Immanuel Gottlieb Kolb (1784-1859)

Vorwort

Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt
haben, welcher Ende schauet an, und folget ihrem Glauben nach.
Hebr. 13, 7

I. Lebensabriß

1. Familie, Geburt und Jugend

Immanuel Gottlieb Kolb wurde geboren den 28. Dezember 1784 in dem württembergischen Pfarrdorf Schönaich, OA (Oberamt) Böblingen, wo sein Vater, Christoph Friedrich Kolb, Schulmeister war. Seine Mutter, Dorothea, war die älteste Tochter des früheren Schulmeisters und Wundarztes Metzger daselbst, eines Mannes, der nicht nur in seinem Beruf ausgezeichnet war, sondern auch als Christ mit vielen Gläubigen seiner Zeit, namentlich auch mit dem seligen Prälaten Oetinger in Verbindung stand, und dem es besonders angelegen war, auf die Zukunft Jesu und die bevorstehenden Gerichte aufmerksam zu machen.

Seine Mutter erzählte von dem kleinen Gottlieb, daß sich derselbe körperlich und geistig sehr früh entwickelt habe, und z. B. schon in seinem zweiten Jahr Melodien singen lernte. Von zehn Geschwistern, die er hatte, starben zwei in früher Kindheit; unter seinen übrigen fünf Brüdern und drei Schwestern war er im Alter mitten inne.

Da die Eltern gottesfürchtig waren, so erzogen sie auch ihre Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn. Besonders hielt die Mutter, welche selbst eine Erziehung nach den strengsten biblischen Grundsätzen gehabt hatte, mit aller Festigkeit auf unbedingten Gehorsam, und gewöhnte ihre Kinder frühe an Ordnung und Arbeitsamkeit, was bei dem geringen Einkommen umso nötiger war. Dies diente zugleich als Mittel, den fähigen Knaben, welcher seinen Geschwistern gegenüber bald eine Überlegenheit bekam, in den heilsamen Schranken der Bescheidenheit zu erhalten. Schon hieraus können wir erst sehen, wie die göttliche Weisheit von Anfang an seinen Lebensgang leitete. Auch die bewahrende Hand Gottes waltete sichtbar über ihm, als er eines Tages mit Bohnen spielte und hierbei eine derselben in die Nase brachte, was ihn hätte das Leben kosten können, wenn nicht sein Großvater noch zu rechter Zeit mit einem chirurgischen Instrument zu Hilfe gekommen wäre.

Seine Knabenjahre fielen in eine Zeit, da die zahlreiche Familie in die bitterste Armut geriet durch ein Missgeschick, dessen Folgen die Eltern lebenslänglich zu tragen hatten. Denn obwohl die Kinder, die Knaben wie die Mädchen, fleißig zum Spinnen angehalten wurden, und die Hausmutter selbst sich beinahe und übermäßig anstrengte, um neben der Besorgung ihrer großen Haushaltung noch möglichst viel durch Handarbeit zu erwerben, kam es doch soweit, dass sie eine Zeitlang nur eine Scheune zur Bewohnung hatten.
Er erinnerte sich noch im späten Alter, wie die zärtlich besorgte Mutter ihren neun Kindern die Erdbirnen vorgezählt habe.

Nach der Konfirmation wollte er das Bäckerhandwerk erlernen, da er gegen den Schulstand eine Abneigung hatte. Er kam daher nach Steinenbronn zu einem Meister in die Lehre, der aber ein roher Mann und ein Flucher war, sodass er hierdurch die Lust zu diesem Beruf gänzlich verlor. Deshalb kehrte er nach kurzer Zeit zu seinen Eltern zurück, und bereitete sich sich nun doch bei seinem Vater für den Lehrerberuf vor, so gut dies eben bei den beschränkten Mitteln geschehen konnte.

2. Berufsleben

In seinem sechzehnten Jahre kam Kolb durch Verwendung seines Vaters, nachdem ihn der damalige Dekan in Böblingen für tüchtig erklärt hatte, als Provisor nach Mähringen bei Tübingen, wohin er, wie er sagte, seine ganze Habseligkeit in einem Sacktuch getragen habe. Sein Vater begleitete ihn eine Strecke Wegs und sagte beim Abschied zu ihm: Höre, Gottlieb, in deinem Leben mußt du einmal den Zwillichkittel zerreißen, lieber zerreißest du ihn in der Jugend, dann bekommst du es im Alter gut. Dann empfahl er ihn der ferneren Leitung und Bewahrung Gottes. Dieser göttlichen Fürsorge war er aber auch recht bedürftig. denn wie er schon als Knabe die Entbehrungen und Mühseligkeiten dieses Lebens reichlich erfahren mußte, so hatte er auch als Jüngling manches Schwere zu tragen.

Hören wir ihn selbst hierüber:

„Von Mähringen aus hatte ich alle Tage die Schule in dem eine halbe Stunde entfernten Filial Jetenburg zu versehen. Ich stand Morgens um fünf Uhr auf, half dem Schulmeister bis um sieben Uhr beim Dreschen, so lange dieses Geschäft währte; darauf frühstückte ich, zog die Kirchenuhr auf und eilte nach Jetenburg. Da es Winter war und ich bloß mit Schuhen bekleidet öfters durch tiefen Schnee zu gehen hatte, so mußte ich bisweilen den ganzen Tag mit nassen Füßen Schule halten. Auch hatte ich dort kein bestimmtes Kosthaus; lud mich jemand zum Mittagessen ein, so war es gut; wo nicht, so speiste ich an dem Gesindetisch des Schultheißen.

Abends kehrte ich wieder nach Mähringen zurück. Im kalten Dachkämmerlein wurde ich manchmal in meinem Bette überschneit, indem die Dachziegel den Schnee ungehindert durchpassieren ließen. Aber ich achtete dieses nicht. Wenn ich von hier aus einen Besuch bei meinen Eltern machte, so kaufte ich mir auf dem Weg einen Wecken und trank an irgend einem Brunnen Wasser dazu. In diesem Halbjahr bekam ich 13 Gulden Gehalt. Da es nur ein sogenanntes Winterprovisorat war, so wäre an Georgii meine Zeit abgelaufen gewesen. Der Schulmeister aber, welcher mit mir zufrieden war, machte mir den Vorschlag, auch den Sommer über bei ihm zu bleiben; dagegen sollte ich ihm versprechen, den folgenden Winter auch noch auszuhalten. Jedoch mein Vater hatte mich bereits dem Schulmeister in Oeschelbronn bei Pforzheim zugesagt, und so mußte ich abreisen.“

Mit solchen anschaulichen Schilderungen aus seinem Leben suchte Kolb bisweilen Andere, bei welchen er eine heimliche Unzufriedenheit mit ihren Verhältnissen wahrnahm, zurecht zu stellen und sie zur Dankbarkeit gegen Gott zu bewegen. In Oeschelbronn, einem damals württembergischen, jetzt badischen Pfarrdorfe, trat er an Georgii 1801 seine Stelle als Provisor an. Auch hier, wo er gleichfalls den Schulmeister in allen Geschäften unterstützte (bei jährlich 19 Gulden Besoldung), widmete er sich seinem Beruf mit gewissenhafter Treue, und noch jetzt, nach beinahe sechzig Jahren, sind einzelne liebliche Spuren seiner Wirksamkeit in diesem Orte zu treffen, so wie auch ältere Gemeindeglieder seiner noch mit Achtung und Liebe gedenken.

Niefern-Öschelbronn, Bürgerhaus und Turm der evangelischen Kirche

Bildquelle: atreyu, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Nach nicht ganz zweijährigem Aufenthalt in Oeschelbronn hatte er an Lichtmeß 1803 in Dagersheim bei Böblingen, dem Geburtsort seines Vaters, als Provisor einzutreten, wo sein Großvater kurz zuvor als Schulmeister gestorben war. Von da an wurde er nach zwei und einem halben Jahr als selbständiger, d. h. vom Schulmeister unabhängiger Lehrer nach Denkendorf berufen an die Stelle seines älteren Bruders Christian. Davon erzählt er unter Anderem Folgendes: Hieher war mir der Ruf vorangegangen, daß ich ein Separatist sei. Als ich nun bei dem Herrn Dekan mich zum Examen einfand, welches damals jeder in eine neue Diöcese eintretende Provisor erstehen mußte, so ließ mich derselbe, ohne mir die Ursache zu sagen, eine Vorrede über ein biblisches Buch lesen, in welcher sehr scharf über die Separatisten gesprochen war. Daher war es mir, als er das erste Mal zur Schulvisitation kam, ziemlich bange. Doch gieng dieselbe mit Gottes Hilfe so gut vorüber, daß der Herr Dekan mir beim Abschied freundlich die Hand drückte und sagte: „Gott segne ferner Ihre Arbeit und lasse Sie noch lange hier bleiben.“

Kolb hatte hier mit Privatunterricht so viel zu thun, daß er zuweilen täglich im Ganzen 12 bis 13 Stunden zu unterrichten hatte. Wie sehr er an diesem Orte in’s Gedränge kam und mit welch kindlichem Glauben er sich darunter an Gott hielt, davon zeugen folgende von ihm selbst aufgezeichnete Gedanken aus jener Zeit:

„Den 20. Juli 1805 kam ich hier in Denkendorf an, nachdem ich zuvor lange genug von dieser mir wunderbaren Veränderung gequält wurde. Und, ach Gott! ich taumle schon beinahe sechs Tage hier herum im Jammer und Elend. Noch sehr wenig, ja zu meiner Schande muß ich das sagen, noch gar nicht habe ich mich dir, o Gott, recht genaht und mich gedemüthigt vor dir für das viele Gute, das du mir erzeiget hast. Ach wo soll ich vor dir hin, du mich überaus liebender Vater! O laß mich in den Staub vor dir mich hinlegen, laß mich mit Demuth und wahrhaftigem Herzen vor dir schreien: Ich bin viel, ja viel zu gering aller der großen Barmherzigkeit, die du an mir Armen, Elenden und Nichtswürdigen gethan hast! Ach verlaß mich doch nicht in Denkendorf, denn ich bin wirklich innerlich und äußerlich sehr im Gedränge, ich habe so schwere Verrichtungen die ich mir nicht getraue fortzuführen, du weißt daß ich zu schwach dazu bin. Ach höre mich doch, o Jesu, Jesu! Schon Manchen im alten und neuen Bund und auch in wirklicher Zeit, selbst auch mich, hast du schon oft, wie heute wieder erhört, und bist mir beigestanden. Ach gib mir doch zum weitern Fortkommen deinen Geist der Weisheit, der Kraft und Stille, daß ich doch, weil ich ießt so viel studiren muß, nicht zu Grunde gehe! O laß mich doch den Narren zu keinem Spott werden! Soii und muß es aber so sein, ach so gib doch Geduldskraft, Demuth und Einfalt, damit mich nichts verrücke und mir nichts schade, sondern alles mich in dich und zu dir treibe. O ich bitte dich, erhöre mich und sei auch diesen Abend bei mir, und laß mich lieber den allerschmählichsten Tod leiden, als dir untreu werden und von dir abfallen. O Abba, höre mein Flehen!  Amen.“

Den 27. Juli 1805.

„Heute bin ich abermal zerstreut und nicht bei dir, du lieber Heiland! Ach wäre ich, wie man werden kann, dann dürfte ich doch einmal zu dir und würde doch der Gefahr entrückt, aber so, ach Gott in dem Himmel, bin ich alle Tage, Stunden und Minuten in Gefahr, von dir auf ewig getrennt zu werden. O nur dieses nicht! Lieber verschiebe mir alle Thüren mit Kreuzesriegeln und vermache mir alle Wege mit Dornen, ich bitte dich darum, wenn es nicht anders sein kann, nur laß mich nicht versinken in diesen der Natur undurchdringlichen Wegen. Begleite mich mit deinem heiligen Geiste und schenke mir durch ihn den Gedulds- und Leidenssinn, aber auch die Gedulds- und Leidenskraft. Ohne dieses komme ich nicht in Denkendorf durch. Sei du doch überall in, mit und bei mir, und laß alle meine Reden, Gedanken und Handlungen in dir und durch dich geschehen, denn daran fehlt es bei mir am meisten. O, so sei doch heute Nachmittag bei mir, und wenn es dir gefällt, daß ich nach Z. gehen soll,  so sende gut Wetter und gehe selber mit. O Heiland, der du mich auch eingeschlossen hast, da du dein hohepriesterliches Gebet auf dieser Welt verrichtetest, schließe mich auch ein, da du jetzt in dem Himmel bist, und laß mich nur ewig dir angehören!  Amen.“

Den 10. August 1805.

„Du allerliebster Herzensheiland! Wie gut bist du gegen mich elenden, armen, verderbten Menschen! Unaussprechlich gut bist du gegen mich, ich kann es dir nicht genug verdanken. Heute Morgen hast du mich schon um 3 Uhr geweckt und mir wie deutlich gesagt, ich soll beten. Ach schon lange nimmer konnte ich so herzlich mit dir reden, wie heute; schon lange war mein Herz nicht mehr so aufgeschlossen, so voll Zuversicht
und Freudigkeit, so voll Glauben und Kindlichkeit. O möchte es nur immer so gehen! Möchte doch immer dir mein Herz auf- und allem Andern zugeschlossen bleiben! Herzens-Jesu, ach so sei doch heute auch bei mir, in mir, über mir und an mir, und mich laß deßgleichen sein! Ach, ich bitte dich, öffne doch mir diesen Morgen mein inneres Ohr, daß du heute diesen ganzen Tag mein einziger Gesichtspunkt seiest, und ich Nichts
höre, als dich und durch dich. Amen.“

Von seinem Aufenthalt in Denkendorf erzählte Kolb noch weiter Folgendes: „Im Herbst 1806 kam ganz unerwartet mein Bruder Andreas zu mir mit der Nachricht, ich müsse mich bis den andern Mittag um 1 Uhr beim Oberamt in Böblingen darüber ausweisen, daß ich examinirt sei, sonst werde ich zum Soldaten ausgehoben. Ich gieng zu meinem Herrn Pfarrer und fragte ihn um Rath, worauf er mich mit einem Schreiben zum Dekan nach Stuttgart schicte. Es war schon Nacht, als ich dort ankam. Als derselbe das Schreiben gelesen hatte, war er darüber erstaunt, daß ich sollte übergangen worden sein, da doch kaum einige Tage zuvor alle Provisoren der Diöcese St. geprüft worden waren. Er gab mir sogleich ein Billet an den Prälaten Keller, der sich ebenfalls wunderte, und mir darauf die Anweisung gab, am andern Morgen früh zu ihm zu kommen, dann werde er mir die Aufgaben diktiren lassen. Ich fand mich zu der bestimmten Zeit ein, und als ich mit meiner Arbeit fertig war, brachte ich sie dem Herrn Prälaten, und nach einer Viertelstunde hatte ich mein Zeugniß. Froh eilte ich damit das Schulgäßchen hinab, und wollte mir eben zu einiger Erquickung auf den Weg für einen Kreuzer Zwetschgen kaufen, als mir jemand auf die Achsel klopfte. Ich sah mich um, und Frau K. stand vor mir. Diese ließ nun nicht nach mit dringendem Zuspruch, bis ich in ihre Wohnung mitgieng, wo sie mich mit einem Glas Wein erquidte. Hierauf machte ich mich auf den Weg, kam noch vor 1 Uhr in Böblingen an, übergab mein Zeugniß, und wurde von der Aushebung frei gesprochen.“

Kurze Zeit nachher starb sein Onkel, welcher der Nachfolger seines Großvaters in Dagersheim gewesen war, und Kolb wurde dringend aufgefordert, die Schulwahl mitzumachen. Er nahm es nicht leicht, von Denkendorf wegzugehen; doch gab er endlich nach und meldete sich bei den Ortsvorstehern in Dagersheim, hatte aber Anfangs wenig Aussicht auf Erfolg. Aber der Herr lenkte die Herzen, und Kolb wurde gewählt. Die Gemeinde Denkendorf verlor ihn sehr ungern, und bei seinem Abschied floßen viele Thränen.

Anfangs Februar 1807 hielt Kolb seinen Aufzug als Schulmeister in Dagersheim. Dies war ein Festtag für die Gemeinde, er wurde mit Freuden eingeholt, wobei ihm ein bekränztes Schaf entgegengeführt wurde. Im Aufblick auf den Herrn trat er nun sein Amt an. Nach kurzer Zeit wurde er von Freunden angelegentlich ersucht, junge Leute als Schulincipienten aufzunehmen, um sie zu Lehrern heranzubilden, welchem Wunsch er auch entsprach. Gott gab seinen Segen zu diesem Unternehmen, und diejenigen, welche eine Zeitlang unter seiner Leitung stehen durften, und durch seine Lehren und sein Beispiel so viele segensreiche Eindrücke empfiengen, bewahrten ihm lebenslänglich ein dankbares Andenken. Als im Jahr 1811 das Schullehrerseminar in Eflingen errichtet, und keinem Schulmanne mehr gestattet wurde, Incipienten [Anfänger; insbes.: neu aufgenommene Schüler] anzunehmen, so mußte auch Kolb die seinigen dahin abgeben, und wurde solcherweise dieser Aufgabe enthoben, welche neben seinem eigentlichen Beruf seine Zeit und Kraft so vielfach in Anspruch nahm. Später jedoch nahm er wieder einen entfernten Verwandten und einen Sohn seines verstorbenen Bruders bei sich auf, um sie für den Schulstand zu erziehen, nachdem er hiezu besondere Erlaubniß vom Consistorium erhalten hatte.

Sein Verhältniß mit den Provisoren* wurde ihm auf mannigfaltige Weise zu einer lehrreichen Schule, worüber er z.B. Folgendes erzählt:

„Der Provisor*, den ich antraf, wollte mir nicht taugen, er war mir viel zu rauh. Anstatt ihn nun in Geduld zu vertragen, wie es Gott von mir verlangte, suchte ich desselben los zu werden. Das hatte ich zu büßen. Ich bekam zwar Einen, der nicht mehr so rauh, ja der sogar glaubig und hierin mit mir gleichen Sinnes war, der sich aber durch sein einnehmendes Wesen so beliebt machte, daß ich ihm überall nachstehen mußte. Ich wußte, warum mir Gott diese Lektion gab, und schickte mich an, sie zu lernen. Nach einiger Zeit kam der Provisor* fort. Aber was ich gelernt hatte, sollte ich auch repetiren. Er trat zum zweiten Mal bei mir ein, und nun gab es noch schwerere Uebungen als zuvor. Doch auch diese erreichten ihr Ende“.   

* Provisor: ein Bediensteter, dem die Aufsicht über, oder die Sorge für etwas aufgetragen ist; eine besonders in Apotheken übliche Bezeichnung, wo der erste Geselle, welcher nächst dem Apotheker die Aufsicht über die Apotheke führt, diesen Namen bekommt.

Die nachfolgenden Provisoren waren theils frühere Incipienten von ihm, theils nahe Anverwandte. Sie alle arbeiteten mehr oder weniger in gleichem Geist mit ihm, und hatten bei der Jugend das gleiche Ziel im Auge. Dieses gute Einvernehmen, das sowohl für das Gedeihen der Schule, als auch für die Lehrer selbst so förderlich war, rührte großentheils daher, daß sich Kolb bis in’s Kleinste mit seinen Provisoren in den Beruf theilte. Da war bei aller Ordnung in den Geschäften nichts Abgeschlossenes, sondern sie versahen dieselben abwechslungsweise, nur die Eintheilung behielt sich der Schulmeister vor, um alles auf das Zweckmäßigste einzurichten.

Bei der angenehmen Stellung und freundlichen Behandlung, deren sich die Lehrgehilfen zu erfreuen hatten, ist es nicht zu verwundern, daß ihrer keiner seine Stelle verließ, bis die Umstände deutlich darauf hinwiesen, daß Gott eine Aenderung herbeiführen wolle.

Im Jahr 1827 erhielt er seinen vorhin genannten Bruderssohn zum Gehilfen, was er mit besonderem Dank gegen Gott erkannte, indem es durch einen scheinbar zufälligen Umstand gefügt wurde, daß der Name eines Andern, welcher bereits nach Dagersheim ernannt war, von der Liste wieder gestrichen wurde. Dieser war nun 13 Jahre lang sein Gehilfe ,und blieb noch 6 Jahre als Schulamtsverweser bei ihm, bis er im Jahr 1846 in den Missionsdienst trat.

In den vier lezten Jahren seiner Amtsführung, von 1846 an, war es dem lieben Kolb nicht mehr so sehr darum zu thun, gleichgesinnte glaubige Lehrer zu bekommen. Er sagte: Gott hat mir bisher Gehilfen gegeben, die meines Sinnes waren; mit Gleichgesinnten gut auszukommen ist keine Kunst, ich will auch lernen, mit Ungleichgesinnten mich zu vertragen“. Und wirklich wurden ihm nun Amtsverweser und Lehrgehilfen zugeschickt, welche ihm hinlängliche Gelegenheit gaben, sich in der Vertragsamkeit zu üben. Kolb aber behandelte dieselben mit so viel Weisheit und Liebe (besonders ließ er den zeitlichen Vortheil immer auf ihre Seite fallen), daß sie, ohne recht zu wissen, wie es zugieng, ihm nicht anders als mit Achtung und Liebe begegnen konnten.

Aus solchen charakteristischen Zügen, welchen ein nachdenklicher Leser wohl auch für sein besonderes Verhältniß Etwas zur Lehre und Aufmunterung wird entnehmen können, mag ersehen werden, wie dieser geistvolle Mann auf dem Wege der Selbstverleugnung und des Gebets zu einer so seltenen Macht über andere gelangte, durch welche dieselben heilsam beschränkt wurden, ohne sich dabei auf eine drückende Weise beengt zu fühlen.

Was die Stellung Kolbs zu seinen Vorgesetzen betrifft, so ließ er sich hierin durchgehends von den Worten des Apostels leiten, die er überhaupt öfters mit Nachdruck anführte:

„Alles, was ihr thut, das thut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen.“

Aus: Kurzer Lebensabriss von Immanuel Gottlieb Kolb, Schulmeister in Dagersheim, nebst einer Sammlung von Betrachtungen, Briefen etc., S. 5-16. Von seinen Freunden herausgegeben. Vierte Auflage, Dagersheim, zu haben bei Gebrüder Ziegler, 1865.


„Fünf-Brüder-Bild“ (Persönlichkeiten des württembergischen Pietismus)

Von links nach rechts:
Johannes Schnaitmann (1767-1847)
Anton Egeler (1770-1850)
Johann Martin Schäffer (1763-1851)
Immanuel Gottlieb Kolb (1784-1859)
Johann Michael Hahn (1758-1819)
Bildquelle: Wikimedia Commons (Public Domain)

Biblische Betrachtungen von Immanuel Gottlieb Kolb

Gethsemane

Von der gänzlichen Erneurung durch Christum

Von der Offenbarung Gottes im Fleisch und von der in Jesu liegenden Fülle und Herrlichkeit

Was wahre Treue im irdischen und himmlischen Beruf sei

Wie besondere Gnadenerweisung besondere Versuchung zur Folge habe

„„Je mehr die Reise durch das Erdenleben mit Leiden, Trübsalen und viel Tausend Arten von Ungemach durchwoben ist, desto gesegneter, freudenvoller und erfolgreicher wird der Übergang aus dem Tod in das Leben, aus dieser Welt in den Himmel sein.“

(I. G. Kolb)

Weblinks und Verweise

Immanuel Gottlieb Kolb und der Dagersheimer Pietismus –
Durch Leiden zur Herrlichkeit. Autor: Dr. Günter Scholz

Immanuel Gottlieb Kolb und seine Weggefährten –
Pietismus im Raum Böblingen. Autor: Dr. Günter Scholz

Immanuel Gottlieb Kolb: Einhunderteinundsiebzig kurze Grabreden: Nebst einer zweiten Nachlese kurzgefasster Gedanken. 1861.

Kurzer Lebensabriss von Immanuel Gottlieb Kolb, Schulmeister in Dagersheim, nebst einer Sammlung von Betrachtungen, Briefen etc., S. 5-16. Von seinen Freunden herausgegeben. Vierte Auflage, Dagersheim, zu haben bei Gebrüder Ziegler, 1865. [Digitalisat]

Gedachten van Immanuel Gottlieb Kolb. Autor: Immanuel Gottlieb Kolb, Verlag Höveker, 1883.

Mein Lebens- und Glaubenslauf: e. Jubiläumsschr. von Willi Bidermann, herausgebracht zum 125. Todestag von Schulmeister Immanuel Gottlieb Kolb, Ehrenbürger von Dagersheim u. Korntal. Böblingen: Schlecht, 1984 [Inhaltsverzeichnis]

Mit Schulmeister Kolb durchs Kirchenjahr: 365 Betrachtungen u. Gedanken für alle Tage von Immanuel Gottlieb Kolb mit Bildern u. Texten zu seinem Leben. Herausgegeben von Willi Bidermann. Metzingen: Franz, 1984 [Inhaltsübersicht]

Der Kleine Kolb oder Perlen der Wahrheit aus Reden und Briefen d. seligen Immanuel Gottlieb Kolb, weiland Schulmeister in Dagersheim:
Kolb, Immanuel Gottlieb. Ludwigsburg: C. u. A. Ulshöfer, [1924], 3. Aufl.


Eingestellt am 25. November 2020 – Letzte Überarbeitung am 24. November 2023