Ehrgeiz

Der Ehrgeiz ist wie das Meer, das alle Flüsse verschlingt und doch nicht voller wird, oder wie das Grab, dessen unersättlicher Magen stets nach den Leichnamen der Menschen verlangt. Er ist nicht wie eine Amphore, die, wenn sie voll ist, nicht mehr aufnimmt, sondern die Fülle schwellt ihn auf, bis eine noch größere Leere entsteht. Aller Wahrscheinlichkeit hat Napoleon nie nach einem Scepter verlangt, bis er den Marschallstab erhielt, und hat nicht davon geträumt, Kaiser von Europa zu sein, bis er die Krone Frankreichs gewonnen hatte. Caligula hatte, als die Welt zu seinen Füßen war, wahnwitziges Verlangen nach dem Mond, und hätte er ihn gewinnen können, so würde der kaiserliche Mondsüchtige die Sonne begehrt haben.

Es ist vergeblich, ein Feuer zu nähren, das um so gefräßiger wird, je mehr es mit Nahrung versehen wird; wer lebt, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen, hat die Arbeit des Sisyphus vor sich, der einen immer wieder zurückrollenden Stein einen Berg hinaufwälzte, und die Aufgabe der Töchter des Danaos, die verurteilt sind, immerwährend zu versuchen, ein bodenloses Faß mit durchlöcherten Eimern zu füllen.

Bild: Hypermestra, älteste Tochter des Danaos

Könnten wir das geheime Herzeleid und die Ermattung ehrgeiziger Menschen sehen, so würden wir keines Wolsey’s Stimme* nötig haben, die uns zuruft: „Ich beschwöre dich, wirf den Ehrgeiz von dir!“, sondern wir würden ihn fliehen, als den verfluchtesten, blutsaugenden Vampyr, der je aus dem Schlund der Hölle emporstieg.

Aus: Charles Haddon Spurgeon, Federn für Pfeile, oder Illustrationen für Prediger und Lehrer (autorisierte Übersetzung von E. Spliedt)

* Shakespeare legte Wolsey in den Mund (Heinrich VIII, 3. Akt, 2. Szene):

Hätt ich nur Gott gedient mit halb dem Eifer,
Den ich dem König weiht, er gäbe nicht
Im Alter nackt mich meinen Feinden preis!
Bildnachweis: Public Domain (Wikimedia Commons)