Psalm 84, 6

Wohl den Menschen, die Dich für ihre Stärke halten, und von Herzen Dir nachwandeln.
Psalm 84, 6

Betrachtung zum 16. Januar

Es ist die Neigung des natürlichen Menschen, möglichst selbständig dazustehen, in eigener Kraft, unabhängig. In solcher Stellung gefällt und fühlt er sich, sie schmeichelt seinem Hochmut. Wird diese seine Selbständigkeit angetastet, so hält er es für ein Unglück. Gottes Ziel mit jedem Menschen ist, ihn in völlige Abhängigkeit von ihm zu bringen. Das kann aber nur geschehen durch Brechen solcher Selbständigkeit, die sündlich und gottlos ist. Zu diesem Zweck bringt Gott uns in Lagen, in welchen eigene
Weisheit, eigene Kraft und eigene Mittel nicht mehr ausreichen. Nun ist aber die große Frage, wie wir uns stellen, ob wir in solcher Notlage auf Kunstgriffe verfallen, das heißt auf Selbsthilfe und Menschenhilfe, oder ob wir uns demütigen und Hilfe bei dem Herrn suchen. Letzteres ist Gottes Gnadenwille, der aber leider von den meisten Menschen auch in der Not nicht verstanden wird. Es sind wenige, die sich gründlich demütigen, ihr Unvermögen erkennen und sich in die gottgewollte Stellung bringen lassen, den Herrn für ihre Stärke zu halten.

Die Sünde verblendet den Menschen und diese Verblendung läßt ihn nicht erkennen, dass das die seligste Stellung ist, wenn wir im Herrn unsere Stärke haben. Nur mit dieser Stärke reichen wir allezeit aus, mit aller andern Kraft werden wir zu Schanden. Einem rechten Kinde ist es keine Last, von den Eltern abhängig zu sein; es ist ihm genug, sich von den Eltern versorgt zu wissen. So ist es für einen gedemütigten Menschen ein seliger Stand, in allen Dingen sich vom Herrn abhängig zu wissen und erfahren zu dürfen, seine Kraft ist in unserer Schwachheit mächtig, er versorgt uns. In solcher abhängigen Stellung wird der Wandel sehr erleichtert; man kann nicht beliebig wandeln, sondern wandelt nach dem Vermögen, das Gott darreicht, und läßt sich von ihm den Weg weisen.

Ich danke Dir Herr, mein Gott! daß Du meine eigene Kraft gebrochen hast. Bringe mich in allen Dingen in völlige Abhängigkeit von Dir und laß Deine Gotteskraft an mir offenbar werden.  Amen.

Elias Schrenk
(1831-1913)

Quelle: Tägliche Betrachtungen für das ganze Jahr mit Anhang, S. 16. Von E. Schrenk. 2. Auflage, 32. bis 36. Tausend. Kassel. Druck und Verlag von Ernst Röttger, 1892.