Nach einer Prüfung kurzer Tage (Gellert, Württ. Gesangbuch 1864 #642)

Trost des ewigen Lebens

Mel.: Wer weiß, wie nahe mir mein Ende

1) Nach einer Prüfung kurzer Tage
Erwartet uns die Ewigkeit.
Dort, dort verwandelt sich die Klage
In göttliche Zufriedenheit.
Hier übt die Tugend ihren Fleiß,
Und jene Welt reicht ihr den Preis.

2) Wahr ist’s, der Fromme schmeckt auf Erden
Schon manchen sel’gen Augenblick;
Doch alle Freuden, die ihm werden,
Sind ihm ein unvollkomm’nes Glück:
Er bleibt ein Mensch, und seine Ruh‘
Nimmt in der Seele ab und zu.

3) Bald stören ihn des Körpers Schmerzen,
Bald das Geräusche dieser Welt;
Bald kämpft in seinem eig’nen Herzen
Ein Feind der öfter siegt als fällt;
Bald sinkt er durch des Nächsten Schuld
In Kummer und in Ungeduld.

4) Hier, wo die Tugend öfters leidet,
Das Laster öfters glücklich ist,
Wo man den Glücklichen beneidet,
Und des Bekümmerten vergißt:
Hier kann der Mensch nie frei von Pein,
Nie frei von eig’ner Schwachheit sein.

5) Hier such ich’s nur, dort werd ich’s finden;
Dort werd‘ ich, heilig und verklärt,
Der Tugend ganzen Wert empfinden,
Den unaussprechlich großen Wert;
Den Gott der Liebe werd‘ ich sehn,
Ihn lieben, ewig ihn erhöhn.

6) Da wird der Vorsicht heil’ger Wille
Mein Will‘ und meine Wohlfahrt sein,
Und lieblich Wesen, Heil die Fülle
Am Throne Gottes mich erfreun.
Dann läßt Gewinn stets auf Gewinn
Mich fühlen, daß ich ewig bin.

7) Da werd‘ ich das im Licht erkennen,
Was ich auf Erden dunkel sah;
Das wunderbar und heilig nennen,
Was unerforschlich hier geschah;
Da denkt mein Geist mit Preis und Dank
Die Schickung im Zusammenhang.

8) Da werd‘ ich zu dem Throne dringen,
Wo Gott, mein Heil, sich offenbart;
Ein Heilig, Heilig, Heilig singen Jesaja 6, 2.3
Dem Lamme, das erwürget ward;
Und Cherubim und Seraphim
Und alle Himmel jauchzen ihm. Jesaja 37, 16

9) Da werd ich in der Engel Scharen
Mich ihnen gleich und heilig sehn,
Das nie gestörte Glück erfahren,
Mit Frommen stets fromm umzugehn.
Da wird durch jeden Augenblick
Ihr Heil mein Heil, mein Glück ihr Glück.

10) Da werd ich dem den Dank bezahlen,
Der Gottes Weg mich gehen hieß,
Und ihn zu millionenmalen
Noch segnen, daß er mir ihn wies;
Da find‘ ich in des Höchsten Hand
Den Freund, den ich auf Erden fand.

11) Da ruft, o möchte Gott es geben!
Vielleicht auch mir ein Sel’ger zu:
Heil sei dir! denn du hast mein Leben,
Die Seele mir gerettet; du!
O Gott, wie muß dies Glück erfreun,
der Retter einer Seele sein!

12) Was seid ihr, Leiden dieser Erden,
Doch gegen jene Herrlichkeit,
Die offenbart an uns soll werden,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit?
Wie nichts, wie gar nichts gegen sie, Römer 8, 18
Ist doch ein Augenblick voll Müh!

Liedtext: Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)
Melodie: Johann Gottfried Schicht (1753-1823)
Andere Melodien: Peter Huxthal Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“;
Wer nur den lieben Gott läßt walten

Quelle:

Lied Nr. 642: Gesangbuch für die Evangelische Kirche in Württemberg, Stuttgart 1842, S. 412f. Verlags=Comptoir der ersten Auflage des neuen evangelischen Gesangbuchs, Stuttgart. [Digitalisat]

Christian Fürchtegott Gellert war ein zu seiner Zeit sehr beachteter Dichter und Moralphilosoph. Nach seiner Ausbildung an der Fürstenschule St. Afra in Meißen die er 1729 begonnen hatte, trat er im Jahre 1734 als Theologiestudent in die Universität Leipzig ein. Nach Abschluß seines Studiums diente er eine Zeit lang als Assistent seines Vaters, des Pfarrers von Hainichen, dessen fünfter Sohn er war. Aufgrund seines schlechten Gedächtnisses erachtete er sich jedoch als ungeeignet für das Pfarramt.

Im Jahr 1739 wurde er Hauslehrer der Söhne des Herrn von Lüttichau in der Nähe von Dresden und kehrte 1741 nach Leipzig zurück, um die Ausbildung eines Neffen an der Universität zu beaufsichtigen. Er nahm auch sein eigenes Studium wieder auf und schloß es 1744 mit dem Magister ab.

1745 wurde er Hauslehrer bzw. Dozent an der Philosophischen Fakultät. Im Jahr 1751 wurde er zum außerordentlichen Professor für Philosophie ernannt und hielt Vorlesungen über Poesie und Rhetorik, später auch über Moralphilosophie. Eine reguläre Professur lehnte er 1761 ab, da er sich einer solchen Stellung nicht genügend gewachsen fühlte.

Gellert starb am 13. Dezember 1869 und wurde auf dem Südfriedhof zu Leipzig beerdigt.

Quellen: Christian Fürchtegott Gellert bei The Cyber Hymnal (englischsprachig); Wikipedia (DE)

Schriftstellen

Seraphim standen über ihm; ein jeglicher hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll! (Jesaja 6, 2.3)

HERR Zebaoth, du Gott Israels, der du allein über dem Cherubim sitzest, du bist allein Gott über alle Königreiche auf Erden, du hast Himmel und Erde gemacht. (Jesaja 37, 16)

Denn ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden. (Römer 8, 18)

Weblinks und Verweise

Liedeintrag bei Hymnary.org (12 Strophen)

Liedeintrag bei Christliche Gedichte und Lieder (5 Strophen)

Liedeintrag bei Christliche Liederdatenbank (5 Strophen)

Liedeintrag bei Christ My Song (12 Strophen, m. Notensatz 4st., pdf, Joh. Th. Rüegg)

Liedeintrag bei Wikisource

Liedeintrag bei Liederindex (mit Notensatz, 4st. pdf/Joh. Gottfried Schicht, Audiofile mp3; externe Links zu liederindex.de)

Motetto: Nach einer Prüfung kurzer Tage / von Gellert; in Musik gesetzt von J. G. Schicht. Leipzig: Breitkopf und Härtel, [1818?] – Library of Congress Eintrag

Geistliche Oden und Lieder von C. F. Gellert, S. 158–160. Leipzig, in der Weidmannischen Handlung, 1757.

Eingestellt am 5. Juli 2022