Gerhard Tersteegen (1697-1769)

Gerhard Tersteegen, geb. 1697, war das jüngste der acht Kinder eines frommen Kaufmanns zu Mörs. Seine vorzügliche geistige Begabung gab sich schon frühzeitig kund, doch wurde es ihm nicht vergönnt, die wissenschaftliche Laufbahn zu betreten, weil dazu die Mittel seiner frühverwittweten Mutter nicht ausreichten. Nach dem Wunsch dieser erlernte er die Kaufmannschaft in Mülheim an der Ruhr. Die vier herben Lehrjahre waren auch für den phantasiereichen Jüngling eine heilsame Schule, denn hier wurde derselbe durch eine Beschäftigung, die täglich seine pünktlichste Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, an jene Besonnenheit und Pünktlichkeit gewöhnt die ihm sein Leben hindurch den Frieden befestigte und ihn, den Gefühlsmenschen, von der einseitigen Richtung eines übermächtigen Gefühls bewahrte. Schon im 16. Lebensjahre spürte Tersteegen den besondern Zug des ewigen Vaters zum Sohn, und durch eine spätere Gebetserhörung wurde er aufs kräftigste bewogen, sich dem so guten und gnädigen Gott ganz zu übergeben, ohne den mindesten Vorbehalt.

Adolfinum in Moers, Tersteegens Lateinschule

Bei der großen Neigung seines Gemüthes zur Abgeschiedenheit mußte Tersteegen als Kaufmann viel Zerstreuendes finden, und deshalb erwählte er nach seiner Lehrzeit das Seidenbandmachen. Von nun an lebte er in stiller Zurückgezogenheit in Mülheim und hielt niemand um sich als ein kleines Mädchen, welches ihm die nöthigste Handreichung that. Seine Lebensart war streng. In geringer Kleidung ging er einher und genoß meist bloß Mehl, Wasser und Milch. Zehn Stunden des Tages verbrachte er hinter dem Webstuhle, zwei waren dem Gebete gewidmet. Abends schrieb und dichtete er. Von seinem geringen Verdienste theilte er den Armen mit, und selbst das als mütterliches Erbtheil ihm zugefallene Haus verkaufte er zum Besten der nothleidenden Brüder. Er kannte den süßen Genuß, andere genießen zu lassen. In seinem 30. Jahre legte er die Bandweberei nieder und widmete sich ausschließlich der Pflege heilsbegieriger Seelen.

Die Zahl derer war nicht gering. In den Erbauungsstunden waren oft 300 bis 400 Zuhörer gegenwärtig, und wenn das Haus keinen Raum mehr gestattete, stieg man auf Leitern bis zum Fenster empor, um der Verkündigung des Heils zu lauschen. Selbst hohe Herrschaften rechneten es sich als ein Glück an, mit dem einfachen schlichten Manne brieflich oder persönlich in Verkehr zu treten. Diese Anerkennung machte ihn aber nicht hochmüthig. Er lehnte es ab, daß man ihn Vater nennen wollte und sagte einmal: „Ich wünschte gern, daß der Name Gerhard Tersteegen vergessen und hingegen der Name Jesu in aller Menschen Herzen tief eingeprägt würde“.

Tersteegen konnte in seinem Leben nicht viel gesunde Tage zählen. Besonders wurde er in den letzten 30 Jahren durch Leibesschwachheit heimgesucht. Aber er ertrug sein Leiden geduldig. Als ihn einst die heftigsten Zahnschmerzen plagten, sang er das Lied: „Nur frisch hinein, es wird so tief nicht sein“. Am 5. April 1769 endete die Wassersucht sein Leben. Seine Scheideworte waren: „Du armer, unansehnlicher Lazarus! Und doch schämen sich die heiligen Engel nicht dich aufzupacken“.

Die Zahl der Lieder dieses edlen Mystikers ist nicht unbedeutend. Sie sind der reinste Ausfluß der innigsten Gemeinschaft mit Gott und Christo, voll Klarheit und Einfalt. Dr. P Lange sagt über ihren äußern Werth: „Die Innigkeit und Festlichkeit des christlichen Gefühls schafft sich bei ihm die reinsten und holdesten Formen, die an Göthes Dichtungsformen erinnern“.

Wir nennen hier „Allgenugsam Wesen“ – Gott allein ist genug. – „Brunn alles Heils, dich ehren wir“ – der Segen über Gottes Volk. Aus 4. Mos. 6, 24-27. „Danke dem Herrn, o Seele, dem Ursprung der Güter“ – Danklied nach dem Essen . – „Das äußere Sonnenlicht ist da“ – Beschauung Gottes als die Sonne der Seele. – „Der Abend kommt, die Sonne sich verdecket“ – Abendgedanken einer gottseligen Seele (Ps. 116). Gott ist gegenwärtig – Erinnerung der herrlichen und lieblichen Gegenwart Gottes.  Gott rufet noch – sollt ich nicht endlich hören – Heute, weil ihr seine Stimme höret. – „Herr Jesu Christe, mein Prophet“ – von dem dreifachen Amte Christi und seiner Glieder. – Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket ihr englischen Chöre – Herzliche Barmherzigkeit Gottes, erschienen in der Geburt des Heilandes Jesu Christi. – „Kommt Kinder, laßt uns gehen“ – Ermunterungslied für Pilger. – „Liebster Heiland, nahe dich“ – Verlangen nach einem abgeschiedenen Wandel in der Gemeinschaft mit Jesu. – „Mein Auge wacht, liegt in der stillen Nacht“ –  Dies Lied ist im Gesangbuch für die ev.-lutherische Kirche in Bayern unter Tersteegens Namen zu finden. „Nun, so will ich denn mein Leben“ – Gründliche Resolution, sich ganz Gott zu ergeben. – „O Gott, o Geist, o Licht des Lebens“ – Gebet um des heiligen Geistes Einwirkung. – O Jesu, meines Lebens Licht – Morgenandacht einer gläubigen Seele. – „O Majestät, wir fallen nieder“. – Hallelujah. Das sogenannte Minden Ravensberger Gesangbuch theilt dieses Lied verändert und kürzer gefaßt mit in Nr 389. „Großer Gott, wir fallen nieder“„Setze dich, mein Geist, ein wenig“ – Jesus am Stamme des Kreuzes. – Siegesfürste, Ehrenkönig – Anbetung Jesu bei seiner Himmelfahrt. – „Zu dir, Herr Jesu, schick“ – Herzensseufzer beim Aufwachen des Morgens. – Das Original lautet „Mein’n ersten Augenblick Ich dir, Herr Jesu, schick“. – „Zum Ernst! zum Ernst! ruft Jesu Geist inwendig“ – Ernst zur Ewigkeit . – –

Quelle: Beiträge zu einer fruchtbaren Behandlung des deutsch-evangelischen Kirchenliedes von Luther bis auf die Gegenwart. Zum Gebrauch für Schule und Haus, bearbeitet und herausgegeben von Wilhelm Leitritz. Mit einer Vorrede von D. Erdmann, Königl. Generalsuperintendent der Provinz Schlesien. Vierte,  sehr vermehrte Auflage. Berlin, 1870. Verlag von Eduard Beck, Wilhelmsstraße 115. [Seite 313f. Digitalisat]

Weitere Quellen und Verweise zu Gerhard Tersteegen

Gerhard Tersteegen bei Wikipedia (DE)

Werdegang Gerhard Tersteegen

Lieder von Gerhard Tersteegen bei christianhaehlke.de

Lieder von Gerhard Tersteegen bei Christ My Song

„Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen“, 3. Büchlein, 13. Auflage. Elberfeld, 1826.

Pfr. Busch, Wilhelm: Die von Herzen dir nachwandeln. Gestalten des rheinisch-westfälischen Pietismus: Gerhard Tersteegen/Johann Peter Diedrichs/Gottfried Daniel Krummacher/Tillmann Siebel/Jakob Gerhard Engels/Johann Heinrich Volkening/Theodor Christlieb/Julius Dammann. 2. Auflage, im Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1938 [Digitalisat]

Pagel, Arno: Gerhard TersteegenEin Leben in der Gegenwart Gottes. Aus der SammlungZeugen des gegenwärtigen Gottes“ – Band 94/95. Brunnen-Verlag, Giessen und Basel, 2. Auflage 1960 [Digitalisat]

Scheffbuch, Beate und Winrich: Jauchzen – inmitten schweren Leides. Zeitschriftenartikel über Gerhard Tersteegen, in: IDEA Spektrum vom 28.11.2012 [Download bei sermon-online.de als pdfdoc]

Bildnachweise:
Portrait Tersteegens: Heiligenlexikon, Joachim Schäfer, Public Domain
Das Portrait ist eine moderne Darstellung Tersteegens; eine zeitgenössische ist nicht bekannt.
Altbau des Gymnasiums Adolfinum in Moers: Lutz Hartmann, Liz. CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Lieder von Gerhard Tersteegen

Gott ist gegenwärtig (EG 165)

Gott rufet noch (EG 392)

Ich bete an die Macht der Liebe (EG 641)

Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel, in Chören (EG 41)

Jesu, den ich meine (Davidisches Psalterspiel)

Kommt, Brüder, laßt uns gehen (Württ. Gesangbuch 1912)

O Jesu, meines Lebens Licht (Christliches Hausbüchlein)

Ruhe hier, mein Geist, ein wenig (Württ. Gesangbuch 1912)

Wo ist die Schule denn auf Erden (GA Blumengärtlein)

Schriften

An eine christliche Freundin

Betrachtung zu Markus 10, 36

Betrachtung zu Kolosser 3, 17


Erstellt am: 29. April 2022 – Letzte Überarbeitung am 13. Dezember 2023