleisches gefallen lassen. So lernt man kämpfen, sieghaft kämpfen.
3. Um welchen Preis wird er gekämpft?
Aber w a r u m soll man sich denn so plagen, so den eigenen Willen brechen, den Widerspruch der Sünder dulden oder sonst sich ins Sterben geben? – So hat Gott den Lauf geordnet, der zu jenem Ziel führen soll; diese heilige, weise Ordnung Gottes müssen wir uns gefallen lassen. Auf anderem Wege kommt man nicht zum Ziel. Was ist aber dieses Ziel? Christus sah nicht auf die Freude, er erduldete das Kreuz und achtete der Schande nicht. Dann hat er sich aber auch gesetzt zur Rechten auf den Stuhl Gottes und hat einen Namen empfangen, der über alle Namen ist. Der Name Stephanus heißt „Krone“. Gott hat ohne Zweifel dem Stephanus diesen Namen geben lassen, damit auch durch diesen Namen angedeutet würde, der Kampf und Lauf eines Christen führe zur Krone. Wie ein Kämpfer und Wettläufer gekrönt wurde, so wurde Stephanus gekrönt als sieghafter Kämpfer, und so werden alle rechtschaffenen Kämpfer und Sieger gekrönt.Wir kämpfen und siegen also um die K r o n e.
Christus sitzt zur Rechten Gottes als Menschensohn, wie ihn auch Stephanus sah und nannte. Der große Menschensohn sitzt auf dem Thron mit der Krone auf dem Haupt. Das ist nun auch der Preis, um den wir kämpfen. Christus, der Herr, will seine Krone nicht für sich allein behalten, sondern als Menschensohn mit allen Menschen teilen, die sich den gleichen Kampf gefallen lassen. Aber die Krone ist wohl eine doppelte, eine innere und eine äußere; sie ist eine solche, die man hier schon empfängt, und eine solche, die dort erst erlangt wird. Des Stephanus Angesicht ward wie eines Engels Angesicht: fürstlich, königlich erleuchtet; es schimmerte die Königskrone aus ihm hervor. Deswegen wurden seine Gegner so voll Wut, denn sie wollten selbst Könige sein und liebten solche Könige nicht. Stephanus aber ward doch gekrönt innerlich; und so werden alle treuen Kämpfer innerlich gekrönt mit dem königlichen G e i s t. Endlich streifen sie ihre schlechte äußere Hülle ab, die die Krone verbarg und verdarb; da wird sie dann vor jedermanns Augen auch äußerlich dastehen. Und das werden dann wohl die Seelen sein, von denen der liebe Heiland gesagt hat (Offenb. 3, 21):
„Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.“
Amen.
(gehalten 1843)
Quelle: M. Gottlob Baumann, Pfarrer in Kemnat bei Stuttgart: Neunundsiebenzig Predigten über die Evangelien des zweiten württ. Jahrgangs auf alle Sonn-, Fest- und Feiertage. Dritte Auflage, Unveränderter Abdruck. Quell-Verlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart.
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