8. Sein Wort. (1. Korinther 1, 18)

Das Wort vom Kreuz ist uns, die wir selig werden, eine Gottes-Kraft.
(1. Korinther 1, 18)

Einsam und verlassen sehe ich Dich, mein Heiland, am Kreuze hangen mitten inne zwischen zwei Schächern.

So ists auf Erden – lästernde, tobende und zerschlagene, anbetende Schächer und Du, o Jesu, in der Mitte – Du am Kreuze! Es ist ein rechtes, dürres Kreuz, ein Fluchholz, woran Du hängst. Du Selbst, Du Sohn des Hochgelobten, Du Freude der Engel und Trost Deiner Auserwählten, bist es, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt ist. Es war die dritte Stunde des Tages, als man Dich ans Kreuz erhöhte; es war um die sechste Stunde, daß die Sonne ihren Schein verlor und Finsterniß Dich am Kreuze umhüllte. In der neunten Stunde
schrie der Herr laut am Kreuze und gab Seinen Geist auf.

Nun ist Gottes ewige Kraft und Herrlichkeit geoffenhart am Kreuze Christi. Sünde mußte Sühne finden und fand sie am Kreuze des Gekreuzigten. Gott ist nimmer ein Gott, dem gottloses Wesen gefällt. Gottes Liebe in ihrer Unergründlichkeit wird nun gepriesen, daß Er Seines einigen Sohnes nicht verschont, sondern Ihn für mich dahingegeben hat als das Lamm, das meine Missetat trägt. Nun ist die Liebe geoffenbart.

Nun falle es mir wie Schuppen von den Augen. Es ist der Fluch, welchen meine Seele vor Gott und Seinen reinen Augen trägt und welchen mein Heiland auf Sich genommen hat an dem Holz des Fluches. Es ist nur Segen, welcher vom Kreuze Christi zu mir herniederkommt, hinter diesem Kreuze liegt kein Zorn Gottes mehr verborgen. Meinen Fluch trug er hinauf an Sein Kreuz, den Segen bringt Er mir hernieder. Jesu, Du gekreuzigter Heiland, so ist nun Gottes unsichtbares Wesen an Deinem Kreuze geoffenbart und so werde ich vor Dir offenbar, daß ich am Fluche Gottes krank bin und durch Deinen Segen gesunde.

Herr, das ist Gottes Kraft. Ja Kraft, Kraft! Was nutzen Worte mir? Was sollen Schatten meiner Seele helfen? Die Welt und der Tod und die Sünde in mir sind auch Kräfte und weichen nur der Kraft. Es müsse Kraft – Gottes Kraft, Kraft aus der Höhe sein, wie Du sie versprochen. Herr mein Erbarmer, laß das Wort von Deinem Kreuze eine blitzeshelle Kraft
in meinem Gewissen sein, die mich beuge mit allen meinen Kräften unter Gott. O laß es eine warme Kraft der Liebe in mir sein, daß ich vor Gott blühe in Vertrauen und Dankbarkeit. O Jesu, wende Dich zu meinem Gebete und laß das Wort von Deinem
Kreuze wie großes Wasserrauschen voll Gerechtigkeit und Frieden vor mir sein. Vor Dir stehe ich, zu Dir rufe ich, Dich bete ich an: Du bist für mich gekreuzigt, und ich bin durch Dich errettet und gesegnet.

Ich bleibe nun in diesen Stunden,
Da Gott die Welt gehüllt in Nacht,
Da hingesenkt in Qual und Wunden
Mein Freund verschied, der Herr der Macht;
Da flammt Sein Geist auf mich hernieder,
Sein Himmel leuchtet im Gemüth,
Ich höre Harfen, höre Lieder,
Wie nie auf Erden klang ein Lied.

Quelle:

Stille halbe Stunden. Von Th. Schmalenbach. Gütersloh, Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 1877.
Bayerische Staatsbibliothek, urn:nbn:debvb:12-bsb11354794-3
Lizenz: NoC-NC 1.0No copyright – non-commercial use only

Vorherige Seite – Inhalt – Nächste Seite