Johann Friedrich Oberlin (1740-1826)

Johann Friedrich Oberlin (oft auch französisch Jean-Frédéric Oberlin) (* 31. August 1740 in Straßburg; † 1. Juni 1826 in Waldersbach) war ein evangelischer Pfarrer, Pädagoge und Sozialreformer aus dem Elsaß; in der Frühpädagogik gilt er als Vordenker von Friedrich Fröbel und als einer der Väter des Kindergartens.

Biographie

Im Anschluß an das pietistisch beeinflußte Theologie-Studium in Straßburg (1755–61) und eine erste Tätigkeit als Hauslehrer bei einem Straßburger Arzt wurde O. 1763 mit „De virium vivarum atque mortuarum mensuris“ zum Magister promoviert; 1767 legte er sein theol0gisches Abschlußexamen ab (De commodis et incommodis studii theologici). Nach einer Begegnung mit dem sozialreformerischen Pfarrer → Johann Georg Stuber (1722–97) verzichtete O. auf eine Anstellung als Feldprediger beim französischen Heer. Er wurde 1767 als Stubers Nachfolger zum Pfarrer der Gemeinde Waldersbach in den Vogesen (Steintal, Ban de la Roche) ernannt. Bis zu seinem Tod verließ O. diese Kirchengemeinde lediglich zu drei kurzen Informationsreisen. 1774 zerschlug sich wegen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges sein Plan, eine große Gemeinde in Nordamerika (Ebenezer, Georgia) zu übernehmen.

Der über breite naturkundliche und medizinische Kenntnisse verfügende Oberlin entfaltete im unterentwickelten Steintal eine vielfältige sozialreformerische Tätigkeit, wobei ihn seit 1779 vor allem seine Haushälterin → Louise Scheppler (1763–1837) unterstützte: O. organisierte ein elementares Schulsystem (auch für Mädchen und Erwachsene) und bemühte sich um die Durchsetzung der franz. Hochsprache, verbesserte die Infrastruktur durch neue Brücken und bessere Straßen, führte in der Landwirtschaft neue Techniken (Kompostierung, Düngung) ein, erschloß zusätzliche Erwerbszweige (Obstanbau), gründete Strickschulen (seit 1770) und engagierte sich für die Einführung der Baumwollspinnerei bzw. -Weberei (1773). 1778 rief O. einen landwirtschaftlichen Verein ins Leben, 1785 richtete er eine Leih- und Kreditanstalt ein. 1813 gelang es O., eine Seidenband-Fabrikation im Steintal anzusiedeln. Die Franz. Revolution begrüßte O. anfangs in eschatologischem Geist; während der antiklerikalen Terreur-Phase wurden ihm vorübergehend alle Amtshandlungen untersagt (9.4.1794 – 21.3.1795), Ende Juli 1794 wurde er für einige Tage in Schlettstadt inhaftiert.

Auf der Basis der sensualistischen Pädagogik Rousseau’scher Prägung bemühte sich Oberlin gleichermaßen um Kindererziehung wie um die Schlichtung von Ehestreitigkeiten und die Heilung seelisch Kranker, namentlich um den Dichter Jakob M. R. Lenz (1751–92). Oberlins Bericht über dessen Aufenthalt bei ihm im Jan./Febr. 1778 diente Georg Büchner als Vorlage für seinen „Lenz“. Trotz seiner pragmatisch-aufklärerischen Ausrichtung beschäftigte sich Oberlin auch intensiv mit spiritistischen Praktiken – vor allem in Anlehnung an Emanuel Swedenborg – und berichtete von Visionen. – Der sich gleichermaßen als Deutscher wie als Franzose verstehende, ökumenisch denkende Oberlin erfuhr bereits zu Lebzeiten internationale Anerkennung, stand in engem Briefkontakt mit J. C. Lavater, J. H. Jung-Stilling sowie J. B. Basedow und war Korrespondent mehrerer religiöser, wissenschaftlicher und wohltätiger Gesellschaften. 1814 erhielt Oberlin einen Schutzbrief von Zar Alexander I.

Auszeichnungen

Kreuz der Ehrenlegion (1819).

Werke

Der Dichter Lenz, im Steinthale, in: Erwinia, 1839, S. 6-8, 14-16, 20-22 (auch in G. Büchner, Lenz, Stud.ausg., hg. v. H. Gersch, 1984, S. 35-50);
G. H. Schubert, Die Symbolik d. Traumes, Mit e. Anhange aus d. Nachlasse e. Visionairs, ³1840;
Nichts ohne Gott, Worte v. J. F. O., Ges. u. ausgew. u. mit e. Einf. versehen v. W. Steinhilber, 1961. |

Nachlass

Nachlaß: Waldersbach, Musée Oberlin; Strasbourg, Musée Alsacien.

Literatur

ADB 24;
D. E. Stoeber, Vie de J. F. O., 1831;
F. Lienhard, O., Roman aus der Rev.zeit im Elsaß, 1910 u. ö.;
M. Buch, Die päd. u. sozialpäd. Ideen J. F. Oberlins, 1932 (W-Verz.);
Deuxième Centenaire de l’arrivée au Ban-de-la-Roche de J. F. O., 1967;
Horand Gutfeldt, J. F. O., Eine wiss. Untersuchung seiner Gedankenwelt, seiner Pädagogik und seines Einflusses auf die Welt, Diss. Wien, 1968;
E. Psczolla, J. F. O., 1979 (P);
ders., Aus d. Leben d. Steintalpfarrers O., 1987 (P);
J. W. Kurtz, J. F. O., 1976 (P, dt. 1982);
C. Koepcke, J. F. O., 1984 (P);
F. Goursolas, J.-F. O., Le pasteur «catholique» évangélique, 1985;
Malou Schneider u. M.-J. Geyer (Hg.), J.-F. O., Le divin ordre du monde, 1991 (P);
D. Leypold. S. Hisler, P. Moll u. E. Berhaud, J. F. O. au Ban de la Roche, 1991 (P);

NDBA (P);
Kosch, Lit.-Lex.³;
Killy;
TRE.

CC-BY-NC-SAQuelle: Meier, Albert, „Oberlin, Friedrich“ in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 395-396 [Online-Version] 

Schriften (Auswahl)

Der Einfluß Swedenborgs auf Oberlin und andere zeitgenössische Theologen

In seiner Kurzbiographie skizziert E. Zwink den Einfluß Swedenborgs auf deutsche Theologen und Geistesgrößen seiner Zeit [3]:

»Friedrich Christoph Oetinger hatte als erster Deutscher Briefkontakt mit Swedenborg und entdeckte viel Verwandtes in seiner eigenen Theologie. Auch Philipp Matthäus Hahn, Johann Michael Hahn, Friedrich Oberlin, ferner Goethe und Schelling haben aus Swedenborg Wesentliches übernommen. Swedenborgs Neuverständnis hatte Auswirkungen auf die Dreipersonenlehre in der Dreieinigkeit, auf die lutherisch-orthodoxe Erbsünden- und Rechtfertigungslehre, auf den Glauben an das Sühnopfer Christi und auf die paulinische Auferstehungsvorstellung, der Swedenborg das Weiterleben der Seele als Geist in der Überwelt entgegensetzte«

Im 2. Kapitel seines Buches Verführungsprinzipien mit der Thematik „Erleuchtung aus dunklem Hintergrund“ führt Rudi Holzhauer den spiritismus-erfahrenen Visionär Oberlin ebenfalls in solchem Zusammenhang auf – neben Oetinger, Hahn, Blumhardt und Swedenborg selbst [2].

Einzelnachweise

[1] Gutfeldt, Horand K.: Oberlin and Swedenborg. In: New Church magazine. – 85.1966. – S. 53-58.

[2] Holzhauer, Rudi: Verführungsprinzipien. Taschenbuch – Neuauflage, 452 Seiten. Artos-Verlag, Best.-Nr.: 00309; ISBN: 978-3-945119-09-9

[3] Zwink, Eberhard: Emanuel Swedenborg (1688-1772)  – eine Einführung (Kurzbiographie bei der WLB, Stuttgart, im pdf-Format)

[4] Zwink, Eberhard: Oberlin, Johann Friedrich (1740-1826). In: TRE / Theologische Realenzyklopädie. – Berlin; New York: Walter de Gruyter. – Bd. 24, Lfg. 5. 1994. – S. 720-723. Mit ausführlicher Bibliographie.

[5] Rosenberg, Alfons: J. F. Oberlin: die Bleibstätten der Toten. Bietigheim, Turm Verlag, [1974]. – 205 S. : 1 Faltblatt.

Eingestellt am 24. Januar 2023 – Letzte Überarbeitung am 18. April 2023