Predigt Auf’s Fest Trinitat. 1774 über Joh. 3, 1-15.
Ist dir Nichts zurücke blieben?
Hast du schon das Ziel erreicht?
Traue nicht dem falschen Schein,
Willst du nicht betrogen sein!
Hast du Alles wohl erwogen?
Dich auf Gottes Wort bezogen? *)
Geliebte in dem Herrn!
Ihr seid nicht umsonst eben in dem von euch gesungenen Liede so gefragt worden. Ist’s nicht so, ihr lasset sonst nicht gerne Etwas dahinten und zurücke! O, so besinnet euch über die wichtigste Sache, daran ewige Seligkeit oder Unseligkeit liegt, nämlich über euer Christenthum doch nicht zu wenig! Lasset es mit dem Singen nicht schon ausbesonnen sein, als ob ihr dann das Ziel, das Ende eures Glaubens, der Seelen Seligkeit, bei Gott in Christo erreicht hättet! Und wann es auch also scheinet, traue nicht zu bald, es ist ein Unterschied unter Schein und Seyn; es ist nicht so, sondern es ist ein falscher Schein, dann wir wandeln noch im Glauben und nicht im Schauen.
Was also schon geschaut zu werden scheint, dem ist nicht zu trauen; es sei dann, daß du betrogen sein wollest. Aber muthet mir Alles zu, nur das nicht, daß ich so wissentlich sündigen und euch betrügen sollte, wann schon die Welt betrogen sein will; diesen Willen mag ich nicht erfüllen. Es kommt einmal eine Zeit, eine Zeit ohne Zeit, eine ewig lange Zeit, da wollet ihr’s gewiß nicht mehr, daß man euch betrügen solle, da wäret ihr mit meinem Betrügen zu lang nicht zufrieden. O, so will ich euch eben auf die Wahrheit weisen, die ihr selber merken könnt! Lasset mich nur nicht für euch vergeblich fragen:
„Hast du Alles wohl erwogen,
Dich auf Gottes Wort bezogen?“
Beziehst du dich nicht vielmehr auf deinen und anderer ehrbarer Naturmenschen Verstand? Oder – wenn du dich auf Gottes Wort beziehst -, hast du in demselben Alles und wohl erwogen? Ist’s nicht wahr, du fürchtest dich oft noch heimlich, Alles wohl zu erwägen; du sorgst, man komme zu tief hinein! Aber eben das ist ein Anzeichen, daß du noch nicht Alles wohl nach dem Worte Gottes erwogen, und du darfst dich jetzo nicht
L e d d e r h o s e, Machtholf’s Leben und Schriften. 7
fürchten, just ist’s auf D a s angesehen, daß du nicht zu tief hineinkommest, wie es dir sonst in der Hölle ginge. Aber das Göttliche, auch die göttliche Traurigkeit gereut Niemand. O, so lasset uns auf Gottes Wort uns beziehen und heute daraus lernen, was das Herzblatt des Christenthums sei! Ich will also vorstellen:
Die Wiedergeburt durch die Worte Gottes und Christum als das Herzblatt unsers Christenthums.
I. Das Herzblatt unsers Christenthums ist, daß wir wiedergeboren werden müssen.
II. Mit dieser geistlichen Wiedergeburt muß nicht nur in der Taufe, sondern auch jetzt euer Christenthum anfangen und fortwähren, wann ihr in den Himmel wollet.
III. Durch die Worte Gottes,wann ihr allen seinen Worten gläubig folget, und durch Christum selbst, könnet ihr so wiedergeboren werden.
Seufzer:
Ach, Herr Jesu laß uns wissen, wie man Dir etc.
Geuß den Geist in unsere Seelen etc.
Geliebte! daß der erwachsenen Leute geistliche Wiedergeburt durch die Worte Gottes also, und durch Christum, das nothwendige Herzblatt unsers Christenthums sei, will ich aus dem heutigen Evangelium folgendermaßen mit des lieben Gottes Hilfe abhandeln.
I.
Das Herzblatt unsers Christenthums ist, daß wir wiedergeboren werden müssen. Was ist das? das ist zum Exempel so:
__1. Wir müssen neu werden und sein; wir dürfen daher nicht bleiben, wie wir von der alten leiblichen Geburt her sind, und wie der alte Mensch in uns ist. Darum heißt’s im Evangelium: Es sei dann, daß Jemand von Neuem geboren werde etc., und obschon im Grundtext eigentlich es so ausgedrückt ist: Es sei dann, daß Jemand von o b e n etc., so ist das ja etwas N e u e s, daher auch Paulus in der Grundsprache selbst zweimal mit dem Wörtlein „neu“ es ausdrückt, 2. Korinth. 5, 17; Gal. 6, 15.
2. Dies Neusein nun fehlt da gewiß, wo lauter Werke des alten Fleisches und Blutes herauskommen; es kann aber auch bei gutscheinenden Werken fehlen. Dann es ist göttlich Wesen, eine geisterfüllte Kraft, und:
Auf das Innre wend dein Aug‘,
Prüfe, ob das Etwas taug –
haben wir erst gesungen, und Hesek. 36, 26 steht daher zuerst: „Ich will euch ein neu Herz und einen neuen Geist ─ geben“, ─ hernach erst: „Und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln!“ – Also auf das Herz ist’s vor Allem angesehen, daß das redlich ernstlich werde, daß es nicht nur aus unlautern, ehrgeizigen und dergleichen Gründen fromm thue, sondern weil Gott, als der beste Freund, also ist und so will; das Andere gibt sich sodann selbst.
—3. Und das kann man nach heutigem Evangelio eben so wohl „Geist von oben“ heißen [nennen], so gut man es „neu“ heißt. Fleischlich gesinnet thut sich’s also nicht zu bleiben, auch nicht s o geistlich, wie das Fleisch sich stellt, noch viel weniger wieder leiblich geboren werden, wie Nikodemus gemeint, und daher entgegenhielt: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist etc.?“
II.
Mit der geistlichen Wiedergeburt nun mußte nicht nur in der Taufe, sondern muß auch jetzt euer Christenthum anfangen und fortwähren, wann ihr in den Himmel wollet.
—1. In der Taufe mußtet ihr freilich und seid auch hoffentlich da wiedergeboren worden. Darum heißt’s im heutigen Evangelium: „Es sei denn, daß Jemand geboren werde aus Wasser und Geist etc.„ —Und das wäre auch soweit genug, daß ihr euer Christenthum nie mehr vornen anfangen dürftet, sondern nur weiter fortzumachen hättet. Aber wer ist indessen unter euch Erwachsenen wiedergeboren und also neu im Geist geblieben? Ich weiß Niemand so in diesen Gemeinden, die ich habe und die Leute, die es etwa sein mögen sind noch viel weniger so keck, von sich selbst dieses auszugeben, sondern Andere sehen’s eher. Aber hier weiß ich Niemand, dem man das ansähe, und sie sind überhaupt so rar, daß man oft in Mannsaltern und ganzen Ländern kaum Jemand so vermuthet.
—2. Darum müsset ihr alle Erwachsene wiederum wiedergeboren werden. Das sehen wir an Nikodemo; der war ein Jude, wie im Text zu sehen, folglich war er beschnitten, und die Beschneidung galt im Alt. Test. für die Taufe, sonsten die Beschneidung und die Taufe nebeneinander sein müßten, das nicht ist.
Nikodemus war also auch in seiner Kindheit durch die Beschneidung wiedergeboren worden, und doch heißt’s der liebe Heiland heute nicht nur Andern und sagt also nicht, nur die Andern müßten wiedergeboren werden, sondern „Ihr“, also sie und er, müssen wiedergeboren werden, und zwar nicht erst spät, sondern
—3. die Wiedergeburt muß der Anfang des Christenthums sein, oder gehört zum Anfang desselben. Dann sagt’s der liebe Heiland nicht gleich zum Nikodemo, da er kaum mit ihm anfängt zu reden, wie ein Schulmann das zuerst zum neuen Schüler sagt, womit er anfängt! Auch heißt es: „Wann die Wiedergeburt noch nicht richtig, so könne man nicht einmal kommen in’s Reich Gottes, will geschweigen drinn bleiben, und zu diesem Reich Gottes gehört auch das Gnadenreich dieser Zeit. Mithin muß einer zum Eingehen in’s Gnadenreich Gottes dieser Zeit und also zum Anfang wiedergeboren werden, welches wir auch daraus sehen, weilen der Heiland die Wiedergeburt etwas Irdisches nennt, das also noch auf die Erde gehört, und nicht zur Vollendung, die eigentlichst dort ewig geschehen soll.
—4. Die Wiedergeburt muß aber nicht nur wieder beim Anfang des Christenthums sein. daß einer sodann weiterhin wieder der Alte werden dürfte, sondern sie muß bleiben, und man muß nicht immer wieder anfangen wollen, sonst kommt man ja zu nichts Ganzes. Und wenn das neue Wesen der Wiedergeburt nur beim Anfang des Christenthums sein dürfte und hernach nicht mehr da sein dürfte, so würde der liebe Heiland dem Nikodemus die Wiedergeburt nicht mehr anbefohlen haben, weil er ja durch die Beschneidung schon auch den Anfang damit gemacht.
—5. Das Alles aber gilt eben, wann ihr in den Himmel wollet, dann ohne dieses, sagt unser Text, kommen auch die Pharisäer, die äußerlich fromm waren, auch der Nikodemus selbst, nicht in den Himmel, der doch des Nachts zu Jesu ge gangen und von ihm Etwas zu lernen begehrt. Wer aber nicht in den Himmel will, den will ich jetzt mit dem nicht beunruhigen; er wird doch noch zu bald beunruhigt werden; dem will ich daher sodann dieser Welt Ruhe lassen, weil ein solcher die und sonst keine will.
III.
Durch die Worte Gottes aber, wann ihr denen allen gläubig folget, und selbst durch Christum, könnt ihr so wiedergeboren werden.
—a) Hauptsächlich hat Gott um Christus willen uns sein Wort vom Glauben an ihn bezeugt, und klagt daher, es könne mit der Wiedergeburt nicht recht zugehen, wann wir dies Zeugniß Gottes nicht glauben (siehe heut. Evangel.)
Dahero auch Petrus 1. Petr. 1, 23 solche Wiedergeborne so beschreibt: „Als die wiedergeboren sind, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes“. Und wir haben also eben das ganze Wort Gottes gläubig anzunehmen, daß man’s angenommen heißen kann, wie es ein Gehorsamer thut, wann’s einer auch nicht so ganz versteht. Dann mit unserem Verstand die Sache der Wiedergeburt gleich zu begreifen, fordert unser Heiland nicht; sondern sagt selbst, es sei so etwas Unbegreifliches für uns drum, wie um den Wind; aber die Wiedergeburt sei eben doch nicht wegzustreiten, wie der Wind auch nicht.
—b) Uebrigens gibt der Heiland der menschlichen Schwachheit des Nikodemus so viel nach, daß er ihm noch weiter sagt und beantwortet, wie es mit der Wiedergeburt zugehe, indem er spricht: „Niemand fährt gen Himmel, als etc.“, und erklärt dieses auch mit dem Vorbild der ehernen Schlange, als wollte er sagen, daß auch das Annehmen oder Glauben des Wortes Gottes als ein Mittel geschenkt ist, wiedergeboren zu werden. Dies und Alles habe ich euch verdient; dann ihr Menschen hättet kein Recht und Würdigkeit in den Himmel. Aber euch zu lieb werde ich erhöht, bis zum Kreuz und bis zum Throne, der ich sonst schon nach göttlicher Natur im Himmel bin, und aber herniederfuhr, daß ich mit euch auffahren möchte. Jetzt habt ihr’s nur wie die Israeliten 4. Mos. 21, 7+9 mit eurem Heiland zu machen, und aber vorher erkennen zu lernen, daß die Sünden euer Gewissen, wie die Schlangen thaten, beißen, da ihr nur dem Geist Gottes im Gewissen mehr stille aufmerken dürft, und seinem Worte und es euch nicht mehr durch andere Gedanken und leibliche oder gar sündliche Dinge und Gesellschaften aus dem Sinn schlagen müsset, wann ihr so was spüret, ja den lieben Gott selbst zu bitten habt, daß er euch das Beißen der Sünde doch, so viel er nöthig findet, verspüren lasse mit welchem Bitten ihr ernstlich und fleißig bis ihr’s erlanget sehnend anzuhalten habt. Alsdann werdet ihr nicht mehr die Sünde behalten wollen, und Jesum mit sammt der in euch herrschenden Sünde anzuschauen begehren, wie ihr’s bisher meistens machtet: (daß ihr alle auf Jesum leben und sterben wolltet und sagen möchtet, es wäre gefehlt, wann ich nicht an Christum glaubte etc., da ihr doch die Sünden nicht wegkommen lassen wolltet), sondern alsdann wird das Beißen der Sünde euch auch d a z u bringen, mit den Israeliten nach 4. Mos. 21, 7 zu bitten, daß der Herr die Sünden wie die Schlangen von euch nehmen möchte. Und das ist so nöthig, daß es nicht anders sein kann, wann ihr ewig leben wollet._ Dann das ist ein elendes und nur vorgegebenes, aber nicht wahrhaftes Lutherthum, wann man Jesum im Glauben zur Vergebung und zum Leben und Seligwerten anschauen will und sich einbildet, es helfe, wann man schon die Sünden noch herrschend behalte und mir denke oder sage: „O, ich glaube an den Herrn Jesum etc.„
Das heißt ja den lieben Heiland zu einem Sündendiener und Sündendeckel gemacht, ja, das heißt ihn für so unheilig ausgegeben, als hülfe er durch sein Leiden und Thun noch mehr dazu, desto freier sündigen zu können.
O! vor solchem Irrthum lasset euch doch ernstlich verwarnen, und durch den Herrn und seinen Gnadengeist wohl bewahren, so könnet ihr auch noch im Himmelreich angetroffen werden und allda nicht verloren und vermißt bleiben!
Amen!
Quelle: Leben und Schriften des Gottlieb Friedrich Machtholf, Pfarrers von Möttlingen, S. 97-102. Von Karl Friedrich Ledderhose. In zwei Abtheilungen. Heidelberg 1862. Universitätsbuchhandlung von Karl Winter. [Digitalisat]
*) Vers aus der 1. Strophe des Liedes „Das, was christlich ist, zu üben„ von Johann Reinhard Hedinger