…sondern ermahnt euch selbst alle Tage, solange es „heute“ heißt, daß nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. (Hebräer 3, 13)
Ihr Lieben, glaubt ihr, es werde dann Zeit sein zur Vorbereitung, wenn ihr dem Rande des Grabes naht? Betrüget euch nicht! Wir lesen in der Schrift nur von einem einzigen Falle, in dem einer in der elften Stunde gerettet ward, und wir haben keinen Grund zu glauben, daß es jemals einen andern Fall dieser Art gegeben hat oder geben werde. Es ist möglich, daß noch einige auf ihren Sterbebetten gerettet worden sind, aber gewiß ist es nicht. Es mag geschehen sein, aber wer kann behaupten, daß es wirklich geschehen ist?
Manches spricht leider sehr dagegen; denn solche, die am besten darüber urteilen können – die lange im Lazarett der Welt umhergegangen sind – haben uns versichert, daß solche, die in der Erwartung des Todes sich zu bekehren gelobten, fast immer wieder umgewandt sind, „wie der Hund nach dem, was er gespieen hat, und wie die Sau sich nach der Schwemme wieder im Kot wälzt“. O nein, „Heute, so ihr seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht“ (Hebr. 3, 7.8); denn das Heute ist die Vorbereitungszeit auf das unbekannte Morgen – Heute ist’s Zeit, sich bereit zu machen auf die ewige Zukunft.
Doch hüte dich vor Sicherheit!
Denk nicht, zur Buße ist noch Zeit!
Ich will erst fröhlich sein auf Erd‘,
Wenn ich des Lebens müde werd‘,
alsdann will ich bekehren mich,
Gott wird wohl mein‘ erbarmen sich.
Wahr ist’s, Gott ist zwar stets bereit
dem Sünder mit Barmherzigkeit.
Doch wer auf Gnade sündigt hin,
fährt fort in seinem bösen Sinn
und seiner Seele selbst nicht schont,
dem wird mit Ungnad‘ abgelohnt.
Heut‘ lebst du, heut bekehre dich!
Eh‘ morgen kommt, kann’s ändern sich.
Wer heut‘ ist frisch, gesund und rot,
ist morgen krank, vielleicht gar tot.
So du nun stirbest ohne Buß‘,
dein Leib und Seel dort brennen muß.
Hilf, o Herr Jesu, hilf Du mir,
daß ich noch heute komm zu Dir
und Buße tu‘ den Augenblick,
eh‘ mich ein schneller Tod hinrückt,
auf daß ich heut‘ und jederzeit
zu meiner Heimfahrt sei bereit!
Dein Heiland will nur deine Seligkeit. Er läßt kein Mittel unversucht, um dich aus der Sünde Ketten zu retten. Er bittet, Er mahnt, Er warnt, Er straft, Er weint um dich, Er, der sein Herzblut für dich vergossen hat.
Aber Er zwingt dich nicht in seine Nachfolge. Jesus spricht: Ich will. Walt‘s Gott, dass es von dir nicht heiße: Er wollte aber nicht! – Endlich: So lange ein Mensch lebt, so lange er noch Gnadenzeit hat, und so lange Gott einen Menschen nicht aufgegeben hat, dürfen auch wir ihn nicht aufgeben. Aber das schließt nicht aus die andere Tatsache: es gibt in jedem Menschenleben besondere Gnaden- und Entscheidungszeiten. Werden sie versäumt, dann ist es vorbei – vielleicht für immer.
Darum möchte ich zum Schluß jedem im Geiste die Hand reichen und ihn bitten: Du willst doch kein Judas werden? Nun, so eile und errette deine Seele. Heut komm, heut nimmt dich Jesus an!
Quelle: E. Keeser, Pastor in Elberfeld. In: „Der Weg göttlicher Zeugnisse, Sechs Vorträge“. Eberfeld, 1902. Neu herausgegeben von Thomas Karker, Bremen 2018
Wer seiner Seelen Heil verträumet,
der hat die Gnadenzeit versäumet,
ihm wird hernach nicht aufgetan.
Heut komm, heut nimmt dich Jesus an!
(Leopold Franz Friedrich Lehr)
Der Apostel fand diese Warnung bei den ersten Christen, die durch ihn oder andere Apostel des Herrn erweckt und geführt wurden, für notwendig; wie vielmehr wird sie für uns nötig sein? Ach, wie leicht fällt man zurück, wird wieder lau, und endlich umempfänglich für alle Gnadenrührungen – woraus nach und nach Verstockung geboren wird. Es ist nichts listiger als die Sünde, sie betrügt so leicht wieder den, der ihr abgesagt hat, aber nicht ganz, oder sich nicht beständig vor ihr fürchtet, sein Herz nicht mit Demut bewahrt und nicht kindlich an dem Herrn hängt. Es versteckt sich nach und nach etwas Arges und Schlechtes im Herzen, macht dasselbe ungläubig, und es fällt ab vom lebendigen Gott, bleibt am toten Buchstaben, an Formen und gewohnten äußern Übungen hängen. Aber der lebendige Gott, Christus und sein Geist, sein Friede und seine Nähe ist aus dem Herzen gewichen. Was kann und wird aus einem solchen christus-leeren, gottlosen Herzen werden? Es zieht ein Anderer ein, der mit sieben Ärgeren kommt. Warum sagt Paulus: vom lebendigen Gott? Darum, weil Gott für uns ein toter Gott ist, wenn er nicht in uns lebt. Gott ist in sich immer lebendig, aber für dich ist er nichts, wenn du sein Leben und Wesen, seine Gnade und Kraft nicht in dir spürst. Du hast dann nur die toten Götzen der Buchstaben ohne Geist, der leeren Worte ohne Leben. Das wirkt die Täuschung der Sünde. Sie läßt dir einen toten Gott auf der Zunge, ohne Geist im Herzen, äußere Übungen ohne inneres Leben; wenn nur Gott, Christus nicht in dir lebt, damit sie ihr Wesen in deinem Herzen treiben kann. Es muß aber umgekehrt sein, die Sünde muß im Innern getötet werden, und Christus muß darin leben, sonst bist du abgetreten vom lebendigen Gott, und deine frommen Übungen werden dir zu toten Götzen, die das Herz verhärten und verstocken.
Quelle: Glaubensstimme – Christliche Texte aus 2000 Jahren
Wer jeden Tag so anfängt, daß er zu sich selbst sagt: „Dieser Tag ist für dich ein Tag des Heils, aber vielleicht ist es dein letzter Tag; darum sei wie der Knecht, der seines Herrn wartet, und heilige all dein Tun und Lassen in dem Gedanken, daß der Ruf des Herrn dazwischen hinein schallen könne!“ – der wird sich vielleicht tausend Mal und aber tausend Mal verrechnen können, aber doch gewiß nie zu seinem Schaden, sondern immer zu seinem Vorteil; und ein Mal wird er sich doch auch nicht verrechnen, dann trifft es ein: „Selig ist der Knecht, den der Herr nicht träge und müßig findet!“ – Wer gleicherweise am Tage des Herrn, das Wort Gottes hörend, sich selbst ermahnt: „Heute hörst du vielleicht auf Erden das Wort Gottes zum letzten Male, es ergeht heute an dich der letzte Ruf der erweckenden, lehrenden, ermahnenden und warnenden Gnade, so überhöre den Ruf nicht und gehorche ihm!“ – der wird vielleicht noch mehrmals das Wort Gottes hören, aber es wird ihn nie gereuen, es jedes Mal so gehört zu haben, als hörte er es zum letzten Male; und ein Mal wird es doch auch das letzte Mal sein, und dann heißt es: „Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren!“ –
O, was kann das Wort „Heute, heute ist der Tag des Heils“ der Ermahnung für Kraft und Nachdruck geben, die Gnadenzeit wohl anzuwenden! Welch ein Wurm, der nicht erstirbt, und welch ein Feuer, das nicht erlöscht, wird für die Verdammten in der Erinnerung liegen, ein gnadenreiches „Heute“ nach dem andern versäumt zu haben! Und mit welchem Beben der Freude vor dem Angesicht des Herrn werden die Seligen denken: „Daß du vom Tode zum Leben hindurchgedrungen bist, das ist geschehen, weil du einst den Tag des Heils nicht versäumt hast!“ – Darum sehet zu, lieben Brüder, daß nicht jemand unter euch ein arges, ungläubiges Herz habe, das da abtrete von dem lebendigen Gott. Sondern ermahnet euch selbst alle Tage, so lange es heute heißet, daß nicht jemand unter euch verstocket werde, durch Betrug der Sünde (Hebr. 3, 13.14). Das ist aber ein Betrug der Sünde, daß man sich des morgenden Tages rühmet, da man doch nicht weiß, was heute sich begeben mag, und ob nicht das Wort eintrifft: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern!“ Machet eure Rechnung nicht auf morgen, gleich jenen, die da sagen Jes. 56, 12: „Kommt her, laßt uns Wein holen, und voll saufen, und soll morgen sein wie heute, und noch viel mehr“. Sondern heute ergebt euch dem Herrn ganz und unbedingt, daß ihr heute und alle Tage in seinem Dienst erfunden werdet! (Carl Johann Philipp Spitta) —-Das Heute, von dem der Apostel redet, ist keine Ewigkeit, sondern eine eingeschränkte und für einen jeden Menschen abgemessene Zeit, worin er Gottes Stimme oder Wort hören kann. Hier kommt es nun darauf an, daß er glaube, was Gott geredet hat, und durch den Glauben den Ruhm der Hoffnung der ewigen Ruhe erlange, und diesen Ruhm bis an’s Ende fest behalte, und alsdann in die ewige Ruhe Gottes eingehe. Hört er aber die Stimme Gottes vergeblich, ist er bei diesem Gehör und zugleich bei dem Anblick der Werke Gottes ungläubig, irrt er mit seinem Herzen, tritt er ab von dem lebendigen Gott, wird er bitter gegen den Geist Gottes, und gegen alle Menschen, die ihm das Sündigen im Namen Gottes wehren wollen, verstockt er sein Herz durch einen hartnäckigen Vorsatz zu sündigen, es möge darauf folgen, was da wolle: so gelangt er nicht zur Ruhe Gottes, ob sie ihm schon verheißen war, das Wort der Predigt hilft ihm nichts, und der Zorn Gottes schlägt ihn endlich so darnieder, daß er in das höllische Feuer versinkt.
Um diesem Jammer zu entgehen, sollen die Christen einander selbst alle Tage, so lange es heute heißt, ermahnen; folglich die Gefahr nicht für entfernt, und den Verfall nicht für unmöglich halten. Auch wer steht, soll zusehen, daß er nicht falle, und deswegen eine Ermahnung von Andern gern annehmen. Christen sollen einander ermahnen, daß nicht Jemand unter ihnen verstockt werde durch Betrug der Sünde. Die Sünde schleicht bei dem Menschen zuerst unter dem Schein des Rechts, der christlichen Freiheit, oder der Notwendigkeit ein. Das arge Herz denkt, man dürfe doch ein wenig sündigen, Andere tun’s auch, man könne sich durch die Sünde ein Vergnügen oder ein Glück verschaffen, und doch in der Gnade verharren, oder bald wieder Gnade erlangen. Wenn aber nun die Sünde den Menschen betrogen hat, so verdammt ihn sein eigenes Herz, und wenn er wieder sündigt, so verdammt es ihn wieder; endlich aber findet er eine solche Annehmlichkeit in der Sünde, daß er ungeachtet aller Gewissensschläge lieber die Gnade und Christum und Sein Himmelreich fahren läßt, als die Sünde. Er fährt also im Sündigen fort, die Verdammungen des Gewissens werden schwächer, und hören oft gar auf, er wird ein Feind der Wahrheit, die ihn beunruhigt hat. Er macht sich eine eigene Religion, nach welcher seine Sünde keine Sünde ist, und verspottet den richtigen Weg, und nimmt sich vor, nimmer anders zu werden. Alsdann ist er aber durch den Betrug der Sünde verstockt, und fährt in das Verderben dahin. Wie nötig ist’s also, daß Christen einander alle Tage ermahnen, weil nicht nur rohe Leute, die ihre Herzen gegen die vorlaufende Gnade verstocken, in diesen Verfall geraten können, sondern weil auch Solche wieder abfallen können, welche einmal erleuchtet waren, und geschmeckt hatten die himmlischen Gaben, und teilhaftig worden waren des Heiligen Geistes, und geschmeckt hatten das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, Hebr. 6, 4.5.6. Von den Israeliten, welche aus Aegypten gingen, wird 2. Mos. 14, 31 gesagt: Sie fürchteten den HErrn, und glaubten an Ihn und Seinen Knecht Mose. Und doch richteten sie nach diesem guten Anfang in der Wüste eine Erbitterung an, und verstockten ihre Herzen, daß der HErr schwur in seinem Zorn, sie sollten nicht zu Seiner Ruhe kommen.
Quelle: Glaubensstimme – Christliche Texte aus 2000 Jahren
In der letzten Vesperpredigt hat uns der heilige Apostel Paulus gesagt, woher das kam, daß die Kinder Israel beständig die bösen und verkehrten Wege gingen, nämlich, weil sie immerdar mit ihrem Herzen irrten. Und das ist auch Recht, denn das Gehen der bösen und verkehrten Wege hat in dem irrenden Herzen seinen Grund. Man pflegt oft zu sprechen von Verstandesirrtum, aber das ist nicht der schlimmste, Herzensirrtum ist viel schlimmer. In dem heutigen Texte zeigt der Apostel, worin dieser Herzensirrtum besteht. Er sagt: „Sehet zu, liebe Brüder, daß nicht Jemand unter euch ein arges ungläubiges Herz habe, das da abtrete von dem lebendigen Gott“.
Da sehet ihr, was der eigentliche Irrtum des Herzens ist, nämlich der Unglaube. Aus dem argen, ungläubigen Herzen kommt aller Irrtum. Davor nehmt euch in Acht, denn ist das arge, ungläubige Herz erst da, so ist auch der offenbare Abfall von Gott ganz nahe. Gott kann ja nur ergriffen werden durch den Glauben; so wie der Glaube aufhört, so hört alles Verhältnis zu Gott auf. Der Gläubige hat Gott, der Ungläubige tritt von Gott ab. Daher ist die Haupt- und Grundsünde von allen Sünden der Menschen der Unglaube. Sieht man genau zu, weshalb die Menschen am jüngsten Tage verdammt werden, so ist es um des Unglaubens willen. Für die schwersten Sünden ist Vergebung zu finden, aber nicht für den Unglauben; denn der Ungläubige, wenn er in seinem Unglauben beharrt, kann die Gnade nicht annehmen. König David wurde ein Mörder und Ehebrecher, ist er deshalb verdammt worden? Nein, denn er hat durch den Glauben Vergebung der Sünden erlangt. Petrus hat den HErrn Jesum verleugnet, ist er deshalb verdammt worden? Nein, er ist selig geworden, denn er hat durch den Glauben Vergebung der Sünden gefunden. Paulus, als er noch ein Saulus war, war ein blutbefleckter und bluttrunkener Mörder, ist er deshalb verdammt worden? Nein, er ist selig geworden, denn er glaubte an das teure, werte Wort, daß Jesus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen. Dagegen ist Judas nicht selig geworden, denn er glaubte nicht; Kain ist nicht selig geworden, denn er hatte keinen Glauben, als er sagte: Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden könne. Allenthalben wo die Menschen glauben, wenn sie auch große Sünder sind, so werden sie doch selig; wo aber kein Glaube ist, da müssen sie verdammt werden.
Überhaupt kommen alle Sünden aus dem Unglauben. Wenn ein Mensch sündigt, und er wird gefragt, warum er die Sünde getan habe, so ist der letzte Grund immer der Unglaube. Stelle dir z. B. vor: Dein böses, gottloses Herz treibt dich zum Stehlen, deine Hand hat schon das Geld angefaßt, das du deinem Nächsten nehmen willst; aber auf einmal wirst du es dir im Glauben bewußt, daß Gott gegenwärtig ist, kannst du da noch das Geld behalten? mußt du es nicht wieder an seinen Platz legen? Wenn du eben im Begriff bist, in ein Hurenbett zu steigen, und du denkst daran, daß Gott gegenwärtig ist, ist es dir da noch möglich, dich in das Hurenbett zu legen? Der Glaube an den gegenwärtigen Gott erlaubt dir weder zu stehlen noch zu huren. Glaube ich an den gegenwärtigen Gott, so glaube ich auch an die ewige Seligkeit und an die ewige Verdammnis, die Er gibt, und dann ist es unmöglich, daß ich vor dessen Angesicht, der selig machen und verdammen kann, sündige.
Sehet euch also vor, daß nicht Jemand ein arges, ungläubiges Herz habe. Wenn der Apostel sagt: Sehet euch vor, so muß es doch unsere Schuld sein, wenn wir in Unglauben fallen; und das ist auch der Fall. Obgleich der Glaube Gottes Gabe und Gnade ist, so ist doch der Unglaube unsere eigene Schuld. Wenn du glaubst, so ist das nicht dein Verdienst, sondern Gottes Gnade, wie geschrieben steht: Das ist Gottes Werk, daß ihr glaubt an Mich. Wenn ihr aber ungläubig seid, so ist das eure eigene Schuld; denn Gott hat die ausdrückliche Verheißung gegeben, daß durch den treuen Gebrauch der Gnadenmittel der Heilige Geist den Glauben wirken soll. Gebrauche ich nun treu die Gnadenmittel, erfülle ich die Bedingung, so muß Gott den Glauben wirken.
Haben wir den Glauben nicht, so hat ihn der Heilige Geist nicht gewirkt, aber an mir liegt die Schuld. Durch den treuen Gebrauch der Taufe, des Wortes Gottes und des heiligen Abendmahls kommt der Heilige Geist zu dir und wirkt in dir den Glauben. Aber wie kann ich die Taufe jetzt noch gebrauchen? ich darf doch nur einmal getauft werden. Ja, du kannst sie gebrauchen durch die treue Erneuerung deines Taufbundes. Fängst du jeden Tag damit an, mit andächtigem Herzen deinen Taufglauben zu beten und mit aufrichtigem Herzen dem Teufel zu entsagen, so sollst du sehen, welche Kraft das dem neuen Menschen gibt. Gehe du treu zur Kirche, wenn dir Gott Sein Haus öffnet, da höre die Predigt mit Gebet, und es werden durch jede Predigt Gnadenkräfte in dein Herz fließen, du kannst es merken, wie Jesus in dein Herz einzieht. Es geht dir da, wie den Jüngern auf dem Wege nach Emmaus, welche sagten: Brannte nicht unser Herz in uns, da Er mit uns redete, als Er uns die Schrift öffnete? – Wenn du in deiner Bibel liest mit Gebet, so kommen über dich die Ströme des Heiligen Geistes, und erfüllen dich mit Kräften des ewigen Lebens. Soll ich Stunden des Tages nennen, wo ich wirklich glücklich und selig bin, so sind es die Stunden des Morgens und Abends, wo ich einfältig und ungestört in meiner lieben Bibel lese; dann ist es nicht anders, als ob man im Himmel ist, man fühlt ordentlich das Wehen des Heiligen Geistes. Und wenn die Christen zum heiligen Abendmahl gehen, Jesu Leib essen und Jesu Blut trinken, wodurch sie der göttlichen Natur teilhaftig werden, muß da nicht der Heilige Geist einkehren und den Glauben wirken? Unterläßt aber der Christ das Beten des Taufglaubens, das Hören der Predigt, das Lesen in der Bibel und den Gebrauch des Abendmahls, so wird sein Glaube immer schwächer, und es kommt bald dahin, daß er ein arges, ungläubiges Herz bekommt, dann ist aber der Abfall und die Verstockung ganz nahe. So sehet ihr, wie Gott Alles wirkt, aber unsere Arbeit haben wir auch dabei, das ist der treue Gebrauch der Heilsmittel, verbunden mit brünstigem Gebet. So lange ich im Glauben bleibe, bin ich bei Gott und Gott ist bei mir; bleibe ich aber nicht im Glauben, so falle ich von Gott ab. Darum lehrt uns der HErr beten: Ich glaube, lieber HErr, hilf meinem Unglauben und stärke meinen schwachen Glauben. Der Teufel geht umher als ein brüllender Löwe, er schleicht umher als eine giftige Schlange, und warum tut er das? Er will dich zum Unglauben verführen.
Das ist es nun, was wir zu tun haben: Wir müssen fest im Glauben bleiben durch treuen Gebrauch der Heilsmittel, verbunden mit brünstigem Gebet. Aber der Apostel gibt uns noch einen andern Rat, indem er sagt: Ermahnt euch selbst alle Tage, so lange es heute heißt, daß nicht Jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. Da sehet ihr, wie die Christen einen Bruder- und Schwesterbund schließen sollen, daß sie sich ermahnen und in inniger Liebe einander zugetan sein sollen. Sie dürfen es nicht leiden, daß Einer von dem lebendigen Gott abfällt. Zum Glauben ermahnen sie sich, so lange es heute heißt, d. h. so lange sie leben. So wie ich es merke, daß Einer von meinen Brüdern oder Schwestern den lebendigen Gott verläßt, so ist es meine Schuldigkeit, daß ich ihn ermahne, das erfordert die Liebe. Der ist ein scheußlicher Mensch, der keine Liebe zu seinem Bruder hat. Was würdest du von dem sagen, der seinen Bruder an einem tiefen Abgrund schlafen sieht, und der ihn doch nicht aufweckt und wegträgt? In dem nächsten Augenblick stürzt er in den Abgrund und bricht den Hals. Wäre er nicht dessen Mörder?
Der geistlich Kranke liegt am Abhang der Hölle, wenn ich ihn nicht aufwecke, so stürzt er in den Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel ewiglich brennt. Stürzt er hinab, und du hast ihn nicht aufgeweckt, so wird er dich am jüngsten Tage verklagen und sagen: Verdient habe ich die Verdammnis, aber mein Bruder ist mitschuldig an meiner Verdammnis, er hat mich nicht aufgeweckt vom Sündenschlaf. Und ich glaube, meine Lieben, daß dieser Punkt vielen Christen am jüngsten Tage den Hals brechen wird. Die Lieblosigkeit unter den Christen geht weit. Die Christen können ihren Nächsten Wirtshaus-, Sauf-, Spiel-, Tanz-, Huren- und alle Weltwege gehen sehen, und sie machen ihn nicht darauf aufmerksam, sie ermahnen ihn nicht einmal, gerade als ob das Dinge wären, die sie nichts angingen. Und was sie davon abhält, das ist entweder Lieblosigkeit, oder daß sie bange sind vor einer groben Antwort. Ist deine Liebe aber solcher Art, daß sie eine grobe Antwort scheut, so ist sie nicht weit her. Da müßt ihr euch nun fragen, ob ihr dies Ermahnen fleißig übt. Die Menschen suchen viele Entschuldigungen, sie pflegen wohl zu sagen: Ich bin noch nicht gut genug dazu, oder ich bin noch zu jung; aber darauf kommt es nicht an. Es ist zwar wahr, daß du selbst die Bekehrung groß genug nötig hast, darum bekehre dich – aber dabei bleibe nicht stehen, sondern hilf, daß Andere sich auch bekehren. Ermahne nur nicht mit einem hochmütigen Herzen, sondern mit Demut und Sanftmut. In deiner Demut und Sanftmut erkennst du deine eigenen Sünden, und das gibt dir Macht über deinen Nächsten. Nun frage dich auf der andern Seite, wenn dich dein Nächster ermahnt, kannst du das vertragen? Kannst du es nicht vertragen, so hat dich der Hochmuth gepackt. Ermahnt dich dein Bruder, so hat er entweder Recht oder Unrecht. Hat er Recht, so mußt du ihm die Hand küssen, denn einen größern Liebesdienst kann er dir nicht erweisen. Aber es kann auch sein, daß du unschuldig bist, und dann kannst du es eben so wenig übel nehmen. Denn das darf dich nicht beleidigen, wenn du die Sünde gar nicht getan hast, die dein Nächster dir in Liebe vorhält. Ich habe oft bemerkt, daß Menschen im Glauben an den HErrn Jesum sich eng zusammengeschlossen haben, und in diesem Glauben rechte herzliche Freunde geworden sind, wie David und Jonathan, oder wie Petrus und Johannes. Diese Leute haben mir oft gesagt: Es stand so lange mit unserer Freundschaft gut, als wir uns ermahnten und die Ermahnung gegenseitig annahmen; aber von dem Augenblick an, als wir faul wurden im Ermahnen und zu stolz zum Annehmen der Ermahnung, da ging der Krebsschaden an, und unsere Freundschaft wäre bald ganz aufgeflogen, hätten wir nicht ernstlich Buße getan. Darum lasse sich ein Jeglicher gern ermahnen, so lange es noch heute heißt, auf daß ihr durch Gottes Gnade im Glauben gestärkt werdet und das Ende des Glaubens davon bringet, der Seelen Seligkeit.
Bittet den HErrn, daß Er euch dazu Kraft gebe durch Seinen heiligen Geist. Es ist wahrlich kein Kinderspiel mit dem Seligwerden. Das Seligwerden ist eine so schwere Sache, daß jener Spruch eines Kirchenvaters volle Wahrheit hat:
Wir werden im Himmel einst viele Menschen nicht finden, von denen wir glaubten, sie würden da sein; wir werden aber auch im Himmel viele Menschen finden, von denen wir glaubten, sie würden nicht da sein; und das, worüber wir uns am allermeisten wundern werden, ist, daß wir selbst da sind.
Und der Mann hat Recht. Hier auf Erden ist die Heuchelei so groß, daß wir Viele für gläubig halten, aber im Himmel werden wir sie nicht finden; hier auf Erden trügt der Schein so sehr, daß wir Viele nicht für gläubig halten, aber wir finden sie einst doch im Himmel. Im Himmel müssen wir uns am meisten darüber wundern, daß solche arme, elende, erbärmliche, sündhafte Menschen, wie wir sind, ewiglich im Himmel wohnen sollen.
Amen.
(Ludwig Harms: Der Hebräerbrief – Das 3. Capitel)
Quelle: Glaubensstimme – Christliche Texte aus 2000 Jahren
Siehe auch: Bitte um Aufschub
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