Sprüche 22, 2

Reiche und Arme müssen untereinander sein; der HERR hat sie alle gemacht. (Sprüche 22, 2)

Im Paradies hatte keine Armut Raum gehabt, und nach dem Sündenfall hatten Adam und seine ersten Nachkommen den großen Erdboden vor sich, wo sie bauen und pflanzen konnten, so viel sie wollten. Ebenso verhielt es sich nach der Sündflut; denn Noah und seine Söhne, Enkel und Ur-Enkel hatten so viel Raum auf dem Erdboden, daß keiner arm sein konnte. Aber schon zu Abrahams Zeit gab es leibeigene Knechte und Mägde, die arm waren, auch mag es unter den freien Leuten damals schon Arme gegeben haben; und doch war die Erde damals bei Weitem nicht so bevölkert, daß nicht alle Menschen Feld und Feldfrüchte genug hätten haben können.

Auch jetzt ist bisher die Menge der Menschen auf dem Erdboden nie so groß gewesen, daß wegen derselben eine Armut nothwendig gewesen wäre, aber die Furcht vor gewalttätigen Räubern drängt die Menschen so zusammen, daß ihrer in Ländern, wo sie Schutz haben, zu viel werden, und dagegen anderswo viele und große Plätze, die fruchtbar sein könnten, unangebaut bleiben, da dann unter der Menge viele Arme entstehen müssen, zu geschweigen, daß auch die Faulheit, die Üppigkeit, und andere Laster, aber auch Landplagen und andere Unglücksfälle, die Gott verhängt, viele Personen und Geschlechter arm machen. Über diesem Allem nun waltet die Vorsehung Gottes. Reiche und Arme müssen unter einander sein; der HErr hat sie Alle gemacht; Er hat sie nämlich entweder mit Wohlgefallen oder in Seinem Zorn reich oder arm gemacht. Diese Einrichtung hat auch ihren großen Nutzen; denn ohne dieselbe würden viele Liebeswerke und Liebesdienste unterbleiben, die Menschen würden gegen einander kaltsinnig werden, wenn Keiner des Andern bedürfte, und sie würden, wenn kein gegenwärtiger oder zukünftiger Mangel sie zum Fleiß aufweckte, in eine faule Wollust versinken, wie man bei Heiden, die von keiner drückenden Armut wissen, wahrnimmt. Arm sein ist keine Schande, weil Jesus Christus, der Sohn Gottes, auf Erden auch arm war, und schon viele Heilige und Geliebte Gottes arm gewesen sind. Ein Armer kann und soll doch das tägliche Brot haben, wenn er das Vater Unser gläubig betet, ob er schon nie einen Vorrat auf zukünftige Zeiten hat. Bei einem Armen kann sich die Vorsorge Gottes durch einzelne und oft unerwartete Proben deutlicher offenbaren als bei einem Reichen, auch ist er, wenn er sich der Sorgen durch den Glauben erwehrt, vergnügter als ein Reicher, der, weil er Vieles hat, auch Vieles verwalten muß, und Vieles verlieren kann.

Ein Reicher soll dafür halten, daß er zu besonderen Liebeswerken berufen sei, die nur ein Reicher tun kann, und sich dazu willig finden lassen. Nur ein Reicher konnte Jesum mit Spezereien und leinernen Tüchern begraben und Seinen heiligen Leichnam in ein neues Grab legen lassen, und tat es auch gerne, da hingegen die armen Apostel zu andern Werken berufen waren. Niemand begehre, reich zu werden. Niemand hänge sein Herz an den Reichtum, der ihm zufällt. Er ist vergänglich, und sättiget die Seele nicht. Im Himmel werden alle Seligen reich sein.

(Magnus Friedrich Roos)


Eingestellt am 28. Januar 2024