So bin ich nun kein Kind der Erden (Lehr, Christliches Hausbüchlein #67)

Leben und Wandel im Geist. Heiligung.

Weise: „Die Tugend wird durchs Kreuz geübet“

1. So bin ich nun kein Kind der Erden,
Kein Bürger dieser Eitelkeit!
Mein Hiersein soll nicht ewig werden,
Ich walle eilend durch die Zeit.
Mein Vaterland ist in der Höhe,
Wo mein geliebter Abba wohnt,
Und wo ich meinen Bruder sehe,
Der als Monarche herrscht und thront.

2. Wenn nur die wenig Trauerstunden
Nach meines holden Königs Mund
In siegender Geduld verschwunden,
So schlägt auch mir die frohe Stund,
Daß sich aus dieser Wildnis Grenzen
Mein freigelaßner Fuß bewegt
Und da, wo Lust und Wonne glänzen
Den müden Geist zur Ruhe trägt.

3. Ich bin darzu geschaffen worden,
Ich bin dazu mit Blut erkauft;
Ich bin zum Himmelsbürger worden,
Zur Braut des Königes getauft.
Der Geist, der mir zum Pfand gereichet,
Macht meinen Geist gewiß und fest,
Daß auch bei allem, was mich beuget,
Mein Glaube mich nicht zweifeln läßt.

4. Nur eines liegt mir an der Seele
Und macht mein Herze sorgenvoll:
Ob mir der rechte Schmuck nicht fehle,
Wenn ich zur Hochzeit kommen soll.
Ich weiß: in meines Königs Augen
Kann nur ein ganz befreiter Geist,
Ein ausgeleertes Herze taugen,
Das alles Fremde Schaden heißt.

5. Ein Glaube, der nur ihn erwählet,
Der still in seinen Wunden ruht
Und uns in heißer Lieb beseelet,
Die seinen Willen kindlich tut;
Der ihn bis an das Kreuz begleitet
Und gerne seine Dornen trägt,
Der munter um die Krone streitet
So oft die Welt sich in ihm regt.

6. Dies ist die Zierde seiner Tauben,
So siehet seine Fromme aus,
Und diesen Schmuck kann ihr nichts rauben,
Er wächst vielmehr bei Kampf und Strauß.
Stellt sie sich dann in dem Geschmeide
Dem König, obgleich tränend, für,
So ist sie dennoch seine Freude,
Er reicht den Gnadenzepter ihr.

7. Nun, Bräutigam, du wirst es wissen,
Wie viel mir noch hieran gebricht;
Mein Aug‘ ist voller Finsternissen,
Ich Armer kenn mich selbsten nicht.
Zum wenigsten ist ein Verlangen
In mir durch deinen Geist erweckt,
Mein Lamm, dir einzig anzuhangen
Bis mir der Tod die Glieder streckt.

8. Was ich nicht hab, das kannst du geben,
Was ich nicht bin, das bist du mir;
Nimm hin mein Herz, es zu beleben,
Ich überlaß es gänzlich dir.
Erfülle mich mit Glaub und Liebe
Und bild‘ mich ganz nach nach deinem Bild!
Entzünde mich mit süßem Triebe,
Zu leiden, wo du’s haben will’t.

9. Zermalm, zerbrich, o Herr, verbrenne,
Was dir nicht völlig wohlgefällt;
Zerstoß, zerschlage und zertrenne,
Was sich nicht gänzlich zu dir hält.
Herr, greif die angebor’nen Seuchen
Recht bei der tiefsten Wurzel an,
Laß keinen Bann im Finstern schleichen,
Der mich und dich einst trennen kann!

10. Hier reich ich schwörend beide Hände:
Ich sage dir auf’s neue zu;
Ich liebe dich ohn alles Ende,
Du meiner Seelen wahre Ruh.
Ich liebe dich nicht nur in Freuden
Und wenn du mich mit Zucker speis’st:
Ich liebe dich in Schmach und Leiden,
Und wenn du mich auch sterben heißt.

11. So komm ich dir geschmückt entgegen;
Du nahst in Liebe dich zu mir,
Mir Kron und Purpur anzulegen;
Du öffnest mir die Himmelstür.
Wann werd ich dich, mein Lamm, umfangen,
Und wann, ach wann umarmst du mich?
Laß mich nur bald dahin gelangen,
Dann lob und lieb ich ewig dich.

Liedtext: Leopold Franz Friedrich Lehr (1709-1744)

Quellenangaben:

Lied Nr. 67, in: Christliches Hausbüchlein. Von Pfarrer Gottlob Baumann in Kemnat. Eine Sammlung meist alter, bewährter Gebete und Lieder, besonders über die Heilsordnung, 15. Auflage, Seite 112f. Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Färberstraße 2,  Stuttgart 1910. (11 Strophen)

Lied Nr. 70, in: Der Cöthnischen Lieder Erster und Anderer Theil: zum Lobe des Dreyeinigen GOTTES und zu gewünschter reicher Erbauung vieler Menschen mit Innhalts=Spruch=und Anfangs=Registern herausgegeben. Reuttlingen, mit Fleischhauerischen Schriften. 1768. [Digitalisat]

Brautschmuck einer glaubigen Seele. Psalm 45, 14.
Erstmals im 1. Teil der Cöthnischen Lieder, 1736.

Des Königs Tochter ist ganz herrlich inwendig; sie ist mit güldenen Stücken gekleidet. (Psalm 45, 14)

Weblinks und Verweise

Liedeintrag bei Hymnary.org

Lied Nr.302, in: Diakonissen-Liederbuch. Zweite, vermehrte und mit Melodieen versehene Auflage. Kaiserswerth a. Rh., Verlag der Diakonissen-Anstalt, 1866.
[S. 267f.; Digitalisat]

Lied Nr. 376, in: Evangelisches Gesangbuch. Nach Zustimmung der Provinzialsynode vom Jahre 1884 zur Einführung in der Provinz Brandenburg mit Genehmigung des Evangelischen Oberkirchenrats. Königliches Konsistorium, Berlin 1911 (Seite 256f., externe Links zu Hymnary.org)


Eingestellt am 22. Dezember 2024