Offenbarung 22, 6-21: Das Schlußwort

Neunundzwanzigste Bibelstunde

6 Und er sprach zu mir: Diese Worte sind gewiß und wahrhaftig; und der HERR, deGott der Geister der Propheten, hat seinen Engel gesandt, zu zeigen seinen Knechten, was bald geschehen muß. (Offenbarung 1.1)
7 Siehe, ich komme bald. Selig ist, der da hält die Worte der Weissagung in diesem Buch.
8 Und ich bin Johannes, der solches gehört hat. Und da ich’s gehört und gesehen, fiel ich nieder, anzubeten zu den Füßen des Engels, der mir solches zeigte.
9 Und er spricht zu mir: Siehe zu, tu es nicht! denn ich bin dein Mitknecht und deiner Brüder, der Propheten, und derer, die da halten die Worte dieses Buchs. Bete Gott an!
10 Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buch; denn die Zeit ist nahe! (Offenbarung 1.3) (Offenbarung 10.4)
11 Wer böse ist, der sei fernerhin böse, und wer unrein ist, der sei fernerhin unrein; aber wer fromm ist, der sei fernerhin fromm, und wer heilig ist, der sei fernerhin heilig. (Daniel 12.10)
12 Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden. (Jesaja 40.10)
13 Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. (Hebräer 13.8) (Offenbarung 1.11)

14 Selig sind, die seine Gebote halten, auf daß sie Macht haben an dem Holz des Lebens und zu den Toren eingehen in die Stadt. (Offenbarung 7.14)
15 Denn draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Totschläger und die Abgöttischen und alle, die liebhaben und tun die Lüge.
(1. Korinther 6.9-10)  (Offenbarung 21.8)  (Offenbarung 21.27)
16 Ich, Jesus, habe gesandt meinen Engel, solches zu bezeugen an die Gemeinden. Ich bin die Wurzel des Geschlechts David, der helle Morgenstern.
(Jesaja 11.10)  (Lukas 1.78)
17 Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.
(Jesaja 55.1) (Johannes 7.37)
18 Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: So jemand dazusetzt, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen.
19 Und so jemand davontut von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abtun sein Teil vom Holz des Lebens und von der heiligen Stadt, davon in diesem Buch geschrieben ist.
20 Es spricht, der solches bezeugt: Ja, ich komme bald. Amen, ja komm, HERR Jesu!  
(1. Korinther 16.22)
21 Die Gnade unsers HERRN Jesu Christi sei mit euch allen! Amen.

Die Worte der Weissagung sind zu Ende. Wenn wir zurückdenken, mag es mit den Gebetsworten des 119. Psalms geschehen: „Ich fürchte mich vor dir, daß mir die Haut schaudert und entsetze mich vor deinen Gerichten. – Die Gerechtigkeit deiner Zeugnisse ist ewig; unterweise mich, so lebe ich. – Erhalte mich durch dein Wort und laß mich nicht zu Schanden werden über meiner Hoffnung.“

Die richtige Stellung zu allem dem, was an Schrecken und Drohungen über uns hereinstürmt und dann wieder mit zartem Trost und unausdenklich herrlicher Verheißung uns überströmt, weist uns wohl das Lied von Gottes Wunderwalten, worin es heißt:

Wunderanfang, herrlich’s Ende,
wo die wunderweisen Hände
Gottes führen ein und aus.
Wunderweislich ist sein Raten,
wunderherrlich seine Taten,
und du sprichst: “Wo will’s hinaus?”

Gott muß man in allen Sachen,
weil er alles wohl kann machen,
End’ und Anfang geben frei.
Er wird, was er angefangen,
lassen so ein End’ erlangen,
Daß es wunderherrlich sei.

Nun, da die Weissagungen zu ihrem Ende gekommen sind, bestätigt sie der, welcher Gottes Bote an Johannes gewesen ist, der schon in der Überschrift des ganzen Buchs genannte Engel: „Diese Worte“, spricht er, „sind gewiß und wahrhaftig“. Solche Weissagung ist nicht Menschengedicht, sondern das Werk des Herrn im Himmel, der der Gott der Prophetengeister ist, d.h. der vom Heiligen Geist angeregten und zur Weissagung befähigten Menschengeister. Daß sie Propheten sind, ist Gottes freie Gabe. Auf welchem Weg und in welcher Weise Gott seine Offenbarung an die Propheten und durch sie an die Welt kund gibt, ist Gottes Sache, und in jedem Fall ein uns, die davon keine Erfahrung haben, unzugängliches Geheimnis. Dem Johannes ist alles, was er gesehen und gehört hat, durch den Engel vor sein geistiges Auge und Ohr hingestellt worden zu Dienst für die Gemeinde Gottes. Nicht nur die Zuverlässigkeit der Weissagung hebt der Engel hervor, sondern daß ihre Erfüllung keine Verzögerung erleiden solle. Hiebei führt er, wie das die Propheten des Alten Bundes oft tun, ohne weiteres seinen Herrn selbst sprechend ein: „Siehe, ich komme bald“, und preist dann selig die, welche die Worte „dieses Buchs“ (das zwar erst geschrieben werden soll, auf das aber in den Gesichten schon öfter hingedeutet wurde) im Glauben ans Wort bewahren und in ihrem Leben sich dran halten. Wenn der Engel so unmittelbar den Mund Christi macht, so ist begreiflich, daß Johannes niederfällt vor dem, der ihm die Botschaft in Worten und Gesichten kundgetan hat; aber wiederum wie 19, 10 verweist es ihm der Engel, da auch er „obwohl Träger göttlicher Botschaft, doch nur unter die Zahl der Knechte Gottes gehört.“

Nunmehr folgt der Auftrag, den ihm der Engel wegen des Buches zu erteilen hat, das er schreiben soll. Er soll das Buch nicht unter Siegel und Verschluß legen, als wäre es (vgl. Dan. 12, 4) erst für späte Zeiten bestimmt. Er soll es der Gemeinde darbieten, denn die Zeit, wo die Gläubigen diese Aufschlüsse, Mahnungen, Warnungen und Tröstungen brauchen, ist nicht mehr fern. Mehr aber als raten, mahnen, ermuntern und warnen kann die Weissagung nicht tun. Gott hat noch immer die Selbstentscheidung der Menschen, der einzelnen wie der Völker die Freiheit der Wahl gelassen; aber das letzte Wort spricht dennoch der Herr zu seiner Zeit und zögert’s nicht hinaus, wenn auch die Menschen träumen: „Mein Herr kommt noch lange nicht“ (Matthäus 24, 48), oder „Es bleibt alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist“ (2. Petrus 3, 4). Gottes Urteil „ist schon längst nicht müßig, und ihr Verderben schlummert nicht“ (2. Petrus 2, 3). Keine noch so erschütternde Drohung und keine noch so erhebende Verheißung kann den bösen Willen bezwingen, darum: „Wer unrecht tut, tue weiter unrecht und wer schmutzig ist, mache sich weiter schmutzig.“

An was für Leute denkt dieses Wort wohl? Den Knechten ist es in erster Linie gesagt, wie uns V. 6 lehrt, also denen, die in der Gemeinde der Christen stehen und Jesum als den Weltversöhner und Weltrichter mindestens äußerlich kennen und ehren! Die Gefahr für die, welchen das Wort der Ewigkeit bekannt ist, welche sich selbst Christen nennen, oder welche sogar Eindrücke der Wahrheit empfangen und das „gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt geschmeckt haben“, welche „Reben am Weinstock“ sind, ist in den Briefen der Apostel und in den Sendschreiben der Apostel viel angelegentlicher auf unsre Gewissen gelegt, als wir im Genuß der Verheißungen Gottes es vielfach erwägen und zu Herzen nehmen. „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und müssen brennen“: so spricht unser sanftmütiger, des Vergebens voller Heiland (Joh. 15, 6). – „Der Gerechte übe weiter Gerechtigkeit und der Heilige lasse sich weiter heiligen!“ Auch wenn die Ungerechtigkeit im Verkehr der Menschen überhand nehmen wird (Matth. 24, 12), wird es möglich sein, auf dem Weg der Gerechtigkeit zu bleiben, und mitten in einer Welt, die gegen das Göttliche gleichgültig und feindselig sich stellt, will Gott seine „Heiligen“, d. h. die, welche ihm gehören, immer näher zu sich ziehen. Und welchen Weg der Mensch nun wählt: Christus, dem der Vater das Gericht übergeben hat, wird sein Vergelter sein, „einem jeglichen, wie seine Werke sein werden.“ Denn Christus ist der Herr der ganzen Menschheitsgeschichte, und wie er ihren Anfang gesetzt hat, so wird er ihr auch Ziel und Ende geben nach seiner Macht kraft seines Willens; Er ist das A und das O. Und das gilt auch für jedes einzelne Menschenleben (Joh. 1, 1ff.) Darum bitten wir, auf das Ende hinaussorgend, zu ihm:

A und O, Anfang und Ende!
Nimm mein Herz in deine Hände,
Wie ein Töpfer seinen Ton.
Meister, laß dein Werk nicht liegen.
Hilf mir beten, wachen, siegen,
Bis ich steh vor deinem Thron!

Ja, selig sind, „die Macht haben an das Holz des Lebens“: denn damit ist ihnen das ewige Leben verbürgt; der Weg dahin aber führt durch die Tore der künftigen Gottesstadt, darum selig, die den Eingang haben in diese Stadt der Herrlichkeit und Seligkeit!
Was müssen wir tun, daß uns dieser Eingang zuteil werde und wir fort und fort Zutritt haben zu den Lebensbäumen im Paradiese Gottes (2, 7)? Es gilt, die Gebote Gottes halten, so sagt es uns Jesus selbst, Joh. 15, 10. Oder ist vielleicht die andere auch vielfach bezeugte Lesart die ursprüngliche: „Selig sind, die ihre Kleider waschen“? Ohne die fortgehende Reinigung durch Christi Versöhnung (7, 14) kommen wir ja nicht durch; das ist sogar das Grundgebot Gottes für alle, welche nach einer gewissen Hoffnung des ewigen Lebens trachten, und welche der zwei Lesarten in V. 14 die ursprüngliche sei: sie beide weisen denselben, einzigen Weg: zu Jesus hin und Jesu nach.

Draußen aber werden alle die Ungerechten und die Unreinen sein, draußen nicht bloß vor der Stadt, sondern da diese ganz mit der neuen Schöpfung zusammengehört, außerhalb der seligen Gotteswelt „in der Finsternis draußen“, wie es Matth. 25, 30 u. ö. heißt, „in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt“ (Kap. 21, 8). Dieses Los trifft die „Hunde“, d.h. die Unreinen, die Scham und Scheu weggeworfen haben; neben sie werden die Zauberer gestellt, welche in frevelnde Verbindung mit der jenseitigen Dämonenwelt sich eingelassen haben; dann die „Hurer“, die des Fleisches Trieben ihren Geist unterworfen und sich und ihre Genossen entwürdigt haben; die „Mörder“, die Recht und Liebe völlig zerbrochen und mit Füßen getreten haben; dann die Götzendiener“, die Gott die Ehre geraubt haben und vor Menschenwerk niedergefallen sind (vgl. 13, 15); und endlich wird durch das Wort „alle Lügner“ jede Vergewaltigung der Wahrheit und des Gewissenszeugnisses zusammengefaßt. Das Wort, das „alle, die lieb haben und tun die Lüge“ ausschließt von der Seligkeit und sie in die Verdammnis weist, wollen wir ja nicht überhören. Unaufrichtigkeit, Unwahrhaftigkeit, heuchlerischer Schein liegen uns allen nahe, so bald und so oft wir uns nicht in Zucht nehmen, und manchen Menschen begleitet e i n e  Lüge, die er lieb hat und hinter der er dies und das versteckt, bis ins Grab.

Nach dieser Verheißung und Warnung folgt das letzte abschließende Wort (V. 16-20), aus dem Munde dessen, von dem die Weissagungen des Buches kommen. Daß sie von ihm kommen, als ein Zeugnis über das, was der Gemeinden wartet und worauf sie sich gefaßt halten sollen, bezeugt ihnen ihr Herr, der Menschensohn und Gottessohn, der Sproß, der aus der abgehauenen Wurzel des Geschlechts David (Kap. 5, 5; Jes. 11, 1) in Niedrigkeit als der Bringer des Heils hervorgegangen ist, der leuchtende Morgenstern des Himmels, der alle Sterne überstrahlt und das volle Licht des ewigen Tages verheißt.

Es ist der Herr selbst, welcher fortfährt: „Und der Geist und die Braut sprechen: Komm!“ Er weiß die Sehnsucht der Gemeinde nach ihm und gibt dieser Sehnsucht das Zeugnis, daß sie vom Himmel her, von seinem, des Bräutigams Geiste, gewirkt sei. Solang aber die Gemeinde auf ihres Herrn letztes Kommen warten muß, darf zu ihm, dem allezeit unsichtbar Gegenwärtigen kommen, wen Not und Liebe zu ihm treibt.

Wie er die Geister derer, die in den Himmel eingegangen sind, dort leitet zu den lebendigen Wasserbrunnen, und wie die Auferstandenen, die in verklärtem Leib in die neue Schöpfung eingehen dürfen, dort das Lebenswasser sollen trinken dürfen, so gilt es auch schon auf Erden in der Wartezeit der Gläubigen: Bittet, so wird der Sohn Gottes euch lebendiges Wasser geben, von dem belebt und erquickt ihr an eurem Ort und zu eurer Zeit durchkommt zum ewigen Leben (Johannes 4, 10-15).

Nach diesem Wort, darin sich Christus der Herr mit der von seinem Geist erfüllten Gemeinde in eins zusammenschließt, und ihrem Dürsten und Sehnen und Flehen seine Erquickung und seine Verheißung zu eigen gibt, bezeugt er, der durch seinen Engel seinen Knecht Johannes zum Boten seiner Offenbarung an die Gemeinden gemacht hat, daß es bei dem, was in dem Buch verfaßt sein wird, auch bleiben soll. Wer sich an dem Licht, das ihm hier durch andeutende Zeichensprache und dunkles Wort hindurch scheint, nicht genügen lassen will, oder wer seines Herzens Gelüsten oder den Eingebungen seiner Phantasie oder den Folgerungen seiner eigenen Vernunft nachgebend dies oder jenes dazusetzt, als sei es auch göttlich verbürgt: der wird nach dem strengen Maß, das er aus dem Buch kennen kann, Gottes Strafe für seinen Vorwitz sich zuziehen. Umgekehrt, wem die Drohungen des Buchs zu schrecklich, die Verheißungen zu gewaltig sind, so daß er Abstriche dran macht, durch Umdeutung oder durch Streichung, der wird auch nicht teil bekommen an dem überschwenglich herrlichen Lohn derer, die durch die tiefsten Tiefen des Kämpfens und Leidens hindurch Überwinder und damit Erben der zukünftigen Welt werden sollen.

Wir sind keine Propheten, so sollen wir auch die Prophetie, die zu uns spricht, nicht zweifelnd verkleinern oder schwärmend überbieten wollen, sondern hören, bewahren im Herzen, warten auf die Zeiten, da sie sich bewahrheiten wird, und harren des Endes, darin sie sich für die Ewigkeit vollenden wird. Es wird ja die Weissagung noch erfüllt werden zur bestimmten Zeit und wird frei an den Tag kommen und nicht ausbleiben. Er selbst, Christus, bezeugt: Ja, ich komme ohne Zögern und hemme meinen Lauf nicht. Mit dieser Zusage nimmt der Herr Abschied  von seinem  Seher und dieser nimmt seines Herrn Wort – zugleich im Namen der harrenden Gemeinde – gläubig auf, indem er spricht: Amen, ja komm, Herr Jesu!

Damit schließt er sein Buch. Wie es in Briefform begonnen hat, so folgt nun auch der Segenswunsch an die, denen das alles geschrieben ist, d.h. an die sieben Gemeinden und an alle, die  Ohren haben zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt: Alle Gnade der Vergebung, der Heiligung, der Tröstung und Leitung und Vollendung, alles, was in dem teuren Jesusnamen beschlossen ist, werde allen zuteil, die ihn ihren Herrn nennen.

Ehr‘ sei dem Hohen Jesusnamen
in dem der Liebe Quell entspringt,
von dem hier alle Bächlein kamen,
aus dem der Sel’gen Schar dort trinkt!
Wie beugen sie sich ohne Ende!
Wie falten sie die frohen Hände!
Wir beugen uns mit ohne Ende,
wir falten mit die frohen Hände!

Amen.

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Quelle:

Christian Römer, weil. Prälat und Stiftsprediger zu Stuttgart: Die Offenbarung des Johannes, in Bibelstunden erläutert, S. 237-244 (Verlag von D. Gundert, Stuttgart 1916)

Eingestellt am 20. Juli 2021 – Letzte Überarbeitung am 29. August 2022