Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. (Galater 5, 22)
Tieferer Friede und göttliche Freude. In den mächtigen Tiefen des Ozeans machen die Winde, die über die Oberfläche dahintoben, keinen Eindruck. Dort herrscht eine ununterbrochene und vollkommene Ruhe. So mag auch die Seele, die sich in Gott vertieft hat, weniger von der aufbrausenden Fröhlichkeit leicht erregbarer Naturen haben; aber sie ruht in dem Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt, und ihre Freude ist nicht die irdische Freude, die aus den Verhältnissen oder zusagenden Umgebungen entspringt, sondern eine wahre göttliche Freude, und diese wird oft am tiefsten und vollsten empfunden, wenn ringsumher alles öde ist wie eine Wüste und dunkel wie die Mitternacht.
Tieferer Glaube. Wie wir uns tiefer in Gott versenken, so hält sich unser Glaube nicht so sehr an die offenbaren Anzeichen der Erhörung unserer Gebete, sondern ruht mehr auf dem Unsichtbaren. Er nimmt Gott bei Seinem Wort ohne Zeichen oder Gefühl und lernt wie Abraham gerade dann am festesten glauben, wenn alles der Verheißung zu widersprechen scheint. Er versenkt sich in die Tiefen der geheimnisvollen Führungen Gottes und vertraut, wo er nicht ergründen kann, der Treue und Liebe Gottes, in der er ruht.
Tiefere Liebe. Dann lernen wir die Liebe, die langmütig und freundlich ist, die das Lieblose, das Unfreundliche mit Liebe umschließen kann, die im Glauben liebt, wo es im Schauen nicht möglich; denn diese völlige Liebe glaubt alles, hofft alles, duldet alles und „hört nimmer auf“.
Tiefere Geduld. Denn wenn wir in die Tiefen hinabsteigen, so kann die Geduld ihr vollkommenes Werk in uns haben und die krönende Tugend des gereiften Christenlebens werden, — Geduld Gott gegenüber, inmitten dunkler Führungen, Geduld gegen unsere Mitmenschen, auch in Beleidigungen und Verfolgung, Geduld, die freudig leiden und sich selbst des Leidens rühmen kann, weil sie über und in allem die Liebe Gottes und Seinen Endzweck, unsere Vollendung, sieht. —
Tiefere Kraft. Wie wir uns tiefer in das göttliche Leben einsenken, werden wir uns oft weniger unserer eigenen Kraft bewusst und sind es zufrieden, in Seinem Wirken zu ruhen, auch wenn wir weder Kraft fühlen noch Frucht sehen. Gottes Macht zeigt sich oft in dem Verbergen Seiner Kraft, und Seine mächtigsten Werkzeuge sind mit dem Schatten Seiner Hände bedeckt. Wir lernen im Glauben auf Seine Gotteskraft rechnen und halten uns nur für Werkzeuge Seiner Hand, willig, ebenso wohl durch Schweigen als durch Reden oder tätigen Dienst von Ihm gebraucht zu werden.
Tiefere Arbeit. In dieser tieferen Arbeit in Gott sind wir nicht mehr mit uns selbst beschäftigt; aber unser Wirken mag wohl weniger offenbar werden als in unserer früheren Erfahrung. Die Arbeiter einer großen, mächtigen Brücke tun die schwerste Arbeit davon im Verborgenen. Tief unter dem Wasser werden die großen Grundsteine gelegt; aber sie sind auch das Fundament, das den ganzen Bau trägt. Dies war die Arbeit, die Moses tat, und Josua erntete die Früchte derselben. Der Prophet Jesaja tat solche Arbeit; aber zu seiner Zeit wurde er von niemanden darin verstanden. Es war die Arbeit des Herrn selbst, als Er auf Erden war, und bei Seinem Fortgang war nur in einer kleinen Schar ihr Resultat sichtbar; aber die folgenden Jahrhunderte haben ihre herrliche Frucht offenbart.
Tieferes Gebet. Denn wenn wir inniger mit dem Heiligen Geist vereint sind, so betet Er in uns, und Sein Gebet kommt aus der Tiefe, nicht mit lautem Ruf, sondern mit Seufzen, das nicht in Worten ausgesprochen werden kann. Unser Gebet wird manchmal auch zu einem schweigenden Versenken in Gott, einem Einssein, einer Anbetung, die zu heilig und zu tief ist, sie in Worte zu kleiden.
(Georg Steinberger: Der Gnadenstrom)