Markus 10, 23-27: Eine harte Rede

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Rede. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, daß die, so ihr Vertrauen auf Reichtum setzen, ins Reich Gottes kommen! Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann denn selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Eine harte Rede, die wir soeben vernommen haben aus dem Munde unseres Herrn und Heilandes! „Es ist leichter, daß ein Kamel…“ Ein Kamel mit seinem hohen, ungefügen Körperbau, turmhoch bepackt mit allerlei Lasten, und – ein Nadelöhr!

Für unser Auge fast der denkbar kleinste Durchgang! Bedeutet das nicht die reine, klare Unmöglichkeit? Und wenn wir auch für κάμηλος („Kamel“) κάμιλος  („Ankertau, Schiffsseil“) zu lesen hätten, der Sinn bleibt doch derselbe. Daber auch das Entsetzen der Jünger: „Wer kann dann selig werden?“

Die Meinung hat sich denn auch zu allen Zeiten (cfr. heutzutage Rénan) geltend gemacht, das Evangelium Jesu habe nur Geltung für die Armen, die da nicht in Purpur und köstliche Leinwand einhergehen und nicht alle Tage herrlich und in Freude leben können; für die Reichen habe der Heiland nur ein „Wehe Euch!“ gehabt. Dazu führt man an: den vorgelesenen Text, ferner Mark. 10, 21 , Luk 18, 19-31; Luk. 6, 24; Luk 12, 15; Matth. 6, 19; Jak. 5, 1-4 und viele andere Stellen.

Auch die katholische Kirche hält es für ein consilium evangelicum und für ein opus supererogationis, sich seines irdischen Reichtums freiwillig zu entäußern. Aber auch hier gilt die analogia Scripturae S., id est ea singulorum, Sc. S. effatorum inter se relatio, qua nulla repugnantia data, sese invicem explicant. Die Meinung unseres Heilandes ist das sicherlich nicht gewesen; er preist den reich begüterten Abraham selig, läßt dem Hause des nach der Teilung seines Vermögens immer noch reichen Oberzöllners Zachäus Heil widerfahren sein; hat unter dem weiten Kreise seiner Jünger den reichen Nicodemus und den begüterten Joseph von Arimathia, spendet auf der Hochzeit zu Kana in liebevoller Sorgfalt den köstlichsten Wein, weist die Maria nicht zurück, die mit dem kostbarsten Nardenöl ihn salbt, wohl aber die Jünger, die über diese Verschwendung entrüstet sind. (cf. „Beweis des Glaubens“, Novemberheft 1873: Christus und die Essäer, pp. 493-497). Und die ganze heilige Schrift verdammt den Reichtum nicht als solchen;  Sprüche 22, 2; Sir. 1o, 25;  1. Tim. 6, 17 und v. a. Stellen. Und welcher Widerspruch, so Gott uns mit der Rechten irdischen Segen verleihen wollte, um mit der Linken uns von seinem Vaterherzen zu stoßen.

Aber doch steht klar und deutlich da: „Wie schwerlich werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!“ – „Es ist leichter, daß ein Kamel…“ Also trotzdem ein eigen Ding um den Reichtum und das Reichsein, das Sich-reichfühlen muß etwas in sich fassen und schließen, was die Seele hindert, sich zu Gott zu erheben, ja was sie umkommen lassen kann in den trüben Wassern des irdischen Daseins. Doch durch die dunkle finstere Wolke, die auf dem Reichtum liegt, fallen wie tröstende Lichtstrahlen die Worte des Heilandes, V. 27: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht…“

Zu den Reichen gehören offenbar auch die, die sich überhaupt im Besitze irdischen Gutes so reich und glücklich fühlen, daß sie nach dem geistlichen und geistigen Reichtum des Reiches Gottes kein sonderliches Verlangen haben. Daher die Jünger: „Wer kann denn selig werden?“ So pocht das Wort des Heilandes an unser aller Herzen und mahnt zur ernsten Selbstbetrachtung.

Laßt uns daber betrachten:

Die Gefahr, welche im Reichtum liegt.

Wir fragen:

I. Welcher Art ist sie?
II. Wie wird sie behoben?

Achten wir auf die Veranlassung, die der Herr hatte, ein solches ernstes Wort über den Reichtum zu reden (Mark. 10, 17-24). Trotzdem jener Jüngling glaubt, dem Herrn sagen zu können, er habe alle Gebote von Jugend auf gehalten, scheint er doch zu fühlen, daß ihm noch etwas fehle, daß er noch nicht würdig sei, einzugeben in das Reich Gottes; es klingt die Frage durch: „Was mangelt mir noch?“

Der Heiland wil ihm den tiefen Sinn des Gesetzes aufschließen, ihm seine Sünde und Knechtschaft zum Bewußtsein bringen; er legt ihm die Probe auf, Alles zu verkaufen, sein Kreuz auf sich zu nehmen und dem Herrn nachzufolgen. Und der Jüngling wird schon vor dem ersten Gebote, Gott über alles zu lieben, zu Schanden. Hier der Heiland, mit dem himmlischen Frieden seines Antlitzes, seiner Worte des ewigen Lebens, dort sein prächtiges Haus, sein Gold und Silber, die Freuden und Genüsse dieses Lebens. Der Kampf war schwer, aber die Welt trug in dem Jüngling den Sieg davon über das Reich Gottes. Dieser Kampf wiederholt sich in den Herzen unendlich vieler Menschenkinder:

„Dem Jüngling gleichen viele Christen,
Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt
Und seh’n darauf nach ihren Lüsten
Und nehmen ihre Lüste mit.
Beschwert mit diesen Hindernissen
Weicht bald ihr träger Geist zurück,
Und auf ein sinnlich Glück beflissen
Vergessen sie die Müh‘ um ein unendlich Glück.“

Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz, Matth. 6, 21. Und wo unser Herz, da auch unser Gott. Von Geld und Gut ummauert, liegt die Gefahr nahe, daß es keinen Durchgang mehr findet zu dem, der da spricht: „Gib mir mein Sohn, dein Herz!“

Sucht das Herz überhaupt seine Befriedigung in den Dingen dieses Lebens, dann fängt es an, die innere Stimme, die nach oben führt, zu verachten; es bewahrheitet sich das Evangelium des 20. Sonntages n. Trin., Matth. 22:  „Aber sie verachteten das und gingen hin…“, dann wieder die Entschuldigungen des 2. Sonntags n. Trin. laut Luk. 14.

Verkauft an ihren Acker, gekettet an ihre Ochsen, gefesselt von ihrem Gelde allein, hingegeben der Sorge für die Familie verlieren unendlich viele die Sehnsucht nach dem Reiche Gottes und seiner Seligkeit. Hat der Heiland nicht recht, wenn er klagt: „Wie schwerlich werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!“

Ist die Mahnung des Psalmisten nicht durchaus begründet: „Fällt euch Reichtum zu, so hänget das Herz nicht daran!“ Es frage daher ein Jeder sich selbst: „Hat mein Herz schon eine solche Richtung genommen? Steht mir mein Acker, mein Vieh, mein Geld, mein Amt und Handtierung höher als Gott, der da spricht: „Ich bin der Herr, dein Gott“, als der Heiland, der da sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Und wie viele andere todbringende Gifte führt der Reichtum mit sich! Der Reichtum ist wie eine gefräßige, nimmer zu sättigende Raupe; mehr, mehr! ist seine Parole. Wer reich ist, will reicher werden, um dadurch den Drang seiner Seele zu befriedigen, 1. Tim. 6, 9.

So geht Hand in Hand mit dem Reichtum der Geiz, die Wurzel alles Uebels. Wie viel tausend Seelen – wir sehen’s ja namentlich heutzutage (cfr das Gründertum und den Actienschwindel), ist das nimmer rastende Bestreben, Geld auf Geld zu türmen zum Fallstrick geworden. Bevorteilung, Betrug, Diebstahl, Meineid, Ehebruch, Mord und Totschlag sind die verruchten Gesellen des Geizes, des Reich- und Reicherwerdens. Genußsucht, Fressen und Saufen, so oft die Aliierten des Reichseins. Und wie oft hat der Reichtum Stolz und Hoffart in seinem Gefolge, eine Gesinnung die nichts wissen will von einem demütigen Schuldbewußtsein. Das Alles erwäge, und du wirst die Wahrheit des Heilandswortes verstehen lernen: „Es ist leichter, daß ein Kamel…“. Erwäge ferner, wie wir Alle mit einander Anteil haben an der Weltliebe, an dem „haben und festhalten“, wie es uns Allen so schwer wird, das Wort der frommen Sängerin in uns zu realisieren:

Schickt das Herze da hinein
Wo ihr ewig wünscht zu sein!

und du wirst auch die entsetzte Frage der Jünger begreifen: „Wer kann denn selig werden?“

II.

Sollen auch wir an der Möglichkeit zweifeln, daß ein Reicher eingehen könne in das Reich Gottes? Nun, unser Heiland zweifelt nicht an der Möglichkeit. Bei den Menschen ist es unmöglich, spricht er,  aber nicht bei Gott, denn alle Dinge sind möglich bei Gott!

Gott kann es also durch die Allmacht seiner Gnade möglich machen. Er leitet ja die Herzen der Menschen wie Wasserbäche, Sprüche 21, 1. Er hat tausend Mittel und Wege, die durch den Reichtum in der Liebe gegen ihn erkalteten Herzen zu erwärmen. Auch das in den Irrgängen grober Laster verderbte Herz des Schächers am Kreuz konnte er geknickt und gebrochen hinlenken zu seinem Sohne; warum nicht auch die an den Reichtum dieser Welt verkauften und geketteten Herzen?

Wie fade und nichtig kommen uns alle Güter dieses Lebens vor auf dem Krankenbett! Der Tod läßt uns vollends alle Güter in dem erbärmlichen Lichte der Vergänglichkeit schauen. Da fängt der Mammon an zu wanken, das Herz sucht festeren Grund. „Nackend lag ich auf dem Boden …“

Der Tod hat Hände falten, Kniee beugen gesehen von Menschenkindern, die sonst nur Hände falteten und Kniee beugten vor dem goldnen Kalbe. Und wie viele andere Boten kann die Allmacht Gottes dem Reichen senden, die ungestüm an sein kaltes und hartes Herz pochen! Wie viele Hiobsfälle!

„Es sind ja Gott sehr schlechte Sachen
Und ist dem Höchsten Alles gleich…“

Geld und Gut tastet er an und fegt es hinweg wie der Wind die Spreu. Ja, und wenn das Alles nicht wäre, wenn die Füße des Reichen stets wandelten auf Rosen, so können wir doch über ihn, so lange er lebt, kein: „Wehe dir!“ ausrufen, „Du bist ein Kind des ewigen Verderbens“. Wir sind göttlichen Geschlechtes. Der geheime Zug des Herzens, und wäre es turmhoch ummauert, geht doch hinauf zu ihm, dem Vater des Lichtes, gleichwie die Wasser des Stromes in den lieblichsten Tälern und sonnigsten Auen nie stille stehen können, sondern fort und fort hindrängen zu dem Ozean aus dem sie entstanden.

Augustinus: Herr, du hast unser Herz zu dir hin erschaffen, darum ist unser Herz so lange unruhig, bis es ruht in dir. So sind also wohl wahr und treffend nach der einen Seite des Heilandes ernste Worte. „Wie schwerlich werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!“ – „Es ist leichter daß ein Kameel durch ein Nadelöhr…“

Aber ebenso wahr und treffend auf der andern Seite des Heilandes tröstende Versicherung: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott, denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“

Wann aber wird uns das Reichsein nicht zum Fallstrick und Verderben gereichen?

1. Kor. 7, 29-32: „Die da Weiber haben, wenn sie sind, als hätten sie keine und die da weinen, als weinten sie nicht und die sich freuen, als freuten sie sich nicht und die kaufen, als besäßen sie es nicht, und die diese Welt brauchen, daß sie derselbigen nicht mißbrauchen, denn das Wesen dieser Welt vergeht.“

Du aber, Herr Gott, himmlischer Vater, der du reich bist an Barmherzigkeit durch deine große Liebe, damit du uns geliebt hast, mach unser Aller Seelen hungernd und dürstend nach den reichen Gütern deines Hauses. Laß uns über den Gütern dieses Lebens nicht vergessen noch verachten das Kleinod, welches uns vorhält die himmlische Berufung in Christo Jesu. Amen.

(Julius Dammann,  Pfarrer in Burgscheidungen)

Quelle: Mancherlei Gaben und ein Geist, Eine homiletische Vierteljahrsschrift für das evangelische Deutschland, S. 427-430. Herausgegeben von Emil Ohly, evang. Pfarrer in Ginsheim, Prov. Starkenburg, Hessen. Siebzehnter Jahrgang. Wiesbaden, Julius Niedner Verlagshandlung, 1878. Philadelphia, bei Schäfer & Korabi.