Es sind alle Dinge so voll Mühe, daß es niemand ausreden kann. Das Auge sieht sich nimmer satt, und das Ohr hört sich nimmer satt. (Prediger 1, 8)
Genauer übersetzt lauten die Worte: „Alle Worte ermüden, Keiner mag es ausreden; nicht satt wird das Auge vom Sehen, nicht voll wird das Ohr vom Hören“. Man spricht und spricht im Leben, und spricht doch nie das rechte Wort aus, darin das Sprechen seine Befriedigung und Stillung fände; man sieht und sieht, und sieht doch nie im Leben einen Gegenstand, auf dem das Auge mit vollem Genüge ruhen könnte; man hört und hört, und hört doch nie, was die Sehnsucht zu hören völlig stillen könnte. Ein unaufhörliches, ein unauslöschliches Verlangen nach einem gewissen „Etwas“ ist in dem Menschenherzen, aber dieses „Etwas“ ist in dieser Welt der Eitelkeit nicht zu Hause. Das Leben neckt uns nur, als könnte es uns Befriedigung bieten, aber es gewährt sie nicht. Was wir haben, gefällt uns nicht, und wir sehnen uns nach dem, was wir nicht haben, und wenn wir’s haben – siehe, so ist es auch eitel.
Nicht eine Welt, nicht eine Zelle
Gibt einer Seele ihre Ruh‘;
Kein wogend‘ Meer und keine Welle
Strömt ihr ersehnten Frieden zu.
Es hauchen alle Rosenhaine
Dir nicht die Ruhe in’s Gemüt,
Und auch das Veilchen nicht, das kleine,
Das nur für dich verborgen blüht.
So bestrebe Dich denn, Dein Herz von der Liebe zum Sichtbaren loszureißen, und es zu dem Unsichtbaren zu erheben. Denn die ihrer Sinnlichkeit blind folgen, beflecken ihr Gewissen, und verlieren die Gnade Gottes. Das ist die höchste Weisheit: Die Welt verschmähen und nach dem Himmelreich trachten.
(Thomas von Kempis)
Querverweise
Hölle und Abgrund werden nimmer voll, und der Menschen Augen sind auch unersättlich. (Sprüche 27, 20)
Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (2. Korinther 4, 17+18)
Quellenangaben:
Prediger Salomo, Erstes Kapitel, von C.W.E. Quandt, in: Glaubensstimme