Ein Zeitgenosse des Calvisius war Bartholomäus Gese, oder – wie er sich später nennt – Gesius. Er wurde im Jahre 1562 als Sohn eines Ackerbürgers und Ratsherrn zu Müncheberg in der Mittelmark geboren. Gesius studierte zwischen 1578 und 1585 an der Viadrina in Frankfurt (Oder). 1582 war er vorübergehend Kantor in Müncheberg und 1587 Lehrer und Musiker auf Schloss Muskau in der Oberlausitz. Um 1588 finden wir ihn zu Wittenberg, von wo aus er am Tage des Apostels Matthias eine von ihm zwei- bis fünfstimmig gesetzte Choralpassion nach dem Evangelisten Johannes in deutscher Sprache Bürgermeistern und Rat der Kaiserlichen Stadt Görlitz zueignet; eine Widmung, durch die wir erfahren, daß er von Jugend auf in der Tonkunst geübt worden, daß er eine Zeitlang dem Hans Georg von Schönaich gedient, und dessen Schutzes sich erfreut, auch teils unter dessen Namen, teils sonst viele schöne, herrliche Texte gesetzt habe.
Im Frühjahr 1593 wurde Gesius in Frankfurt (Oder) Kantor an der Marienkirche und zugeich Lehrer an der Ratsschule, dem heutigen Karl-Liebknecht-Gymnasium. Gegen das Ende des Jahrhunderts, um 1598, erscheint er als Kantor zu Frankfurt an der Oder, von wo aus noch im Jahre 1624 fünf-, sechs-, acht-, und mehrstimmige Hochzeitsgesänge von ihm in den Druck gegeben worden sind. Nach der Passion, dem frühesten der von ihm gedruckten Werke, gab er um 1594 geistliche Lieder zu vier Stimmen, 1595 fünfstimmige lateinische Hymnen für die hauptsächlichsten Feste des Jahres, 1598 andere fünfstimmige Tonsätze heraus; er gehört deshalb, und auch sonst seinem ganzen Streben zufolge, dem 16ten Jahrhundert an, mögen seine Hauptwerke auch erst in den frühesten Jahren des 17ten erschienen sein. Das erste derselben gab um 1601 Johann Hartmann, Buchführer zu Frankfurt an der Oder heraus, unter dem Titel:
Geistliche deutsche Lieder D. Martini Lutheri und anderer frommen Christen, welche durchs ganze Jahr in der Christlichen Kirchen zu singen gebräuchlich, mit vier und fünf Stimmen nach gewöhnlichen Choral= Melodieen, richtig und lieblich gesetzet durch Bartholomaeum Gesium Francofurtensium ad Oderam cantorem.
Der Verfasser widmete dieses Werk „Allen Kirchen und Schulen, auch allen christlichen Hausvätern und der Musikkunst Liebhabern in der ganzen Marckt (so schreibt er) als seinem lieben Vaterlande“, und bemerkt in der Vorrede, er »habe die Psalmen und Lieder, die man darin finde, vor etlichen Jahren in vier und fünf Stimmen gesetzt und vornehmlich dahin gesehen, daß die gebräuchliche und gewöhnliche Choralmelodie im Discant behalten und unverändert geblieben, damit die christliche Gemeine mitsingen könne, wie auch dieselben bisher in der Kirche und Gemeine zu Frankfurth an der Oder zu Gottes Lob und Ehren gebraucht worden seyen«.
Auf gutherziger Leute Anhalten und Begehren habe er sie nun in den Druck gegeben. Die Cantoren in den Schulen und Kirchen möchten aber erinnert sein und dieses merken, »daß solche Lieder bei der Christlichen Gemeine im sonderlichen angenehm, auch lieblich und nützlich anzuhören seien, wenn sie alternatim in choro und organo gebraucht werden, also, daß ein Knabe mit lieblicher, reiner Stimme einen Vers im organo mitsinge, darauf den andern Vers der chorus musicus und also jedermann neben dem concentu auch die verständliche Wort in gebräuchlicher und gewöhnlicher Melodie hören und mitsingen kann, welches denn ohne großen und merklichen Nutzen nicht abgehet.«
Der Tonsätze sind im Ganzen 97, der Lieder einige mehr, weil hin und wieder auf bekannte Melodieen, wie sie hier mehrstimmig erscheinen, verwiesen wird. Es scheint, daß diese Sammlung mit Beifall aufgenommen wurde, denn nur wenige Jahre spåter, um 1605, erschien eben da gleichfalls im Verlage Johann Hartmanns und bei seinem Sohne Friedrich gedruckt, eine Fortsetzung derselben unter dem Titel Ein ander neu Opus Geistlicher deutscher Lieder D. Martini Lutheri, Nicolai Hermanni und anderer frommer Christen, abgetheilt in zwei Teile; im ersten Teil die auf alle Hohen Feste und alle Sonntage, Apostel= und Feiertage durchs ganze Jahr, im anderen Teil die von den fürnehmsten Hauptartikeln christlicher Lehre in Kirchen bei der Gemeine Gottes und sonsten christlichen Hausvätern in Häusern zu singen ganz bequem und in allerlei Noth und Creutze sehr tröstlichen und nützlichen.
1613 schuf er seine sechsstimmig lateinische Matthäuspassion. Im gleichen Jahr starb er an der Pest.
Von Gesius stammt die Weise zu dem Osterlied des Kaspar Stolzhagen (1550–1594) Heut triumphieret Gottes Sohn (EG 109). Sie findet sich in seinen Geistlichen deutschen Liedern, 1601. In seinem Enchiridium von 1603 erschien erstmals die Weise unbekannten Ursprungs zu dem Lied Lobet Gott, unsern Herren (Psalm 150), die mit dem Lied Paul Gerhardts Befiehl du deine Wege weite Verbreitung gefunden hat, besonders durch Georg Philipp Telemanns Bearbeitung im Jahre 1730.
Werke
- Geistliche Deutsche Lieder. D. Mart. Lutheri: Und anderer frommen Christen: Welche durchs gantze Jahr in der Christlichen Kirchen zusingen gebreuchlich/ mit vier und fünff Stimmen … Hartman, Frankfurt an der Oder 1601.
- Enchiridium etlicher deutscher und lateinischer Gesänge. Hartman, Frankfurt an der Oder 1603.
- Hymni Patrum Cum Canticis Sacris, Latinis Et Germanicis, De Praecipuis Festis Anniversariis: Quibus Additi Suntet Hymni Scholastici Ad Duodecim Modos Musicos in utroq[ue] cantu, Regulari scilicet ac Transposito, singulis horis per totam septimanam decantandi, cum cantionibus Gregorianis … Hartman, Frankfurt an der Oder 1609.
Literatur
- Friedrich Wilhelm Bautz: GESIUS (eigentlich: Göß). In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 234–235.
- Paul Blumenthal: Der Kantor Bartholomäus Gesius zu Frankfurt-Oder. Vogel & Neuber, Frankfurt/Oder 1926 (Frankfurt und die Ostmark; Band 1)
- Siegfried Gissel: Untersuchungen zur mehrstimmigen protestantischen Hymnenkomposition in Deutschland um 1600. Bärenreiter, Kassel / Basel / London (zugleich: Marburg, Univ., Diss.) 1980 ISBN 3-7618-0722-8
- Heinrich Grimm: Gesius, Bartholomäus. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, ISBN 3-428-00187-7, S. 341 f. (Digitalisat).
- Wolfgang Herbst: Wer ist wer im Gesangbuch? Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-50323-7, S. 113 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
- Friedrich Wilhelm Schönherr: Bartholomaeus Gesius (Munchbergensis ca. 1560–1613): Ein Beitrag zur Musikgeschichte der Stadt Frankfurt a/O. im 16. Jahrhundert. Leipzig, Phil. Diss., 1920
- Rudolf Schwarze: Gesius, Bartholomäus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 9, Duncker & Humblot, Leipzig 1879, S. 93–90.
Quellen:
Seite „Bartholomäus Gesius“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. April 2022, 18:43 UTC.
Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonsatzes, dargestellt von Carl von Winterfeld. Erster Theil: Der evangelische Kirchengesang im ersten Jahrhunderte der Kirchenverbesserung.
Leipzig 1843. Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel. [Digitalisat]