Hesekiel 4

I.  Gerichtsweissagung über Israel und Jerusalem. Kap. 4 – 24.

Bevorstehende Belagerung der Stadt und Verwüstung des Landes. Kap. 4-7.

Kapitel 4

Die Belagerung der Stadt und das bevorstehende Schicksal Israels mußte der Prophet den in seinem Hause ihn besuchenden Exulanten in zwei Zeichen darstellen (4, 3: das sei ein Zeichen dem Hause Israel); jedes dieser Zeichen bestand in mehreren Handlungen sinnbildlicher Art.

Zuerst wird Ezechiel angewiesen (V. 1-3), auf einem Lehmziegel die Stadt Jerusalem bildlich darzustellen samt den Schuttwällen, die die Feinde zu ihrer Einschließung errichten werden; zwischen sich und die Stadt (auf dem Ziegel) solle er eine Pfanne als eiserne Mauer stellen als eine feste, undurchdringbare Scheidewand, zum Zeichen, daß Gottes Ratschluß unwiderruflich und kein Bitten und Klagen der bedrängten Einwohner zu Gott dringen könne.

Während er als Stellvertreter Gottes die Belagerung Jerusalems sinnbildlich vollzieht, soll er V. 4-8 zugleich das Schicksal des in seiner Hauptstadt selbst bedrängten Volkes abbilden; auf seiner linken Seite 390 Tage liegend, ohne sich zu wenden, soll er die Strafe der Sündenschuld Israels, sodann weitere 40 Tage auf der rechten Seite liegend die Strafe für Juda’s Missetat tragen.

Dabei soll die Zahl der Tage, die er liegend zubringt, für eine ebenso große Zahl von Jahren ihrer Verschuldung gerechnet werden. Dieses Tragen der Schuld Israels (= Büßen ihrer Strafe) ist aber nicht als stellvertretendes oder mittlerisches zu denken wie beim Sühnopfer, oder als weissagendes Vorbild auf Christum, sondern bloß sinnbildlich. Ezechiel soll dadurch dem Volke zeigen, wie es durch die Belagerung Jerusalems gänzlich niedergeworfen werden und am Boden liegend die Strafe seiner Sünden tragen müsse, ohne sich wenden oder erheben zu können.

Schwierig ist die Deutung der 430 Jahre. Sieht man darin die Zahl der Jahre, während deren Israel und Juda sich  v e r s ü n d i g t  und die zu büßende Schuld gehäuft haben, so kommt man auf keinem der vielen Wege, die die Ausleger schon eingeschlagen haben, zu einem befriedigenden Ziel. Von wo an soll man die 390 Jahre der Versündigung Israels (der zehn Stämme) rechnen? Das Reich der zehn Stämme bestand nur 253 Jahre und mit ihrer Wegführung durch die Assyrer begann doch schon die Zeit ihrer Strafe; wo will man die fehlenden 137 Jahre unterbringen? Wo fangen die 40 Jahre Juda’s an, und wo enden sie? Enden sie im Jahr dieser Weissagung, so würde der Anfang dieser 40 Jahre gerade in das 18. Jahr des Josia fallen, in welchem dieser fromme König seine Reformation begann; sollte Ezechiel dieses gesegnete Jahr als den Beginn der 40jährigen Versündigung Juda’s rechnen?

Man kommt bloß dann aus den Verlegenheiten hinaus, wenn man die angegebenen Zeiträume als Strafzeiten für Israel und Juda faßt. Dazu nötigt schon der Wortlaut V. 4f. Hier lesen wir dreimal das Wort „Missetat“; das erste und dritte Mal „Missetat tragen“ = die  S t r a f e  der Missetat tragen (4. Mose 14, 34). In diesem Zusammenhang nun muß das Wort „Missetat“ auch das zweite Mal als Strafe der Missetat verstanden werden also V. 5: „und ich will dir die Jahre der Strafe ihrer Missetat zur Anzahl der Tage machen“. Die beiden Zahlen muß man zusammenrechnen; die Summe beider soll nach V. 8 die Belagerung Jerusalems darstellen, – nicht wirklich chronologisch, sondern sinnbildlich. Die 430 Jahre Strafzeit für das gesamte Volk erinnern an die 430 Jahre des ägyptischen Dienstes. Auf Grund der göttlichen Drohung (5. Mose 28, 68) ist nun von den Propheten diese Zeit des Aufenthalts in Aegypten als Vorbild der Verbannung des abtrünnigen Israel unter die Heiden gefaßt (Hos. 9, 3). Noch häufiger wird die Erlösung aus dem Exil als eine neue wunderbare Ausführung aus Aegypten verkündigt (Jes 11, 15f. etc.). –

Die Teilung der 430 Jahre in zwei Fristen erklärt sich aus der Spaltung des Volkes in zwei Reiche, warum aber für Juda so unverhältnißmäßig weniger als für Israel? – war es doch größerer Strafe würdig (16, 51). Wohl werden für Juda die letzten 40 Jahre der ägyptischen Dienstzeit zum Vorbild seiner Strafzeit aufgestellt, weil sie die schwersten in Aegypten waren. Zu einem dritten Sinnbild der Not des belagerten Jerusalem wird (V. 9-12) dem Propheten befohlen, während der Zeit, da er die Belagerung darstellen muß aus rauhen Früchten über unappetitlicher Glut sich sein Brot zu bereiten und dieses, sowie sein Wasser in einem bestimmten kleinen Quantum zu genießen, das kaum zur halben Sättigung ausreicht. Also V. 13.16f. „müssen die Kinder Israel ihr unrein Brot essen unter den Heiden, dahin ich sie verstoßen werde. Siehe ich will die Stütze des Brots zu Jerusalem zerbrechen, daß sie das Brot essen müssen nach dem Gewicht und mit Kummer und das Wasser nach dem Maß und mit Betrübnis trinken, darum daß es an Brot und Wasser mangeln wird und einer mit dem andern sich entsetzen und in ihrer Missetat verschmachten sollen“.

Die Bedeutung dieses ersten Zeichens Kap. 4 ist also dies: Jerusalem soll bald belagert werden und ohne jede Möglichkeit, seine Lage zu ändern, bei der Belagerung Hunger und Schrecken leiden zur Strafe für die Sünden Israels und Juda’s; hierauf bei der Eroberung der Stadt das Volk unter die Heiden verstoßen werden und dort unreines Brot essen müssen. Hieran schließt sich Kap. 5.

Quelle:

Der Prophet Ezechiel, Kapitel 4. In: Handbuch der Bibelerklärung, Erster Band. Das Alte Testament, S. 889f. Mit zwei Karten. Fünfte, umgearbeitete Auflage. Calw und Stuttgart. Verlag der Vereinsbuchhandlung, 1878. [Digitalisat]


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Eingestellt am 30. Mai 2024