1. Das Joch der Jugend

Als Machtholf im Jahre 1763 seine Pfarrei Möttlingen bei Calw antreten sollte, hat er sich nach dem Brauche in Würtemberg angeschickt, seine Personalien zu verfassen. Und da er diesen kurzen Abriß seines Lebens ausarbeiten wollte, und darüber nachdachte, was es denn eigentlich für ein Grundgedanke sei, der sich durch sein ganzes Leben wie ein goldener Faden hindurchziehe, war es ihm, als spiegle sich in den kaum drei Jahrzehnten seiner Pilgrimschaft der 136. Psalm ab, welcher bekanntlich Gottes Wundergüte und Wunderthaten preist und voller Dank, Lob und Preis immer wieder das süße Echo erschallen läßt, denn seine Güte währet ewiglich. Man kann nicht ohne die innigste Theilnahme diesen Lobpreis des Herrn in jedem Ereignisse und Zuge der Wallfahrt dieses Hochbegnadigten Gottesmenschen lesen. Gottes Güte sei auch von uns dafür angebetet und gepriesen immerdar. Nicht weit von dem badischen Amtsstädtlein Eppingen liegt das Pfarrdorf Sulzfeld. Das Dorf stand früher unter würtembergischer Hoheit und gehört jezt zu Baden.

Die Ravensburg in Sulzfeld (Baden)

Hier ist ein Schloß, das die Göler von Ravensburg bewohnen. Schon frühe kommen die Herren von Göler als Grundherren Sulzfelds vor und haben das Recht der Wahl ihres Pfarrers. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts führte ein lieber Mann den Hirtenstab in der Gemeinde Sulzfeld, M. Eberhard Friedrich Machtholf [1737]. Es muß ein Mann von ächtem Christenthum und gutem Verstande gewesen sein. Er soll öfters geäußert haben, wenn er viel Buben hätte, so wolle er doch nicht leicht einen in öffentliche Schulen schicken, um der großen Verführung willen, die da herrsche.  Und darin hatte er gewiß in einer Beziehung Recht. Seine liebe Ehefrau stimmte ganz damit überein und merkte sich’s. Es war eine Sophie Margaretha, geborne  R o o s,  ein Name guten Klangs in Würtemberg. Am 10 Juni 1735 nun wurde diesen theuren Eheleuten ein Söhnlein eben in Sulzfeld geboren, das sie bald durch die heilige Taufe in den Gnadenbund Gottes brachten. Als Machtholf darauf zu reden kam, preist er die Güte Gottes und rühmt von ihm und seiner Taufe: „Der mich in der heiligen Taufe der Gnade, Vergebung aller Sünden, Kindschaft Gottes und Erbschaft aller himmlischen Güter versichert, und mich neben dem Christennamen noch Gottlieb Friedrich nennen lassen“.

Und diese zwei kostbaren Namen wurden ihm gewiß von seinen lieben Eltern mit den schönsten Hoffnungen und Erwartungen beigelegt. Aber über Bitten und Verstehen hat der Herr die Weissagung, die in diesen Taufnamen lag, in Erfüllung gehen lassen. Denn der liebe Möttlinger Pfarrer, zu dem das Büblein geworden ist, war wirklich ein Mensch, der Gott herzlich lieb gehabt hat, und, reich an innerem Frieden, hat er auch Frieden mit allen Menschen zu halten gesucht, soviel an ihm war.

Schon frühe spürte man die gute Hand Gottes im Lebenslaufe des Gottlieb Friedrich. Eines Morgens machte seine Kindsmagd sein Bettlein; der muntere liebe Kleine, der noch nicht lange gehen gelernt hatte,  ̶̶  denn er war erst ein Jahr alt, ̶̶  witscht zur Thüre hinaus, gelangt an die Treppe, er will hinunter und ach  ̶̶  er kommt hinunter, aber ganz unfreiwillig. Er stürzt unten angekommen an ein mit Eisen beschlagenes Simmermaaß, und o der Güte Gottes, das Büblein schreit zwar, steht aber ohne Schaden, wie er selbst rühmt, wieder auf. Dieser Fall war nicht so hart, als ein anderer. Wenige Monate nachher nämlich  ̶̶  Gottlieb Friedrich war noch nicht zwei Jahre alt  ̶̶  da legte sich sein Vater auf’s Krankenlager und stand nicht mehr davon auf, „mein lieber seliger Vater“, wie ihn der Sohn nennt. Als er ihn so nennt, verstand er auch die Wege Gottes, die in dem frühen Verluste des Vaters verborgen lagen, denn er sagt: „Der mich im zweiten Jahr meines Alters schon zum vaterlosen Waisen gemacht, daß ich Ihn um so ehender [zeitiger] zu meinem Vater erwähle“. Die theure Pfarrwittwe, welche die Güter dieser Welt nicht besaß und sich kümmerlich mit ihrem Söhnlein hätte nähren müssen, erfuhr es reichlich, daß sich der liebe himmlische Vater an die Stelle des heimgegangenen Mannes stellte. Sie kannte ja selbst den Herrn und war eine rechte Wittwe, die ihr Vertrauen auf den Herrn Herrn setzte und darüber nicht zu Schanden wurde, wie noch keiner, welcher dem Allerhöchsten traut, auf Sand gebaut hat. Er hat die Menschenherzen in der Hand und lenkt sie wie Wasserbäche. Das konnte die betrübte Mutter sammt ihrem Waislein mit Händen greifen.

Damals zog ein gar treuer Knecht Gottes, der Pfarrer Gmelin von Ochsenbach nach der Pfarrei Iptingen, die ihm übertragen worden war. Er hatte keine Kinder, und seine Frau muß ihm auch gestorben sein, denn seine Schwester besorgte die Haushaltung. Vielleicht lebte er im ehelosen Stande. Unter dem Aufzuge nach Iptingen erkrankte die Schwester. Ich weiß nicht, wie es gegangen ist, daß Pfarrer Gmelin gerade an die Wittwe Machtholf nach Sulzfeld schrieb, und sie als Krankenwärterin zu seiner Schwester einlud, das aber wissen wir alle, daß dies der Weg Gottes mit ihr und ihrem Knaben gewesen, der es auch späterhin als eine solche Führung des Herrn erkannte. Sie machte sich alsbald auf den Weg nach Iptingen und pflegte unermüdlich die Kranke, aber die Kranke starb. Und was that nun Gmelin? Er nahm die treue liebe Pflegerin ganz in sein Haus auf. Machtholf sagt in dem Lobpsalm auf die Güte Gottes von Gmelin: „Der meine Mama mit mir in seine lebenslängliche Versorgung aufnahm“.

Das geschah denn auch gerade zu rechter Zeit, denn die Mutter sollte eben mit ihrem Kleinen ausziehen und wußte doch nicht, wohin sie ihren Wanderstab stellen sollte. Ein Onkel des Knaben hatte zwar der betrübten Wittwe versprochen, sie in sein Haus aufzunehmen, aber ach, er starb, und so war auch diese Stütze gebrochen. Daß sie nun der Herr im Pfarrhause zu Iptingen wie in einer Arche ein Unterkommen finden ließ, hat Machtholf als eine besondere Freundlichkeit Gottes eingesehen. Ja, er fand noch mehr darin, nämlich eine Verkettung der Umstände, die wesentlich zu seinem Seelenheile und zu seinem Berufe, das Predigtamt zu erwählen, beitrugen.


Ledderhose: Machtholf’s Leben und Schriften, S. 1-4 – Das Joch der Jugend

Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Es ist ein köstlich Ding einem Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage; (Klagelieder Jeremiae 3, 26f.)

Bildnachweise:

Ravensburg in Sulzfeld: Daniel F., CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons


zurück zum Vorwort

weiter zu 2.: Krumme und gerade Wege

Eingestellt am 9. September 2023