Jesaja 58, 5

Sollte das ein Fasten sein, das ich erwählen soll, daß ein Mensch seinem Leibe des Tages übel tue oder seinen Kopf hänge wie ein Schilf oder auf einem Sack und in der Asche liege? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, dem HERRN angenehm? (Jesaja 58, 5)

Meinen wir denn, Gott einen Gefallen zu tun mit unsern frommen Mienen? Halten wir „Sack und Asche“ als ein wichtigeres Zeichen der Buße als unsern täglichen Gehorsam? Solche Fragen leuchten scharf in all unsere selbstgewählte Frömmigkeit hinein. Nicht durch Selbstquälerei tust du deinem Gott einen Gefallen. Der Gottesdienst, der auf Gottes Zustimmung und Lob rechnen kann, ist der selbstverleugnende Dienst an andern: Tritt ein für die Unterdrückten und Entrechteten!

Wir wissen aus dem Propheten Jeremía (34, 8ff.), wie die Leibeigenen und Sklaven — meist Schuldsklaven — in Jerusalem ungerecht behandelt wurden. Das mag sich nach der Rückkehr aus Babel wiederholt haben. Das Gesetz gab Israel klare soziale Richtlinien. Aber Herrschsucht und Gewinnsucht richteten sich nicht danach. Nun ging es, wie es in den Sprüchen Salomos heißt: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben“ (Spr. 14, 34, vgl. auch Spr. 31, 8). Soziale Ungerechtigkeit in einem Volk ist stets der Anlaß zu ernsten Gerichten Gottes (Jak. 5, 4).

Es geht aber oft nicht um äußere Abhängigkeit und Versklavung. In wieviel Häusern und Familien, Ehen und Freundschaften wird dem andern rücksichtslos seine Würde und seine geistige Freiheit geraubt! Wieviel Gebete werden verhindert durch tyrannisches Wesen oder auch nur durch Mangel an Zartheit und Takt!

„Entziehe dich nicht deinem Nächsten!“ Es genügt nicht, daß du sagst: Ich bedränge ja niemand und lege niemandem Fesseln an!  Unser Schuldzettel wird durch Versäumtes wesentlich länger als durch Vollbrachtes. Jeder Notleidende neben dir ist eine Anklage Gottes an dich.

(Jakob Kroeker)


Eingestellt am 2. September 2024