Der gute Rat für Alle, die nach dem ewigen Leben fragen.

Von Franz Heinrich Härter, Pfarrer an der Neuen Kirche, Straßburg

Eine Predigt über Matthäus 19, 16-26

Eine gar bedeutungsschwere Wahrheit wird uns vor die Seele gestellt, in der Geschichte eines reichen Jünglings, welcher schon auf der Schwelle der engen Pforte stand, die zur seligen Gemeinschaft mit Christo führt, und doch wieder zurücksank. Zur Belehrung und Warnung für alle Zeiten haben drei Evangelisten diese Begebenheit erzählt; sie ist auch bei Markus und Lukas nachzulesen. 1), 2)

1) Mark. 10, 17-27. — 2) Luk. 18, 18-27

Wir wollen den evangelischen Abschnitt zuerst genauer erwägen, und dann zu unserer besonderen Betrachtung übergehen. Ein Jüngling von vornehmem Stand, der bereits ein öffentliches Amt bekleidete 3), trat auf den Weg, da Christus durchkam, und vor ihm niederknieend sprach er:

3) in Luk. 18, 18 wird er ein Oberster genannt.

„Guter Meister, was soll ich Gutes tun, daß ich das ewige Leben haben möge?“
Es muß in dem jungen Mann ein Gnadenzug wirksam gewesen sein, der ihn zu dem Herrn hinzog 1); auch sagt Markus ausdrücklich, daß ihn Jesus, der Herzenskündiger, mit Liebe ansah. Das Schöne, Große und Edle in dem Worte und in der Person Christi hatte ihn gerührt und begeistert; er wollte auch zu solcher Vollkommenheit durchdringen, wollte die Heiligkeit erlangen; aber die tiefere Erkenntnis der Sünde im eigenen Herzen fehlte ihm. Sich selber wohlgefallend in seinem Streben, kommt er nur zu Jesu, um durch seinen Rat schneller zum Ziele gefördert zu werden, das er das ewige Leben nennt, und wonach er sich einbildet, mit allem Ernst zu trachten. Ach, er traute sich alles Gute zu, und wußte nicht, daß sein Herzensgrund noch der Welt angehörte, und daß er darum nicht fähig sei, das Gute zu tun.

1) Joh. 6, 44: Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat;

Das Wörtlein „Gut“ hat einen gar erhabenen Sinn: das gründlich wahre Gut liegt in Gott; Gott selber ist das wesentliche Gut; er ist der einzig Gute, der sich nie verschlimmern kann; alle Kreaturen haben das Gute nur durch Mitteilung von ihrem Schöpfer, verlieren es aber wieder, wenn sie von Gott abweichen. Die Dinge, welche man in der allgemeinen Sprache „Güter“ nennt, hören auf etwas Gutes zu sein, sobald ihr Besitzer dieselben unabhängig von Gott als Eigentum betrachtet; ja sie sind etwas Böses, wenn sie die Seele gebunden halten, und an ihrer Wiedervereinigung mit Gott verhindern.

Überhaupt kann man keine Kreatur gut nennen, in dem Sinne, wie unser Heiland das Wort „gut“ verstanden wissen will. Da nun der Jüngling unsern Herrn bloß für einen ausgezeichneten menschlichen Lehrer hielt, antwortete ihm dieser: „Was nennest du mich gut? Niemand ist gut, denn der einige Gott.“ Hierin liegt zugleich Bestrafung und Belehrung zum tiefen Nachdenken. Christus konnte sich dem Jüngling nicht als den eingeborenen Sohn Gottes und als das ewige Leben offenbaren, so lange nicht in seinem Herzen das Bedürfnis der Erlösung erwacht war; darum suchte er ihn nun darauf hinzuleiten, zu erkennen, was ihm zum Gutsein noch fehle. Er sagt zu ihm: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote!“

Die Gebote des Gesetzes sind der Ausdruck des guten heiligen Willen Gottes 1); wer sie hält, beweist dadurch, daß er im Bunde mit Gott stehe, und daß ihm das ewige Leben von Rechtswegen angehöre; wer aber auch nur Eines dieser Gebote übertritt oder versäumt, fällt unter den Fluch des ganzen Gesetzes 2); denn es steht geschrieben: „Verflucht sei Jedermann, der nicht bleibt in Allem dem, das geschrieben steht in dem Buche des Gesetzes, daß er es tue!“ 3) Der Jüngling meinte aber alle Gebote gehalten zu haben von Jugend auf, und fragte mit selbstzufriedener Kühnheit: „Was fehlt mir noch?“

1) Röm. 7, 12 — 2) Jak. 2, 10 — 3) Gal. 3, 10; 5. Mos. 27, 26

Jesus antwortete ihm, wie uns die Evangelisten Marcus und Lucas berichten: „Eines fehlt dir!“ Und nun wurde offenbar, wie der Jüngling an einer verborgenen Gebundenheit litt, die ihn zur Heiligung unfähig machte; er hatte viele irdische Güter, an diesen hing er mit abgöttischer Vorliebe, und sündigte dadurch stets wider das erste Gebot. Hätte er dies bußfertig erkannt, und sich im Glauben an den Heiland angeschlossen, so wäre ihm geholfen worden; allein er zog sich mutlos zurück, erschrocken über die Forderung des Herrn: in die Nachfolge Christi einzutreten, schien ihm zu schwer; er wollte zwar das Ziel, aber den Weg dahin wollte er nicht; er hatte die Pforte des Lebens vor sich offen gesehen, sie war ihm jedoch zu niedrig, zu eng; er konnte sich nicht entschließen herzugeben, was ihn verhinderte hindurch zu dringen, und wandte ihr nun wieder den Rücken zu.

Während dieser traurig von dannen ging, sagte der Herr zu seinen Jüngern : „Wahrlich, ich sage euch, ein Reicher wird schwerlich ins Himmelreich kommen.“ Und: „weiter sage ich euch: Es ist leichter, daß ein Kamel „durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins „ Reich Gottes komme!“ Die Jünger entsetzten sich sehr über dieses Wort; obgleich nicht reich an Geld, stießen sie sich doch an dem Ausspruch, denn ihr Gewissen bezeugte ihnen, daß sie im Herzensgrunde auch noch zu den Reichen gehörten, weil sie die irdischen Hoffnungen nicht aufgegeben hatten. Sie sprachen deswegen: „Je, wer kann denn selig werden?“ Jesus aber sah sie bedeutsam an, und sprach : „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich!“

Was der sich selbst überlassene Mensch nie vermag, das kann Gott tun, und er tut es an denen, die sich ihm gläubig ergeben; er ändert die Herzen, macht sie los von ihrer Gebundenheit, und, nachdem sie unter seiner Zucht recht arm und klein geworden, führt er sie durch in das Himmelreich. Darum heißt es 1): „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubet!“ Also auch das allerhöchste Gut, das ewige Leben, in der Gemeinschaft mit Gott, ist dem Glaubigen zugänglich. Wohlan denn, ihr Christen, die ihr in euren Herzen sagt: Herr, ich glaube! Versucht euch jetzt, ob ihr im Glauben seid, prüft euch selbst 2). Wer glaubt, der folgt dem evangelischen Rat, welchen Jesus Christus nicht nur dem Jüngling, sondern allen denen gibt, die nach dem ewigen Leben fragen. Dieser gute Rat soll der Gegenstand unserer ferneren Betrachtung sein.

1) Mark. 9, 23. — 2) 2. Kor. 13, 5.

Der gute Rat für Alle, die nach dem ewigen Leben fragen, umfaßt vier Hauptstücke:

  1. Gehe hin, verkaufe was du hast;
  2. Und gib es den Armen;
  3. So wirst du einen Schatz im Himmel haben;
  4. Und komm, und folge mir nach. 

I. Gehe hin, verkaufe was du hast!

Die eigentliche Aufnahme unter die Auserwählten geschieht nicht sogleich; der Herr fängt damit an, daß er spricht: Gehe hin! Dies deutet an, daß, wer ein Nachfolger Jesu werden will, zuerst einer Vorbereitung bedarf. Der Jüngling meinte ganz bereit zu sein, und dachte wohl, der gute Meister werde ihn mit Freuden aufnehmen in die Zahl seiner vertrauteren Schüler; da schallt ihm das: Gehe hin! gar befremdend in Ohr und Herz, denn der Sinn liegt darin: So wie du bist, kann ich dich noch nicht brauchen; es fehlt dir noch eins: du hast zu viel! Darum gehe zuvor hin, und mache dich los von deiner inneren Gebundenheit: Verkaufe, was du hast!

Es ist kein Zweifel, daß der Herr von dem reichen Jüngling wollte ganz buchstäblich verstanden sein, um ihm offenbar zu machen, woran es ihm fehlte; aber als allgemeine Regel kann hier der buchstäbliche Wortverstand nicht gelten, weil ja der Herr Solches sonst niemals von seinen Jüngern und Jüngerinnen forderte, unter denen wohl Manche waren, die auch zeitliches Vermögen hatten. Im geistlichen Sinne hingegen ist das Wort: Verkaufet, was ihr habt! 1) eine Regel für alle Seelen, die auf dem Wege nach der himmlischen Heimat nicht dahinten bleiben wollen.2)

1) Luk. 12, 33. — 2) Hebr. 4, 1 und 11

Vor allen Dingen frage sich nun ein Jeder: Was habe ich denn zu verkaufen? — Gehe hin, und untersuche mit bußfertigem Ernst, an welchen Gütern dein Herz noch hängt, welche du als dein Eigentum mit Selbstgefälligkeit betrachtest, auf welche du deine zeitlichen Hoffnungen des Vorteils und Genusses gründest.

Das sind die Dinge, welche Du hast, und worin dein Reichtum besteht, der dich an der geistigen Armut verhindert, die im Anfange der Bergpredigt unser Heiland selig preiset. 1) Bei aufrichtiger Selbstprüfung im Lichte der evangelischen Wahrheit wird uns gar Manches offenbar, das wir nicht hergeben möchten, obgleich wir zum Voraus wissen, daß wir es doch nicht behalten können; der Gedanke an den Verlust dieses vergänglichen Schatzes ist ein Todesgedanke, und wird meistens sorgfältig vermieden. Wer aber will weise werden zur Seligkeit, muß gerade darin recht mutig zu Werke gehen, und sich unverhohlen sagen: Siehe, was du hast, ist ja doch nicht dein, der Fürst dieser Welt, der unerbittliche Tod wird dir’s nehmen, und nichts bleibt dir davon übrig; wäre es nicht klüger, du verkauftest es zur Zeit, wo du noch darüber gebieten kannst, und tauschtest dagegen solche Güter ein, die dir ewig bleiben, und auf die der Tod keine Macht hat?

1) Matth, 5 , 3.

Wenn eine Seele diese wichtige Überlegung im Glauben anzustellen vermag, wird sie wohl bald entschlossen sein, dem guten Rat des Herrn zu folgen, und in den Verkauf einzugehen. — Aber nun gibt es eine andere Frage zu lösen, welche für Manche noch schwieriger als die vorige zu fassen ist: An wen soll ich mein Eigentum verkaufen? — Ein verständiger Handelsmann verkauft am liebsten dem, der ihm das Beste bietet; nun ist ein Käufer da, der dir einen Preis anträgt, welcher unendlich mehr wert ist als all dein Gut; zwar handelt er stets nur auf Treu uud Glauben; aber er ist es auch wert, daß du ihm Glauben schenkest, denn er ist der zuverlässigste Freund deiner Seele; sein Name ist dir wohlbekannt; er heißt: Treu und Wahrhaftig. 1) 

Gedenke daran, daß Jesus Christus das größte Recht auf dein Zutrauen hat; es war eine Zeit, wo er Alles für dich hingab, und arm wurde um deinetwillen 2), ja sogar sich selbst, sein Blut und Leben für deine Erlösung darbrachte 3); nun aber, nach der Vollendung seines großen Werkes hat ihn der allmächtige Vater zu seiner Rechten erhöht, als Herrn über Alles 4); und als Hoherpriester der zukünftigen Güter 5), ist er reich über Alle die ihn anrufen. 6) Glaubest du das, so hast du dm gefunden, welchem du, was du hast, verkaufen magst.

1) Offenb. 19, 11. — 2) 2. Kor. 8, 9. — 3) Matth. 20, 28; Ephes. 1, 7;  1. Petr. 1, 18.19. — 4) Apostg. 10, 36. — 5) Hebr. 9, 11. — 6) Röm. 10, 12.

Aber wie soll ich denn diesen Verkauf ausführen? Sobald du von Herzen an deinen Heiland glaubest, und also auch betend mit ihm reden kannst, so komm ganz freimüthig zu ihm, und sage ihm reumüthig und unverhohlen, daß du noch an dieses oder jenes irdische Gut dich gebunden fühlest, gestehe ihm zugleich, wie du erkennest, daß es thöricht sey daran zu hangen, da du ja wohl weißt, daß du es doch einmal hergeben mußt, wenn der Todesfürst es abfordern wird; weil es aber dann zu spät wäre, darüber Buße zu thun, so bittest du Ihn, den Jüchen des Lebens, dir jetzt sogleich das was du hast, abzunehmen, und dir dagegen zu geben — was Er will!

Wer auf diese Weise, demüthig und zutrauensvoll, mit dem Gnadenreichen handelt, wird gewiß erhört, und darf sich vor keinem Verluste fürchten, denn der Herr der Herrlichkeit thut über Bitten und Verstehen, und sein Wille ist nichts Geringeres, als daß die Seinen einst bei ihm seyen und das ewige Erbe mit ihm Heilen‘. Hätte der reiche Jüngling sich so benommen, und was er hatte dem guten Meister übergeben, so würde er sogleich das, wornach er fragte, das ewige Leben, im Glauben empfangen haben; er wäre eingetreten in die Nachfolge Christi, und stünde nun schon lange. sieggekrönt unter den Auserwählten in seines Herrn Freude. — Statt dessen behielt er seinen Mammon, feines Herzens Abgott, um sodann alles zu verlieren, und in der Ewigkeit die versäumte Gnadenstunde zu betrauern.

Von dem Augenblick an, wo man seine Güter im Glauben dem Herrn verkauft hat, betrachtet man sie mit anderen Augen, nämlich als Christi Eigenthum; der Jünger Jesu ist nicht mehr Eigenthümer, sondern von nun an nur noch Verwalter derselben, und seinem Herrn darüber Rechenschaft schuldig; dieser erlaubt ihm zwar daraus seine nöthigen Bedürfnisse zu bestreiten, aber was darüber hinaus gehet, ist geheiligtes, dem Verwalter anvertrautes Armengut; wie er denn verordnet:

1) Joh. 17, 24; Röm. 8, 1

II. Gib es den Armen.

Der Heiland, der größte Menschenfreund, behält nämlich das, was er seinen Gläubigen abkaufet, nicht für sich; die irren sehr, welche meinen den König des Reiches Gottes dadurch zu erfreuen, daß sie seine Kirche auf Erden mit äußerm Glänze schmücken; er wohnt nicht in schön geschmückten Häusern und hat keine Dienerschaft in prunkenden Kleidern, wie die weltlichen Herren, denn sein Reich ist nicht von dieser Welt; es kommt auch nicht mit äußerlichen Gebärden, sondern in den Menschenseelen soll es erbaut werden, ein geistliches Gotteshaus, ein Tempel aus lebendigen Steinen zusammengefügt, auf Ihm, als dem ewigen Grunde. Wer nun dem Herrn dienen, und das anvertraute Gut nach seinem Sinne verwalten will, der wende es so an, daß das Werk Jesu Christi in den Menschenseelen gefördert werde.

Da geht nun für den treuen Verwalter ein weites Feld gesegneter Thätigkeit auf, wo er mit dem Pfunde wuchern und es verwenden kann nach des Herrn Wohlgefallen. — Vor allen Dingen soll den Armen das Evangelium gepredigt werden; hier öffnen sich vor unseren Blicken zwei große Werke, die viele Mittel in Anspruch nehmen: die Verbreitung der heiligen Schrift in allen Sprachen der Völker, und die Verkündigung der Botschaft des Friedens unter Heiden, Juden und Mahometanern. Dieß sind solche Arme, an welche wir gewiesen sind, und deren Seelen einst im Gerichte wider uns zeugen werden, wenn wir nicht kräftig zu ihrer Rettung mitwirkten. Ein Jeder frage sich nun: Was hast du denn seither für dieselben gethan? —

1) Joh, 18, 36. 37. — 2) Luk. 17, 20. 21. — 3) 1. Petr. 2, 4-6; Ephes, 2, 19-22.

Aber während wir dazu beitragen, daß das Reich Christi auf seinen äußersten Grenzen erbaut und erweitert werde, dürfen wir auch der Armen nicht vergessen, die uns nahe stehen und liegen; o deren sind nicht wenige; und unser Heiland will ja, daß allen Menschen geholfen werde. Da ist jedoch das bloße Geben nicht hinreichend. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu müssen selbst Hand anlegen, und theils einzeln, theils mit vereinten Kräften dem Elende entgegen arbeiten, das die leidende Christenheit als Folge der Sünde drücket. Unwissende, Verlassene, Verwahrloste, Versunkene, Gefangene, Kranke, Kinder; ach! verirrte und verschmachtete Schafe in großer Zahl, geben Veranlassung zu allerlei Verpflegungs- und Rettungs-Anstalten , und anderen Werken der Barmherzigkeit.

Höret nun, was Jesus Christus von sich selber saget: „Der Geist des Herrn ist bei mir, derhalben er mich gesalbet hat, und gesandt zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen“, „zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu verkündigen das angenehme Jahr des Herrn.“ — Hiemit erklärt er sich als den Oberaufseher aller Werke, die gestiftet sind, um der armen Menschheit durch Wort und Tat zu beweisen, daß jetzt das große Gnadenjahr ist, wo die barmherzige Liebe sich zu den Verlornen neiget, ihre Seelen für den Himmel zu gewinnen. — Wer nun im Dienste des Weltheilandes irgend ein Erdengut zu verwalten hat, versäume ja nicht in dieser angenehmen Zeit, das Gut, das ihm für die Armen übergeben ward, mit rechter Freigebigkeit zu benutzen.

1) 1 Tim, 2, 3, 4, — 2) Luc. 4, 18. 19.

O ihr begnadigten Seelen, die ihr euern Heiland liebt, und im Glauben auf ihn eure Hoffnung gründet, lernet doch, was das heißt: „Mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben.“

Verkaufet, was ihr habt, und gebet es den Armen, so wird der König euch einst sagen: „Kommet her, ihr „Gesegnete meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt. Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich gespeiset; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket; ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget; ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich bekleidet; ich bin krank gewesen, und ihr habt mich gepfleget; ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. Und was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Meinem Jesus, meinem besten Freunde kann ich, darf ich Gutes tun! Welch beseligender Gedanke! —

1) Röm. 2,7. — 2) Matth. 25, 34—40.

Vermögen, Gaben, Zeit und Kräfte, und was ich sonst besaß, gehört nicht mehr mein; es ist sein, und ich verwalte es nur noch für Ihn, indem ich ihm in seinen Armen diene! Dieser Grundsatz muß jedes Christenherz mit einem heiligen Triebe erfüllen, wohlzutun und mitzuteilen, und kein Opfer zu scheuen, um Schätze zu sammeln als einen guten Grund auf das Zukünftige, daß es ergreife das ewige Leben. Dadurch sind auch schon einige Begüterte bewogen worden, ihre Ausgaben für eigene Bedürfnisse möglichst einzuschränken, und höchst einfach mit ihrer Familie Haus zu halten, um desto reichlicher auszustreuen und zu geben den Armen 3; und manche Unbemittelte haben auf eine rührende Weise sich erlaubte Genüsse versagt, um für ihren Heiland etwas zu thun als fröhliche Geber. 4

Doch ach, nur allzuviele weichen erschrocken zurück, gleich dem reichen Jünglinge im Evangelio, wenn eine Aufforderung an sie ergehet im Namen des Herrn; sie klagen über schwere Zeiten, über sonstige große Ausgaben, über ihr geringes Einkommen; sie denken an ihre alten Tage, an die Ausstattung ihrer Kinder, an die Möglichkeit eines Verlustes, u.s.w., und geben zögernd, mehr um der Menschen als um Gottes willen, etwas von ihrem Überflusse her. — Bedauernswerte, wo ist euer Glaube? O sammelt nur den betrüglichen Reichtum, daß eure Kinder einst vergeuden, was ihr zusammen karget! Ihr habt keinen Segen davon, und hinterlaßt auch keinen Segen euren Erben; eure Kapitalien sind schlecht angelegt, sie gehen samt den Zinsen verloren, und Christus gibt euch Nichts dagegen, denn ihr habt nicht Ihm, sondern dem Mammon gedient.

1) Hebr, 13, 16. — 2) 1. Tim. 6, 19. — 3) 2. Kor, 9, 9. — 4) ebend., Vers 7.

Nur der ist wahrhaft klug, der sich als ein treuer Verwalter völlig in den Dienst des Herrn begiebt, oder doch, was er hat, im Glauben auf die Wechselbank des Reiches Gottes anleget. Für den gilt das Wort:

III. So wirst du einen Schatz im Himmel haben.

Die hohe Bedeutung dieses Verheißungswortes wird uns am besten erklärt durch den Ausspruch des Herrn: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Schatz ist also ein Gut, daran das Herz Vergnügen findet; der Schatz übt auf das Herz eine magnetische Anziehungskraft, und wenn der Schatz auf der Erde ist, kommt das Herz auch nicht von der Erde los. Darin liegt ein wichtiger Fingerzeig : Wer sein zeitliches Vermögen an den Herrn vom Himmel verkauft, löset eben dadurch das Herz vom Irdischen ab, und ziehet so den alten Menschen aus: das ist der entscheidende Schritt vom Tode ins Leben, aus der Welt in das Himmelreich.

Freilich ist für einen solchen, der diesen großen Schritt getan hat, noch ein beträchtlicher Weg zurückzulegen, um das Ziel der künftigen Herrlichkeit zu erreichen, nämlich der ganze Heiligungsweg, welchen der Herr im Gleichnisse auch den schmalen Weg nennet; allein er ist doch durch die enge Pforte durchgedrungen, und befindet sich also bereits im Himmelreiche, im verborgenen Leben mit Christo in Gott; er ist ein neugebornes Gotteskind, tüchtig (obgleich noch nicht vollendet) zum Erbteil der Heiligen im Lichte.

1) Matth. 25, 27, — 2) Matth. 6, 21, — 3) 1. Kor, 15, 47. — 4) Ephes. 4, 22.

Von diesem Erbteil redet nun die heilige Schrift in vielen Stellen‘; das ist eben der Schatz im Himmel, den Christus dem Jünglinge verhieß, wenn er seinen guten Rat befolgen würde. Wir können uns von dem himmlischen Schatze keine Vorstellung machen, die zu hoch wäre; wenn wir uns alle Herrlichkeiten und überschwenglichen Seligkeiten vereinigt denken, ist es noch immer zu wenig; unsere kühnsten Gedanken sind zu gering um es zu fassen: „ Das lein Auge „ gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines „ Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat „ denen, die ihn lieben 5.“ Der heilige Geist, um es zu offenbaren, faßt es in das unermeßliche Wörtlein zusammen: „Es ist Alles euer. „6
Was sollen wir hiezu noch ferner sagen? Der himmlische Schatz faßt Alles in sich, was wir nur wünschen mögen, und geht über alle Güter; er ist das höchste Gut selber, Gott in Christo Jesu. Das ist es, wovon der Herr schon mit dem Vater der Glaubigen redete, indem er tröstend zu ihm sprach‘: „Fürchte dich nicht, Abram: Ich bin dein Schild, und dein sehr großer Lohn!“ — Merket hier auf die Worte: Ich bin dein! Der Himmel mit aller Herrlichkeit, das ewige Licht, das ewige Leben, die ewige Liebe liegt darin. O wer dies im Glauben erfaßt hat, ist gewiß bereit, die eiteln Güter dieser Welt daran zu geben, um sich Schätze zu sammeln, die nimmer vergehen.

Zwar ist der Vollgenuß dieses herrlichen Erbes in der Prüfungszeit noch nicht möglich, eben deswegen, weil es eine Zeit der Prüfung ist, worin der Glaube sich bewähren muß; hätte Christus dem Jünglinge sogleich einen Blick in jene Seligkeit gestattet, wie sie die drei schon erprobten Jünger auf dem Verklärungsberge empfanden, oder wie Paulus, da er in das Paradies entzücket war 5, so würde sich derselbe wohl leichter entschlossen haben zu verkaufen was er hatte; allein das durfte nicht geschehen, denn das Schauen verhindert den Glauben, und der Herr geht nur mit dem einen Vertrag ein, der ihm glaubet auf’s Wort. Wenn dann eine Seele den Bund wahrhaft geschlossen hat, und als eine teuer erkaufte, mit allem was sie ist und hat, nicht mehr sich selber angehöret, sondern Dem, der für sie gestorben und auferstanden ist 5, so werden ihr auch schon des Geistes Erstlinge gegeben, worin sie einen Vorschmack dessen findet, was im Himmel ihr aufgehoben ist; und nun lebt sie bereits in Hoffnung selig, und wartet sein durch Geduld.‘
In der Geduldprobe muß es sich nun zeigen, ob es dem Menschen mit dem Verkaufe seiner irdischen Güter ein rechter Ernst war; denn manchmal ist man im ersten Augenblick einer frommen Rührung zu Allem bereit, aber nachher kommt der Versucher mit listigen Vorspiegelungen, und sucht die Seele zu bewegen, wieder an sich zu reißen, was sie schon hingegeben hatte. Denket nur an die Versuchungsgeschichte, in welcher unser Heiland sich bewähren mußte; wie da der Satan mit entsetzlicher Kunst es darauf anlegte, ihn aus der Selbstverleugnung herauszulocken, und mit dem wiederholten Zweifel: Bist du Gottes Sohn? ihn dahin zu bringen, das Vermögen seiner Gotteskräfte zum eigenen Vorteil anzuwenden. Dieselbe Macht hat der Feind an Allen, die in die Nachfolge Christi eingetreten sind; er darf sie sichten wie den Weizen; und ach! da fallen gar Manche wieder durch, in die Welt, in ihre Gebundenheit und glänzende Not zurück.

1) Röm, 8, 23-25. — 2) Matth, 4, 1-11. – 3) Luc, 22, 31.

Darum darf der Mensch, dem es einmal ein Ernst geworden, sich seinem Heilande hinzugeben, nicht stehen bleiben, sondern nun erst muß er das vierte Hauptstück des guten Rates als letzte Lebensregel durchführen:

IV. Komm und folge mir nach.

Wenn der Glaubige im Gehorsam hingegangen ist wie der Herr ihn geheißen, den Armen zu geben was er vermag, dann hört er bald auch das freundliche Komm des Herrn, das ihm tief in den Grund der Seele dringet; wer diesen Ruf vernimmt, weiß ganz gewiß, daß ihn sein Heiland erkannt und angenommen hat. In dem Komm liegt der mächtige Liebeszug zum Himmel, wo, von nun an, die Seele ihren Schatz hat nach dem sie sich sehnet; und mit diesem Zuge verbindet sich zugleich der Trieb des heiligen Geistes‘, der alle Gotteskinder treibet, und ihnen das innere Zeugniß der Erwählung giebt, als Siegel und Unterpfand, wie geschrieben stehet: „Da ihr glaubtet seyd „ihr versiegelt worden mit dem heiligen Geist der Verheißung, welcher ist das Pfand unseres Erbes zu unserer Erlösung.“

Abgelöst von den Scheingütern dieser Welt, und befreit vom Banne der Lüste und Sorgen des betrüglichen Reichthums, kann die Seele sich öffnen für die geistlichen Segnungen der himmlischen Güter, und nun erwacht in ihr der Durst nach Gott, nach der Quelle des ewigen Lebens. Da geht ihr das Wort Gottes auf, wie der Fels in der Wüstes und sie versteht und befolgt mit Wonne die freundliche Einladung „Wohlan Alle, die ihr durstig seid, kommet „her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommet her, kaufet und esset, kommet her, kaufet ohne Geld und umsonst, beides Wein und Milch!“

Und dieses Komm, welches sie so selig machet, ruft sie dann auch den Armen zu; sie möchte Alle, die sie kennen lernt, auch zu der lebendigen Quelle führen; sie möchte, als begnadigte Braut, ihrem himmlischen Bräutigam alle Herzen gewinnen. Darum heißt es: „Und der Geist und die Braut sprechen : Komm! Und wer es höret, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Darin besteht eben der große Unterschied zwischen den Reichen dieser Welt, und denen die reich in Gott geworden sind; jene denken nur darauf für sich zu haben und zu genießen; diese hingegen sind frei von Selbstsucht und Eifersucht; sie haben in der Liebe ihres Gottes und Heilandes eine so unerschöpfliche Fülle, daß sie selbst als reiche Segensquellen rings umher erquicken und geben, ohne an sich zu denken; als die Armen, aber die doch Viele reich machen, als die Nichts inne haben, und doch Alles habend.

1) Röm. 8, 14-16, — 2) Eph. 1, 13,14. — 3) ebend., V. 3. — 4) Ps. 42, 3. — 5) 2. Mos. 17, 6; vergl. 1. Cor. 10, 4. – 6) Jesaj. 55 , l.

Solche Gnadenkinder sind wahre Wundermenschen, in denen das Widersprechendste sich vereinigt auf eine geheimnisvolle Weise; denn bei den hohen Vorzügen die sie genießen, haben sie doch stets das Bewußtsein der völligsten Armut und Unwürdigkeit, und während sie im Gefühle ihres Elendes manchmal ganz zusammensinken, möchten sie doch dieses Elend nicht austauschen gegen alle Herrlichkeiten der Welt. Darin besteht das Kreuzesgeheimnis, welches ste vor dein Abfalle bewahret, und sie vollbereitet zum Eingang in die zukünftige Herrlichkeit.

1) Offenb. 22, ,7, — li) Ioli. 7, 38. — 3) !i Cor. 8, 10; vergl. Spr. Eol. 13, 7.

Der neue und lebendige Weg, der in das Heilige führet, und durch das Blut Jesu aufgeschlossen ist, hat für den sinnlichen Menschen nichts Einladendes; es ist der Kreuzesweg, worauf der Herr selbst uns vorangieng, es ist der Weg seiner Nachfolge. Wem also das mächtige Komm ins Herz geklungen hat, merke auf die Warnung des Jüngers der Liebe, welcher einer auserwählten Frau und ihren Kindern schreibet ^: „ Sehet „ euch vor, daß wir nicht verlieren, was wir erarbeitet „ haben, sondern vollen Lohn empfangen.“ Wenn schon mancher Kampf siegreich bestanden ist, und ausgezeichnete Leistungen das Leben und Wirken eines Christen schmücken, droht ihm doch noch Gine Gefahr; es ist die Scheu vor den Leiden, welche man auch Kreuzesftucht zu nennen Pfleget.
Unser Herr Jesus sagt ausdrücklich: „ Wer uicht „sein Kreuz auf sich nimmt, und folget mir nach, der ist meiner nicht wert!“ Sehet den Anfänger und Vollender des Glaubens an, wie sein schönes Grdenwirken endet: in lauter Leiden, Schmach und Tod. Dahin müssen ihm seine Gläubigen folgen, denn sie sind auf seine Todesgemeinschaft gelaufen; wenn aber dieß sich anmeldet, erbebt das Herz, und die Kreuzesflucht drohet die Seele zu beschleichen, besonders wenn diese vorher eine Zeitlang Ruhe hatte, und von Vielen geehrt und geliebt war. Da heißt es: Merke auf und beherzige wohl, wie am Schlüsse des guten Rathes der Herr dir noch zurufet: Folge mir nach!

1) Hebr. 10, I». 20. — 2) 2 Ich,, Vew 8. — 3) Matth. 10, 38. — 4) N«n, 6, 3. 4.

Heil der Seele, die sich gehörig darauf vorgeübet hat, daß ihr dieser Ruf dann, als die Stimme des Freundes, das Schreckliche verlieret. An Übung läßt es der heilige Geist den Gotteskindern niemals fehlen, aber nicht alle sind besonnen und verständig genug, in diesen Nbungszeiten einen hinreichenden Vorrath von Lebensöl für ihre Lampen zu sammeln, und darum geht es so manchen Glaubigen wie den thörichten Jungfrauen , deren Lampen verlöschen in dem Augenblicke wo der Bräutigam kommt‘. Sie waren dem Hochzeitshause schon ganz nahe, und warteten nur auf den, der kommen sollte, aber sie wachten nicht; darum hieß es so spät noch: „ Gehet hin, und kaufet für euch selbst!“ und weil sie nun nach der Gnadenzeit kamen, sprach der Herr: „Ich kenne euch nicht!“
O du, dem die Gnade zu Theil wurde, frühe schon das Komm zu vernehmen, du hast manche schöne Erkenntniß gesammelt, manche selige Erfahrung der Freundlichkeit deines Heilandes machen dürfen, und stehest durch den Glauben: Sey nicht stolz, sondern fürchte dich! Fürchte dich vor der Selbsterhebung, aus welcher dich der Feind in die Verzagtheit schleudern kann. Geh freiwillig in die Selbsterniedrigung ein 3, und folge deinem demüthigen Heilande nach, bis ans Ziel des Glaubenslaufes.

Die wahre Nachfolge Christi ist eine immerwährende Demütigung, die stets damit beschäftigt ist, das Ich herunterzusetzen, und jede Eigenheit, die wieder aufkommen will, in den Tod zu geben. Das ganze Leben des Sohnes Gottes in der Erniedrigung, vorzüglich aber seine Leidensgeschichte, von der Fußwaschung an bis zur Durchbohrung seiner Leiche am Kreuze, sind reich an Vorbildern, die uns zeigen, wie der Christ sich soll mißkennen, mißbrauchen, mißhandeln lassen, wenn er seinem Herrn ähnlich werden will. An Gelegenheit dazu mangelt es den Gläubigen nicht; aber viele versäumen dieselbe, indem sie sich selber helfen wollen mit eigener Kraft, oder pochen auf eigenes Recht.

1) Matth. 25, 1 — 13. — 2) Röm. 11, 20. — 3) Luc. 14, 11 und 18, 14; Matth. 23, 11, 12.

Durch das gelassene Dulden im Hinblick auf das Gotteslamm, welches der Welt Sünde trägt, verschwindet die stolze Verzagtheit, das Herz wird von der Leidensscheu oder Kreuzesflucht geheilet, und nun geht erst in der Seele der Friede Gottes auf, welcher höher ist denn alle Vernunft, und Herz und Sinne in Christo Jesu bewahret‘. Eine solche Seele ist dann ganz tüchtig für den Dienst des Herrn, sie hat den Mut der Demut; sie wirket und zeuget, sie kämpfet und leidet für Ihn, und der Sterbetag ist für sie der schönste Siegestag, wo das Kreuz zur Palme wird, und der Herr ihr die Krone reichet. 4

Und wer spricht nun die Seligkeiten aus, die in alle Ewigkeit solche Vollendete durchströmen, wo ihr Herz im Vollgenusse und ungestörten Besitze seines Schatzes eine unerschöpfliche, nie veraltende Freude findet! Ach, alle Schilderungen sind unvermögend, den geringsten Teil davon anzudeuten; denn unsere Sinnenwelt hat unter ihren Herrlichkeiten nichts, das sich von ferne nur damit vergleichen ließe; doch haben alle Seelen, die in der Nachfolge des Herrn wandeln, eine Ahnung davon durch die Erstlinge des Geistes, welche ihnen zu Teil wurden, und durch die Erquickungen, wodurch der Herr seine treuen Kämpfer von Zeit zu Zeit erfreuet, indem er sie seine stärkende Nähe und seine Liebe fühlen lasset.

Wie werden aber die seligen Überwinder von der Höhe ihres himmlischen Zieles zurückschauen auf ihre zurückgelegte Prüfungsbahn? Wie gering werden ihnen die Opfer erscheinen, die sie brachten, die Leiden, die sie erduldeten! Wie beschämt werden sie sich beugen vor dem Angesichte ihres Heilandes, wenn sie nun den großen Lohn schauen, womit er ihnen die Güter des Staubes bezahlt, die sie ihm einst im Glaubenslande verkauften!

Armer Jüngling! Dein Reichtum war dein Verderben! Hättest du dem guten Rat des Heilandes, der dich so freundlich ansah, Gehör gegeben, und was dir Gewinn war, für Schaden und Unrat geachtet, welch ein Segen war dir bereitet! Aber du bliebst in deinen goldenen Ketten ein Gefangener des Todes. Arme Begüterte dieser Welt! Das ist eure Geschichte, wenn ihr die Gnadenstunde der Berufung lasset vorüber gehen; es ist aber auch die eurige, ihr Alle, deren Herzen noch von vergänglichen Dingen gefesselt, nach dem trachten, was auf Erden ist.

1) Röm. 8, 18. — 2) Phil. 3, 7-11.

Der gute Rat Jesu Christi mag freilich Vielen eine Torheit erscheinen, und er ist es auch nach dem verkehrten Urteile der Welt; aber wenn ihr ihm folgt und darnach tut, so werdet ihr finden, daß darin die wahre Weisheit liegt, nämlich die heimlich verborgene
Weisheit Gottes, welche Gott verordnet hat vor der Welt, zu unserer Herrlichkeit; weil dieser gute Rat eigentlich nichts Anderes enthält, als das Wort vom Kreuze, welches eine Thorheit ist denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine
Gotteskraft. Amen.

Quelle:

F. Härter, Pfarrer an der Neuen Kirche: Der gute Rath für Alle, die nach dem ewigen Leben fragen. Eine Predigt über Matth. 19, 16-26. Straßburg 1844, gedruckt bei Wittwe Berger-Levrault, Judengasse 33.  [Digitalisat]