August Tholuck (1799-1877)

Friedrich August Gotttreu Tholuck (* 30. März 1799 in Breslau; † 10. Juni 1877 in Halle) war ein deutscher protestantischer Theologe. Er lehrte an der Universität Halle.

Leben

Im Alter von zwölf Jahren verließ Tholuck das Maria-Magdalenen-Gymnasium in Breslau, um eine Lehre in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters zu absolvieren. Nach einem Jahr kehrte er jedoch wieder an das Gymnasium zurück, wo sein Sprachtalent erkannt und gefördert wurde. Als 17-Jähriger soll Tholuck, so wird kolportiert, 19 Sprachen beherrscht haben. Überliefert ist auch, dass er als Dolmetscher arbeitete, um so Geld zu verdienen.

1816 schrieb er sich an der Universität Breslau für das Fach Orientalistik ein, wechselte allerdings 1817 an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, um Evangelische Theologie zu studieren. Die Reise nach Berlin finanzierte ein Gönner des jungen, mittellosen Talents. In Berlin fand er Aufnahme bei dem Orientalisten Heinrich von Diez, dem er als Privatsekretär (Amanuensis) diente. Tholuck studierte zunächst Philologie, wandte sich jedoch bald der evangelischen Theologie zu. Tholuck war starken Stimmungsschwankungen unterworfen und trug sich mehrfach mit Suizidgedanken. Er zeigte sich empfänglich für die herrnhutisch geprägte Erweckungsbewegung des Kreises um den Baron Hans Ernst von Kottwitz (1757–1843). Einen Ruf auf eine Professur der Universität Dorpat (heute Tartu/Estland) für Alttestamentliche Exegese und orientalische Philologie konnte Tholuck 1819 wegen einer Erkrankung nicht annehmen. Daher promovierte er 1820 mit einer Arbeit über den Sufismus zum Lic. theol.

Gegen den Widerstand Friedrich Schleiermachers und erst nach einer ministeriellen Intervention nahm Tholuck die Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät der Universität Berlin auf. 1822 verlieh ihm die Universität Jena für seine persischen Studien die Ehrendoktorwürde. An der Berliner Universität wurde er zum außerordentlichen Professor für das Fach Altes Testament ernannt. Wohlwollend registrierten die Behörden Tholucks Engagement in der Berliner Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden. Zum Bestseller wurde sein 1823 von Samuel Elsner angeregter und zunächst anonym veröffentlichter Roman Guido und Julius: Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner, oder: Die wahre Weihe des Zweiflers, in dem er sein Erweckungserlebnis verarbeitete [1]. 1825 unternahm er eine Forschungsreise nach Leiden, London, Oxford und Paris.

Am 17. November 1825 wurde Tholuck, als „erweckter Pietist“, gegen das einhellige Votum der Theologischen Fakultät zum ordentlichen Professor der Universität Halle ernannt. Der rationalistisch geprägten Fakultät hatte er vorher „Rohheit“ und „zügellosen Leichtsinn“ vorgeworfen. Den ihm von den preußischen Behörden nahegelegten Kampf gegen den in Halle herrschenden Rationalismus nahm Tholuck unmittelbar nach seiner Bestallung auf. Nach dem Beginn der Lehrtätigkeit kam es daher zu öffentlich wahrnehmbaren Konflikten. Von seiner Haltung wurde Friedrich Conrad Dietrich Wyneken geprägt, der hier sein Student war.

Tholuck nutzte für die Verbreitung seiner Auffassungen moderne Mittel: 1827 gründete er – u. a. zusammen mit Ernst Ludwig von Gerlach – die Evangelische Kirchenzeitung für das protestantische Deutschland, 1830 den Literarischen Anzeiger für Christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt. 1828 wirkte Tholuck jedoch für kurze Zeit als Prediger in der Preußischen Gesandtschaft in Rom. In den Bibliotheken der Stadt widmete er sich ausgiebigen Handschriftenstudien.

Universitätsgebäude in Halle (1836)

Nach Halle zurückgekehrt, hatte er unerwartet großen Lehrerfolg. Berufungen zum Hofprediger in Dresden und Professor in Basel schlug er aus. Seine ausgezeichneten Beziehungen zum Hof nutzte Tholuck, um den Umbau der Fakultät voranzutreiben. 1836 setzte er gegen das Kultusministerium durch, dass ein Rationalist – der Tübinger Ferdinand Christian Baur – nicht berufen wurde.

Folgerichtig wurde Tholuck als Exekutor der königlich preußischen Kirchenpolitik 1839 zum Universitätsprediger und 1840 zum Dekan ernannt. Andere Ämter folgten: 1842 wurde er Konsistorialrat, später Oberkonsistorialrat. Als Befürworter der preußischen Union wandte er sich gegen Kollegen, etwa gegen den Altlutheraner Ferdinand Guericke. Auch im Ausland war Tholuck kirchenpolitisch aktiv, 1846 gehörte er in London zu den Mitbegründern der Evangelischen Allianz.

1848 wurde er zum Ehrenphilister der christlichen Studentenverbindung Hallenser Wingolf ernannt [2].

Wissenschaftlich galt er als kundiger Exeget, dessen Interpretationen sprachlich auf sehr hohem Niveau lagen. Den Weg zur historisch-kritischen Methode beschritten erst seine zahlreichen Schüler. Sein theologisches, publizistisches und übersetzerisches Werk ist außerordentlich umfangreich (Bibliographie: siehe Weblink BBKL). Auf Studenten wirkte er inspirierend, z. B. auf Adolf Zahn und Leopold Witte [3], zur Legende wurde das „Tholucksche Sofa“, auf dem er mit seinen Studenten ausführliche Gespräche führte.

Tholuck zog Hörer aus ganz Deutschland und zahlreiche Studenten aus den USA an, darunter viele Methodisten. Zu diesen gehörte u. a. der spätere Bischof, Präsidentenberater und Gründer der American University in Washington, D. C. John Fletcher Hurst. Auch der in die USA emigrierte Kirchenhistoriker Philip Schaff, Mitbegründer des Reformierten Weltbundes, studierte und wohnte bei Tholuck. Tholucks Wunsch nach einem Wohnheim für mittellose Studenten erfüllte seine Frau Mathilde von Gemmingen-Steinegg 1870. Zahlreiche Dotationen halfen beim Ausbau des Konviktes, das nach wenigen Jahren von der Mittelstraße in ein größeres Gebäude umzog.

1873 gab Tholuck das Amt des Universitätspredigers auf. Mit Bedauern schied er von der Kanzel, „von der er“, wie die Universitätschronik schrieb, „so oft die Seelen mächtig bewegt“. 1875 hielt er die letzte Vorlesung, 1876 sein letztes Seminar, danach schwand dem streitbaren und umstrittenen Gelehrten, erneut sei die Chronik zitiert, „die Klarheit des Geistes“.

Sein Grab befindet sich auf dem hallischen Stadtgottesacker [4].

Schriften

  • Sufismus, sive theosophia Persarum pantheistica. Ferdinand Dümmler, Berlin 1821. (Digitalisat)
  • Das Alte Testament im Neuen Testament. 3. Aufl., Perthes, Hamburg 1849. (Digitalisat)
  • Stunden christlicher Andacht, ein Erbauungsbuch. Friedrich Andreas Perthes, Gotha, 6. Auflage, 1860. (Digitalisat)
  • Vorgeschichte des Rationalismus
    • Band 1: Das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts mit besonderer Beziehung auf die protestantisch-theologischen Fakultäten Deutschlands. Eduard Anton, Halle 1853–1854.
      • Teilband 1: Die akademischen Zustände. 1853.
      • Teilband 2: Die akademische Geschichte der deutschen, skandinavischen, niederländischen, schweizerischen Hohen Schulen. 1854.
    • Band 2: Das kirchliche Leben des siebzehnten Jahrhunderts bis in die Anfänge der Aufklärung. Wiegandt und Grieben, Berlin 1861–1862.
      • Teilband 1: Die erste Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts bis zum Westphälischen Frieden. 1861.
      • Teilband 2: Die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. 1862.
  • Ausgewählte Predigten. Mit einer Einleitung von Leopold Witte. Friedrich Andreas Perthes, Gotha 1888. (Digitalisat)

Literatur

  • Christine Axt-Piscalar: „Ohne die Höllenfahrt der Sündenerkenntnis ist die Himmelfahrt der Gotteserkenntnis nicht möglich.“ Die Spiritualität Friedrich August Gottreu Tholucks (1799–1877). In: Peter Zimmerling (Hg.): Handbuch Evangelische Spiritualität, Bd. 1: Geschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-525-56719-7, S. 588–605.
  • Gustav FrankTholuck, August. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 38, Duncker & Humblot, Leipzig 1894, S. 55–59.
  • Klaus-Gunther Wesseling: THOLUCK, Friedrich August Gott(t)reu. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 11, Bautz, Herzberg 1996, ISBN 3-88309-064-6, Sp. 1251–1266 [Archivfassung, Stand 17.09.1999]
  • Albrecht Geck (Hrsg.): Autorität und Glaube. Edward Bouverie Pusey und Friedrich August Gotttreu Tholuck im Briefwechsel (1825–1865). V&R Unipress, Osnabrück 2009, ISBN 978-3-89971-577-4.
  • Albrecht Geck: Friendship in Faith. E.B. Pusey (1800–1882) und F.A.G. Tholuck (1799–1877) im Kampf gegen Rationalismus und Pantheismus – Schlaglichter auf eine englisch-deutsche Korrespondenz. In: Pietismus und Neuzeit 27 (2001), S. 91–117.
  • Albrecht Geck (Hrsg.): Autorität und Glaube. Edward Bouverie Pusey und Friedrich August Gotttreu Tholuck im Briefwechsel (1825–1865), Teile 1–3. In: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte 10 (2003), S. 253–317; 12 (2005), S. 89–155; 13 (2006), S. 41–124.
  • Albrecht Geck: Pusey, Tholuck and the Oxford Movement. In: Stewart J. Brown, Peter B. Nockles (Hrsg.): The Oxford Movement. Europe and the Wider World 1830-1930. Cambridge (Cambridge University Press) 2012, S. 168–184.
  • Hermann Römer: August Tholuck. In: Mitteldeutsche Lebensbilder, 2. Band: Lebensbilder des 19. Jahrhunderts, Magdeburg 1927, S. 199–219.
  • Gunther Wenz: Ergriffen von Gott. Zinzendorf, Schleiermacher, und Tholuck. Herbert Utz Verlag, München 2000, ISBN 3-89675-784-9.
  • Leopold Witte: Das Leben Friedrich August Gotttreu Tholuck’s. Velhagen & Klasing, Bielefeld (Digitalisat)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Siehe dazu Christine Axt-Piscalar: Ohnmächtige Freiheit: Studien zum Verhältnis von Subjektivität und Sünde bei August Tholuck, Julius Müller, Sören Kierkegaard und Friedrich Schleiermacher. (Beiträge zur historischen Theologie 94) Tübingen: Mohr Siebeck 1996 ISBN 9783161463730, S. 7.
  2. Hans Waitz: Geschichte der Wingolfsverbindungen, darin Fr. Büchsel „Geschichte des Hallenser Wingolf“, Verlag des Verbandes alter Wingolfiten, Darmstadt 1914. S. 451.
  3. Sachsen-Anhalt-Wiki; Leopold Witte (* 9. Juni 1836 in Halle (Saale); † 2. Dezember 1921). (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive)
  4. Leopold Witte: Das Leben Friedrich August Gottreu Tholucks’s. Zweiter Band 1826–1877. Bielefeld/Leipzig, 1886, S. 514.
  5. August Tholuck im Ökumenischen Heiligenlexikon
Quelle: Seite August Tholuck. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
Bild: Portrait Tholuck: Universitätsarchiv Halle, via Wikimedia Commons
Universitätsgebäude Halle, heutiges Löwengebäude. Lithographie von W. Breye, via Wikimedia Commons

Zitate

‘Ohne die Höllenfahrt der Selbst- (Sünden-) Erkenntnis ist die Himmelfahrt der Gotteserkenntnis nicht möglich.’

Nur die dunkeln Stellen unsers Herzens machen, daß wir so viele dunkle Bibelstellen finden.

‘Bruder, wie steht es mit deinem Herzen?’

(August Tholuck)

Lieder

Das sei alle meine Tage meine Sorg’ und meine Frage

Predigten

Predigt zum Reformations-Feste 1855. Über Jeremia 6, 16.

Der Weg des Todes und der Weg des Lebens. Über Hesekiel 33, 11.

Worin das Kreuztragen des Christen besteht und warum es bis an unser Ende ein tägliches bleibt. Über Lukas 9, 23.

Betrachtung über Römer 1, 28

Predigt über Römer 7, 14-25. Römer 8, 1-2

Drei Predigten – II. Predigt über Offenbarung 5. Das Lamm und das Buch.

Schriften

Aus Tholucks Artikel über Wolfgang Franz

Tholuck, Dr. August: Kommentar zum Briefe Pauli an die Römer. Neue Ausarbeitung, Bei Eduard Anton, Halle 1842. [Digitalisat]

A. Tholuck, Lebenszeugen der lutherischen Kirche aus allen Ständen vor und während der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Berlin, Verlag Wiegandt & Grieben, 1859. [Digitalisat]

Vermischte Schriften größtentheils apologetischen Inhalts von Dr. A. Tholuck. Zweite Auflage. Gotha, Verlag von Friedrich Andreas Perthes. 1867 [Digitalisat]

Weblinks und Verweise

Busch, Eberhard: „Wie steht es mit deinem Herzen?“ – Über das Verhältnis Karl Barths zu August Tholuck

Karl Barth im BBKL (Archivfassung v. 6.7.2009)

Raedel, Prof. Dr. Christoph: Zur Rezeption August Tholucks im deutsch-amerikanischen bischöflichen Methodismus des 19. Jahrhunderts, in: Pietismus und Neuzeit 27 (2001) 185-199


Eingestellt am 12. Mai 2021 – Letzte Überarbeitung am 26. März 2024