Wo ist meine Sonne blieben? (Richter)

Mel.: Meine Armut macht mich schreien

1) Wo ist meine Sonne blieben?
Deren Lieben
Mir so wohl und sanfte tat,
Da sie in den Sinnen spielte
Und ich fühlte,
Was für Kraft man durch sie hat.

2) Aber nun empfind ich Schmerzen
In dem Herzen;
Die Versuchung wächst in mir,
Und ich bin ganz matt zu kämpfen,
Und zu dämpfen,
Weil ich keine Sonne spür.

3) Ich kann nicht die Welt ertragen,
Ich will’s wagen,
Vielleicht find ich meinen Freund,
Daß die schwere Nacht der Leiden
Sich muß scheiden,
wenn sein mächtig Licht erscheint.

4) Seele, schlafe nur im Friede,
Du bist müde,
Du find’st jetzt die Sonne nicht.
Du mußt in der Still ertragen
Deine Plagen,
Bis der Morgenstern anbricht.

5) Meide nur der Nacht Geschäfte,
Laß die Kräfte
zu dem Licht gekehret sein.
Dann wird dir der gold’ne [güldne] Morgen
Ohne Sorgen
Endlich wieder treten ein.

6) Weil* die kleine Welt wird stehen,
wird man sehen
Tag und Nacht im Wechsel steh’n.
Denn, soll durch den Tau die Erden
Fruchtbar werden,
Muß die kühle Nacht vergeh’n.

7) Kält‘ und Hitze muß den Frommen
Nützlich kommen,
Wind und Regen hilfet nur;
Denn es kommen keine Früchte
Nur beim Lichte
Zur vollkommenen Natur.

8) Schaue, wie bie weise Fügung
Nur Vergnügung
Statt des bittern Klagens macht.
Danke diesem weisen Vater
Und Berater,
Daß er es so wohl bedacht.

9) Laß dir nur den teuren Glauben
Niemand rauben.
Und verharre im Gebet.
Schlafe, und dein Herze wache!
Deine Sache
In des Vaters Händen steht.

10) So nimmt dich die klare Sonne
In Der Wonne
Eigentümlich in sich ein,
Da wird dich sein Blick durchgehen;
Du wirst sehen,
Daß kein Teil wird finster sein.

11) Jesu, gib in dunklen Wegen
Deinen Segen,
Weil* die Nacht des Glaubens währt.
Hilf mir, statt nutzloser [vergebner] Klagen,
Alles tragen,
Weil es nur die Kraft verzehrt.

12) Und dein Fried‘ erhalt die Sinne
Bei mir inne,
Er bewahre meinen Sinn;
Daß die Nacht durch deine Gnade
Mir nicht schade,
Bis ich ganz im Lichte bin.

* solange

Liedtext: Dr. Christian Friedrich Richter (1676-1711)
Melodie: Hüter, wird die Nacht der Sünden
Melodie: 1542, Guillaume Franc (zu Psalm 38);
1744, bei J. G. Stötzel;
„Meine Armut macht…“ od. „Seele, du mußt munter werden“

Quellen:

Lied Nr. 2468: Evangelischer Liederschatz für Kirche, Schule und Haus. Eine Sammlung geistlicher Lieder aus allen christlichen Jahrhunderten. Gesammelt und nach den Bedürfnissen unserer Zeit bearbeitet von M. Albert Knapp, Stadtpfarrer zu St. Leonhard in Stuttgart. Zweite, ganz umgearbeitete Ausgabe, Seite 1071.
Stuttgart und Tübingen. J. G. Cotta’scher Verlag, 1850. [Digitalisat]

Lied Nr. 81, in: Christliches Hausbüchlein. Von Pfarrer Gottlob Baumann in Kemnat. Eine Sammlung meist alter, bewährter Gebete und Lieder, besonders über die Heilsordnung, 15. Auflage, Seite 120f. Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Färberstraße 2,  Stuttgart 1910.

Weblinks und Verweise

Christian Friedrich Richter bei The Cyber Hymnal

Das Psalmlied lutherischer Prägung und der Genfer Reimpsalter [Artikel aus Musik & Gottesdienst — Nr. 6/ 2020, im pdf-Format bei w.rkv.ch]

Eingestellt am 10. Mai 2022 – Letzte Überarbeitung am 8. August 2022