Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. (Johannes 16, 12+13)
Die ganze Wahrheit verheißt mir Jesus, und die Größe jener Verheißung bringt mich wieder zum Staunen. Denn ich weiß ja, was für eine Mischung ich in mir trage, Richtiges und Verkehrtes, Wahres und Einbildung. Ich erlebe es beständig, daß meine Gedanken durch den Fortgang der Ereignisse berichtigt werden und die Dinge später anders aussehen als dann, wenn ich handle. Aber mein Staunen hat wieder seinen Grund darin, daß ich mich selbst beschaue und in mir selbst meinen Stützpunkt suche. Jesus hat nicht seinen Jüngern gesagt, daß sie die ganze Wahrheit in sich tragen. Das sagt er vom Geist Gottes, der sie führt. Nun ist deutlich: hier gibt es nur Grund zum Danken und nur die entschlossene Willigkeit, der Leitung des Geistes zu gehorchen. Gerade weil die Christenheit nur schrittweise voran kommt und in ihrem inneren Leben ein beständiges Sterben erfährt, da ihre Gedanken verwelken und ihr Verhalten sich wandeln muß, hat ihr Jesus gesagt:
Ich lasse euch nicht allein, sondern gebe euch einen Führer, und dieser ist nicht halbblind und nur mit einem Stück der Wahrheit eins, sondern die ganze Wahrheit ist sein Eigentum. Wir haben dringend einen Maßstab nötig, an dem wir die Gaben des Geistes erkennen. Wahrheit, nichts als sie, lautere, ungemischte Wahrheit, sagt uns Jesus, ist das, wodurch der Geist euch regiert. Alles, was unecht und künstlich ist, stammt nicht aus dem Geist. Darum gibt es aber auch keine Lage, in der uns der Geist nicht leiten könnte, die etwas anderes von uns forderte, als daß wir seiner Führung gehorsam seien. Folge dem Geist; er führt dich nicht in Selbsttäuschung, sondern befreit dich von ihr, und leitet dich nicht auf schwankende, unsichere Wege, sondern macht deinen Gang gerade und sicher. Darum gib gern deine Meinungen und Gewohnheiten auf, wenn der Geist dir sagt: tu sie weg; du verlierst nichts; und öffne deine Seele mit herzlichem Begehren für das, was der Geist dir zeigt. Denn das, was er dir gibt, ist Wahrheit und nichts als sie.
Dich, der Du das Licht der Welt bist, will ich loben und meine dunkle Seele zu Dir bringen, damit Du Deinen Schatz in sie legst, Deine Wahrheit, die meine Eitelkeit vertreibt und meine falsche Liebe reinigt, daß ich in der Leitung Deines Geistes Deinen Willen tue.
Amen.
Komm, Balsam Gottes, heil’ger Geist,
erfüll die Herzen allermeist
mit deiner Liebe Brennen.
Von dir allein muß sein gelehrt,
wer sich durch Buß‘ zu Gott bekehrt;
gib himmlisches Erkennen!
Der fleischlich‘ Mensch sich nicht versteht
auf göttlich Ding und irregeht;
in Wahrheit woll’st uns leiten
und uns erinnern aller Lehr‘,
die uns gab Christus, unser Herr,
daß wir sein Reich ausbreiten.
(Ambrosius Blarer von Giersberg)