Joh. Chr. Blumhardt: Predigt am Sonntag nach dem Neujahrsfest

Predigt am Sonntag nach dem Neujahrsfest

Bibeltext: Matthäus 16, 24-28.

Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: Will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden. Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse? Denn es wird je geschehen, daß des Menschen Sohn komme, in der Herrlichkeit seines Vaters, mit seinen Engeln; und alsdann wird er einem Jeglichen vergelten nach seinen Werken. Wahrlich, ich sage euch : Es stehen etliche hier, die nicht schmecken werden den Tod, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in seinem Reich.

Unlängst hatten wir Veranlassung, von dem reichen Jüngling miteinander zu reden, welcher zu dem Heiland trat und ihm die Frage vorlegte: „Was soll ich Gutes tun, daß ich das ewige Leben haben möge?“ Der Herr gab ihm zur Antwort: Wenn er ja ein Übriges tun wolle, dabei es ihm nicht fehlen könne mit Erlangung der Seligkeit, so solle er hingehen, verkaufen, was er habe, und das Erlöste den Armen geben, so werde er einen Schatz im Himmel haben; dann solle er kommen und Jhm nachfolgen. Das betrübte den Jüngling , er ging traurig von Jesu weg. Der Jüngling wollte sich also nicht zu dem Rat verstehen, den ihm der Herr gegeben hatte. Warum? — er hatte viele Güter! Die hatten sein Herz gebunden; von ihnen war er gefesselt, so daß er ein so großes Wagnis nicht über sich nehmen konnte und lieber den Herrn daran gab, als seine Güter.

Wenn wir das so lesen, kommt es uns ein wenig hart vor, daß dem Jüngling eine so schwere Aufgabe gestellt wurde, der doch gewiß viel Gutes an sich hatte und von dem wir im Evangelium des Markus finden, daß Jesus ihn mit Liebesblicken angesehen habe (Mark. 10, 21.). Wir fühlen Mitleiden mit ihm, der „nicht ferne vom Reiche Gottes“ war, und möchten fragen, ob nicht der Heiland glimpflicher mit ihm hätte verfahren und ihn auf einem leichteren Weg für Seine Nachfolge hätte gewinnen können. Aber wir müssen die Sachen ansehen, wie sie sind. Hier gilt das Wort unseres Textes: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne, oder so er alle seine Güter behielte, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“, oder: „Was kann der Mensch geben. daß er seine Seele wieder löse?“

Wir sind freilich bald mitleidig, wir denken, man sollte nicht so viel von einem schwachen Menschen fordern, denn wir erwägen selber nicht genug, um was es sich handelt, und wie gefährlich es werden lann, auf zeitlichen Dingen zu ruhen. Wenn wir die ganze Gefahr überschauen und bedenken würden, in welcher wir schweben, wenn wir den Abgrund sehen würden, in welchen die Seele stündlich hinabgestürzt werden kann — wir würden gewiß Alles zurücklassen, um unsere Seele zu retten. Ungefähr, wie wenn man in einem brennenden Hause wäre, wo das Feuer schon auf allen Seiten emporlodert — da macht man, daß man hinauskommt, daß man sich selber rettet, wenn auch Alles, was zur irdischen Habe gehört, verloren ist. O meine Lieben, wir nehmen es immer zu leicht mit dem Himmelsweg ; auch Manche von denen, die schon im Glauben an JEsum stehen , nehmen es zu leicht. Viele gehen noch allzu sicher und selbstzufrieden dahin und achten nicht die ernstesten Ermahnungen des Herrn, oder finden sie in ihnen bald zu viel. Mit welchen Gefühlen aber werden wir einst in der seligen Ewigkeit, wenn wir sie erlangen, zurückblicken auf die Abgründe, vor welchen wir gestanden sind, auf die großen Gefahren, unter denen wir den Lebensweg zurückgelegt haben, deren ganze Größe uns jetzt nur deswegen verborgen ist, daß wir nicht mutlos werden! Und wie werden diejenigen erschrecken, welche die liebreichen, obwohl hart scheinenden Warnungen des Herrn in den Wind geschlagen haben!

In unserem Texte, geliebte Zuhörer, redet JEsus zu Seinen Jüngern, und Seine Rede gilt also vorzüglich solchen, die bereits dem Herrn nachfolgen. Daraus geht hervor, daß auch diese darum, weil sie dem Herrn nachfolgen, noch nicht gerettet sind. Denn es kommt darauf an, wie sie dem Herrn nachfolgen. Es folgen jetzt Tausende dem Herrn nach, wie einst zur Zeit Seines Erdenwandels, aber wie? — so, daß sie doch Schaden an ihrer Seele nehmen, d. h. ihre Seele einbüßen können. Darum ist es so wichtig, daraus zu merken, wie wir uns zu bewahren haben, so viele unter uns dem Herrn bereits nachfolgen. Da dürfen wir nicht weich sein gegen uns selbst, nicht so viele Nebenrücksichten nehmen; mit Fleischeszärtlichkeit wird nichts gewonnen. Wir müssen ganzen Ernst anwenden, uns selbst, wie der Herr sagt, verleugnen, und unser Kreuz auf uns nehmen, um gleichsam daran genagelt zu werden. Diese bekannten Worte, wenn wir sie recht ansehen, sind auch harte Worte; aber es geht einmal nicht anders. Willst du auf Rosen ruhen, auf weichen Polstern hinaufgetragen werden zum Himmel, so wird dir’s nicht gelingen. Denn es bleibt dabei:

Wer nicht kämpft, trägt auch die Kron‘
Des ew’gen Lebens nicht davon —
ja:
Wer da kämpft und kämpft zu schlecht,
Der versäumt sein Kronenrecht.

Wir reden daher heute:

Von der rechten Nachfolge Jesu:

I. Von den Gefahren, welchen die Seele dabei ausgesetzt ist.

ll. Von dem Rettungsweg, den wir einschlagen müssen.

Herr Jesu! Du hast uns gezogen, nimm von uns alle Fleischeszärtlichkeit, alle Weichlichkeit, Trägheit und Menschenfurcht. Schenke uns Kraft aus der Höhe, uns selbst zu verleugnen, unser Kreuz auf uns zu nehmen und durch Alles hindurch Dir nachzufolgen! Amen.

I. Der Herr hat gesagt: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Die Gefahren also, denen ein Nachfolger Jesu ausgesetzt ist, sind in der Welt. Wenn wir in der Nachfolge Jesu stehen, sind wir darum noch nicht im Himmel. Heißt es: die Welt gewinnen, so sind der Welt Güter, Freuden, Lustbarkeiten, Herrlichkeiten gemeint, nach welchen der Mensch von innen heraus einen so großen Zug hat und durch welche er seine Seele verlieren kann. Denket euch z. B. einen Menschen, der spricht: Herr Jesu, ich will Dir nachfolgen. Er merkt aber, daß er in dieser Nachfolge einen Verlust erleidet; alsbald geht er langsamer auf der betretenen Bahn. „Soll ich’s wagen, kann ich’s wagen,“ denkt er, „weiter zu gehen? Soll ich mich nicht auch darauf legen, etwas für mich und die Meinigen zu sammeln, oder das Meinige zusammenzuhalten? Werde ich nicht, wenn ich’s unterlasse, Mangel leiden oder gar an den Bettelstab kommen?“

Der Teufel schürt auch und gibt ein: „Höre, du gehst zu weit, du bist nicht klug und vorsichtig genug; gib Acht, dir wird’s fehlen.“ — Ach, lieber Mensch, wie viel schwere Kämpfe macht schon das Zeitliche, die Sorge um Nahrung, Kleidung und Obdach! Wenn aber Jemand dem Heiland nachfolgen will, so muß er im Glauben stehen, im Glauben geben, im Glauben nehmen, im Glauben rechnen, im Glauben warten. Das will dem natürlichen Menschen nicht einleuchten; dem soll Alles nach dem Einmaleins gehen, und wo er nicht hinaussieht, hat er Angst und meint, es geht mir aus. Obwohl man im Herzen ein Christ sein will, so will man doch gar nicht daran, von einem zeitlichen Vorteil abzusehen. O Welt, o Welt, wie Viele hast du schon betört! Sie haben gut angefangen, sie sind wacker gelaufen, aber die übertriebene Sorge um’s Zeitliche hat ihnen ein Bleigewicht an die Füße gehängt. Sie haben den Ruf zum Abendmahl vernommen; aber sie sprechen, denken: „Ich habe einen Acker gekauft, und muß hinausgehen, ihn zu besehen;“ der Andere: „Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen.“ Ich muß, heißt es, meine Sachen in Ordnung haben, dann will ich kommen und ganz meinem Heiland leben. — Nun, wühle nur fort, wenn du keine Warnung annehmen willst; aber nimm dich in Acht, ob deine Seele nicht Schaden, unwiederbringlichen Schaden leide. Wie aber vollends, wenn förmlich Habsucht und Geiz, die Wurzel alles Übels, dazu kommt! Ach, wie viele Tausende haschen nach immer Mehr, denken Tag und Nacht darauf , irdische Güter zu sammeln und das Gesammelte zu verwahren, und verletzen dabei ihr Gewissen, wie wenn das nichts zu sagen hätte. Ein wenig belügen, ein wenig betrügen, auch wohl stehlen, oder doch ein wenig karg sein, das macht ihnen nichts aus, deswegen wollen sie doch in der Nachfolge Jesu stehen. Aber hörst du nicht das Wort des Apostels: „Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben; lasset euch nicht verführen: Weder die Hurer, noch die Abgöttischen, noch die Diebe, noch die Geizigen werden das Reich Gottes ererben?“ (1. Kor. 6, 9. 10)

Ein Anderer denkt: Ich will auch unter denen sein, die Jesu nach auf dem schmalen Wege wandeln. Jetzt kommt er etwa an einem Haus vorbei, wo es lustig hergeht, wo rauschende Musik erschallt, wo getanzt, gezecht und gespielt wird. „Ei,“ denkt er, „darf ich nicht da hinauf?“ — Nein! heißt’s in seinem Innern. Das kommt ihm hart vor. Er meint, der Mensch sei ja auch zur Freude geschaffen, es könne nicht so gefährlich sein, er wisse Manchen, der ohne Schaden mitgemacht habe. Aber, mein Lieber, traust du dir? ist dir’s unbekannt. wie unter lärmender Lust und Freude Tausende schon Schaden an ihrer Seele genommen haben? So, meine Lieben, gibt es viele Dinge, welche zur Nachfolge Jesu nicht mehr taugen, und auf welche doch der natürliche Mensch als auf etwas Unschuldiges hineinfällt. Ach, wie Viele sind auf diese Weise in ihrem Christenlaufe zurückgekommen ! Dem Herzen nach wollen sie bei dem Herrn Jesu sein, in Wahrheit aber stecken sie in der Welt. Denkst du denn nicht daran, daß Seele und Seligkeit auf dem Spiele steht? Was soll ich von dem jungen Volke sagen? Viele schämen sich nicht, einen sündlichen Anhang zu haben, da und dort sich finden zu lassen, wo man ehrbare, züchtige Menschen nicht finden sollte, und wollen doch etwa noch gute Christen sein. Nun ja, mach‘ so fort; aber denkst du nicht, daß du deine Seele einbüßen kannst? Wagst du dich an das Feuer, das deine Kleider plötzlich ergreifen kann? Siehe die Fliegen, die dem Lichtschein folgen und unversehens der Flamme zu nahe kommen und verbrannt zu Boden fallen! Die Welt hat ein Gift, das darf der Mensch nicht ungestraft trinken. Sie ist eine Schlange, die einen Todeshauch hat, ähnlich jener Schlangenart, welche die Geschöpfe, die in ihrer Nähe sind, durch ihren Hauch so betäubt, daß zuletzt, z. B. Vögel, geradezu, obwohl mit Zittern und Angst, ihr in den Rachen fliegen. O fleuch vor der Sünde, wie vor einer Schlange! Du bist schon verloren , wenn du nur nicht fliehest! Aber das wollen sich die Leute nicht sagen lassen, daß schon eine Einbuße da ist, wenn man nur nicht flieht. Darum hat den Menschen, ehe er sich’s versieht, der Welt Lust im Netz.

Ist Einer ein angesehener Mann, viel geltend in der Welt — wenn’s nun mit seinem Christentum ein Ernst werden soll, wie leicht fürchtet er, um seine Reputation zu kommen, man werde mit Fingern auf ihn deuten, wenn er zu den Jüngern Jesu sich hielte. „Wie wird man mich darum ansehen?“ denkt er; „ich kann mich nicht so preis geben; was wird man von mir denken ?“ — Armer Mensch, willst du um deiner Ehre willen deine Seele einbüßen ? — Manche ferner unter denen, die den Herrn lieb haben, stellen sich öffentlich auf Seine Seite und eifern für Seine Ehre, aber man darf ihnen nicht in alle Kammern und Ecken nachgehen. Bist du aber ein Nachfolger Jesu, wenn du es so machst? O Welt, o Welt, was hast du für einen breiten Sitz in den Herzen der Menschen!

Die Welt ferner kann es nicht leiden, wenn Einer von ihr ausgeht und Nicht mehr in ihr gewöhnliches Treiben einstimmt; sie wird böse auf ihn und versucht es mit Locken und Drohen. Zuerst denkt sie: Ei, den will ich bald wieder herum haben; sie lockt auf allerlei Weise. „Besinne dich doch,“ sagt Eins schmeichelnd, „du wirst noch schwermütig werden, wenn du so den Sonderling machst; wir wollen auch fromm sein und einmal selig werden; wir gehen auch in die Kirche und lesen das Wort Gottes; oder glaubst du , daß wir Alle Höllenkinder seien, und du allein habest den rechten Weg eingeschlagen ?“ — Nun, du Nachfolger Christi, was willst du jetzt tun? Nicht wahr, jetzt bist recht in Verlegenheit? die Welt zieht dich auf die eine Seite , dein Gewissen auf die andere. Ach, wie sucht der Fürst der Finsternis diejenigen, welche sich ihm entwinden wollen, zu umgarnen und zu verstricken! Nur noch diesmal, heißt’s, genieße die Lust der Welt, es wird nicht so viel zu sagen haben, du kannst dich noch lange bekehren. O Mensch, der du deine Seele retten willst, sei vorsichtig, laß dich nicht durch Schmeichelei betören. Bleib aus dem Netze, in welches die Welt dich unter gutem Schein hereinlocken will, es gilt deine Seele, und die ist bald verloren , wenn du durch Schmeichelreden dich fangen läßt.

Doch vielleicht bist du stark gegen die Lockungen der Welt, du schlägst es ihr rund ab, wenn sie dich versuchen will; aber nun macht sie eine Faust wider dich und droht dir, und du erschrickst vor ihren Drohungen. Wer weiß, ob du nicht auf ihre Drohungen hin matt wirst und bald einige Schritte hinter deinem Heiland zurückbleibst? Ja, wenn du nur viel auf ihre Drohworte achtest und etwas darauf erwiderst, kann deine Nachfolge Jesu Not leiden, daß, wenn der Herr sich nach dir umsieht und fragt, wo bist du? du nicht mehr recht in Seiner Nähe bist. Es können aber auch Zeiten kommen, wo es heißen wird: Wer JEsu nachfolgen will, muß den Kopf lassen. Ja, es können, wie es in den Zeiten der ersten christlichen Kirche war, Kreuze aufgerichtet werden , an welchen diejenigen bluten müssen, die es mit JEsu halten. Kannst du es wagen, wenn es so kommt, wie das prophetische Wort weissagt, wenn’s an’s Leben geht, deinen Heiland auch im Angesichte des Todes zu bekennen? Oder bist du zu weich, zu zärtlich dazu? Ach, freilich, die Gefahr wäre unter solchen Umständen groß; und wie beklagenswert wäre es, wenn auch nur Eins von uns, die wir etwa lange in der Nachfolge Jesu gestanden sind, dieser Gefahr unterläge! Manches wird einen sehr schweren Kampf haben, wenn ihm die Wahl vorgelegt wird: entweder hier leben und dort sterben, oder hier sterben und dort leben.

Übrigens gibt es zu allen Zeiten und bei Allen gewisse Entscheidungspunkte, von welchen unendlich viel abhängt, bei welchen auch gleichsam die Wahl zwischen Leben und Tod vorgelegt ist. Abrahamsprüfungen, Hiobsprüfungen, wo der Herr besonders darauf sieht, ob sie rechts oder links gehen, ob sie Ihm treu bleiben oder die Stimmen des Fleisches und der Welt vorziehen. O ihr Lieben, wenn es uns nicht ein ganzer Ernst ist mit der Nachfolge Jesu, so fällt’s schwer, bei solchen entscheidenden Prüfungen bei Jesu zu bleiben. Daß du etwa viel reden kannst von deinem Heiland , das macht’s nicht aus. Bedenke nur z. B., wie oft du schon in die Mitte gestellt warst zwischen Recht und Unrecht, wo es darauf ankam, zu bewähren, wem du angehörst, indem die Welt hinüberzog und der Zug Gottes von oben herüber. Wie aber? wenn der Geist Gottes zu dir sagt: Schone deinen Bruder, der vor dir steht — und du tust ihm doch Unrecht? — wenn er sagt: Gib — und du gibst nicht; oder: „Tue das nicht“ — und du tust doch — kannst du alsdann ein Nachfolger JEsu sein? Einst kamen Engel Gottes in die böse Sodomsstadt und wollten forschen, ob noch ein Rest von Liebe und Gastfreundschaft in ihr übrig sei. Da galt’s für die arme Stadt, und für Lot, den Bruder Abrahams, der darinnen wohnte. Lot bestand in der Probe, nötigte die Fremden, herein zu kommen, und verteidigte sie mit Lebensgefahr vor den Mißhandlungen der Sodomiter; und also rettete er seine Seele, während Sodom in Feuer aufging. — Meine Lieben, solche entscheidenden Augenblicke kommen an Jedermann, und prüfet euch, wie ihr bis daher in Dergleichen euch verhalten habt! O, es ist schmerzlich, wenn man sieht, wie viele von Denen, auf welche man etwas hält, eben da, wo es gilt, Nichts sind. Freilich, ein Christengesicht zu machen ist leicht; aber darauf kommt es an, wer du bist, wenn es gilt, den Christensinn zu beweisen. Das sind die Augenblicke, welche die Engel im Himmel anzeichnen, wo der ganze Himmel darauf wartet, wie du dich entscheidest; und von ihnen kann unter Umständen dein ganzes ewiges Heil abhängen. Ach, liebe Brüder und Schwestern, habt ihr Angst oder nicht, wenn ihr euer Gewissen redlich sprechen lasset? Gesetzt, es wäre jetzt die Stunde, wo der Herr euren ganzen Lebenslauf würde ablesen und euch die entscheidenden Augenblicke bezeichnen, die Er in euer Leben hineinverwoben hat, wo es darauf ankam, Ja oder Nein zu sagen, wie würde euch zu Mute sein? Ach, wie Viele sind gute Christen, so lange es keinen Kampf kostet, und stellen sich der Welt und den Verlorenen gleich, wo nur im Geringsten Kampf von ihnen gefordert wird!

II. Nun, denke ich, erkennt ihr die große Gefahr, in welcher diejenigen stehen, die angefangen haben, Jesu nachzufolgen. Doch wie willst du dir helfen, wenn du diesen Entschluß gefaßt hast? Welches ist der einzige Rettungsweg, den du einschlagen mußt unter den tausend Netzen, die dir gelegt sind? Das ist das Zweite, wovon wir zu reden haben. Ihr seid vielleicht auf die Antwort begierig und denkt, es werde etwas Besonderes euch vorgebracht werden, womit ihr euch helfen könnet; aber ich weiß keine andere Antwort außer dem, was der Herr sagt: „Verleugne dich selbst und nimm dein Kreuz auf dich.“ Diese Worte müssen wir nicht sowohl als einen Befehl, denn als einen guten Rat ansehen, sofern Er uns damit andeutet, wie wir über uns selbst und über unsere Gefühle Meister zu bleiben suchen möchten. Denn verstehen wir das, so hat’s keine Not mehr mit uns und sind wir auf dem Weg, der uns über alle Gefahren hinüberrettet. Doch das lasset mich näher erklären. Der Herr sagt: „Verleugne dich selbst,“ d. h. du mußt tun, wie wenn du dich selber nicht kenntest, von dir selber nichts wüßtest, nach dir selber nichts fragtest.

Also, so lange du denkst: Dies und Jenes in der Welt tut wohl, Dies und Jenes in der Welt tut weh, so lange du das Eine heftig begehrst und vor dem Andern ängstlich fliehst, kann es schon in Frage gestellt sein, ob du als rechter Nachfolger Jesu aushalten werdest. Für dich sollte es nicht so viel Wert haben, dich in den Freuden, welche die Erde darbietet, zu weiden, zu ergötzen und zu erquicken. Wenn du so eifrig darauf hin bist, wenn du so gierig nach einem vorteilhaften Geschäft oder Handel trachtest, so gierig nach gutem Essen oder Trinken verlangst u. s. w, so bist du irdisch gesinnt und stößt auf Klippen, an denen du zerschellen kannst, wiewohl es nicht dahin gemeint sein soll, als dürftest du nicht genießen und dankbar genießen, was dir Gottes Güte beschert hat.

Auch der hat sich selbst noch nicht verleugnet, dem alles gleich so wehe tut, dem es so gar ans Herz kommt, wenn irgend ein Schmerz oder Leiden ihn trifft, daß er sagt, so gebe es keinen Menschen in der Welt, der so viel durchzumachen hätte. O lieber Mensch, wenn du so sehr dich fühlst, wenn du in Freude oder Leid so empfindlich bist, so bringt dich unvermerkt schon ein Geringes von Jesu weg. Darum müssen wir bis auf einen gewissen Grad und in einer gewissen Weise empfindungslos werden, damit kein Reiz und kein Schmerz uns zu mächtig werden könne. Denket euch den Fall: da kommt Einer her, der dich beleidigt und schilt; du kannst vielleicht acht Tage darüber nicht schlafen, so sehr ist es dir in’s Herz gedrungen. Oder ein Anderes kommt, schätzt dich gering und sieht dich nur obenhin an; ei, wie plagt dich das, daß du es nicht aus dem Sinne bringst und noch übers Jahr daran denkst. Woran fehlt dir’s? Nicht an der Selbstverleugnung? Wenn es aber so bei dir steht, wie wirst du bestehen in Gefahren, die deiner Nachfolge Jesu drohen! Ach, auch gläubige Christen , wie viel Empfindlichkeit und Reizbarkeit zeigen sie oft bei den geringfügigsten Anlässen! Scheinen sie doch mitunter weicher und zärtlicher gegen sich zu sein, als sogenannte Weltleute. Wie bald hat man’s bei solchen Zärtlingen verspielt, wenn man ihre Eigenliebe kränkt! Tausend Streitigkeiten, die den inneren Menschen stören, würden wegfallen, tausend Sünden, die die Seele verstricken, unterblieben, wenn das leidige Ich nicht immer so viele Ansprüche machte, wenn man nicht so tief empfände beim Fröhlichsein und Betrübtsein in der Welt; oder wenn man auch nur Etwas sich zu verleugnen wüßte. Der Heiland führt uns oft auf rauhen und dunklen Wegen; und wir, wo es gegen unsern Willen geht, wie bald sind wir verstimmt umd mißmutig! So lange uns aber ein Leiden, eine Plage so sehr mitnimmt, sind wir noch keine rechten Nachfolger Jesu*.

Noch allerlei Besonderes könnten wir da anführen, z. B. leidet Einer einen Verlust an Geld, an Kleidung, an Vieh u. s. f. — er bringt es lange nicht aus sich hinaus. Heißt das, sich selbst verleugnen, und ist ein Solcher gerüstet gegen die drohenden Gefahren? Hat ja der reiche Jüngling sollen sein ganzes Vermögen hergeben und sich nicht darob kränken! Vielleicht wenn er’s hätte ohne Selbstkränkung, d. h. mit Selbstverleugnung hergeben können, hätte der Herr diese Forderung nicht an ihn gemacht. Aber weil ihn der Verlust seiner Güter kränkt, ist er nicht stark gegen die Gefahren bei seiner Nachfolge Jesu. Wir müssen also so stehen, daß, wenn der Befehl Gottes an uns käme, wir hergeben können unser Vermögen, unsere Gesundheit, unsere Kräfte, unsere Ehre, unsern guten Namen, unsere Angehörigen, sei’s, daß es auch Thronen kostete. Wenn wir aber so übertrieben jammern, wehklagen, seufzen, so taugen wir nicht zu Jesu Nachfolgern; denn wir halten bei ihm nicht aus.

Meine Lieben, wenn es einmal heißt: Jesu nach! so muß uns alles Andere Nebensache werden. Bin ich traurig, so muß die Traurigkeit über meine Sünde jede andere Traurigkeit verschlingen; bin ich fröhlich, so muß in der Freude, daß Jesus mein Retter und Seligmacher ist, alle meine andere Freude aufgehen; in Allem muß ich nicht mich selber, sondern Jesum fühlen, wie Paulus sagt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20.). Wer so steht, der ist gewappnet und steht fest, wenn auch die ganze Hölle sich wider ihn verschwören möchte, ihn aus der Nachfolge Jesu herauszubringen. Daran also, meine Lieben, hängt Alles, daß wir unser eigenes Ich verleugnen; und gesetzt, es kommen schwere Zeiten, ja gesetzt, es komme auch der Henker vor uns und fordere unsern Kopf, so müßte auch hierbei uns Jesu Schmerz über unsern Schmerz gehen. So lange wir aber unsern Schmerz hoch tarieren und wohl gar höher tarieren, als den Er um unsertwillen auf sich genommen hat, dann sind wir verloren und bringen’s nicht durch; und haben wir’s nicht an kleinen Dingen gelernt, uns zu verleugnen, dann ist’s in gefährlichen Umständen um so gefehlter. Lernt daher auch beizeiten den Schmerz des Bruders und der Schwester höher achten, als den eigenen, und ebenso die Freude des Bruders und der Schwester höher anschlagen, als die eigene, so werdet ihr nicht leichtlich die Bahn Christi verlassen. Doch, meine Lieben, lasset’s euch durch den Geist Gottes weiter sagen, was zur Verleugnung und eben darum zur Sicherstellung seiner selbst gehöre, denn es läßt sich mit Worten nicht vollkommen erklären. Glaubet, nur auf diesem Rettungsweg werden wir durchkommen; denn wenn der Herr kommt, wird Er uns vergelten nach unseren Werken, wie es im Texte heißt, d. h. nach den Werken, wie sie sich durch die Welt- und Selbstverleugnung ergeben; und mit reichen Zinsen wird Er heimzahlen, was wir in seinem Dienste aufgeopfert haben; denn wer sein Leben verliert um meinetwillen, sagt Er, der wird es finden.

Wie aber, meine Lieben, sagt etwa Einer von euch: „Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?“ Nun, wenn dir’s zu viel ist, so bleib‘ weg, es zwingt dich niemand, Jesu nachzufolgen; aber sage du dann auch nicht, daß du ein Nachfolger Jesu seiest. Gehe nur fort, Jesus will keine gezwungenen Nachfolger haben, denn sie halten doch nicht bei ihm aus, wie Er selbst Seine Jünger einst fragte: „Wollt ihr auch weggehen?“ worauf Petrus sagte: „Herr, wohin sollen wir gehen ? Du hast Worte des ewigen Lebens!“ Noch behält der Herr das Wort und spricht: „Habe Jch nicht euch Zwölfe erwählet, und Einer unter euch ist ein Teufel?“ (Joh. 6, 67—70.)

Die Wahl also hat Jedermann; aber so viel ist gewiß: „wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, wer es aber verliert um Jesu willen, der wird’s finden.“ O daß die Schar derer, die nicht mehr sich selber kennen, sondern nur Jesum wissen und an Jhm hängen, möchte wachsen in dieser unserer bösen Zeit, auf daß die Herrlichkeit des HErrn bald offenbar werde der jammernden und seufzenden Kreatur! Amen!