Offenbarung 3, 1-6: Die sieben Sendschreiben – Das Sendschreiben an Sardes

Fünfte Bibelstunde, Erster Teil

5. Das Sendschreiben an Sardes

Offb. 3, 1 Und dem Engel der Gemeinde zu Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich weiß deine Werke; denn du hast den Namen, daß du lebest, und bist tot.
2 Werde wach und stärke das andere, das sterben will; denn ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor Gott.
3 So gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, und halte es und tue Buße. So du nicht wirst wachen, werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht wissen, welche Stunde ich über dich kommen werde.
4 Aber du hast etliche Namen zu Sardes, die nicht ihre Kleider besudelt haben; und sie werden mit mir wandeln in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert.
5 Wer überwindet soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Jesus Christus hat die sieben Geister Gottes, also die Fülle des Geistes für seine ganze Gemeinde an allen Orten und zu allen Zeiten, daß er zuteilt wie er will, und wie wir uns füllen lassen mit seiner Gabe. Insbesondere sollen darauf die hören, welche in der Nacht der Erde als Sterne andern zu leuchten den Beruf haben, und wer von uns hätte nicht die Aufgabe an seinem Ort, in seiner vielleicht weltverborgenen Ecke als Sternlein Lichtschein um sich zu verbreiten (Matth. 5, 16*) ? Darum heißt es auch: „Wer ein Ohr hat“ für das innere Zeugnis von oben, der höre und prüfe sich nach den Worten Christi, die an den Bischof der Gemeinde zu Sardes und doch zugleich an alle Gemeinden und alle Glieder der Kirche Christi sich wenden.

Matth. 5, 16: Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Namenschristentum oder Lebenschristentum: das ist die Frage.. Sardes ist eine fast nur noch dem Namen nach Christo zugehörige Gemeinde gewesen. Etliche wenige kennt der Herr und Richter dort, deren Namen er noch belassen kann im Buche des Lebens; die anderen haben ihre Kleider besudelt, einen des Christennamens unwürdigen Wandel geführt; sie haben sich gehen lassen in ihrer natürlichen Art und haben sich treiben lassen von dem Geist, der in der Welt um sie herrschte, und was sie empfangen und gehört hatten an Gnade und Wahrheit vom Himel, das haben sie verschleudert und vergessen.

Nicht, daß sie darum ins Heidentum zurückgefallen wären, nein, sie galten vor den Menschen als Christen; sie hielten christlichen Brauch und christliche Sitte und hielten auch die christliche Lehre fest, nur nicht so, wie sie dieselbe empfangen hatten; sie waren rechtgläubig, aber es war ein toter Glaube, und weil wir durch den Glauben allein die Gotteskraft zu göttlichem Wandel empfangen, waren auch ihre Werke tot, ihr ganzes Christentum war erstorben. Es fehlte dem Vorsteher und der großen Mehrzahl der Gemeinde das Leben aus Gott.

Es gibt ein Wort: „Erträglicher noch ein Leben ohne Christentum, als ein Christentum ohne Leben.“ Dieses Wort hat recht in dem Sinn, daß es weit schrecklicher ist, wenn geistliches Leben da gewesen und dann abgestorben ist, als wenn nie geistliches Leben in einer Seele oder in einer Gemeinde geweckt war. Das 2. Kapitel des Jakobusbriefs wendet sich an die Christenheit und an jeden von uns mit der erschütternden Warnung: der Glaube kann sterben! Und wenn er stirbt, dann gleicht er einem entseelten Leichnam und das ganze vorher lebendige Christentum geht der Zersetzung und Verwesung entgegen. Wie stirbt er denn?

Jakobus 1, 18 lesen wir, daß der Glaube eine Schöpfung Gottes in uns sei, und 2, 1 hören wir, daß der Glaube uns unter Christus als unsern verherrlichten Herrn stelle; aber er wird im Leben des Christen fort und fort angefochten durch Versuchungen aller Art, die aus unserer Natur und aus der Welt um uns her (1, 3. 14. 27) kommen. Regt er sich nicht, wehrt er sich nicht, läßt der Christ sich gehen und setzt die gute von oben herab ihm geschenkte Gabe nicht ins Leben um, so geht dem Glaubensleben der göttliche Odem aus, d.h. der heilige Geist weicht von uns, und es geht mit unserem inneren Menschen wie mit einem Leib, dessen Atem allmählich still steht, und dann bleibt der geistliche Leichnam,  ein Christentum, vor dem es auch Heiden ekelt.

Aber auch für diesen geistlichen Tod gilt Jesu Wort: Ich bin die Auferstehung und das Leben! „Tu Buße!“, ruft der Herr seinem Knechte zu. Wie kann ein Erstorbener Buße tun? Der Geist, der Leben weckt, redet aus Christi Wort, und nun handelt sich’s um die Entscheidung, ob man wach werden will! Wer überwindet die Todeskrankheit, wer besiegt seine Schlafsucht? Wer sie besiegt, der bleibt, obgleich er schon geistlich tot war, eingeschrieben im Buch des Lebens, in der Liste der Bürger des ewigen Reiches des Lebens, und Modergeruch und Unreinigkeit werden von ihm weichen müssen: Christus kleidet ihn ins Kleid der Reinheit und des lichten Lebens. – Wer  aber den Ruf zur Buße nicht hört und ihm nicht folgt, über den wird unvermutet, plötzlich und schrecklich das Gericht vom Herrn kommen, das ihm alles nimmt, ohne daß er sich’s versieht und ohne daß er es merkt, ehe es zu spät ist; wie ein Dieb dem Schlafenden Hab und Gut raubt, so wird Christus ihm vollends alles nehmen und ihn selbst wegnehmen, wie man einen Toten auszieht und unter die Erde legt.

Da hilft dann nicht, daß dies oder jenes im äußeren Verhalten und Wirken doch in Ordnung schien. Der Richter sieht ins Verborgene und sieht, daß das Wirken und Leben innerlich hohl war, weil nicht erfüllt mit geistlicher Lebenskraft und darum in Gottes Augen „nicht völlig erfunden“. An uns allen ist noch manches Tote; vielleicht solches, das erst seit wir Christen sind, wieder siech und krank geworden und abgestorben ist, nachdem es lieblich gekeimt, gesproßt und geblüht hatte. Und während die erste Lebenskraft zurückgeht oder gar versiegt, bleibt, oftmals genährt durch die Umgebung, die uns für rechte Christen hält, nur der Schein und der Traum, als ob wir in geistlichem Leben stünden. Dieser großen Gefahr unterliegt mancher, der einen guten Anfang gemacht hatte; aus dieser Gewissensangst heraus ist Zinzendorfs Gebet geboren:

König, dem wir alle dienen,
– ob im Geiste, das weißt du –
rette uns durch dein Versühnen
aus der  u n g e w i s s e n  R u h !

Mache den Gedanken bange,
ob das Herz es redlich mein‘,
ob die Seele an dir hange,
ob wir  s c h e i n e n  oder  s e i ’n !

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Quelle:

Christian Römer, weil. Prälat und Stiftsprediger zu Stuttgart: Die Offenbarung des Johannes, in Bibelstunden erläutert, S. 41-44 (Verlag von D. Gundert, Stuttgart 1916)