Venedig

Im Vollmondlicht auf deinen Meeresfluthen
Emporzuseh’n zu der Paläste Glanz
Dein Herrscherthum mit stolzen Attributen
Und der Jahrhunderte Regattentanz, –
Vergangener Geschlechter Augengluthen
Und alter Schönheit abgewelkten Kranz
Mit einem Blicke still zu überschauen:
Das füllt den Geist mit zauberhaftem Grauen.

So fuhr ich einst auf deinem Hauptkanale
Träumend herab in einer Sommernacht;
Die Sterne hoch am reinen Aethersaale
Sie hatten ihre Feuer angefacht,
Und hielten mit dem alten Freudenstrahle
Ob goldenen Thurmspitzen stille Wacht.
Indessen über mondbeglänzten Wogen
Der Vorwelt Geister mahnend uns umflogen.

Stadt der Paläste, ja, du bist noch schön
Noch dämmern heldenhaft Erinnerungen
Um deiner Marmorfronten Giebelhöh’n,
Noch hör ich trunk’ne Siegeshuldigungen
Den röthlichweißen Dogensitz umweh’n,
Wenn königlich, vom Gondelzug umrungen,
Dein Herzog von des Bucentoro’s Pracht
Den Brautring warf in tiefe Meeresnacht.

Stadt der Lagunen, ja du bist noch hold
Wenn sich ob dir die Morgensonne wieget,
Wenn sich beglänzt von deiner Kuppeln Gold,
Am Markusdom die Brust an Säulen schmieget,
Die deine Kriegershand als Ehrensold
In Hellas und in Asien ersieget –
Wenn Heidenpracht mit Christenkunst vereint
In tausend Tempeln, Sälen uns erscheint.

So träumten’s deine Väter einst sich nicht,
Als sie, geschreckt aus ihrem Vaterlande
Von Attila, mit schwachem Glaubenslicht
Sich Hütten bauten auf dem Meeressande,
Damit sie nach verscheuchter Christen Pflicht
Arm blieben in geschirmtem Segensstande. –
Sie wollten Christo dienen still und bleich,
Du aber bist geworden stolz und reich.

Die leichte Barke trägt uns flügelschnell
Durch die Kanalfluth zur Rialto-Brücke;
Doch wird es hier dem Geiste nimmer hell,
Daß ihn Begeist’rung ohne Weh durchzücke;
Denn ob Palast, auch Tempel und Kastell
In bunten Reih’n an uns vorüberrücke:
Ein Schatteneindruck bleibt doch im Gemüth:
„Venezia, dein Geist hat ausgeblüht!“

O gält es nur die prangenden Gebilde
Der starken, vielerfahr’nen Künstlerhand:
Wie stände meines Freudenurtheils Milde
Den herrlichen Colossen zugewandt!
Doch hält mit hochgeschwung’nem Flammenschilde
Mich drohend hier die Nemesis gebannt,
Daß vor den edeln hochgethürmten Bauten
Mein Herzensspruch muß gar viel anders lauten.

„Noch hold von außen, und von innen todt!“ –
D a s ist’s, was überall mich hier durchwittert.
Ich sehe dich in grauenhafter Noth,
Von Kränzen der Vergangenheit umflittert,
Gleich einer Leich‘ im letzten Abendroth; –
Ihr Lächeln ist von ew’gem Weh durchzittert,
Und auf den Zügen ihres Angesichts
Steh’n Wetterahnungen des Weltgerichts. –

Wenn Dandolo’s und Bragadino’s Ruhm
Uns hier umglänzt sammt Morosini’s Thaten, –
Goldschrift bezeugt im Tempelheiligthum
Der Contarini Loredano Saaten,
Darüber in den Ländern sie ringsum
Die Treu‘, den Frieden schonungslos zertraten:
Ist mir’s, als ob ein Meeresparadies
Aufblühte stumm aus einem Burgverließ. –

Nicht hat vergeblich seine Löwenzunge
Dieß Inselreich ins Meer hinausgereckt
Und unersättlich mit begier’gem Schwunge
Der fernsten Zonen Gut und Blut geleckt
Bald fuhr der Löw‘ in fessellosem Sprunge,
Bald hat er nur die Krallen ausgesteckt
Was sich vom Leu’n nicht wollte fangen lassen,
Das wußte bald die Katze schlau zu fassen.

Prachtbauten stiegen auf von Raum zu Raum,
Ein Gondelheer durchfurchte die Kanäle
Es tummelte des Mittelalters Traum
Sich feenhaft durch gold ne Rittersäle
Nachts wiegte man sich auf dem weichsten Flaum
Und Morgens sann man was noch irgend fehle
Der Länder Beute höher aufzustau’n,
Noch schön re Felsenwucht auf Sand zu bau’n

Fern draußen, wo die Meerfluth ruhelos
Gesenktem Erdgebiet entgegenbrandet,
Wo diese Küstenstadt vom Wellenstoß
Bald stürmend überschwemmt wär und versandet,
Erhoben sich Steinwälle riesengroß
Mit Felsenquadern meilenlang gewandet
Und mit dem Stein wetteiferte das Gold
Das einst Venedig dieser Wehr gezollt.

Nicht ohne Heil’genschmuck auch sollte seyn
Die Königskrämerin der Erdenländer,
Drum holte man Sanct Marci Sterbgebein
Damit es würd‘ ein todter Gnadenspender
Wenn feierlich der Opferpriester Reih n
Herwandelten im Glanz der Meßgewänder,
Und was der Kaufmann in Aegypten stahl
Das bietet nun im Dom den Segensstrahl.

Der Reformation Posaunenton
Ist diesem Krämerreich umsonst erklungen,
Ob Paleario so frühe schon
Mit Glaubensworten Tausende durchdrungen;
Die heil’ge Ketzer Inquisition
Hat ihnen Christi Wohlthat bald entrungen,
Daß, weil’s im Mammon doch beim Alten blieb,
Auto da Fe die Regung bald vertrieb.

Wenn dann der jungen Edelleute Schaar
Zum erstenmal betrat die gold’ne Treppe,
Wo jeder stolz gleich seinen Vätern war,
Und man dem Dogen trug die Purpurschleppe,
Geweiht im Rathsaal und am Hochaltar:
Wer dachte dort an eine Ruhmesebbe,
Wer dachte, daß in solchem Freudenlicht
Vorüberzog ein leeres Traumgesicht?

Wenn Siegesflotten dann aus fernstem Meer
Herwimpelten mit stolzen Güterlasten,
Und Wucherer in Schlössern weit umher
Herdrohten als gefürstete Dynasten,
Die, ränkeschmiedend, herzlo,s unheilschwer
Der eig’nen Bürger Untergang erpaßten
Wer wagte dann zu rufen göttlich-laut:
„Venedig ist auf lauter Sand gebaut!“

Wenn die Decemvirn heimlich ihren Spruch
Nach dem Geflüster feiger Löwenrachen
Ermittelten zu Folter, Schwert und Fluch
Und ausgesendet ihre Henkerwachen,
Bluthunden gleich mit schnüffelndem Geruch
Wer durfte dort in’s Antlitz ihnen lachen
Und sprechen: Eure Teufelsmajestät
Versinkt in Blut, weil Ihr nur Blut gesät!? –

Gemessen hat der Herr, und wird noch messen.
Groß ist jahrtausendjährige Geduld,
Darunterhin dein Leben ging indessen,
Doch groß auch ist jahrtausendjähr’ge Schuld,
Die niemals du bereut, nein, bloß vergessen,
Von Mammonsschwindeleien eingelullt
Und dein Mariendienst, er wird das Stöhnen,
Das du den Völkern abdrangst, nicht versöhnen.

„Zuerst Venetianer, dann ein Christ“ –
Solch Sprüchwort machte stets in dir die Runde;
Das war’s, wodurch du groß geworden bist
Doch auch verworfen warst im Völkerbunde.
Nun, da dein Herrscherthum verweset ist,
So gib von deinem Christenthum uns Kunde!
Der Flitter sank, wir schauen um und um: –
Was blieb dir? – nur das todte Judenthum!

Ja, wie der alte Shyloc seinen Schein
Mit faltem Grinsen herzlos eingefodert,
Hat vom Rialto her die Völkerreih’n
Der Ingrimm deiner Habsucht stets durchlodert.
Kunstbaute,n ausgeführt aus Todtenbein,
Aus deren Mitte schaurig unvermobert
Ein Shylokshaupt mit einem Perlenband
Schweigsam hinausblickt über Meer und Land.

Du bist das Conterfei der Außenwelt,
Die Geisterwelt hast niemals du verstanden.
Was Sinne reizt, was Augen wohlgefällt,
Ist königlich noch heut‘ in dir vorhanden.
Drum, wer auf Kunstgenuß und Muße hält
Mag immerhin an Malamocco landen,
Und in Palästen träumen, stolz und hehr; –
Der Christenseele Dürsten läßt du leer.

Hell glänzt der Abend über’m Marcusdom;
Die Feldmusik ertönt auf Marmorquadern,
Und lustig wallt des Volkes bunter Strom
Im Geiste taub, den Leichtsinn in den Adern.
Doch seh’n Gespenster wir mit dir und Rom
Unselig und voll Todeswunden hadern,
Die unte‘ m Bleidach und im Brunnenschacht
Du zur Verzweiflung, dann zum Tod gebracht.

Dein Purpurkleid, es trieft von Menschenblut
Und bei der Piazetta mächt’gen Säulen
Wird es am Tag unheimlich uns zu Muth
Wie von dem Krächzen mitternächt’ger Eulen!
Denn längst verschollene Tyrannenbrut
Hör ich aus unterird’scher Tiefe heulen.
Durch Mord und Arglist wurden wir einst groß
Bis unser Schiff zum Abgrund niederschoß.

Uralte Eintagsfliege dieses Staats,
In Meeressümpfen heimlich großgezogen,
In Heuchelsünden seines hohen Raths,
Im Fürstenflitter, in des Tanzes Wogen,
Im Lasterpfuhle des Cicisbeats,
Wo Gatten bis zum Tode sich belogen: –
Was Wunders, daß ein Abendhauch so scharf,
So leicht dieß Lügenreich in Trümmer warf! –

Das alte Tyrus blickt dich warnend an,
Aus seinen Trümmern, längst der Schätze ledig,
Karthago, tod, einst auch nach deinem Plan
Gefürstet, ruft: „Besinne dich, Venedig!“
Denn wann durchmessen ist auch deine Bahn
Ste‘ n wir vor Gott: – Er sei uns Dreien gnädig! –
Uns traf sein Donner schon in dieser Zeit
Wie wird’s erst werden in der Ewigkeit?

Auf deiner Meeresbrücke langen Bogen
Entführet uns des Dampfes Sturmgespann,
Und Kuppeln hell, von goldnem Glanz umflogen,
Schau’n wehmuthvoll uns fern zum Abschied an.
Lebendig-todte Stadt, Des Meeres Wogen
Verschwemmen nicht dein Elend, deinen Bann,
Der dir verbleibt, indeß mit Psalmodieen
Auf Christi Reich wir in die Ferne ziehen!

Aus: Herbstblüthen. Gedichte von Albert Knapp.
Druck und Verlag von J.F. Steinkopf, Stuttgart, 1859.