Prediger 1

Vers 1.

Dies sind die Reden des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem.

Dieser erste Vers bildet die Ueberschrift für das ganze Buch. Diese Ueberschrift lautet, wörtlicher übersetzt: Die Worte der Versammelnden, des Sohnes David, des Königes in Jerusalem. Der königliche Sohn Davids kann nur Salomo sein, das ist zweifellos; aber der Schluß, den Manche daraus gezogen haben, daß Salomo der Verfasser dieses Buches sei, ist nicht stichhaltig. Gegen die Richtigkeit dieses Schlusses zeugt das ganze Buch selbst; die Sprache des Urtextes unterscheidet sich auffallend von der Sprache der andern salomonischen Schriften und weist hin auf eine viel spätere Zeit; die Gedanken des Buches aber und die geschichtlichen Beziehungen legen noch entschiedeneres Zeugnis ab, daß das Buch verfaßt ist, als die salomonische Herrlichkeit längst dahin war und das Volk Israel unter dem Joche der Heiden seufzte. Es kommt aber dem Verfasser auch gar nicht in den Sinn, sich für Salomo auszugeben. Der Anfang der Ueberschrift „die Worte der Versammelnden“ zwingen zu der Annahme, daß es mit der Nennung Salomos an dieser Stelle seine ganz besondere Bewandnis habe. Die Versammelnde – hebräisch: Koheleth – ist kein Mann, sondern ein Weib, nämlich die als persönlich vorgestellte Weisheit Israels, die ihre Kinder um sich versammelt, um sie in schwerer Zeit zu trösten, zu mahnen und zu strafen. Es redet die Weisheit in diesem Buche aber wie eine Stimme aus dem Grabe Salomos. Salomo war der beredteste Mund der göttlichen Weisheit im alten Bunde gewesen; es lag nahe, auch in späteren Tagen, bei irgendwelcher Weisheitsverkündigung im Namen Gottes, auf Salomo, als auf den geheiligten Quell alttestamentlicher Weisheit zurückzugehn; es lag das besonders in solchen Zeiten nahe, in welchen unter Druck und Leid die Sehnsucht nach den vergangnen Tagen salomonischen Glanzes in den Herzen brannte, da mußte es ebenso tröstlich, als erwecklich sein, aus dem Grabe Salomos, wie aus einer versunkenen Stadt, eine Predigt von der Eitelkeit alles irdischen Glanzes herauftönen zu hören. Wer es aber nun gewesen, der, was Gott ihm zu schreiben aufgetragen, hier dem weisen Salomo in den Mund legt, ist nicht auszumachen; es gibt Schriftforscher, die an den letzten Propheten Maleachi als an den Verfasser denken (vergl. unsere Erklärung des Pred. Salomo 5, 5!); es ist nur zu sagen, daß der Verfasser ungefähr gleichzeitig mit Maleachi gelebt haben muß; auf die Zeit des Maleachi, auf die Zeit der persischen Herrschaft, speciell der des Artaxerxes, führen die äußeren, wie die inneren Zustände des Volkes Gottes, wie sie in unserm Buche gekennzeichnet werden.

V. 2. Es ist Alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist Alles ganz eitel.

Wörtlich: Eitelkeit der Eitelkeiten, sprach die Versammelnde (d. i. die Weisheit), Eitelkeit der Eitelkeiten, Alles Eitelkeit. Niemand, der ein Gefühl im Herzen hat, kann sich den ergreifenden Eindruck, den dieser Vers macht, verhehlen. Aber er klingt im Urtext noch ergreifender, als in der Uebersetzung. Eitelkeit – das hebräische Wort heißt Habel, gerade so wie l Mose 4 der Name des früh dahingerafften Sohnes Adams genannt wird. Habel, Eitelkeit, und zwar Eitelkeit der Eitelkeiten, eine Eitelkeit, die auch unter den Eitelkeiten noch eitel ist, die allerhöchste Eitelkeit ist Alles, nämlich – wie das später näher begrenzt wird – Alles, was unter dieser Sonne ist, Alles, was dieser armen Erde angehört; nicht als ob der ewig gute Gott diese Eitelkeit der Eitelkeiten auf Erden geschaffen hätte – als Er nach der Schöpfung die Erde ansah, war vielmehr Alles gut, sehr gut – sondern, wie das der Anklang des hebräischen Wortes an den Namen Habel 1. Mose 4 andeutet, Habel, eitel ist Alles geworden durch den Sündenfall, durch den Abfall von dem guten Gotte, der einzigen Quelle, aller wahren Wesenhaftigkeit. Eitel sind die Menschen geworden in ihrem Dichten, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert; sie haben wohl noch ein Leben, aber nur ein Scheinleben, weil es losgerissen ist von der einigen Lebensquelle. Mit verflochten und hineingezogen in das Schicksal des Menschen ist auch die unvernünftige Creatur; sie ist unterworfen unter das Joch und den Fluch der Eitelkeit; Alles, was der Mensch in der Welt als ein Gut ansehen möchte, ist nur ein Scheingut, weil es aus der gottgesetzten Lebensordnung herausgerissen ist. Die Erde ist seit dem Sündenfall das große Land der Eitelkeit, der Nichtigkeit, der Vergänglichkeit.

„Sie trägt überall Dornen und Disteln, und wenn Blumen, solche, die bald verwelken.“ Von den verschiedensten Geistern ist dieses große Thema des Predigers Salomo nachgesungen worden; ein Paul Gerhard singt: „Was sind dieses Lebens Güter? eine Hand voller Sand, Kummer der Gemüter“, und auch ein Lenau singt: „Es ist eitel nichts, wohin mein Aug‘ ich hefte! Das Leben ist ein viel besagtes Wandern, ein wüstes Jagen ists von dem zum andern, und unterwegs verlieren wir die Kräfte“.

Aber es gibt ein Festes inmitten der Eitelkeit aller Dinge, das ist der ewige Gott, und der Glaube hält ihn fest, auch der Glaube des Predigers Salomo; und daß auch wir ihn fest halten, dazu will die Erinnerung an die Eitelkeit der Eitelkeiten verhelfen; wer das Glück nicht mehr da sucht, wo es nicht ist, wandelt leichter den Weg, der zur wahren Quelle des Glückes führt.

V. 3. Was hat der Mensch mehr von aller seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?

Die genauere Uebersetzung lautet: Was für Vorteil hat der Mensch bei aller seiner Mühe, damit er sich mühet unter der Sonne? Diese Frage ist gleich der Behauptung, daß der Mensch keinen Vorteil hat von seiner Mühe unter der Sonne. Ist das ganze Erdenleben, als losgetrennt von Gott, eitel und nichtig, so ist klar, daß auch die sorgfältigste Pflege des Nichtigen zu nichts führen kann; aus nichts wird nichts, wenigstens bei den Menschen. „Viel Lärmen um nichts“, das ist die Summa des Lebens aller derer, die sich hier feste bauen und vergessen sich dort einzubauen, wo sie ewig sollen sein.

Der Eine denkt, er hat’s ergriffen,
Und was er hat, ist nichts als Gold;
Der will die ganze Welt umschiffen,
Nichts als ein Name wird sein Sold.
Der greift nach einem Siegerkranze
Und der nach einem Lorbeerzweig,
Und so wird nach verschied’nem Glanze
Getäuscht ein Jeder – Keiner reich!

Wer durchgedrungen ist zu dieser Erkenntniß, dem kommt das ganze Leben der an die Eitelkeit dieser Welt verkauften Menschen wie das rege Leben in einem Ameisenhaufen vor. Blicken wir zurück auf unser eignes Leben, da wir uns noch viele Sorge und Mühe machten und noch nicht das Eine kannten, was noch ist. Was hatten wir nun zu der Zeit für Frucht? Deren wir uns jetzt schämen, denn das Ende desselbigen ist der Tod. O daß wir alle mit St. Paulo weiter sprechen könnten: Nun wir aber sind von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden, so haben wir unsre Frucht, daß wir heilig werden, das Ende aber das ewige Leben! Bei allem Mühen, Sorgen, Rennen um die Dinge dieser Welt kommt nichts heraus, wenn man Gott nicht hat und nicht den Segen Gottes; darum gilt es, sich täglich loszureißen von dem eitlen Wandel auf eitlen Wegen und sich zu dem zu wenden, der da war und der da ist und der da bleibt in Ewigkeit, trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das Andre, soviel ihr’s nötig habt, von selbst zufallen.

V. 4. Ein Geschlecht vergehet, das andere kommt, die Erde aber bleibet ewiglich.

Dieser Vers begegnet uns auch bei dem großen Dichter der Griechen Homerus, der da sang: „Gleichwie die Blätter der Bäume, so sind die Geschlechter der Menschen“ – ein Gedanke, der auf den deutschen Dichter Herder, als er ihn zum ersten Male las, solchen Eindruck machte, daß er weinte. Ein Geschlecht jagt das andere und begräbt das andere, aber mit dem neuen Geschlecht kommt keine neue Erde, sondern es bleibt die alte, um der Sünden willen unter dem Fluche seufzende Erde; daher muß jedes neue Geschlecht da anheben, wo das alte aufgehört hat, nämlich bei der Arbeit und Mühe im Nichtigen und Eitlen. Aller vielgerühmte Fortschritt der von Gott losgerissenen Menschheit ist weiter nichts, als ein Fortschritt von Eitelkeit zu Eitelkeit; wahren Fortschritt giebt es nur in dem Reiche, das nicht von dieser Welt ist, im Reiche Gottes; da geht es immer mehr vorwärts, weil es immer mehr aufwärts geht. – Man muß sich aber wohl hüten, den Satz hier: „Die Erde aber bleibet ewiglich“ aus dem Zusammenhang zu reißen. Wir wissen aus den klaren Offenbarungen des neuen Testamentes, daß diese alte Erde, wie sie jetzt ist, nicht ewig bleibt, daß des Herrn Tag kommen wird als ein Dieb in der Nacht: da werden die Himmel zergehen mit großem Gekrach, die Elemente aber werden vor Hitze zerschmelzen, und die Erde, und die Werke, die darinnen sind, werden verbrennen, und es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde werden, in welchen Gerechtigkeit wohnet (2 Petri 3.). Das ewiglich in unserm Verse ist danach zu erklären und zu begrenzen: diese alte Erde bleibt, so lange Gottes Allmacht ihre Fundamente hält bis auf den Tag des Weltgerichts.

V. 5. Die Sonne gehet auf und gehet unter und läuft an ihren Ort, daß sie daselbst wieder aufgehe.

Der Kreislauf der Nichtigkeit, in den die Geschlechter der Menschen und die Menschen jedes Geschlechts gebannt sind, spiegelt sich am Himmel, in der Luft und im Wasser. Die Sonne, in ihrem Laufe an und für sich und ohne sinnbildliche Beziehung betrachtet, kann nicht Anlaß zur Klage, sondern muß vielmehr Anlaß zu freudiger Bewunderung geben, daß man ausruft wie David im 19. Psalme: „Die Sonne gehet heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer und freuet sich wie ein Held zu laufen den Weg; sie gehet auf an einem Ende des Himmels und läuft um bis wieder an dasselbe Ende; und bleibt nichts vor ihrer Hitze verborgen“. Aber insofern die Sonne ein Natursinnbild für die Menschen ist, schattet ihr unaufhörliches Durchmessen einer und derselben langen Bahn, das immer wieder bei demselben Ziele anlangt, auch zugleich das Elend des menschlichen Daseins ab, das sich in dem Kreislaufe der Nichtigkeit bewegt und trotz der wiederholten großartigsten Ansätze nie zu einem befriedigenden Ziele kommt. Alles läuft schnell im Kreise umher, aber ein Vorteil, etwas Reelles, kommt nicht dabei heraus; der Mensch muß immer wieder von vorne anfangen.

V. 6. Der Wind gehet gegen Mittag und kommt herum zur Mitternacht und wieder herum an den Ort, davon er aufging.

Der Wind ist au einer andern Stelle unsers Buches (II, 5.) und sonst vielfach in der Schrift wegen seiner geheimnißvollen Geburtsstätte und seines unberechenbaren Laufes das Bild für das geheimnißvolle, weise und mächtige Schalten und Walten Gottes; hier ist er, wie 5, 15 und andere Stellen der Bibel ein Zeuge für das nichtige, eitle Menschenleben. Trotz seiner Schnelligkeit bringt es der Wind doch zu nichts, hundertmal setzt er an, springt um und setzt wieder auf’s Neue an – gerade so windig und ziellos ist das Erdendasein, wenn es nicht in Gott befestigt ist, ein Dasein bodenloser Existenz, das auf den verschiedensten Punkten ansetzt, ohne irgendwo zur Ruhe zu kommen. Ganz anders ein Leben, das mit Gott verbunden ist; ein solches Christenleben ist wie ein Zirkel; der eine Fuß des Zirkels steht unbeweglich im Mittelpunkte fest, zu eben derselben Zeit, wenn der andre Fuß des Zirkels im Kreise herumgeht; so auch steht ein rechter Christ mit seinem Herzen im Mittelpunkte, in der Gegenwart Gottes, fest, wenn auch der andre Fuß, nämlich die Kräfte, des Leibes und der Seele, im Umkreis beschäftigt ist.

V. 7. Die Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder hin.

Ein drittes Bild für die Eitelkeit des nicht in Gott ruhenden menschlichen Lebens. Die Wasserbäche versinnbilden sonst vielfach durch ihre frische Flut das liebliche Los, das Kindern Gottes zu Teil geworden ist; hier kommen sie in Betracht als Bild des ziellosen, sich im Kreise drehenden Erdenlebens. Wie das Wasser der Flüsse erst in’s Meer geht, dann die Dünste des Meeres oben zu Wolken werden, die durch Regengüsse wieder in die Flüsse zurückkehren: so ist das irdische Leben ein ewiges Einerlei, immer die alte Geschichte, daß man wieder anhebt, wo man schon wer weiß wie oft angehoben hatte.

V. 8. Es ist alles Tun so voll Mühe, daß Niemand ausreden kann. Das Auge stehet sich nimmer satt und das Ohr höret sich nimmer satt.

Genauer übersetzt lauten die Worte: „Alle Worte ermüden, Keiner mag es ausreden; nicht satt wird das Auge vom Sehen, nicht voll wird das Ohr vom Hören“. Man spricht und spricht im Leben, und spricht doch nie das rechte Wort aus, darin das Sprechen seine Befriedigung und Stillung fände; man sieht und sieht, und sieht doch nie im Leben einen Gegenstand, auf dem das Auge mit vollem Genüge ruhen könnte; man hört und hört, und hört doch nie, was die Sehnsucht zu hören völlig stillen könnte. Ein unaufhörliches, ein unauslöschliches Verlangen nach einem gewissen „Etwas“ ist in dem Menschenherzen, aber dieses „Etwas“ ist in dieser Welt der Eitelkeit nicht zu Hause. Das Leben neckt uns nur, als könnte es uns Befriedigung bieten, aber es gewährt sie nicht. Was wir haben, gefällt uns nicht, und wir sehnen uns nach dem, was wir nicht haben, und wenn wir’s haben – siehe, so ist es auch eitel.

Nicht eine Welt, nicht eine Zelle
Gibt einer Seele ihre Ruh‘;
Kein wogend‘ Meer und keine Welle
Strömt ihr ersehnten Frieden zu.
Es hauchen alle Rosenhaine
Dir nicht die Ruhe in’s Gemüt,
Und auch das Veilchen nicht, das kleine,
Das nur für dich verborgen blüht.

V. 9. Was ist es, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist es, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird, und geschiehet nichts Neues unter der Sonne.

In wörtlicherer Uebertragung: „Was war, das wird sein; und was gethan ward, das wird gethan werden, und ist gar nichts Neues unter der Sonne.“ Es dichten und träumen die Menschen gar viel von bessern, zukünftigen Tagen, aber es bleibt trotz alles Dichtens und Träumens beim Alten. Die Zeiten werden nicht besser aus dem sehr einfachen Grunde, weil die Menschen nicht besser werden. Thöricht der Mann, der in seinem Elende keine andre Hoffnung kennt, als die Hoffnung auf bessere Zeiten. Neue Zeiten bringen die alte Sünde, den alten Tod, den alten Jammer; es lassen sich einmal keine Trauben lesen von den Dornen dieser Welt. Wie es gewesen ist in der ersten Stunde nach dem Sündenfall, so ists noch heute, so wird es bis an das Ende der Tage auf Erden sein: Alle Menschen sind arme Sünder, alle Menschen gehn durch Leid und Trübsal, alle Menschen müssen sterben, alles Fleisch vergeht wie Heu. Und doch es giebt ein Neues – aber der Verstand, der in unsern Versen allein redet, findet es nicht. Es giebt ein Neues – der Glaube erkennet es, der Glaube, der in diesen Versen hinter der verständigen Weltanschauung zurücktritt. Dies Neue, das der Glaube schaut und hat, kommt freilich nicht von unten her, nicht aus der Mitte dieser eitlen Welt, sondern es kommt von oben: nur die Schöpfermacht Gottes kann Neues hervorbringen und bringt in dieser eitlen Welt Neues hervor durch die Stiftung eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist, durch die Stiftung des Reiches Gottes in Christo Jesu. Dieses Reich Gottes ist das Reich des Neuen auf Erden; weil es hier neue Herzen giebt und neue Creaturen, so. giebt es hier auch ein neues Leben und neue Lieder. Einst aber wird kommen der Tag, wo für dieses Reich des Neuen, das Reich Gottes, auch der alte Himmel und die alte Erde neu werden sollen, dann wird es heißen: Das Alte ist vergangen, siehe ich mache Alles neu!

V. 10. Geschehet auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? Denn es ist zuvor auch geschehen in vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind.

Wörtlich: Ist ein Ding, davon man spricht, siehe es ist neu – es ist sonst auch geschehen vorlängst, was vor unserm Angesicht geschehen ist. Manche Dinge haben anfänglich den Schein der Neuheit, aber dieser Schein zerrinnt bald. Es sieht Anfangs so aus, als wollten sie die Grenzen dieser dem Fluche der Eitelkeit verfallenen Welt überschreiten, und die kurzsichtige Welt ruft: „siehe da ist nun wirklich etwas Neues!“ Aber gar bald sinkt das angeblich Neue zum Alten, und die Welt frägt wieder: „Was giebts Neues?“ Nichts Neues bringt das Leben. Schon gewesen ist, was erscheint. Es täuscht sich unser Geist; wenn er gedacht ein Neues herzulesen, ists Wiederholung früherer Dinge meist. Uebrigens ist zu keiner Zeit alles angeblich Neue so schnell veraltet, als in unsrer Zeit; dies Zeitalter der Locomotiven und Telegraphen zeigt täglich, wie die neuesten Neuigkeiten schon in ein paar Stunden vollständig veralten. Wehe dem, der nichts weiter hat, sich zu ergötzen, als die falschberühmten Neuigkeiten des Tages; es gilt sich zu halten an den Alten der Tage und sein Gottesreich, da allein giebts Neues, das nicht veraltet.

V. 11. Man gedenket nicht, wie es zuvor geraten ist; also auch des, das hernach kommt, wird man nicht gedenken bei denen, die hernach sein werden.

Wörtlich: Kein Andenken haben die Früheren und auch die Späteren, welche sein werden, die werden kein Andenken haben bei denen, welche später sein werden. Nicht selten sucht man im Nachruhm eine Unsterblichkeit mitten in dieser sterblichen, eitlen Welt. Nicht selten meint man, gehe es uns auch jetzt nicht so, wie uns gebühre, so werde nach dem Tode unser Werth anerkannt werden und wir würden fortleben in der dankbaren Erinnerung einer verständigeren Nachwelt. Aber das ist ein Wahn, und das Heilmittel für ihn liegt nicht gar fern. Der Mensch darf nur fragen, wie er der Seinigen gedenkt, die ihm vorangegangen sind, um zu erkennen, wie man sein gedenken wird. Undank ist der Welt Lohn, namentlich Verstorbenen gegenüber. Man kann an den Verstorbenen lernen, wie es mit uns gehen wird, und man wird gestehen, Alles ist eitel auf Erden, auch unser Name und unser Andenken. Nur des Unerfahrnen Brust kann der Gedanke des Nachruhms schwellen; die irdische Unsterblichkeit in dem Gedächtnisse und den Worten der Menschen ist ein armseliger Traum, ein Trost für Thoren, aber nicht für Weise, die mit geübten Sinnen in’s Leben schauen. „Der Ruhm, nach dem wir trachten, den wir unsterblich achten, ist nur ein falscher Wahn. Sobald der Geist gewichen und dieser Mund verblichen, fragt Keiner, was man hier gethan!“

Bis hieher geht das großartig-düstere Portal des ganzen Buches mit der Inschrift: „Das ganze menschliche Leben ist Eitelkeit.“ Das steht mit Riesenlettern am Firmament geschrieben, das predigt das Brausen des Windes, das bezeugen die Wellen, die zum blauen Meere fließen, das bestätigt das klopfende Herz: Es ist Alles ganz eitel, es ist Alles eitel.

V. 12. Ich, der Prediger, war König über Israel zu Jerusalem.

Mit diesem Verse beginnt der erste Hauptabschnitt des Buches, in welchem der Verfasser Salomos Erfahrungen von der Eitelkeit aller Dinge schildert, indem er Salomo in den Mund legt, was er selber an sich und Andern von der Nichtigkeit alles Irdischen erfahren hat. Aus diesem Verse geht auf’s Klarste hervor, daß der Verfasser nicht für Salomo gehalten sein will, sondern ihm nur seine Worte in den Mund legt. „Ich Prediger, heißt es, war König;“ da Salomo nie seine königliche Würde niedergelegt hat, so konnte ebenso von ihm nur ein Andrer schreiben, für den Salomo ein Mann der Vergangenheit war. „Ich war König zu Jerusalem,“ heißt es; Salomo selber hätte nie an andre Könige Israels, als zu Jerusalem, denken können; daran konnte nur ein Verfasser denken, der die nachsalomonische Geschichte schon hinter sich hatte, die Zeit, wo es nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Samaria Könige Israels gab. Für einen Verfasser aber, der in so später Zeit lebte, wo auch die letzte Herrlichkeit von Israel genommen schien, lag es sehr nahe, seine Erfahrungen von der Eitelkeit in salomonisches Gewand zu kleiden. Mitten in seinem Jammer blickte das Volk in verzehrender Sehnsucht nach Salomo und seiner Herrlichkeit zurück. Darum läßt denn der Verfasser den vielgepriesenen Salomo selber auftreten und die Nichtigkeit dieser Herrlichkeit predigen; er nimmt dabei seinen Ausgangspunkt von der Weisheit, als dem schimmerndsten Gute der salomonischen Zeit.

V. 13. Und begab mein Herz, zu suchen und zu forschen weislich alles, was man unter dem Himmel tut. Solche unselige Mühe hat Gott den Menschenkindern gegeben, daß sie sich darinnen müssen quälen.

Alles, was man unter dem Himmel thut – merke: ohne den Weg zum Himmel zu wandeln, nämlich den Weg des Glaubens – ist voll unseliger Mühe und Qual. Gott hat diese Mühe den Menschenkindern gegeben, nämlich in sehr gerechtem Gericht als Strafe für ihren Abfall, wie er ihnen das zuvor gedroht hatte; im Grunde also haben die Menschen sich die unselige Mühe selber zugezogen. Ist nun ein Vortheil, ist nun etwas Bleibendes vielleicht dadurch zu erlangen, daß man in kaltem, selbstsüchtigem Philosophieren und Reflektiren über die Mühe der Menschen das Genüge sucht? Ich habe diesen Versuch gemacht, so läßt der Verfasser Salomo sprechen; ich begab mein Herz, zu suchen und zu forschen weislich in diesem mühseligen Leben. So machen es alle gottentfremdeten Weltweisen; in der kühlen Beobachtung und Schätzung der Menschen und der Dinge von ferne suchen sie ihren „Vortheil,“ ihre Befriedigung.

V. 14. Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht; und siehe, es war Alles eitel und Jammer.

Wörtlich übersetzt heißt die letzte Hälfte des Verses: Es war Alles eitel und windiges Streben. Der kaltsinnige Beobachter prüft das Leben und die irdischen Bestrebungen; er findet: S‘ ist eitel nichts, wohin mein Aug‘ ich hefte. Je mehr die Klugheit die Dinge nahebei besieht, desto mehr kommt sie auf die Eitelkeit als ihren Grund. Eine Weisheit aber, die auf die Erkenntnis, daß Alles nichts, hinausläuft, führt selbst zu nichts und kann nur unglücklich machen.

V. 15. Krumm kann nicht schlecht werden, noch der Fehl gezählet werden.

Der Sinn dieses Verses ist: Wie die Dinge einmal sind, so bleiben sie trotz aller Philosophie. Was krumm ist in der Welt, der Mensch kann es nicht gerade machen; und was einmal mangelhaft ist, kann der Mensch nicht vollständig machen, daß es als ein Ganzes mitgezählt würde. Die Weisheit dieser Welt kann wohl constatiren, daß Alles eitel ist; aber der eitel gewordenen Welt den Charakter der Eitelkeit nehmen, das kann sie nicht, und jedes darauf gerichtete Nachdenken erweist sich als thöricht.

V. 16. 17. Ich sprach in meinem Herzen: Siehe ich bin herrlich geworden und habe mehr Weisheit, denn alle, die vor mir gewesen sind zu Jerusalem; und mein Herz hat viel gelernet und erfahren. Und gab auch mein Herz darauf, daß ich lernte Weisheit und Thorheit und Klugheit. Ich ward aber gewahr, daß solches auch Mühe ist.

Auch aus diesen Versen leuchtet hervor, daß Salomo nicht Verfasser des Buches ist, sondern nur von einem andern Verfasser als Träger der gleichsam in ihm leibhaftig gewordenen Weisheit eingeführt wird. Denn so würde Keiner von sich selber reden: „Ich habe mehr Weisheit, denn Alle, die vor mir gewesen sind,“ am allerwenigsten ein Weiser, er würde ja durch solchen Ausspruch sich des thörichtsten Hochmuths schuldig machen. Salomo hat alle seine große Weisheit darauf verwandt, die Dinge dieser Welt zu erforschen, und je schärfer er sie erforschte, desto schärfer trat ihm ihre Nichtigkeit vor Augen und damit zugleich die Nichtigkeit seiner Weisheit selbst; mit der Welt ist es nichts, so kann es auch mit der Weisheit, die sich mit diesem Nichts beschäftigt, nicht viel mehr als nichts sein.

V. 18. Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämens; und wer viel lehren muß [Luther 1912: und wer viel lernt], der muß viel leiden.

Das ist der Schluß, den Salomo machen muß aus seinem Streben, in der Weisheit dieser Welt Leben und Genüge zu finden. Es ist eine verfehlte Unternehmung, die keinen Vorteil gebracht hat, sondern nur Nachteil. Denn da alle Weisheit, die das Eitle erforscht, nicht über die Eitelkeit hinauskommt, so kann ihr Besitz nur „Grämen“ über verfehlte Mühe, nur Kummer und Schmerzen eintragen. Je weiser also, desto unglücklicher; „wer viel lernt, viel weiß“ (so heißt es wörtlich nach dem Hebräischen), muß viel leiden. In der Welt der Eitelkeit ist ein weiser Mann ein armer Mann. So endet das erste Kapitel. Es ist Alles eitel, und gegen diese Eitelkeit giebt auch die allerhöchste Weisheit dieser Welt keinen Trost.

Gott sei gelobt, daß wir Christen einen Trost wissen in Jesu Christo, in welchem aller Weisheit höchste Fülle verborgen liegt. Was die Weisheit von unten nie gefunden, das hat die göttliche Weisheit erfunden, nämlich eine ewige Erlösung von der Eitelkeit der Eitelkeiten in dem Blute und den Wunden Jesu Christi. Auf Ihn, auf Jesum Christum will auch der Prediger Salomo ein Zuchtmeister sein. Indem er uns die Dinge dieser Welt und alle Weisheit dieser Welt in Scherben schlägt, erweckt und steigert er die Sehnsucht in uns nach dem, der siegend über dem Staube dieser Erde steht. Wohl dem, der nicht bloß sprechen kann: „An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd’“, sondern der auch fortfahren kann: „Was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert!“

Amen.

(Carl Wihelm Emil Quandt)

Quelle: Prediger Salomo, Erstes Kapitel, von C.W.E. Quandt, in: Glaubensstimme


Eingestellt am 21. Juni 2023 – Letzte Überarbeitung am 5. Januar 2024