Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: es ist euch gut, daß ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.
(Johannes 16, 5-7)
Geliebte im Herrn Christo, es hat der Herr Christus dieses Gespräch mit seinen Jüngern gehalten vor seinem Leiden und Sterben, eben am Abende, da er das heilige Abendmahl eingesetzt, uns Allen zur Lehre und zum Trost, dieweil große Dinge und Geheimnisse, ja unser Leben und Sterben und unser Seelenheil und Seligkeit daran gelegen. Derwegen die christliche Kirche heut singet aus dem 98. Psalm:
Cantate Domino canticum novum, quia mirabilis fecit Dominus.
Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder,
Er segnet mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm.
Es redet aber der Herr Christus in diesem Evangelio fürnehmlich [vornehmlich, vorzugsweise] von zweien Dingen:
Erstlich von seinem Gang zum Vater.
Zum Andern von dem Amt und Sendung des heiligen Geistes, welches Amt der heilige Geist in der Kirche Christi und bei uns in allen Gläubigen führet und führen soll bis zum Ende der Welt, ob es gleich der Welt unbekannt ist, wie auch die Jünger des Herrn Christi es nicht begreifen, sondern haben ihre Gedanken auf das Zeitliche und Irdische. Denn da sie hören, daß der Herr Christus will zum Vater gehen, verstehen sie, er werde und wolle sie gar verlassen und nicht mehr bei ihnen bleiben, da sie doch dafür gehalten, es werde der Herr Christus alle Zeit bei ihnen sein und bleiben in dieser Welt sichtiglich, räumlich und begreiflich und sie zu großen Potentaten und Herren machen und alle Völker unter ihre Gewalt bringen, und können also den rechten Gang zum Vater nicht verstehen.
Der Herr Christus aber ist so geduldig und sanftmütig, daß er sie ihres Unverstandes halber nicht von sich jaget, sondern redet mit ihnen freundlich und zeigt ihnen an, daß die Zeit seines Leidens da sei, daß er soll sterben und ein Opfer werden für die Sünde der ganzen Welt, und gibt ihnen das Valet und gesegnet sie sehnlich und herzlich aus rechter, wahrer Liebe.
Über solche inbrünstige Valetworte erschrecken gleichwohl die Jünger, er aber tröstet sie und spricht: Es ist euch gut, da ich hingehe; denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. Ich will ihn euch aber senden, den heiligen Geist, der den Glauben in euch mutig und lebendig machen soll, und nicht allein in euch, sondern in allen meinen gläubigen Christen, bis ans Ende der Welt.
Darum ist dies Evangelium ein herrliches Evangelium, voller Lehre und Trostes, dabei wir eurer Liebe wollen fürhalten diese nachfolgenden Stücke:
Erstlich sagen vom Gang des Herrn vom Vater, was er dadurch verstehe und meine, daß er sagt. Es ist euch gut, dass ich hingehe.
Zum Andern, was er uns mit dem Gange hat ausgerichtet, nämlich die Sendung des heiligen Geistes, der nun, Gott Lob! Bei, in und unter uns ist und in unseren Herzen und Gewissen wohnet, dass wir uns rühmen können, die wir getauft sind und glauben an Christum, dass wir sind Tempel und Wohnung Gottes, des heiligen Geistes, und dürfen treten vor den Gnadenthron und vor das Angesicht der göttlichen Majestät, derwegen wir auch alle Zeit sollen desto fröhlicher sein, dass der heilige Geist also bei uns und in uns ist und wohnet.
Er ist ein Tröster und strafet doch auch. Er strafet aber die Welt, dieweil er will selig machen und schilt sie um die Sünde, um die Gerechtigkeit und um das Gericht, zeigt ihnen an ihren Schlamm und Unglauben, dass sie den Herrn Christum nicht erkennen, auch nicht die Arznei erkennen wollen, die darin steht, dass der Sohn Gottes vom Vater und nun wieder zum Vater geht, das ist, wird wahrer Mensch, ja, wie der 22. Psalm sagt, ein Wurm für unsere Sünde, nimmt unser Fleisch und Blut an sich, stirbt für uns, uns zu Gute, zum ewigen Leben und ewiger Seligkeit und geht zum Vater, das ist, wird ein Herr über Alles und zeucht uns zu sich in ewige Freude und Herrlichkeit.
Auch straft der heilige Geist die Welt um’s Gericht, dass die Welt den Sohn Gottes und Mariä nicht annimmt, sondern dem leidigen Teufel hofiret und liebkoset, der doch verdammt ist.
Was nun anlangt den Gang des Herrn Christi, hält uns dies Evangelium für zween Gänge, die er gethan hat: einen Gang vom Vater in die Welt, den andern Gang von der Welt zum Vater, wie er selbst solche zween Gänge meldet Johannis am Achten.
Quelle: Selneccer, Nikolaus – Eine christliche Predigt vom Gange Christi aus dieser Welt zum Vater, am vierten Sonntage nach Ostern, Anno 1578 zu Dresden in der Schlosskirche gethan. Text: Evangelium Johannis 14 (V. 5-15).
Aus: Glaubensstimme – Die Archive der Väter
Ursprünglich erschienen in: Die bedeutendsten nachreformatorischen Kanzelredner der lutherschen Kirche des XVI. Jahrhunderts in Biographieen und einer Auswahl ihrer Predigten. Dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig. Leipzig, Verlag von Gustav Mayer, 1858. [S. 221, Digitalisat]
◄ Johannes 15 ▲ Johannes-Evangelium ► Johannes 17