Akten zur neuesten Kirchengeschichte (4)

Im Amtsgefängniß zu Lörrach wurde der Arrestant recht in die Aehnlichkeit seines himmlischen Meisters geführt. Er saß zwischen zween Schächern. Es waren zwei wegen Raufereien zu sechs Monaten Verurteilte.

Melanchthonhaus in Bretten

In Lörrach ist, wie in Durlach und Nußloch, der Same des Worts tief gedrungen. In allen Stürmen wechselnder Zeiten haben hier treue Menschen treulich Stand gehalten. Am Gründonnerstag konnte Eichhorn in der Stadt Bretten auf dem Marktplatz ein Zimmer für den Gottesdienst einweihen. Dicht neben Melanchthon’s Geburtshaus war’s. Nicht weit davon steht die alte lutherische Kreuzkirche.

Die Reihe der Gefängnisse: Heidelberg, Ihringen, Altbreisach, Kembach, Wertheim, Durlach, Bretten, Leimen, Lörrach – war für ihn abgeschlossen. Es sind ihrer neun, mit denen er Bekanntschaft machte – bewiesen als Diener Gottes „in Gefängnissen“.

Friedrich Eichhorn (1779-1856)

Nun war’s der preußische Cultusminister, [Friedrich] Eichhorn, der sich für seinen verfolgten Neffen ernst in’s Mittel legte. Gleichfalls Badenser, zu Wertheim am Main geboren, hatte er die Generalsynode der unirten Kirche in Preußen, er hatte die Eisenacher Conferenzen geschaffen. Jetzt nun legte er ein Wort für unsern Eichhorn ein.

Eine Erquickung in den heißen Tagen waren diesem die benachbarten bayrischen Pfarrhäuser, vor allem jenes in Uettingen. Hier empfing der rastlos Gehetzte vom trefflichen Pfarrer Schmidt Trost und Stärkung, geistlich und leiblich. Ebenso wird unvergessen bleiben, wie Dr. von Wänker mit seinem Rechtsgutachten für Eichhorn eintrat.

Man wird es vor Allem von Scheurl niemals genug danken können, daß er 1851 und 1852 mit seinen beiden Rechtsgutachten für die badischen Lutheraner auftrat, „welche“ – wie er sagte – „jetzt kaum eine kümmerliche Duldung als Sekte finden sollen, während ihr Bekenntnis beständig die feste Grundlage großer deutscher Landeskirchen geblieben ist, und schon dadurch hinreichend seine fortdauernde Lebenskraft beweist“.

Es galt den Nachweis, daß der Westphälische Friede für Baden gelte. Und dieser Nachweis wurde geführt. Wer indes für Eichhorn der größte irdische Trost war, wer in allen Kämpfen die hingebendste Unterstützung lieh, man wird es empfunden haben. Es war die Hausfrau, welche die Seinen pflegte und unter Angst und Trübsalen in unvergleichlicher Selbstbeherrschung siegreichen Glaubens ihm immer ein freudiges Angesicht zeigte. „Vor meiner Erinnerung steht Ihre Frau“ – schrieb einst Löhe – „im prächtigen Schmuck, mehr als ein Königreich wert“. Gerichtsrat Hommel, Eichhorn’s Schwager, traf sie einst strahlend vor Freude, „da sie in dieser Sache habe leiden dürfen“.

Die Kriege nach Außen waren fest und freudig geführt. Sie waren im Geist jener alten Badenser geführt, welche einst, vierhundert an der Zahl, in der Schlacht bei Wimpfen gegen Tilly für den lutherischen Glauben und ihren Markgrafen ihr Blut vergossen hatten bis auf den letzten Mann. Nun folgten innere Kämpfe.

Max F. Frommel
(1830-1890)

Es waren im Dorf Ispringen zahlreiche Rücktritte zur lutherischen Kirche erfolgt. Eichhorn bediente die Gemeinde, welche sich dort bildete, von Durlach aus. Da nahm Pfarrer Max Frommel den Ruf der Gemeinde Ispringen an. Er war Badenser, war als Student in Erlangen zur lutherischen Kirche zurückgetreten, war Prediger im Dienst der lutherischen Kirche in Preußen zu Liegniß und Reinswalde gewesen, und kehrte nun, in demselben Dienst, nach der Heimat zurück.

Es waren Streitigkeiten wegen der Verfassung der Kirche entstanden. Pfarrer Frommel neigte sich mehr und mehr auf die Seite Pfarrer Diedrich’s, welcher die bekannte Trennung trefflicher und ehrenwerter Geistlicher vom Ober=Kirchencollegium und der evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen veranlaßte.

Wie Dr. Huschke die Lage betrachtete, hatte er an Eichhorn schon früher geschrieben:

„Die Kirche wird jetzt im Innern von doppelter Seite angefochten: übertriebener Formalismus und äußeres Autoritätsprinzip von der einen Seite, und demokratischer Independentismus von der andern. Ich betrachte es gerade als Aufgabe der wieder erstandenen Kirche, die wahre neutestamentliche Mitte zwischen diesen Extremen inne zu halten. Eins der sichersten Mittel dazu ist aber, daß stets der gesunde Sinn bewahrt wird, vor Allem dem Herrn Seelen gewinnen zu wollen, das Christentum im Luthertum, die geistliche Braut Christi in der Kirche zu erstreben, darum auch Wort und Sacrament unbedingt über die Verfassungsform zu setzen und bei dieser nur das Prinzip festzuhalten, daß der Herr die Kirche als eine organisierte geschaffen hat, in der Amt und Gemeinde einander gegenseitig bedingen und die Liebe, mithin auch das wahre Bedürfnis der Erbauung des Leibes Christi, nach jedes Orts Umständen, Alles regiert.“

Kehren wir nun zu Pfarrer Frommel zurück. Dieser trug sich schon 1862 mit dem Gedanken der Los=Lösung vom Ober=Kirchencollegium. Da schrieb unterm 14. August an ihn Dr. Münkel:

„Sollte aber dennoch eine Ablösung notwendig werden, so haben Sie kein Recht, dem Ober=Kirchencollegium den Stuhl vor die Tür zu sehen und einfach zu sagen: Wir wollen nicht mehr!, wenn auch mit artigen Worten. Sie haben dem Ober=Kirchencollegium Rechte übertragen, wofür dasselbe Pflichten übernommen hat; und wenn diese Rechte auch menschliche Rechte sind, so sind es nichts desto weniger Rechte, die gehalten werden müssen, und nur mit beiderseitiger Zustimmung aufgehoben werden können. Sie müßten daher geziemend das Ober=Kirchencollegium ersuchen, seine Rechte aufzugeben und Sie aus dem Verbande zu entlassen, unter Vorstellung Ihrer dringenden Gründe. Geschieht dies nicht, entscheiden Sie die Sache einseitig, so beginnen Sie Ihren Neubau mit einem Rechtsbruch“.

So schrieb Münkel, obwohl er dem Ober=Kirchencollegium durchaus nicht zugetan war.

Aber Pfarrer Frommel beachtete dies nicht. Er erbat sich ein Gutachten von Dr. Harleß. „Wenn die badischen Pastoren und Gemeinden“ – so antwortete Harleß – „durch eine so zu sagen Naturnotwendigkeit geschichtlich kirchlicher Fügung und territorialer Zusammengehörigkeit, sowie die preußischen, mit Breslau verwachsen wären, so würde ich die Frage mit Ja beantworten“. Das heißt, dann müßten sich die badischen Gemeinden trotz der Breslauer Grundsätze fügen und im Zusammenhang bleiben.

Hier räumte Harleß den Territorien, der Geographie, ein Recht ein, welches man nicht anerkennen kann. Auf diese Weise haben wir eben in Deutschland so viele Kirchen erhalten, als Landesherrschaften im heiligen römischen Reiche vorhanden waren. Aber offenbar setzte auch Harleß, wie Münkel, den Versuch einer friedlichen und nicht eine gewaltsame Lösung und Ablösung voraus.

Pfarrer Frommel trennte sich einseitig von der evangelisch=lutherischen Kirche in Preußen und machte eine „badische lutherische Kirche“. Die aber hätte Pfarrer Frommel auf friedlichem Wege erreichen können.

„Daß unter Umständen sich auch wieder in Baden“ – so schrieb das Ober=Kirchencollegium unterm 11. Mai 1865 an Pfarrer Eichhorn – „eine von unserm Kirchenregiment unabhängige lutherische Particularkirche organisiren konnte, nehmen wir nicht in Abrede.  Nachdem aber einmal die betreffenden Gemeinden unserem kirchlichen Organismus sich angeschlossen hatten, so konnte eine solche neue Organisation nur auf dem Wege der Verständigung mit Ihrer Parochie und einer ordentlichen Auseinandersetzung mit uns und unter unserer Zustimmung erfolgen. Sie ist aber einseitig, eigenmächtig und gewaltsam und noch dazu so erfolgt, daß zugleich wenigstens der Schein erweckt worden ist, als habe man sich von uns auch der Lehre wegen getrennt. Sollte dies nicht Sünde sein, so wird es ebenso wenig Sünde sein, wenn sich pltzßlich und eigenmächtig einige Ihrer Gemeinden von ihrem Parochialverbande trennen, der durchaus keine andere sittliche Grundlage hat als der Verband einer gesamten Particularkirche“.

War Dr. Harleß auch gegen die Auffassung des Ober=Kirchencollegiums vom Werth des Kirchenregiments, so stimmte er doch damit dem Pastor Diedrich durchaus nicht zu. „Denn soweit ich dessen Anschauungen aus seinen Schriften kenne“ – schreibt Dr. Harleß unterm 20. April 1866 an Pfarrer Eichhorn – „so möchte ich bezweifeln, ob er nur irgend ein Kirchenregiment vertrüge, selbst wenn es sich genau im Geist und Wortsinn unseres Bekenntnisses hielte“. Dies nur nebenbei.

So war in Baden innerer Krieg entbrannt. Wurde Pfarrer Frommel nicht müde, von einer vom Ober=Kirchencollegium aufgerichteten „Sacramentssperre“ zu reden, so wird dieser Vorwurf nun beleuchtet sein. Es kam doch, wie das Ober=Kirchencollegium an die Parochie Durlach schrieb, in der Tat darauf allein an, ob man daran „recht getan habe, die stattgefundenen Trennungen und Spaltungen für Sünde zu erklären, oder nicht“. Denn der angefochtene Beschluß des Ober=Kirchencollegiums enthielt „kein Wort, das die Aufrichtung einer Sacramentssperre ausspräche, sondern es wurde nur das Tun der sich eigenmächtig Trennenden für Sünde erklärt und ihre Zulassung zum Abendmahl an gewisse Bedingungen geknüpft“. Dagegen „hätte eine Lösung der bisherigen Verbindung mit der lutherischen Kirche in Preußen mit gutem Gewissen und in allem Frieden erfolgen können, wenn man unter Vorlegung der Gründe, aus welchen die Constituirung einer selbständigen badisch=lutherischen Kirche gegenwärtig zweckmäßig sei, nachgesucht und Zustimmung erlangt hätte“.

Also ganz wie auch Dr. Münkel verlangte, wozu wir auf die frühere Erklärung des Ober=Kirchencollegiums S. 26 hinweisen. Nun kennen wir die größten Schmerzen, welche Eichhorn zu erleiden hatte.

„Lieber Eichhorn“ – so schrieb Pastor Pistorius aus Basedow, wohin er bis dahin in Breslau einem Rufe gefolgt war, am 30. März 1866 – „es ist heute Charfreitag, ein Tag, dessen Zeitraum sich über den Teil der Kirche Gottes, welchem du gliedlich angehörst, seit dem Jahre 1859 ausdehnt. Die Nacht- und Morgenstunden desselben bis zu der Kreuzigung habe ich in unmittelbarem Mitleiden mit durchmachen dürfen. Denn ich rechne mir’s für eine Ehre vor Gott und der Christenheit, daß ich gewürdigt worden bin um Christi willen mit geschmäht zu werden. Ihr habt nun die letzten Abendstunden noch auszuhalten, und ich stehe wie die Weiber damals von ferne und sehe zu. Im Gewühl der Schmerzen entgeht einem zuweilen der Blick auf den Ostermorgen; in meiner Stellung kann man ihn fester halten, und so rufe ich dir zwar von der Ferne, aber doch auch mit auf Golgatha, und als Kreuzgenosse zu: Verzage nicht, sondern hefte deine Glaubensaugen so fest du kannst vom Kreuze her auf das geöffnete Grab, aus welchem unser Siegesfürst wahrhaftig auferstanden ist. Es ist nur noch um die Kürze der drei Tage zu tun aber Gott verrechnet sich nicht“.

So war’s auch. Eichhorn wurde auch wieder froh. Und dies selbst dann, als er einen Dienst außerhalb seines Vaterlandes annehmen mußte. Durch den Abfall so Vieler aus seinen Gemeinden, die sich zu Pfarrer Frommel in Ispringen wandten, war dem alten Vorkämpfer das fernere Bleiben unmöglich gemacht. Aber auch hier müssen wir wieder des Rats gedenken, den Prof von Scheurl gab. Er schrieb am 22. März 1866 an Eichhorn: „Die Verbindung, welche Sie und Ihre Gemeinde mit der lutherischen Kirche in Preußen eingegangen haben, war kein bloßer Gesellschaftsvertrag, wie etwa zwischen Kaufleuten geschlossen wird, sondern ein Kirchenverband, eine Einverleibung in einen rechtlichen Kirchenkörper. Diese Verbindung kann also auch rechtlich nicht auf Grund einseitigen Belieben’s wieder gelöst werden, so wenig von Ihrer Seite als von Seiten des Breslauer Ober=Kirchencollegiums“. Zum Schluß des Rechtsgutachtens ließ sich von Scheurl über die Ansprache des Ober=Kirchencollegiums und die Abwehr Frommel’s aus.

Er schrieb: „Die Vergleichung der Ansprache und der Abwehr stimmt mich, der ich, wie Sie wissen, kein blinder Anhänger des Breslauer Ober=Kirchencollegiums bin, doch sehr zu Gunsten des lezteren. In der Ansprache herrscht nach meiner Ansicht ganz entschieden geistlicher Sinn vor, in der Abwehr fleischlicher Sinn. Können Sie mit gutem Gewissen im Verband mit Breslau bleiben, so rate ich sehr dazu. Ich kann nicht leugnen, daß mir das bei der Abwehr abgedruckte Gutachten von Harleß nicht besonnen genug vorkommt“.

Vorwortzurückweiter…


Quelle: Karl Eichhorn, Akten zur neuesten Kirchengeschichte, hrsg. v. Rudolph Rocholl. Leipzig, Verlag von Justus Naumann, 1890. [Digitalisat]

Bildnachweis: Portrait Max F. Frommel – Pottz, Public domain, via Wikimedia Commons

Verweise

Martin Friedrich: Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 20, Bautz, Nordhausen 2002, ISBN 3-88309-091-3, Sp. 450–453. [Archivfassung vom 19.05.2002 im Web Archive]

Skalweit, Stephan, „Eichhorn, Friedrich“ in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 376-377. [Online-Version]


Eingestellt am Reformationstag, 31.10.2023 – Letzte Überarbeitung am 3. November 2023