Jesaja 24, 16

Wir hören Lobgesänge vom Ende der Erde zu Ehren dem Gerechten. Und ich muß sagen: Wie bin ich aber so elend! Wie bin ich aber so elend! Weh mir! Denn es rauben die Räuber, ja immerfort rauben die Räuber. (Jesaja 24, 16)

Lobgesänge vom Ende der Erden konnten zur Zeit des Propheten Jesaia noch nicht gehört werden ; denn nirgends war der HErr erkannt, als in dem einen Winkel des gelobten Landes. Wie hätte man auch von dem Gerechten etwas wissen können, von dem Einen Gerechten, auf den man erst noch warten mußte, und dessen Zukunft nur unter dem Volke Gottes gehofft werden konnte! Aber Jesaias sieht es im Geist voraus; er hört sie innerlich, die Lobgesänge, die einst werdenden Lobgesänge vom Ende der Erde her, von den äußersten Ländern her.

Sie wurden noch lange nicht gehört; und bis heute noch ist das uns fernste Land noch am verschlossensten. Es ist das Japan, für uns das Ende der Welt. Da darf kein Evangelium hinein, und was drinnen war, ist mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden. In China geht’s jetzt und geschieht viel, auch sonst überall fast in allen Ländern der Erde, so daß man wohl sagen kann, es erschallen jetzt überall, Japan und die Mitten von Asien und Afrika ausgenommen, Lobgesänge zu Ehren dem Gerechten. Es giebt wirklich, die angeführten Ausnahmen abgerechnet, kaum noch ein Land, in welchem man nicht Christen fände, und zwar evangelische, ernstere Christen, zum Teil spärlich, zum Teil doch zahlreicher. Jedes Missionsblatt, das uns neue Berichte vom Schall des Evangeliums und seiner Wirkung in der Heidenwelt bringt, ist ein Lobgesang von draußen her. Wenn man die Missionsgeschichte, wie sie eben in Calw herausgekommen ist 2), überblickt, so kann man sagen, ist’s vom ersten bis zum letzten Blatt Lobgesang an Lobgesang, trotz allen Klagetönen über Kämpfe und Hemmungen, die auch nicht fehlen. Denn es werden in unsern Tagen überall, wenn oft auch zunächst nur wenige Herzen, – mitunter sinds auch viele, – für den HErrn JEsum gewonnen, eben den Gerechten, durch dessen unschuldiges Blut wir geheiligt sind vor Gott. Je mehr wir aber diese Lobgesänge vernehmen, desto ernster mahnen sie uns, einmal nicht zurückzubleiben, sodann, aufzumerken, in welcher Zeit wir stehen. Beides tut Not.

Der Lobgesänge sollten es also erstlich bei uns mehr sein, wenigstens nach Verhältnis mehr, wenn’s draußen so lieblich zu tönen anfängt. Ich verstehe darunter die wirklichen Bekehrungen; denn das sind die rechten Lobgesänge. Die stillen Freudenklänge, tönend in den Herzen, die JEsum finden, – das sind Lobgesänge. So ein Geschwirr mit Geigen und Posaunen, mit Hörnern und Flöten, mit Pauken und sonst Instrumenten, sei’s auch zu dem wunderschönen Liede: Nun danket alle Gott“, ist meist kaum ein Lobgesang zu nennen; denn es soll den Menschen zum Genuß, nicht Gott zu Ehren tönen. Indessen schon recht, daß man’s auch tut. Aber ein eigentlicher Lobgesang ist’s, wenn’s im Himmel wiederhallt; und das geschieht bei den Engeln über einem Sünder, der Buße tut.

Dergleichen Lobgesänge, die von neuen Erregungen und Bekehrungen zeugen, sollten mehr bei uns vorkommen, als man vor Augen sieht; und je mehr von außen her uns bekannt wird, wie oft die rohesten Heiden ihre Kniee vor dem HErrn beugen lernen, desto dringender ist das eine Aufforderung an uns, nicht zurückzubleiben, daß wir nicht die Letzten werden, oder gar draußen bleiben müssen.

Jene Lobgesänge von draußen her lehren uns auch aufmerken, in welcher Zeit wir stehen. Denn wenn einmal das Evangelium in der ganzen Welt wird verkündigt werden, – so sagt’s uns der HErr JEsus, – dann kommt das Ende. Wir sind demnach noch zu keiner Zeit, von den Tagen der Apostel her, dem Ende so nahe gewesen, als jetzt, weil zu keiner Zeit das Evangelium so weit ausgebreitet gewesen ist, als sich’s jetzt ausbreitet. Darum wollen wir unsrerseits nichts versäumen, daß wir mit unter den Sängern seien, d. h. unter den Bekehrten, und mithelfen, daß der Sängerchor sich vergrößere, wie draußen, so auch in unseren Kreisen.

(Christoph Blumhardt)

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Eingestellt am 19. Oktober 2024