Johannes 10, 11

Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für seine Schafe.

Diese Worte sind so bekannt und oft gehört! Wer würde sie jetzt wohl wieder betrachten wollen? Mancher könnte dabei sogar einschlafen. Und trotzdem ist es gerade dieses Thema, das vor jedem anderen ein eiskaltes Herz brennend und den Toten lebendig machen kann, wenn es dem Geist Gottes gelingt, dies Herz zu öffnen. O, halte darum noch einmal still und bedenke, was der Herr Christus hier sagt:

„Ich lasse mein Leben für die Schafe.“

Vielleicht bist du friedlos, freudlos, kalt und unglücklich; hier kannst du erfahren, wie du ein warmes, glückliches und friedevolles Herz erhalten kannst. Und wie geschieht dies? Ja, wenn du nur einen festen Blick auf das Angesicht deines Heilands richten kannst, während Er spricht: „Ich bin der gute Hirte – Ich lasse Mein Leben für die Schafe“, und wenn du dieses nur in dein Herz hineinbekommst, dann wird es wahrlich anfangen, warm zu werden und unaussprechlichen Frieden und wahre Freude empfinden. Bitte Gott um die Barmherzigkeit, daß Er dir einen stillen, betrachtenden Geist und geöffnete Sinne gebe, wenn du den Herrn diese Worte reden hörst. Bedenke, wer es ist, der hier redet! Es ist derselbe, den du im Gebet anrufst, es ist dein Heiland. Blicke auf Ihn und höre Ihn sagen: „Ich bin der gute Hirte, – Ich lasse mein Leben für die Schafe.“

Merkst du nicht eine tiefe und herzliche Zärtlichkeit bei Ihm, wenn er so redet? Oder meinst du dennoch, daß Er wirklich so kalt und gleichgültig gegen dich sein könnte, wie es dein ungläubiges und kaltes Herz wähnt? Nimm dann diese Worte mit dir ins Gebet. Und wenn du die drückendste und verzehrendste Besorgnis auf deinem Herzen hast und sie deinem Heiland klagen willst, aber keine Liebe von Ihm zu empfinden wähnst, suche dann Sein Bild zu fassen und in Sein Antlitz zu sehen, wenn Er spricht: „Ich bin der gute Hirte – Ich lasse mein Leben für die Schafe.“

Denn sieh! Es sind doch Seine Worte, die du betrachtet hast. Schaue Ihn sodann in dem eigentlichen Werk an, das hier erwähnt wird, – in Seinem willigen Leiden und in Seinem bitteren Tod, – und lass dann die Worte: „Ich lasse Mein Leben für die Schafe“ beständig vor dir stehen und deiner Seele alles das erklären, was du siehst. Sieh, wie Er freiwillig der Macht der Finsternis entgegenschreitet, die Ihn in Gethsemane aufsucht. Höre, wie Er spricht: „Sucht ihr Mich, so lasst diese gehen.“ – „Ich lasse Mein Leben für die Schafe.“ Sieh, wie Er still „wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“, auf den Richtplatz hinausgeht und dort Seine Hände und Füße durchbohren und sich an das Holz des Kreuzes hängen lässt. Und wenn du Ihn im Ernste des Todes siehst, höre dann Seine ewig gültigen Worte: „Ich lasse Mein Leben für die Schafe.“

Wagst du nun trotzdem, Seine Liebe und Zärtlichkeit in Zweifel zu ziehen? Wagst du trotzdem, lieber deinem finsteren, lügenhaften Herzen und dem Teufel zu glauben, welche sprechen: „Er ist gleichgültig gegen dich, Er kehrt sich nicht an deine Not, Er erwartet, daß du selbst dein Übel überwinden sollst. Er erwartet, daß das Schaf sich selbst gegen den Wolf verteidigen soll“ usw.? Erbebe vor solchen Einflüsterungen der Finsternis und lass deinen Heiland einmal das sein, was Er wirklich ist, – die ewige und unbegreifliche Zärtlichkeit, die nicht einmal dulden konnte, daß das Volk in der Wüste hungerte oder daß ein Mann eine verdorrte Hand hatte. Wieviel weniger kann Er dann dulden, daß deine Seele in Not und Gefahr ist, ohne dass Er etwas dagegen tun sollte, da Er doch zur Errettung der Seelen in die Welt gekommen ist!

Ich sehe, wie die ganze Person Christi und Sein Auftrag für die Welt nur ein einziger großer Beweis einer unbegreiflichen Liebe und Zärtlichkeit gegen das Menschengeschlecht sind. Er selbst will, daß wir es so betrachten sollen, indem Er spricht: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben für seine Freunde läßt.“ Nun habe ich wahrlich Grund zu dem Schluß, daß alles, was ich selbst erfahre, sehe, fühle und meine, unmöglich ebenso gewiß ist wie das, was Christus mit der Hingabe Seines Lebens beweist. Mag er mich nachher prüfen, so sonderbar und beunruhigend, wie Er kann, mag Er mich dem Teufel und allem Bösen überlassen, solange es Ihm gefällt, – ich ahne doch, daß sich bei Ihm noch ein Herz verbirgt, das aus inniger Liebe blutet, und daß Er – da ich noch in der Gnadenzeit bin und mich selbst richte, aber auch zu Seiner Barmherzigkeit fliehe – mich unmöglich im Ernst verlassen wird. Nein, so wahr dieser treue Herr nicht lügen kann, ist in Seinem Herzen schon Freude über ein wiedergefundenes Schaf. Kurz, durch diesen Beweis der Liebe Christi, nämlich durch die Hingabe Seiner ganzen Person und Seines Lebens, mußt du zu einem solchen Glauben kommen, daß Er hinfort mit dir handeln kann, wie Er will, und du so jenen großen Beweis mehr gelten lässt. – In dieser Weise müssen wir uns das zunutze machen, was Er hier sagt: „Der gute Hirte lässt Sein Leben für die Schafe“, indem wir nämlich, was auch immer unser Herz bedrückt, bedroht, einschüchtert und plagt, doch ein inniges Vertrauen zu Seiner Liebe und Hirtentreue haben und zu Ihm hinfliehen, der allen Dingen so herzlich gern abhelfen will und es so leicht kann.

In meiner kurzen Wand’rungsfrist,
Was ängst‘ ich mich und klage?
Er, der der gute Hirte ist,
Trägt mich in jeder Lage.
Er, der uns liebet fort und fort,
Mit Seinem Geist und Seinem Wort,
Ist bei uns alle Tage.

(Carl Olof Rosenius)