Confessio Helvetica Posterior (Heinrich Bullinger)

I. Kapitel: Die Heilige Schrift, das wahre Wort Gottes

Wir glauben und bekennen, dass die kanonischen Schriften der heiligen Propheten und Apostel beider Testamente das wahre Wort Gottes sind, und dass sie aus sich selbst heraus Kraft und Grund genug haben, ohne der Bestätigung durch Menschen zu bedürfen. Denn Gott selbst hat zu den Vätern, Propheten und Aposteln gesprochen und spricht auch jetzt noch zu uns durch die Heiligen Schriften. Und in dieser Heiligen Schrift besitzt die ganze Kirche Christi eine vollständige Darstellung dessen, was immer zur rechten Belehrung über den seligmachenden Glauben und ein Gott wohlgefälliges Leben gehört. Deshalb wird von Gott deutlich verboten, etwas dazu oder davon zu tun (5. Mose 4, 2).

Wir sind darum der Ansicht, dass man aus diesen Schriften die wahre Weisheit und Frömmigkeit, die Verbesserung und Leitung der Kirchen, die Unterweisung in allen Pflichten der Frömmigkeit und endlich den Beweis der Lehren und den Gegenbeweis oder die Widerlegung aller Irrtümer, aber auch alle Ermahnungen gewinnen müsse, nach jenem Apostelwort: „Jede von Gottes Geist eingegebene Schrift ist auch nütze zur Lehre, zur Überführung usw.“ (2. Tim. 3, 16). Und wiederum sagt der Apostel zu Timotheus (1. Tim. 3, 15): „Dies schreibe ich dir …, damit du wissest, wie man sich verhalten muss im Hause Gottes“. Ferner schreibt derselbe Apostel an die Thessalonicher: „… dass ihr das von uns gepredigte Wort Gottes, als ihr es empfingt, aufgenommen habt nicht als Wort von Menschen, sondern wie es in Wahrheit ist, als Wort Gottes usw. (1. Thess. 2, 13). Denn der Herr hat selbst im Evangelium gesagt (Mt. 10, 20; Luk. 10, 16; Joh. 13, 20) „Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der Geist eures Vaters ist’s, der in euch redet. Deshalb: wer euch hört, der hört mich, und wer euch verwirft, der verwirft mich.“

Wenn also heute dieses Wort Gottes durch rechtmäßig berufene Prediger in der Kirche verkündigt wird, glauben wir, dass Gottes Wort selbst verkündigt und von den Gläubigen vernommen werde, dass man aber auch kein anderes Wort Gottes erfinden oder vom Himmel her erwarten dürfe: Und auch jetzt müssen wir auf das Wort selber achten, das gepredigt wird, und nicht auf den verkündigenden Diener; ja, wenn dieser sogar ein arger Bösewicht und Sünder wäre, so bleibt nichtsdestoweniger das Wort Gottes wahr und gut. Nach unserer Ansicht darf man jene äußere Predigt auch nicht deshalb für gleichsam unnütz halten, weil die Unterweisung in der wahren Religion von der inneren Erleuchtung des Geistes abhänge: deshalb, weil geschrieben stehe (Jer. 31, 34): „Da wird keiner mehr den andern, keiner seinen Bruder belehren und sprechen ‚Erkennet den Herrn‘, sondern sie werden mich alle erkennen…“ Und (1. Kor. 3, 7): „Somit ist weder der etwas, welcher pflanzt, noch der, welcher begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“. Obwohl nämlich (Joh. 6, 44) niemand zu Christus kommen kann, es sei denn, dass der Vater ihn ziehe, und dass er inwendig vom Heiligen Geist erleuchtet sei, wissen wir doch, dass Gott will, man solle sein Wort überall auch öffentlich verkündigen. Gott hätte freilich den Cornelius in der Apostelgeschichte auch ohne den Dienst des heiligen Petrus durch seinen Heiligen Geist oder durch den Dienst eines Engels unterweisen können, er wies ihn aber nichtsdestoweniger an Petrus, von dem der Engel sagt: „Dieser wird dir sagen, was du tun sollst“ (Apg. 10, 6). Denn der, der durch die Gabe des Heiligen Geistes die Menschen inwendig erleuchtet, derselbe gibt seinen Jüngern den Befehl: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen, die erschaffen sind!“ (Mk. 16, 15). Daher predigte Paulus in Philippi der Purpurkrämerin Lydia das Evangelium äußerlich, innerlich aber „tat ihr der Herr das Herz auf“ (Apg. 16, 14). Ebenso kommt Paulus (in Röm. 10, 13-17) nach einer feinen Entwicklung seiner Gedanken zu dem Schluss: „Also kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Christi“. Wir geben allerdings zu, Gott könne Menschen auch ohne die äußere Verkündigung erleuchten, wann und welche er wolle: das liegt in seiner Allmacht. Wir reden aber von der gewöhnlichen Art, wie die Menschen unterwiesen werden müssen, wie sie uns durch Befehl und Beispiel von Gott überliefert ist.

Wir verwerfen daher alle Irrlehren des Artemon, der Manichäer, der Valentinianer, des Credo und der Marcioniten, die geleugnet haben, dass die Heiligen Schriften vom Heiligen Geist gewirkt seien, oder die einige davon nicht anerkannt, andere mit Einschüben versehen oder verstümmelt haben. Interesse verhehlen wir keineswegs, dass gewisse Bücher des Alten Testaments von den Alten „Apokryphen“ von andern „Ecclesiastici“ genannt worden sind, da sie zwar wollten, dass sie in den Kirchen gelesen, jedoch nicht, dass sie zur Bekräftigung des Glaubens herbeigezogen werden. Wie auch Augustin im 18. Buch seiner Schrift „Der Gottesstaat“, Kapitel 38, daran erinnert, dass in den Königsbüchern Namen und Bücher gewisser Propheten angeführt seien, aber beifügt, diese befänden sich nicht im Kanon, und für die Frömmigkeit genügten die Bücher, die wir hätten.

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter
Verweise auf Bibelstellen: bibeltext.com

Eingestellt am 30. November 2022