Die Kirche des Evangeliums und ihre Diener

Predigt bei der ersten Diöcesan-Synode zu Heilbronn

am 7. Sept. 1855 über Matth. 5, 13-16
von Pfarrer Vogel aus Bonfeld,
nebst dem Eröffnungs-Gebet von Decan Koch zu Heilbronn.
Heilbronn. Verlag von Albert Scheurlen, 1855.

Altar Gottesdienst und Eröffnungs Gebet.
gehalten von Dekan Koch.

Gemeindegesang: Nr. 16, V.1

Herr Jesu Christ! Dich zu uns wend
Und Deinen heilgen Geist uns send,
Mit Hülf und Gnad er uns regier,
Und uns den Weg zur Wahrheit führ.

Der HErr sey mit Euch!

Chor: Und auch mit Deinem Geiste.  Amen.

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch Allen. Amen.

Chor: Die Gnade…

Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.

Chor: Heilig heilig etc.

Gott, man løbet Dich in der Stille zu Zion und Dir bezahlet man Gelübde. Du erhörest Gebet, darum kommt alles Fleisch zu Dir.

Chor: Dich Gott zu Zion etc.

Lasset uns nun Herzen und Hände in Andacht zu Gott erheben und also beten: Gelobet seyst Du, Herr unser Gott .Dir gebühret Majestät und Gewalt, Herrlichkeit, Sieg und Dank. Dein ist das Reich und in Deiner Hand stehet Kraft und Macht. Du bist freundlich, Deine Gnade währet ewiglich und Deine Wahrheit für und für (Ps. 100,5a). Wir danken Dir von Grund unserer Herzen, daß Du Dir da und dort Gemeinden gesammelt hast durch Dein Wort und Deinen h. Geist, und sie vereiniget und zusammengefasset zu einer heiligen christlichen Kirche, erbauet auf den festen Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus, Dein lieber Sohn. der Eckstein ist. Uns zu verbinden zum gemeinsamen Wirken für diese Deine Kirche, die Du uns bis heute noch fest erhalten hast wider Pforten der Hölle und alle Bosheit und Tyrannei der argen Wel,t zu berathen und zu besorgen, was ihr Wohlergehen und Auferbauen fördert, dazu ist dieser heutige Tag uns von Dir, o Herr, gemacht; so gib Allen, die jetzt hier versammelt sind in Deinem Hause von nah und fern, von daher und von dorther, lebendig zu erkennen und kräftig zu fühlen ihre Zusammengehörigkeit als Genossen Einer Kirche, als Deine Hausgenossen, als Glieder an Einem Leibe, dessen Haupt ist Christus, damit eines dem andern Handreichung thue nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seiner Maaße und mache, daß der Leib wächset zu seiner selbst Besserung, und das alles in der Liebe.

Erwecke in Allen einen rechten Eifer und eine brünstige Liebe für die Kirche, Dein Haus erbauet aus lebendigen Steinen und ein treues Anhangen an ihr als wie an einer Mutter. Und je größer die Gefahren und Nöthen sind, die ihr drohen, desto mehr rüste und stärke jetzt alle Herzen zur Vereinigung der Kräfte, und wecke den Fleiß zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens, daß da sei Ein Leib und Ein Geist (Eph. 4, 3.4a), Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller, der da ist über Allen und durch Alle und in Allen (Eph. 5.6). Die Du Dir aber verordnet hast, daß sie Deine Rathsleute sein sollen in Deiner Gemeinde, die rüste aus mit einem zwiefachen Maaße Deines h. Geistes, o Gott, damit sie versichert werden Deiner Gnade und gestärket durch die Macht Deiner allwirksamen Stärke, heilsame Beschlüsse fassen, zum Besten Deiner Gemeinde und zum Lob und Preis Deines großen Namens, damit sie Dämme bauen gegen den hereinbrechenden Strom der Aergernisse und die Gewässer des Unglaubens, und Mittel finden, zu heilen das Kranke und zu verbinden die Wunden, aus denen Dein Volk blutet und vor den Riß zu treten, daß er nicht noch größer und unheilvoller werde, und zu bessern Deines Zions Stege. Ach, daß Du den Himmel zerrissest und führest herab (Jes. 64, 1a) im Brausen eines gewaltigen Windes, und käme die allgemeine Ausgießung Deines Heiligen Geistes und erfüllete alle Herzen mit dem Feuer der Liebe für Deine große heilige Reichssache, daß wir alle unsere Gaben und Kräfte hingeben zur Ehre unseres hochgelobten Hauptes, Jesu Christi, und zum Dienst seiner Kirche, die seine Braut ist und für die er sein Herzblut vergossen hat, und noch manche Garbe eingebracht werde vor den letzten Gewittern und wir als treue Bekenner erfunden werden und nicht zu Schanden werden vor Dir am Tage Deiner Zukunft.

In dem Kampfe aber der uns verordnet ist, hilf uns siegen, Herr, unser Gott. Schwer ist der Kampf mit dem Fürsten dieser Welt, doch in Deinem Namen werfen wir Panier auf, und unser Panier ist das des Kreuzes, an welchem Dein lieber Sohn sein Blut vergossen hat für die Rettung der sündigen Welt, er, der gesprochen: „Seid getrost ich babe die Welt überwunden“. Und bei diesem Panier ist der Sieg, daß einst noch alle Kniee sich beugen und alle Zungen bekennen, daß Jesus Christus ist der Herr, zu Deiner Ehre, o Vater, und alle Heiden fröhlich wandeln in Deinem Lichte und alle Könige im Glanze Deines Wortes und alle Sünder bei Dir Ruhe finden für ihre Seelen und alle die Deinigen lobsingen von der Seligkeit in Deinem Dienste.

Herr! Herr! erbarme Dich unser und vergib uns alle unsere Schuld und vielfache Versäumniß. Nimm Dich unser nach allen unsern Bedürfnissen an. Segne jetzt die Kraft Deines Wortes und alle Berathung nach Deinem Wort, segne unsere heutige Versammlung und gib Funken vom Leuchter Deiner Wahrheit in unser Aller Herzen und Sinne, damit wir meinen, was göttlich und nicht was menschlich ist, und laß bald unter uns anbrechen das Reich Deiner königlichen Herrlichkeit.  Amen.

Chor: Amen, Amen, Amen!

Die Gemeinde singt nun aus dem Liede Nro. 217

Herz und Herz vereint zusammen den 1., 2. und 3. Vers.


Predigt

gehalten von Pfarrer Vogel aus Bonfeld.

In dem HErrn geliebte, durch das Blut Jesu Christi theuer erlöste Gemeinde! ꟷ

Daß wir heute hier tagen, ist für uns etwas Neues und in unserer evangelischen Landeskirche bisher nicht dagewesen. Daß Hirten und Prediger der Gemeinden im Vereine mit erwählten Aeltesten die kirchlichen Angelegenheiten berathen, fließt übrigens nicht aus dem herrschenden Zeitgeiste der in Formen constitutioneller Repräsentation für Volk und Gemeinde Recht und Heil erwartet, sondern folgt aus dem königlichen Gnadenschutze unseres Heilandes, welcher seine Kirche des Evangeltums immer fester gründet auf das apostolische Wort. Denn wir sind hier beisammen, Prediger und Aelteste auf dieser Diöcesansynode, w e i l  und  w i e  sie dort beisammen waren (Apostelgesch. Cap. 15). Apostel und Aelteste, um die Rede Pauli und Barnabä zu besehen. Wir stehen also auf apostolischem Grund und Vorgang. Und wie dort die angekommenen Brüder nicht allein von den Aposteln und Aeltesten, sondern dazu auch (Vers 4) von der ganzen Gemeinde empfangen wurden, so danken wir auch Dir, geliebte Gemeinde, diesen Empfangesgruß, den wir als ein Zeichen Eurer Fürbitte für uns und unser Vorhaben entgegennehmen.

Willkommen denn geliebte Gemeinde! Willkommen, Ihr theuren Amtsgenossen! Willkommen, Ihr in dem Herrn werthgeschätzte Aelteste! Willkommen, die Ihr Euch in weiterem und engerem Kreise um das göttliche Wort schaaret, ähnlich wie dort Volk und Apostel am Berge saßen, als der Herr seinen Mund aufthat und die Predigt vom Berge hielt (Matth. 5).

Aber was soll ich Euch predigen, Geliebte, welches Alte und Neue hervortragen aus dem Schatze des Schriftworts? (Matth. 13, 52) -Die Aufgabe, zugleich dem Amte am Worte und seinen Dienern, den tragenden Stützen desselben, Euch Aeltesten, sowie der gründenden Gemeinde zur Erbauung reben zu sollen, führt mich eben in jene unter ähnlichen Verhältnissen gesprochene Bergpredigt hinein, aus welcher uns die Worte Matth. 5, 13-16 zum Texte dienen sollen.

Sie lauten also:

„Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man salzen? Es ist zu nichts hinfort nütze, denn daß man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet es denen allen, die im Hause sind. Also lasset Euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure gute Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“

Es scheiden sich in diesen Worten von selber drei Stufen aus: Salz der Erde, Licht der Welt, Stadt auf dem Berge, welche eben so viele Grundeigenschaften und Hauptaufgaben der Gemeinde und ihrer Apostel und wohl auch eben soviele Zeitperioden der Kirche bezeichnen, daher wir auch unsrer Betrachtung darüber diese drei Stufen geben und unser Thema also stellen:

Die Aufgabe der Kirche des Evangeliums und ihrer Diener.

Zum Ersten:

Ein Salz der Erden, Priesterlich
Stets reiner, schärfer, ritterlich
Die Wahrheit hüten, pflegen.

Zum Andern:

Ein Licht der Welt, Prophetenwort
Vom Heil dring‘ durch die Völker fort!
Voran auf Liebeswegen!

Zum Dritten:

Zions König
Steht am Werke
Auf dem Berge
Bleibet nicht die Stadt verborgen.
Gottes Knechte sind geborgen.

Gebet.

Herr Jesu Dein Salz, dein Licht, deine Stadt sollen wir sein! Mach‘ uns dazu und segne uns! Laß uns dein Wort verstehen, bewahren und üben! Segne die Zuhörer! Segne die Prediger, daß fie mit freudigem Aufthun ihres Mundes wieder verkündigen, was du ihnen geschenket hast. Laß uns nicht fallen, halt und fest in deiner Gnade, segne uns durch dein Nahesein.  Amen.


I.

»Ihr seid das Salz der Erde«

Zuvörderst also auch von Erde, Menschen von gestern her, Staub und Asche, ein mangelhaft und gebrechlich Gebilde, noch nicht die Gemeinde, die droben ist ohne Flecken und Runzel. Auch unsre kirchlichen Einrichtungen, obwohl auf ewigem göttlichem Fundamente, sind vielfach menschlich, lückenhaft und dem Wechsel unterworfen, und die Bausteine am Tempel Gottes sind sündhafte Sterbliche. Aber eben darum für uns, geliebte Brüder, welche Aufforderung, zu wirken so lange es Tag ist, die Zeit auszukaufen und so lange es Heute heißt, Heil anzubieten, Friede zu verkündigen!

Staub und Asche,  ꟷ aber dennoch das Salz der Erde. So hat denn der Herr seiner Gemeinde seine Lebenskraft gegeben und die Aufgabe gestellt, ein einigendes, die Welt vor Fäulniß bewahrendes und würzendes ,alles eigene Phantasiefeuer niederzuschlagendes Heilmittel zu sein. Und wir, in dem HErrn geliebten Amtsbrüder! Uns gilt in besonderem und vertieftem Sinne die Ansprache: Ihr seid das Salz der Erde  ꟷWir wissen, es muß Alles mit Feuer gesalzen werden und alles Opfer wird mit Salz gesalzen (Marci 9, 49.) so ist denn unsere Aufgabe:

1.) für die Gemeinde zu sein die ihre Weihe vollendende Opferzuthat, d. h. im allgemeinen Priesterthum ein besonderes priesterliches Geschäft zu üben, dadurch wir die Erde Gott wohlgefällig machen. Aber wie können wir das? Ist das nicht ausschließlich allein unsers Hohepriesters und Mittlers Amt? Allerdings, und dazu noch ist sein Opfer das einzige, und Er der einzige Fürsprecher, der gerecht ist. So bleibt denn uns als dem Opfersalze freilich keine versöhnende, aber doch eine verhütende Fürbitte, nicht mehr und nicht weniger zu thun als jenes, was Abraham that (1. Mos. 18, 23-32.) für Sodom bittend, und wenn auch nur zehn Gerechte in dieser Stadt wären, sie zu schonen: was Mose und Samuel thaten, heilige Hände zu dem HErrn aufhebend, daß Amalek gedämpft ward (2. Mose 17.) und Israel siegte (1. Sam 7.), und mit Paulo (Eph. 3, 14-16) unsre Kniee zu beugen gegen den Vater unsres HErrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, daß er Euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit stark zu werden durch seinen Geist.

So lasset uns denn in täglicher Fürbitte priesterlich erscheinen vor dem Gott aller Gnade für unsere Gemeinden und insbesondere für die angefochtenen Seelen um Bewahrung vor dem Argen und vor aller Befleckung des Geistes und des Fleisches.

2.) Ihr seid das Salz der Erde.  Wir haben zum Andern die wichtige Aufgabe, in scharfem Anfassen zu reinigen und immer wieder zu reinigen, als Gesegnete und Gefreite der Reformations=Gemeinde unseren reformatorischen Beruf zu üben in lauterer Verkündigung des Evangeliums, getreu unsern Vätern in Christo, in furchtloser Nachfolge des Gottesmannes Lutheri, im heilsamen Zaune unserer evangelischen Bekenntnisse und insbesondere der Augsburgischen Confession, in fester Bewahrung unsres vaterländischen Catechismus und Confirmationsbuchs, abwehrend zu wirken gegen alle eigene Gerechtigkeit in eitlen Werken und gegen alle Menschensatzungen am Werke Gottes, und mit lockender Hirtentreue oder wenn es sein muß mit aller Schärfe der Ermahnung und Bestrafung zu dringen auf den Glauben an Jesum Christum, den für uns gekreuzigten Heiland.

Und so sei denn auch heute bei dieser ersten Diöcesansynode feierlich angelobt auf das ewige Evangelium und Euch, liebe Gemeinden, das Wort gegeben, daß wir Eure Kanzeln sauber halten wollen von allen unevangelischen Reden in fleischlichem Eifer und Eure Altäre rein von eigenem Opfer, daß wir als das Salz der Erde in unserer Predigt Fleisch und Geist Euch vor Fäulniß bewahren wollen.

3) Dazu, lieben Brüder, lasset uns unsere Lenden umgürten mit Wahrheit und nicht aufhören zu salzen, damit wir nicht aufhören ein Salz zu sein, wenn wir erfunden würden, als die da wider die Wahrheit streiten oder gar feilschen mit der Wahrheit: wehe, wennwir unsere Salz- und Lebenskraft preisgäben, und dem  Schwerte des Geistes die Spitze abbrächen, wenn wir stumpf oder stumm und dumm würden, daß man uns hinauswürfe und ließe uns von den Leuten zertreten werden!

Ach wenn wir, die mitten in der Kirche Gottes stehen, über dies Heiligthum hinaus nach Babel hinausgestoßen würden, während wir doch Zion bauen sollten, wenn die alte Schlange dafür, daß ihr Kopf zertreten ist, an uns Rache nehmen und uns zertreten dürfte! Welch ein Gericht! Welch eine Qual! Welch ein Exempel Gottes! Nein, nein, auf alle Gefahr hin Wahrheit, und wieder Wahrheit, – und über Alles Wahrheit, denn Ihr seid das Salz der Erden!

4.) Damit wir aber selber in der Wahrheit immer mehr gegründet werden, immer festeren Boden gewinnen, uns nicht wiegen und wägen zu lassen von allerlei Wind der Lehre durch Schalkheit und Täuscherei der Menschen, keine Kinder am Verständnisse, sondern  ein vollkommener Mann seien, so lasset uns streben hinanzukommen zur Einerleiheit des Glaubens und der Erkenntniß Sohnes Gottes.  Lasset uns immer mehr forschen in der Schrift, mit Salzkraft ihre Geheimnisse zu lösen, lasset uns fortstudiren in unserer theologischen Wissenschaft! Freilich, sie steht bei Vielen in keinen hohen Ehren, auch Viele, die da meinen in Christo etwas zu sein, verachten sie, und uns studirte Pfarrer mit. Viele wollen das Predigtamt in der Kirche zu einem Gemeingut Aller machen, Vielen auch haben wir um unsres studirten Wesens willen manche Ecke und Schärfe, auch wahr, ꟷ aber nur getrost, s’ist ja Salz; und wir sollen kein Gold und kein Eisen und Wasser auf die Mühle und keine fette Ackererde sein, sondern das Salz der Erde; und das muß eben beißen und beizen, absonderlich wo viel Fleisch ist. Darum

Ein Salz der Erden. Priesterlich
Stets reiner, schärfer, ritterlich
Die Wahrheit hüten, pflegen.


II.

Ein Licht der Welt. Prophetenwort
vom Heil dring‘ durch die Völker fort!
Voran auf Liebeswegen!

Salz, meine Lieben, ist von Unten her, Licht kommt von Oben herab, die gute, vollkommene Gabe von dem Vater des Lichts. So hat denn die Gemeinde Christi, obwohl irdisch, eine obere himmlische Natur Gott hat ihr seinen Geist eingehaucht, wie im Anfange dem Erdenkloß, so dem Leibe Christi, der da ist die Gemeinde; und seinen eigenen Licht=Titel: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8, 12), trägt der Heiland über auf seine Gemeinde. Sie soll nicht hinaus vor die Welt, sondern in der Welt stehen über der Welt, wie die Sterne am nächtlichen Himmelsgezelt in die dunkle, Gott entfremdete Welt hinein leuchten, ihre Kälte erwärmen, milde strablen, freundlich und kräftig wirken, das Schlummernde zum Leben erwecken.

»Ihr seid das Licht der Welt«

1.) Schon dem Wortlaute nach eine Hinweisung auf das prophetische Amt. Hat der Priester das Untere mit dem Oberen durch Versöhnung zu verbinden, so hat der Propbet das Obere dem Unteren nahe zu bringen, zu predigen, Gottes Offenbarungen und Heil anzubieten. So bleibt denn auch die Predigt in der Kirche sicherlich immer in centraler Geltung, und unsre Aufgabe, lieben Brüder, im Lichtkreise unsres Amtes bleibt der Predigt unsre erste Liebe und nach Form und Inhalt die erste Kraft unsrer sabbathlichen Stimmung zuzuwenden. Es bleibe, auch wenn neue lebensvolle Ordnungen die Kirche Christi weiter bauen, dennoch diese wartende, lauschende Gemeinde mit dem erweckenden, Heil anbietenden Rufe des Predigers gleich dem Acker, der auf seinen Samen wartet das Bild, in welchem die Kirche des Evangeliums sich erkennt.

2.) Du selbst aber, liebe Gemeinde, sollst Antheil nehmen am prophetischen Amte deines Herrn und seiner Knechte, denn du bist nicht allein die Reformationsgemeinde, sondern auch die Missionsgemeinde, du sollst wachsen in viel tausendmal Tausend, du sollst gesegnet sein und durch dich gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden, du sollst werden wie der Sand am Meer, und wie die Sterne am Himmel, Licht zu geben in die Finsternisse der Heidenwelt hinein. Es wachse deine Missionslust, es wachse deine Missionskraft, und wir, lieben Brüder, wollen sie wecken und nähren, senden und senden lassen.  Ach, daß bald auch unter uns ein  Jüngling sich aufmachte, ein Mann in Christo, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und Israel in seinen Todesschatten zu trösten! Wir aber, die wir beim Geräthe bleiben, wollen’s uns doch nicht zu bequem machen in dem heiligen Krieg, sondern uns unsern Brüdern gleichstellen, die draußen das Sterben des HErrn Jesu allezeit an ihrem Leibe tragen.

3.) Ihr seid das Licht der Welt.  Hat uns die Betrachtung des Wortes vom Salze so nachdrücklich an die Hut und Pflege der Wahrheit erinnert, so thuts wohl auch das Licht, aber es ist noch mehr, es ist Reinheit, fleckenlos durchsichtig, Wesen mit sanfter, milder, wärmenter Wirkung. So lasset uns nun ablegen die Werke der Finsterniß und anziehen die Waffen, ja selbst die Natur des Lichts, selber ein Licht zu sein.  Seid Vorbilder der Heerde und wandelt im Lichte, zu verkündigen die Tugenden deß, der uns berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Licht (1. Petri 2, 9). Insbesondere lasset uns das Licht nicht unter den Scheffel stellen, keine materiellen Interessen, kein Mehr oder Weniger Lohn breche oder verdunkle gar seine Strahlen, sondern hell und hoch über der finsteren Welt und ihrem Mammon sollen selbst unsere Persönlichkeiten auf den Leuchter gestellt sein zur Erleuchtung Aller, die im Hause Gottes sind.

Ach bilde mich nach dir, du mein Alles!
Jesu hilf du, hilf mir dazu,
Daß ich auch heilig sei wie du!

Brüder, wir müssen auch im Allergeringsten treu sein, und wehe uns, wenn wir Andern predigten und selbst verwerflich würden!

Ein Licht sei auch diese Synode! Die mancherlei Gaben und Kräfte in diesen Männern einige und bilde heraus derselbe Eine Herr und Geist zum allgemeinen Besten, daß es sei wie Ein Licht mit vielen Strahlen und Alles wie aus einem Guß zu Tage komme. Ein lichtvoller Friedens= und Liebesgeist walte über uns und

Einer reize doch den andern,
Kindlich leidsam und gering
Unsrem Heiland nachzuwandern,
Der für uns am Kreuze hing!

Einer soll den andern wecken,
Alle Kräfte Tag für Tag
Ohne Sträuben darzustrecken,
Daß er ihm gefallen mag.

Daß diese Synode dem Leuchter im Heiligthum gleiche, von Oben entzündet, ein freundlich Plejadengestirn am nachtumzogenen Kirchenhimmel!

4.) Wie für das Salz der Wahrheit die Erkenntniß das Gefäß ist, so wollen wir auch für das Lichtgebiet unsres Amtes alle Gaben des innersten Gemüths mit seinem Reichthum aller edleren und reineren Empfindungen und Bestrebungen in Dienst geben. Wir sollen kein verzehrend Feuer sein, sondern ein freundlich Licht, brüderlich nahe kommen, leutselig in alle Verhältnisse eingehen, mit dem liebevollsten Erbarmen den Verlorenen, Verirrten und Versprengten nachgehen, mit aufopferndem Missionssinn das Elend aus allen seinen Nöthen zu retten suchen, den angefochtenen Seelen die düsteren Trübsalswälder helfen lichten, uns selber von allen rankenden Giftgesträuchen reinigen, den Säumigen und Zweifelnden die Anker zur fröhlichen Heimfahrt lichten, und was Alles noch in der Liebe Fülle beschlossen ist.

Ein Licht der Welt. Prophetenwort
vom Heil dring‘ durch die Völker fort!
Voran auf Liebeswegen!


III.

Zions König
Steht am Werke.
Hoch vom Berge

Bleibet nicht die Stadt verborgen.
Gottes Knechte sind geborgen.

Ja, Geliebte, wir sind nicht blos einzelne Salz=Krystalle oder Salzkörner, auch nicht blos vereinzelte brennende und scheinende Lichter nur, wir sind eine Stadt, wir haben einen gemeinsamen Herrn, und wie zum priesterlichen Beruf einen Hohepriester, zum prophetischen einen Meister, so zum königlichen Beruf einen König.

1.) Wie, wir haben einen königlichen Beruf?  Ja, jenen, dem es heißt: „Wer unter euch will gewaltig sein, der sei euer Diener, und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht“ (Matth. 20, 26 u. 27).

So sind wir denn königlich. Dafür halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse: nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie tren erfunden werden (1. Cor. 4, 1+2). Wir haben, lieben Brüder, der Stadt Bestes zu suchen, sie helfen zu bauen, sie zu vertheidigen, über sie zu wachen und zu sorgen, daß Alles ordentlich zugehe, wir haben zu allererst die Bürgerpflicht zu üben, in treuem Gehorsam, das ist unser Antheil an dem königlichen Amte Christi, nicht daß wir in unserem Amte herrschen, sondern dienen, sei es an dem Wort, sei es an der Verwaltung, sei es an den Ordnungen, sei es an den Gütern der Kirche.

2.) Denn sie ist eine Stadt, eine feste Burg, ein sicheres Gemeinwesen, und ihre Glieder zusammen eine Bürgerschaft, eine Gemeinde, ja ein Haus Gottes.

»So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen, und Gottes Hausgenossen, erbauet auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau in einander gefüget, wächset zu einem heiligen Tempel in dem Herrn, auf welchem auch ihr mit erbauet werdet zu einer Behausung Gottes im Geist«

(Eph. 2, 19-22)

Es hat mancherlei Volk mit manigfaltigen Gaben, Kräften und Berufsarten Wohnrecht in dieser Stadt, wofern sie nur Alle zu den rechten Thoren in Zion eingehen und die festen, geheiligten Ordnungen heilig halten.

Von diesen Ordnungen eine ist nun auch unsre Diöcesansynode, und wir begrüßen in ihr ein, wenn auch noch kleines, doch folgen- und segenreiches Saatkorn. Sie wird insbesondere eine Wächterin der Ordnung sein und es der Gmeinde nahelegen, daß, wer sich den Ordnungen der Stadt Gottes widersetzt, eben dadurch auch an ihren verbrieften Freiheiten und Privilegien rüttele; sie wird es nicht zugeben, daß die Kirche des Evangeliums in lauer Weitherzigkeit zum offenen Kaufhause werde, da man nach Belieben ein- und ausfliegen könne, aber auch nicht in kalter Engherzigkeit den Tempel Gottes in ein dumpfes Gefängniß verwandeln; sie wird sich unter dem Thore Zions und auf seinen Zinnen, in seinen Häusern, Hütten und Werkstätten zu schaffen machen, um den so mannigfach in Staub und Koth getretenen Groschen mit Emsigkeit zu suchen, sein Bild und Ueberschrift wieder herzustellen und seinen Werth zur Geltung zu bringen.

3.) Es mag die Stadt auf dem Berge nicht verborgen bleiben, spricht der Herr und macht es ihr zur Bedingung, sie solle ihr Licht leuchten lassen vor den Leuten, daß sie ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel preise. Zur Ehre Gottes muß Alles ausschlagen, zur Verherrlichung seines Namens muß nicht allein die Verkündigung der Wahrheit und der vorbildliche Wandel, sondern auch die ganze praktische Seite unseres Hirtenamtes dienen, welche wir in der Aufforderung des Herrn zu guten Werken ausgesprochen finden. Unsre Mutter, die Gemeinde, hat im Laufe der Zeiten so viele liebliche Kinder geboren, deren Pfleger wir sein sollen, daß wir, lieben Brüder, alle Hände voll zu thun haben, auch außerhalb unserer rein kirchlichen Arbeit. Da ist Seelsorge, Armenpflege, Schulaufsicht, Lehrerbildung, Unterricht im Worte Gottes, Erziehung der Jugend, Sorge für das Gut der Kirche und so manches Andere, was uns nicht müßig am Markte stehen lassen darf. Wieviel Aufforderung zu guten Werken, zu praktischer Rührigkeit und emsigem Fleiß eines Gottes=Bürgers! Und ob auch der Früchte wenig sichtbar werden, wir lassen den Muth nicht sinken, wir behalten im Auge die hochgebaute Stadt und sprechen mit dem Psalm (84, 11, 12): Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst Tausend. Ich will lieber die Thür hüten in meines Gottes Hause, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten. Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild, der Herr gibt Gnade und Ehre, er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.

Haben wir schon seither, und namentlich die Prediger dieser Stadt, viel, viel Aufmunterung und Kräftigung nehmen dürfen aus dem gemeinschaftlichen Zusammenwirken mit den Collegien der Kirchen=Aeltesten so dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, von dem Vereine der Kirchen=Aeltesten zusammen auf eine neue Stufe freudigen Wirkens in guten Werken gehoben zu werden.

4.) Ja wir hoffen noch weiter, wir hoffen auf die Stadt, die zukünftig ist, wir hoffen auf das kommende Zion, wir hoffen auf die Kirche des Evangeliums in der Zukunft, wir hoffen noch höher hinauf, auf die Jerusalem, die Freie, die droben ist, die nicht verborgen bleiben wird, weder denen, die ihre Augen aufheben zu den Bergen, von welchen herab Hilfe kommt, noch denen, die in der Verblendung ihrer Augen zu den Bergen sprechen müssen: „Fallet über uns“, und zu den Hügeln: „decket uns“. Wir hoffen, daß sie herniederkommen wird als eine geschmückte Braut, und eine Hütte Gottes sein wird bei den Menschen. Weil wir ihre goldenen Gassen niemals aus den Augen lassen, belebt die freudige Hoffnung unsern Gehorsam, und wir legen als Gottes treue, wenn auch unnütze Knechte unser Haupt hin ohne Sorgen.

Bis dahin, bis Sie kommt, bis Er, der HErr kommt, haben wir nur Einen Wunsch, es möchte die Kirche des Evangeliums, wie fie die Reformations= und Missions=Kirche ist, auch werden die Unionskirche, einig in sich, einigend die Andern zu ihrem Könige, Christus. Der Herr wird’s versehen. Wir stehen in des Königs Hand. Einstweilen sei und bleibe der evangelischen Kirche und aller ihrer Diener Aufgabe und Segen:

Ein Salz der Erden, Priesterlich
Stets reiner, schärfer, ritterlich
Die Wahrheit hüten, pflegen.

Ein Licht der Welt, Prophetenwort
Vom Heil dring‘ durch die Völker fort!
Voran auf Liebeswegen!

Zions König
Steht am Werke.
Auf dem Berge
Bleibet nicht die Stadt verborgen.
Gottes Knechte sind geborgen.

Amen!

Schlußgesang der Gemeinde:  Lied Nr. 217. Vers 10.

[Digitalisat]

Eingestellt am 5. Juni 2023