Römer 1, 28

Und gleichwie sie nicht geachtet haben, daß sie Gott erkenneten, hat sie Gott auch dahingegeben in verkehrten Sinn, zu tun, was nicht taugt;
(Römer 1, 28 LUT 1912)

Und wie sie Gottes Erkenntnis verachtet hatten, so hat Gott sie dahingegeben in verächtlichen Sinn, das Ungebührliche zu tun; (Textbibel)

Gleichwie die Gerechtigkeit eigentlich bedeutet das Vertrauen in Gott, also bedeutet auch die Ungerechtigkeit eigentlich die Gottlosigkeit, und die Verachtung Gottes, und das Vertrauen, das wir in uns selbst setzen, wie der Rabsakes (der zweite Befehlshaber des assyrischen Heeres, Jesaja 36, 1-20) darum, daß er meint, es möchte der Macht der Assyrer auch von Gott nicht widerstanden werden, uns ein Bild der Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit für[vor]malet, sprechend: „Laßt euch nicht bekümmern den Ezechias, der da spricht: ‚der Herr wird uns erlösen.’“

Darum ist die Ungerechtigkeit ein Haupt aller Laster, denn es ist eine Bewegung des Gemüts, damit wir auf uns selbst vertrauen, ja sogar eine Verachtung Gottes, dergleichen eigentlich ist in den hoffärtigen Werkheiligen. Gott hat sie dahin gegeben in einen verkehrten Sinn, zu tun, das ungeschickt ist.

Hier erzählet er etliche Laster, mit denen man wider den Nächsten sündigt. Unter ihnen sind etliche verborgene und böse Bewegungen des Gemüts, welche die natürliche Geschicklichkeit schwerlich begreifen mag. Aufrichtigkeit, oder Rechtschaffenheit, oder Einfältigkeit hat ein Laster, das ihr entgegen ist, das wir Arglistigkeit, die Griechen Ponerian nennen, und es ist das eine Bewegung des Gemüts, in der wir unter dem Namen eines köstlichen guten Werkes, unsern eigenen Nutzen suchen, kurz, alles das, wie ehrlich es scheinet, was nicht aus einem rechtschaffenen und einfältigen Herzen geschieht, ist Arglistigkeit. Uebrigens mag die Arglistigkeit nicht allein unter die Laster, mit denen der Nächste beleidigt wird, sondern auch unter die Früchte der Gottlosigkeit gezählet werden, wie das Werk Sauls auch Arglistigkeit war, da er sich stellte, als wolle er ein gut Opfer tun mit dem Ochsen der Amalekiter.

Philipp Melanchthon: Anmerkungen zum Brief an die Römer – Das erste Kapitel

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Vers 28: Erweiterung des Gedankens, daß die sittliche Herabwürdigung durch unnatürliche Wollust Strafgericht wegen Unterdrückung der rechten Gotteserkenntnis war. Nicht nur in Betreff der unnatürlichen Wollust, sondern in aller Hinsicht wurde ihr sittliches Urteil verblendet; V. 32: In der auffallenden Verblendung der Erkenntnis, welche mit der Sünde Hand in Hand geht, hat auch das Heidenthum eine Nemesis [die „Zuteilung des Gebührenden“, ausgleichende Gerechtigkeit] gefunden.

August Tholuck: Kommentar zum Briefe Pauli an die Römer, S. 100. Neue Ausarbeitung, Bei Eduard Anton, Halle 1842. [Digitalisat]

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Καὶ καθὼς οὐκ ἐδοκίμασαν τὸν Θεὸν ἔχειν ἐν ἐπιγνώσει παρέδωκεν αὐτοὺς ὁ Θεὸς εἰς ἀδόκιμον νοῦν ποιεῖν τὰ μὴ καθήκοντα. (ΠΡΟΣ ΡΩΜΑΙΟΥΣ Nestle GNT 1904)

V. 28: Von der bisherigen ausführlichen und ausschliesslichen Schilderung des Wollustlasters der Heiden geht nun P. [Paulus] zur summarischen Aufzählung ihrer Laster überhaupt über, als an welche sie von Gott zur Strafe ihres Abfalls Preis gegeben worden. – καθὼς [kathos] ist nicht causal zu fassen (weil), sondern quemadmodum (auf welche Weise). Die Preisgebung war der Verschmähung der Erkenntnis Gottes entsprechend als Strafe proportioniert. Vergl. z. Joh. 17, 3, 1. Kor. 1, 5.6. Eben so das classische ώσ (Stallb. ad Symp. p. 213. vergl. z. Matth 6, 12. – ἔχειν ἐν ἐπιγνώσει, echein en epignōsei bezeichnet die Sache bestimmter als das blosse ἐπιγινώσει). Erkannt hatten sie Gott (V. 21.); aber sie wollten diese Erkenntnis nicht haben, sie gaben sie auf.

Auch in den Profanstellen ist ἔχειν ἐν (Locella ad Xen. Eph. p. 255) nie dem blossen Verbo gleich. Ueber den Unterschied von ἐπίγνωσις, epignosis u. γνῶσις, gnōsis (Erkenntnis, Kenntnis) s. Harless z. Eph. 1, 17. p. 95 f. – εἰς ἀδόκιμον νοῦν, eis adokimon noun, in einen verwerflichen Sinn geistigen Habitus überhaupt, s. Harless l. l. p. 400. vergl. Usteri Lehrbegr. p. 411). Paronomasie (Redefigur) zu οὐκ ἐδοκίμασαν, ouk edokimasan. Beza, Piscat., de Dieu Er. Schmid, Locke, Glöckler fassen ἀδόκ. activ: omnis judicii expertem gegen den Sprachgebr. Pauli (1. Kor 9, 27. 2. Kor. 13, 5. 2. Tim. 3, 8. Tit. 1, 16 und der übrigen Gräcität (Homberg Parerg. p 195.) – ποιεῖν τὰ μὴ καθήκοντα, poiein ta kathēkonta (zu tun das nicht Geziemende, das Unsittliche). Gegen Vitringa’s Meinung, P. denke an den Unterschied der Stoiker zwischen κατόρθωμα u. καθῆκον (nicht einmal die gemeinen Pflichten hätten die Heiden erfüllt), streitet die Allgemeinheit der Schilderung. μή bei Particip s. Herm. ad Viger, p. 805. Winer Gramm. p. 447. Hartung Partikell. II. p. 131. – Der Infinit ist epexegetischMatthiae p. 1237. Winer p. 297 f.

Quelle:

Das NEUE TESTAMENT Griechisch nach den besten Hülfsmitteln kritisch revidirt mit einer neuen Deutschen Übersetzung und einem kritischen und exegetischen Kommentar von Heinrich August Wilhelm Meyer, Pastor zu Harste in der Inspection Harste bei Göttingen. Zweiter Theil, den Kommentar enthaltend. Vierte Abtheilung: der Brief an die Römer, S. 49. Göttingen, bei Vandenhoeck und Ruprecht, 1 8 3 6 [Digitalisat].

Verwendete Bibelausgaben: Luther 1912; Textbibel 1899, Nestle GNT 1904

Erstellt am 3. Januar 2021 – Letzte Überarbeitung am 26. September 2022