Die Katharinen-Kirche zu Oppenheim und ihre Denkmäler (Hrsg. C. Hanschke)

ie äussere Geschichte der Katharinen=Kirche beschränkt sich auf verhältnissmässig wenige Anhaltspunkte. Als in Folge der Bestätigung und Erweiterung der Stadtrechte unter Kaiser Friedrich II. im zweiten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts Oppenheim an Ausdehnung beträchtlich gewann und namentlich nach dem Berge hin sich anbaute, wurde in der Neustadt unter Anrufung der heiligen Katharina, welche seit den Kreuzzügen auch im Abendlande viel verehrt *) war, eine Kirche gegründet, welcher der Erzbischof Gerhard von Mainz am 3. Juli 1258 die Rechte einer Pfarrkirche verlieh. Diese erste Gründung muss immerhin ein Bau von ansehnlichen Verhältnissen gewesen sein. Darauf deuten die beiden Thürme, welche heute zwischen den östlichen und den westlichen Theilen der Kirche eingeschlossen sind. Dieselben bildeten ehedem den westlichen Abschluss des ersten Kirchenbaues, der an der Stelle des jetzigen Schiffes und Ostchores angelegt war. Die Thürme folgen im Ganzen noch der Ueberlieferung der romanischen Kunstweise; der schlichte viereckige Bau setzt sich aus vier Stockwerken zusammen, die durch Lissenen und Bogenfriese gegliedert sind Die Friese haben zum Theil spitzbogige, zum Theil rundbogige Form und bekunden, wie auch Spitzbogen an der Fensterarchitektur, genugsam ihre Entstehungszeit am Schlusse der romanischen Stylrichtung.

*) siehe hierzu:Von der Heiligenverehrung in der katholischen Kirche

Katharinenkirche in Oppenheim
Bildnachweis: paddy (Patrick-Emil Zörner), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Mittlerweile war die Stadt zu hoher Blüthe gelangt. Der Schutz, welchen die Erweiterung der Befestigung der Stadt und namentlich die Erbauung einer Burg bot, zog eine grosse Zahl von Einwanderern herbei; durch die kaiserliche Zollstelle und die beiden Messen, deren freies Geleit im Mai 1236 von Friedrich II. unter kaiserlichen Schutz genommen wurde, hob sich Handel und Wohlstand derart, dass Oppenheim mit den alten und hochansehnlichen Städten Mainz und Worms im April 1254 sich zu einem Bündniss vereinigen durfte, welches den Ausgangspunkt des nachmals so bedeutenden rheinischen Städtebundes bildete. In dem manigfachen Wechsel der Verhältnisse erfreute sich demnach die Stadt stets der königlichen Gunst; Wilhelm von Holland erweiterte ihre Gerechtsame, und nachdem die Stadt in der folgenden zwiespältigen Wahl sich für Richard von Cornwall entschieden hatte, sah sie den König wiederholt in ihren Mauern. In Gegenwart Richards soll im Jahre 1262 der Grundstein zu dem Neubau der Katharinen=Kirche gelegt worden sein.

Offenbar entsprach die zwar vor nicht langer Zeit erbaute Kirche nicht mehr den Verhältnissen; wohl mochte sie für die volkreiche Stadt unzureichend sein, wahrscheinlicher aber genügte sie nicht der Bedeutung und dem Ansehen des blühenden Gemeinwesens. Zudem lag die Baulust in der Richtung der Zeit, und wie allenthalben am Rhein nach der Mitte des 13. Jahrhunderts die neuen Bauformen in Aufnahme kamen, welche bei dem angeregten Wanderverkehr aus dem fränkischen Westen rasch überführt wurden, so beschloss man auch in der Reichsstadt Oppenheim einen Neubau an der Stelle der alten Katharinen=Kirche.

Obwohl die Nachricht von der in das Jahr 1262 versetzten Grundsteinlegung urkundlich nicht weiter verbürgt ist, so stimmt die Anlage der ältesten Theile des Neubaues, sowie dessen Architekturformen ganz wohl mit dem angegebenen Zeitpunkte, und bestätigen insofern wenigstens im allgemeinen den Beginn des Unternehmens. Der Neubau wurde als geräumige Kreuzkirche geplant, die im Westen an die einstweilen zu erhaltenden Thürme sich anschliessen und mit dem Chore im Osten gegen das dorten rasch abfallende Gelände vortreten sollte. Die Lage war äusserst glücklich gewählt. Nach der Stadt zu bot der Bau seine Südseite in der vollen Längenansicht; gegen Osten hob der Chor frei und hoch sich über die Tiefe. Innerhalb des städtischen Berings thronte der schmuckvolle Kirchenbau über der Stadt, die auf dem südostwärts sich senkenden Vorlande hingestreckt lag. Weithin beherrschte die herrliche Baugruppe die gesegneten Niederungen und die Uferlande des Rheins.

Wie bei den meisten Bauten jener Zeit ist auch hier der Name des Baumeisters uns nicht überliefert. Ausser dem allgemein geschichtlichen Interesse hätte die Kenntniss seines Namens und mehr noch seiner Herkunft und Ausbildung einen besonderen Werth, weil darin Anhaltspunkte zur Beurtheilung seines Werkes in Oppenheim sich würden ergeben haben. So sind wir lediglich auf den Bau selber angewiesen und auf jene Sprache, welche zwar nicht in Worten, aber darum nicht weniger verständlich aus der Gesammt=Anlage und den Formen im Einzelnen spricht.

Südfassade
Bild: paddy (Patrick-Emil Zörner); derivative work: anro (Diskussion), CC BY-SA 3.0
(via Wikimedia Commons)

Treten wir darum an das Bauwerk heran, so erfahren wir sogleich, dass das Unternehmen nicht ohne Unterbrechung in einem Anlaufe, sondern in verschiedenen Absätzen zur Ausführung kam, dass zwar der erste Meister den Bau in seinen Umrissen im Ganzen umschrieb, spätere Hände dagegen dem Werke eine veränderte Gestaltung gaben. Ob der Tod den ersten Meister bei seinem Werke überraschte, ob ihn die wechselnden Fehden vertrieben, wissen wir nicht. So viel aber muss als sicher gelten, dass der erste Erbauer von den verschiedenen Strömungen gleichmässig berührt war, welche damals die rheinische Architektur beherrschten; mag er immerhin ein Deutscher und Rheinländer gewesen sein, so stand er doch theilweise unter dem Einfluss der französischen Architekturschule, wenn er auch anderseits wieder mit Selbstständigkeit die deutsche Richtung vertrat.

Den ältesten Theil des gothischen Neubaues haben wir in dem östlichen Chorhaupte und in dem Querschiffe vor uns. Diese Theile sind bis zur Gesimshöhe offenbar in ziemlich raschem Betrieb gleichzeitig oder doch in engem Anschluss fertig gestellt worden. Die Kreuzform ist im Grundriss wie im Aufbaue entschieden ausgeprägt. Eine gewisse Schlichtheit des Ganzen deutet darauf hin, dass man hier mehr an deutschen Anschauungen sich hielt. Die Fenster sind auf ein beschränktes Mass zurückgeführt und lassen im Chor, wie namentlich in den Kreuzarmen beträchtliche Wandflächen ihnen zur Seite übrig. Die Fenstergeläufe des Chores und die Strebepfeiler sind schmucklos. Gliederungen und Ornamente bleiben in höchst gemessenen Schranken.

Eglise de Saint-Yved de Braine
Bild: Gennadii Saus i Segura, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Daneben tritt allerdings eine Erweiterung des Grundrisses durch das Einschieben von Kapellen in den Winkeln zwischen Chor und Querschiff zu Tag, welche offenbar in der Absicht gewählt ist, den reichen Choranlagen französischer Bauten einigermassen sich zu nähern. Vorbild hierzu bot einerseits die Kirche St. Yved zu Braine (Eglise de Saint-Yved de Braine, Dép. Aisne, Isle de France), welche zwischen 1180 und 1216 erbaut worden und mit dieser Eigenthümlichkeit bereits auf die Gestaltung der Liebfrauen-Kirche zu Trier (gegründet 1227) Einfluss dürfte geübt haben; andererseits begegnen wir in der Stadtkirche zu Ahrweiler, zwischen 1254-1274 erbaut, einem zeitlich und räumlich nahe gelegenen Muster, dessen Einwirkung keineswegs ausgeschlossen ist. Hier sind indess die eingeschobenen Kapellen von gleicher Höhe wie das Chorhaupt und nähern sich insofern mehr dem eigentlichen Chorumgang, während sie in Oppenheim wirklich nur kapellenartige Ausbuchtungen von viel geringerer Höhe sind.

Das Aeussere der Chorarchitektur ist von bemerkenswerther Einfachheit. An den unteren Theilen des Chorhauptes kommt bis einschliesslich der ersten Schichten der Fenster das Gestein der Gegend, grober Muschelkalk, zur Verwendung. Die ungefüge Sprödigkeit desselben machte ihn jedoch für die Zwecke einer mannigfach gegliederten Architektur und gar für ornamentale Theile gänzlich ungeeignet, so dass man während des Baubetriebes sich für den bunten Sandstein entschied und denselben von nun an am ganzen Bau verwendete.

Katharinenkirche, Wasserspeier
Bild: RomkeHoekstra, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Strebepfeiler sind von dem Sockel und Kaffsims umzogen und steigen nur einmal abgetreppt schlicht bis zum Hauptgesims auf. Unter dem abschliessenden Gesims legen sich Wasserspeier in ungeheuerlichen Thiergestalten vor. Leider sind sie mannigfach verstümmelt oder fehlen wie die einst krönenden Fialen gänzlich. Die Chorfenster sind zweitheilig. Das Geläufe ist ganz glatt aus Schrägen gebildet. Das Stabwerk hat, wie das kleeblattförmige Masswerk im spitzbogigen Fensterschluss, volles rundes Profil; zierliche Laubkapitelle schliessen die Stäbe gegen das Masswerk ab. Wo die Chorkapellen sich einschieben, ist die Fensterarchitektur des Chorhauptes sowie der Kreuzarme dadurch beeinträchtigt, und die Lichtöffnungen sind auf etwa ein Drittel ihrer Höhe beschränkt. Während ehedem Zeltdächer die Kapellen deckten und die belassenen Fenster berücksichtigten, schneiden jetzt die hässlichen Nothdächer in die Lichtgaden aufs Störendste ein. Mit jener Unbefangenheit, wie sie öfter an mittelalterlichen Bauwerken zu Tage tritt, ist an der nördlichen Chorkapelle jenes Fenster, welches mit dem anliegenden Stiegenthurm zusammentraf, zur Hälfte unterdrückt, indem man, ohne am Motiv im Ganzen etwas zu ändern, einfach die zweite Hälfte dem Treppenthürmchen opferte; das Fenster ist, obwohl auf Zweitheilung angelegt, nur eintheilig ausgeführt, und das Rund des Masswerks mit dem Dreipass mitten durch geschnitten.

Das Querschiff folgt in seinem äusseren Aufbau ganz der schlichten Behandlungsweise des Chorhauptes. Anordnung der Gesimse und Gliederung der Strebepfeiler ist ganz die gleiche. Auf beiden Seiten, im Norden wie im Süden, sind in den Stirnseiten bescheidene Eingänge angeordnet. Eine Folge von schweren Profilen gliedert deren äusseren spitzbogigen Thürrahmen, während auf der Nordseite der innere gebrochene Bogen aus einem äusserst schweren Birnstabprofil gebildet ist. Auf der Südseite schliesst die Thüre mit wagrechtem Sturz das Bogenfeld ist mit Masswerk verziert. Die hohen schlanken Fenster sind viergetheilt. Die Ausbildung der Masswerkprofile stimmt mit der Anordnung in den Chorfenstern überein. Von der Höhe des Masswerks an tieft sich jedoch das Geläufe ein und hat bis zum Scheitel lose über einander gesetzte Ornamente von etwas mageren Laubbüscheln. Fast macht es den Eindruck, wie wenn dieser Versuch, die Fensterarchitektur zu bereichern, mit zagender Schüchternheit wäre gemacht worden. Das Masswerk ist aus Vierpässen gebildet, die in Kreise eingeschrieben, in der oberen Rose nochmals durch Kleeblattbögen untertheilt sind. Das Hauptgesims folgt dem Hohlprofil des Chorgesimses; gegen Süden ist jedoch an der Stirnseite Laubornament in einzeln aufgereihten Blattgruppen darin angebracht. Obschon für den Abschluss der Stirnseiten ursprünglich wohl gewiss Steingiebel in Aussicht genommen waren, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass die dermalige Giebelarchitektur nicht im Sinne des ersten Entwurfes gehalten ist und auch nicht gleichzeitig mit der Ausführung des Chorhauptes und des Querschiffes angenommen werden kann. Die ganze Bildung des Masswerks stimmt nicht mit der Gliederung des Masswerks der Fenster; sie ist entschieden jünger und weist theils auf Einflüsse der Strass burger Schule des 14 Jahrhunderts, theils steht sie in Beziehungen zu verwandten Erscheinungen an der im Anfang des 14 Jahrhunderts in Mainz erbauten, jetzt zerstörten Liebfrauenkirche. Ueberdies ist das Höhenverhältniss der jetzigen Ziergiebel gegen die ursprüngliche Anlage, wie sie aus dem am Unterbau des Vierungsthurmes erkenntlichen Anschlagprofil des Daches sich unzweifelhaft ergibt, bedeutend gesteigert, eine offenbar in etwas willkürlicher Weise getroffene Aenderung, wie sie unter der ersten Bauleitung wohl schwerlich dürfte erfolgt sein. Am Wahrscheinlichsten ist, dass bei der nach Vollendung des Kreuzbaues eingetretenen Stockung im Baubetrieb die Giebel des Querschiffes noch nicht vollendet waren und erst in der folgenden Bauperiode und dann auch in veränderter Form zur Ausführung kamen.

Gleichzeitig mit dem Chorbau ist die Anlage des Thurmbaues über der Vierung zu setzen. In diesem Vierungsthurme tritt eine Eigenthümlichkeit zu Tage, welche die ganze Architektur des Ober- und Mittelrheines und theilweise selbst der niederrheinischen Lande kennzeichnet. Schon während der ersten Hälfte der mittelalterlichen Architekturperiode waren die über den Vierungskuppeln aufsteigenden Thurmbauten mit Vorliebe hier gepflegt; die Uebergangsperiode hatte sie in mannigfachen Beispielen beibehalten und selbst in der gothischen Zeit hält man mehrfach treu zu der tiefgewurzelten Gewohnheit. Der Elsass, namentlich das nahegelegene Weissenburg mit seiner Stiftskirche, boten jetzt noch Anregung, die im Bau des Oppenheimer Vierungsthurmes und des jetzt abgebrochenen auf dem Ostchore des Mainzer Domes sich weiter verpflanzte. Welche von diesen beiden Thurmanlagen die ältere ist, wird um so schwerer zu entscheiden sein, als der Mainzer Vierungsthurm gerade in seinen charakteristischen Details so vielfache Veränderung erfahren hatte, dass eine präcise Bestimmung dadurch fast unmöglich gemacht war. Kann übrigens die Schlichtheit des Motivs im Ganzen und die Knappheit der Ausstattung für die Priorität angerufen werden, so dürfte um desswillen die Erbauung des Mainzer Thurmes vorausgegangen sein. Eine bestimmte Datirung liegt für beide nicht vor. In Mainz wurde indess um 1320 am Dom nicht unbeträchtlich gebaut, so dass wohl spätestens zu dieser Zeit die Errichtung des fraglichen Vierungsthurmes erfolgt sein dürfte. Bei der unzweifelhaft ganz nahen Verwandtschaft beider Beispiele muss auch für den Ausbau des Oppenheimer Thurmes annährend dieser Zeitpunkt festgehalten werden. Die Anlage gehört aber sicher dem ersten Entwurf an, da sie mit der Gründung der Vierungspfeiler zusammentrifft und somit dem Plane nach noch in das 13. Jahrhundert fällt. In sofern darf vielleicht darum der Vierungsthurm zu Oppenheim als das ursprüngliche Vorbild für die verwandte Anlage am Mainzer Dom betrachtet werden.

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Nicht ganz ein Jahrhundert verging, bis abermals eine Erweiterung der Kirche statt fand. Auch diesmal waren es die Bedürfnisse des Stiftes, welche dazu führten. Das Stift muss damals über sehr reiche Mittel verfügt haben, denn selbst nach Vollendung des aufwendigen Neubaues ist es in der Lage, 1448 dem Herzog Stephan von Veldenz und seinen Söhnen ein für jene Zeit beträchtliches Darlehen von tausend Gulden zu machen. An einen Umbau der bestehenden Theile war nun nicht zu denken; man begnügte sich darum damit, dem ganz bestimmt vorliegenden Erforderniss abzuhelfen: dies waren die Zwecke des Chorgottesdienstes der Stiftsgeistlichkeit. Die Nähe doppelchöriger Kirchen wie die Dome zu Mainz und Worms, sowie die Stiftskirche St. Stephan zu Mainz dürfte wohl zu der Auskunft geführt haben, zu welcher man sich durch Anlage eines westlichen Chores entschloss.

Ein mächtiger einschiffiger Bau, dessen Dachgesims schon bis zum First des alten Mittelschiffes sich erhob, aus zwei Jochen bestehend mit fünfseitigem Schluss wurde gegen Westen vorgelegt. Die alten Thürme waren nunmehr zwischen die östlichen Theile und den westlichen Neubau eingeschlossen. Strebepfeiler, deren letzte Abtreppung über Eck gestellt war und reich entwickelt in Fialen überging, gliederten nach Aussen den Bau. Sechstheiliges Masswerk, das auf halber Höhe von einem wagrechten Steg unterbrochen ward, füllte die riesigen Fensteröffnungen, und ein zierreiches Sterngewölbe, dessen Anfänge trefflich konstruirt aus vertikalen Steinwandungen bestehen, überdeckt den weiten luftigen Bau. Am Tage der Apostel Simon und Judas, 28. Oktober 1439, ward der neue Bau durch den Mainzer Weihbischof Johannes feierlich geweiht. Wie lange Zeit die Bauführung in Anspruch genommen, ist unbekannt, ebenso wer der Meister gewesen. Indess bezeugen eine Anzahl von Bauten der nächsten Umgebung, dass der Baumeister sicher dem Mainz=Frankfurter Gebiete muss angehört haben. Eine Reihe verwandter Beispiele, die in Rheinhessen und dem Rhein- und Maingau uns erhalten sind, beweisen für eine vielbeschäftigte, sehr achtungswerthe Lokalschule in dieser Zeit. Weil dem späteren Mittelalter angehörig, wurde durchweg dem Westchore bis dahin eine geringere Beachtung zu Theil; die glänzende Aussenseite der Schiffarchitektur verdunkelte die anscheinend schlichte Leistung des 15. Jahrhunderts. In der That ist aber dieses späte Werk der Gothik die Schöpfung eines hervorragenden Meisters; die Kühnheit der Anlage, verbunden mit einer höchst massvollen, aber durchaus edlen Ausstattung und einer vollendeten technischen Durchführung sichern dem Bau eine hervorragende Stellung in der Reihe der Denkmale der Spätzeit.

An die Vollendung des Westchores reihte sich die Erhöhung des alten Thurmpaares Der mittelrheinischen Gewohnheit entsprechend schloss man den viereckigen Unterbau wie an dem südlichen Thurme mit einer Gallerie und liess dahinter unvermittelt ein achteckiges Stockwerk mit hohem Holzhelm aufsteigen. Nähere Angaben über die Bauzeit dieser Theile liegen nicht vor.

Als letzte Leistung aus der Zeit der Gothik ist endlich noch die zweigeschossige Kirchhofkapelle an der Nordseite zu erwähnen. Auffallend ist daran das nicht mehr aus der Kreisform, sondern winklich gebildete Masswerk. Als beachtenswerther Rest ihrer ornamentalen Ausstattung verdient die auf einer Säule vorgekragte Todtenleuchte erwähnt zu werden.

Nordfront der Kirche und die Galerie des Vierungsturms renoviert.

St. Katharinen Oppenheim
Bildnachweis: Patrick Müller (flickr, Liz. CC BY-NC-ND 2.0 Deed)

So hatte über zwei Jahrhunderte hindurch der glaubenseifrige und opferbereite Sinn sich an dem Bau an der Erweiterung und dem Schmuck der herrlichen Kirche bewährt. Selbst die religiösen Wirren des 16. Jahrhunderts gingen an dem Bau im Grossen und Ganzen ohne tiefgreifende Schädigung vorüber.

Den Mordbrennerschaaren Ludwigs XIV. war es vorbehalten, auch dieses Denkmal deutscher Kunst und Frömmigkeit in Asche zu legen. Am dritten Pfingsttage, 31. Mai 1689, ging Oppenheim mit seinen Kirchen, seiner Burg und zahlreichen Gebäuden der Stadt in Flammen auf. Nur der westliche Chor konnte noch zu gottesdienstlichen Zwecken benützt werden, indess die östlichen Theile wüst lagen. Im Jahre 1713 stürzten, gewiss in Folge langjähriger Vernachlässigung des Baues, fast während des Gottesdienstes die Gewölbe des Westchores ein, der seit dieser Zeit gänzlich zur Ruine wurde. In der Folge legte man Hand an die nothdürftige Herstellung des Ostchores und des Schiffes, und in diesem Zustande ist der Bau dann auf uns gekommen.

Von dem Werthe unseres grossen vaterländischen Kunstdenkmales durchdrungen, hat man in unseren Tagen die endliche Herstellung des Bauwerkes in Anregung gebracht. Möge es unserer Zeit gelingen, die Schäden zu heilen und den Bau zur Zierde von Stadt und Land wieder in seiner ganzen alten Herrlichkeit erstehen zu lassen.

Quelle:

Hertel, C. (Hrsg.): Die Katharinen-Kirche zu Oppenheim und ihre Denkmäler. Mit erläuterndem Text von Friedrich Schneider. Mainz, Druck und Commissions-Verlag von Victor von Zabern, 1877. [Digitalisat/Faksimile in der Unibibliothek Heidelberg]

Literatur

  • Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Rheinland-Pfalz, Saarland. Deutscher Kunstverlag, München 1972, S. 686–691.
  • Hanschke, Julian: Oppenheim am Rhein. Baugeschichte, Baudenkmäler, Stadtgestalt (= Materialien zur Baugeschichte. 16). Karlsruhe, 2010. ISBN 978-3-941850-22-4.
  • Hanschke, Julian: Das spätgotische Gewölbe des Westchores der Oppenheimer Katharinenkirche. Rekonstruktion nach einem mittelalterlichen Bauplan. In: INSITU. Zeitschrift für Architekturgeschichte. 4 (1/2012), S. 69–76.
  • Held, Dorothea: Katharinenkirche Oppenheim. Ausgabe 2400 von Kleine Kunstführer. Schnell & Steiner, 3. Aufl. 2007. ISBN 9783795462338.
  • Gurlitt, Hildebrand: Die Katharinenkirche in Oppenheim a. Rh. Urban-Verlag, Freiburg i. Br. 1930 (unter dem Titel Baugeschichte der Katharinenkirche in Oppenheim a. Rh. – Dissertation, Universität Frankfurt 1924)
  • Möller, Walter: Die Grabdenkmäler der Kämmerer von Worms gen. von Dalberg in der Katharinenkirche in Oppenheim. In: Volk und Scholle. Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt am Main, war die Verbandszeitschrift des Hessischen Verkehrsverbandes. 11 (1933), Heft 7/8, S. 189–191 (und 10 Tafeln).
  • Rauch, Ivo: Memoria und Macht. Die mittelalterlichen Glasmalereien der Oppenheimer Katharinenkirche und ihre Stifter. Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte, Mainz 1997, ISBN 3-929135-13-2.
  • Schütz, Bernhard: Die Katharinenkirche in Oppenheim. de Gruyter, Berlin 1982, ISBN 3-11-008349-3.
  • Villinger, Carl. J. H.: Die Kämmerer von Worms genannt von Dalberg und ihre Beziehungen zu Oppenheim. In: 1200 Jahre Oppenheim am Rhein. Stadt Oppenheim, Oppenheim 1965, S. 55–68.

Eingestellt am 31. März 2024 – Letzte Überarbeitung am 2. April 2024