Psalm 8, 4.5

Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschenkind, daß du sich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du ihn gekrönt. (Psalm 8, 4.5)

Wir staunen über den Himmel. Was umfassen diese Unendlichkeiten? Was sind alle diese leuchtenden Welten? Was ist das Ziel dieser gewaltigen Bewegung, die sie hindurch durch den Weltenraum trägt? Auch der Psalmist staunt über die Himmel und den Mond und die Sterne, und wir staunen umso mehr, je mehr wir vom Himmel wissen. Aber der Psalmist sieht mit staunender Bewunderung auch auf den Menschen und auch dieser Grund zum Erstaunen wird niemals entkräftet. Was dünkt ihn am Menschen wunderbar? Gott denkt an ihn, Gott kümmert sich um ihn, Gott sucht ihn mit seiner Gnade heim. Wenden wir vom weiten Weltenraum den Blick zum Menschen hinüber, so sieht es aus, als sei er nichts. Seine Maße verschwinden neben dem, was uns die Himmel zeigen, auch das Maß seiner Lebenszeit. Neben der langgedehnten Zeit der Himmelskörper ist er ein kurzlebiges Wesen, das nur für einen Augenblick besteht, und auch sein geistiger Besitz reicht bei weitem nicht aus, um das Weltall zu erfassen. Allein nicht das bringt den Psalmisten ins Staunen, daß der Mensch so klein ist. Er erdichtet sich nicht ein anderes Menschenwesen, als er hat. Nun aber geschieht das Erstaunliche: Gott sieht auf ihn, ist für ihn gegenwärtig und hat ihn lieb.

Daß sich der Schöpfer des Himmels mit dem Menschen beschäftigt, das ist das erstaunliche Wunder. Soll ich aus dem Staunen den Zweifel machen und sagen: Ich mag nicht staunen, sondern will begreifen und lösche, was ich nicht begreifen kann, aus meinem Sehfeld aus? Wer sich dem widersetzt, was sich ihm wirklich zeigt, zerbricht die Grundlagen seines Lebens. Ich weiß, daß Gott an mich denkt; denn ich denke an ihn. Ich könnte nicht an ihn denken, dächte er nicht an mich. Man kann Gott nicht kennen, wenn man nicht von ihm gekannt ist. Ich weiß auch, daß mich Gott mit seiner Gnade heimsucht. Nähme ich es nicht in meinem eigenen Leben wahr, so sehe ich es an Jesus. Daraus entsteht freilich das tiefe Staunen und die Frage: Was ist der Mensch? Bekommt einen mächtigen Klang, aber auch die deutliche, voll zureichende Antwort. Was ist der Mensch? Das, was Gottes Gnade aus ihm macht.

Vor Dich trete, Vater, alles, was Fleisch ist, und bete Dich an, Dich allein und keine andere Macht im Himmel und auf Erden. Dich soll jeder, der Mensch ist, anbeten, weil Du an ihm das Wunder tust, das Gott mit dem Menschen vereint. Dich soll jeder anbeten, dem Jesus begegnet ist, der das Wunder vollbrachte, das Gott mit dem Menschen versöhnt. Amen.

(Adolf Schlatter)

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Eingestellt am 21. Juli 2022